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Geschwindigkeitsüberschreitung: Foto/Person Vergleich durch Sachverständigen

Oberlandesgericht Celle

Az: 2 Ss 124/02

Beschluss vom 17.07.2002


Zum Umfang der Darlegungspflicht im Bußgeldverfahren bei einem sog. morphologischen Vergleichsgutachten, welches sich auf ein Beweisfoto einer Verkehrsüberwachungsanlage stützt.

In der Bußgeldsache wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 01. März 2002 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 17. Juli 2002 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen „fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 3 Abs. 3, 49 StVO, 24 StVG“ (gemeint ist: fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung) zu einer „Geldbuße von 250,00 DM (127 €)“ verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt, für dessen Wirksamwerden es eine Anordnung nach § 25 Abs. 2 a StVG getroffen hat.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 22. März 2000 mit dem PKW Daimler Benz, mit einer gemessenen Geschwindigkeit von 94 km/h und überschritt damit die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um vorwerfbare 41 km/h.

Von der Täterschaft des Betroffenen hat sich das Amtsgericht aufgrund der schlüssigen gutachterlichen Ausführungen eines Sachverständigen für anthropologische Vergleichsgutachten überzeugt, dessen Darlegungen von einer vergleichenden Augenscheinseinnahme des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen mit den Hochglanzradarfotos bestätigt worden seien.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

II.
Das zulässige Rechtsmittel hat bereits mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts Erfolg, sodass es eines Eingehens auf die Verfahrensrügen nicht bedarf; vorsorglich wird dazu auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 27. Juni 2002 verwiesen.

Die Urteilsgründe werden den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer – wenn auch nur gedrängten – zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH NStZ 2000, 106, 107 m. w. N.).

Bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten handelt es sich nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode (BGH aaO), bei welcher sich die Darstellung im wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann. Um dem Senat die Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens und seines Beweiswertes zu ermöglichen, bedurfte es hier weiterer über die Aufzählung der mit dem Foto übereinstimmenden morphologischen Merkmalsprägungen des Betroffenen hinausgehender Angaben.

Im Urteil fehlen Ausführungen, aufgrund welchen biostatistischen Vergleichs–materials der Gutachter zu dem Ergebnis gelangt ist, bei fünfzehn übereinstimmenden Merkmalen sei mit hoher Beweiskraft festzustellen, dass der Betroffene mit dem abgelichteten Fahrzeugführer identisch ist. Es mag Merkmale geben, die bei einem hohen Anteil der Bevölkerung vorhanden sind, andere wiederum mögen äußerst selten sein. Dies hat zur Folge, dass dem Vorhandensein einzelner Merkmale eine höhere Beweisbedeutung zukommt als anderen. Hier fehlen jegliche Angaben dazu, welchen der festgestellten Übereinstimmungen – ggfs. in Kombination mit anderen festgestellten Merkmalen – eine besondere Beweisbedeutung zukommt. Darüber hinaus mangelt es der Aufzählung der morphologischen Merkmalsprägungen an Verständlichkeit. Der Senat vermag z. B. nicht nachzuvollziehen, was unter einer seitlich abgesetzten vorderen Kuppe des Nasenrückens oder einer Vorwölbung der Mundspalte am unteren Anteil zu verstehen ist.

Weiter beruht das Gutachten auf einer Auswertung von in Augenschein genommenen Hochglanzfotos (die im Übrigen keine Radarfotos sind, weil die Messung mit einer ESO-Anlage, also einem Lichtschranken-Messgerät, erfolgt ist). Je nach Qualität und Inhalt eines Bildes können sich ein Vergleich mit dem persönlich anwesenden Betroffenen und der Schluss auf seine Täterschaft von vornherein als schlechterdings unmöglich und willkürlich erweisen (vgl. BGHSt. 31,376, 382). Die Prüfung, ob das vom Tatrichter in Augenschein genommene und vom Gutachter ausgewertete Lichtbild für eine Überzeugungsbildung überhaupt ergiebig ist, obliegt dem Rechtsbeschwerdegericht. Daraus folgt, dass die Urteilsgründe entsprechend gefasst sein müssen. Entweder der Tatrichter erfüllt diese Forderung, indem er in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt, was zur Folge hat, dass das Rechtsmittelgericht dann die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen kann, oder aber der Tatrichter ermöglicht diese Überprüfung durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung des Fotos. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung ermöglicht wird, ob dieses zur Identifizierung generell geeignet ist. Umstände, die eine Identifizierung erschweren können, sind dabei ebenfalls zu schildern (vgl. BGHSt. 41, 376 ff).

Auch diesen Anforderungen wird das allein die Aufzählung der fünfzehn morphologischen Merkmalsprägungen und den Hinweis, das Foto sei scharf genug, um die Merkmalserfassung nachzuvollziehen, enthaltende Urteil nicht gerecht. Es fehlt eine einen Gesamteindruck des Bildes vermittelnde Schilderung. Es bleibt offen, ob von der abgelichteten offenbar männlichen Person Einzelheiten – und gegebenenfalls welche – zur Einschätzung von Alter, Statur und Aussehen erkennbar sind. Es wird auch nicht mitgeteilt, ob es sich um ein Frontfoto oder eine Profilaufnahme handelt und es fehlen Angaben zur Kontrastschärfe und Belichtung des Bildes, sowie dazu, ob ein ungehinderter Blick auf die Person möglich ist.

Das Amtsgericht wird – im Falle einer Verurteilung – bei der neuen Entscheidung Gelegenheit haben, bei der Bemessung der Geldbuße entsprechend § 4 Abs. 3 OWiG von den Regelsätzen der ab dem 01. Januar 2002 geltenden Bußgeldkatalogverordnung auszugehen, weil diese – wenn auch nur geringfügig – mildere Ahndungen vorsieht, als die vom Amtsgericht verwendete Fassung. Schließlich wird der Tenor des Urteils entsprechend § 46 Abs. 1 OWiG, § 260 Abs. 4 StPO zu fassen sein. Dazu gehört die rechtliche Bezeichnung der Tat in knapper Form; die Liste der angewendeten Vorschriften ist davon zu trennen; § 46 Abs. 1 OWiG, § 260 Abs. 5 StPO (vgl. auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 260 Rnr. 19 ff).

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