Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 11 U 73/21 – Urteil vom 10.02.2022
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 12.05.2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile gegen ihn zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leisten.
Der Wert des Berufungsverfahrens beträgt 30.247,76 €.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Ansprüche wegen Pflichtverletzung aus einem Anwaltsvertrag.
Der Kläger wurde als Motorradfahrer bei einem Verkehrsunfall mit einem Auto schwer verletzt. Der Beklagte zu 2, der zu diesem Zeitpunkt als Anwalt in Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit der Beklagten zu 1 tätig war, vertrat den Kläger bei der Abwicklung der Unfallschäden. Der Kläger war Inhaber einer Unfallversicherung bei der X-Versicherung, diese Gesellschaft war auch Haftpflichtversicherer des Unfallgegners. Der Unfallversicherer wies den Kläger mehrfach schriftlich darauf hin, dass Leistungen ausgeschlossen seien, wenn nicht eine ärztliche Feststellung der Invalidität erfolge. Die Schreiben des Versicherers übersandte der Kläger an den Beklagten zu 2., der gegenüber dem Unfallversicherer nicht tätig wurde. Der Versicherer lehnte später Leistungen ab, da die Invalidität nicht innerhalb der hierfür vereinbarten Frist festgestellt worden sei.
Der Kläger hat dem Beklagten zu 2 vorgeworfen, dieser habe ihm wiederholt mitgeteilt, dass zunächst die Schuldfrage bei dem Unfall geklärt werden müsse.
Mit der Klage verlangt er von den Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung bei der Abwicklung der Unfallfolgen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe nicht ausreichend darlegen und beweisen können, dass die Angelegenheit der Unfallversicherung Gegenstand des Mandats gewesen sei. Die Darstellung des Klägers, darüber, wie er dem Beklagten zu 2 einen Auftrag erteilt haben wolle, sei nicht nachvollziehbar. Ein Vertrag ergebe sie nicht schon durch die Unterzeichnung der Vollmacht mit dem Betreff „wegen Verkehrsunfall“. Hierzu stehe im Widerspruch, dass der Kläger selbst ohne Hilfe durch den Beklagten zu 2 den Schaden bei der X-Versicherung gemeldet habe. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des Schreibens der X-Versicherung vom 16.06.2015. Durch Zuleitung dieses Schreibens an den Beklagten zu 2 sei kein Mandatsverhältnis im Hinblick auf die eigene Unfallversicherung entstanden. Auch sei nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 2 zugesagt habe, sich zu kümmern.
Der Kläger habe auch keinen Anspruch wegen der Verletzung von Schutzpflichten. Zwar träfen den Anwalt besondere Warn- und Hinweispflichten, wenn ihm die außerhalb des konkreten Mandats liegenden Begleitumstände und die hieraus drohenden Gefahren offenkundig oder bekannt sein. Für die Beklagten sei aber nicht offenkundig gewesen, dass Ansprüche verloren zu gehen drohten. Der Beklagte zu 2 habe darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger von der X-Versicherung ausdrücklich auf den drohenden Fristablauf hingewiesen und sich ausreichend um seine Angelegenheit bezüglich der Unfallversicherung kümmern werde.
Gegen die Klageabweisung wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er ist der Ansicht, dass ihm ein Anspruch wegen einer vertraglichen Pflichtverletzung gegen die Anwälte zustehe. Aus der Anhörung des Beklagten zu 2 in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ergebe sich, dass diesem bekannt gewesen sei, dass er – der Kläger – Aufklärungsbedarf und sich aufgrund des Unfalls in einer beruflichen Ausnahmesituation befunden habe. Die Pflichten eines Rechtsanwalts erstreckten sich auch auf die Aufklärung über die versicherungsrechtlichen Ausschlussfristen, wenn er Grund zu der Annahme habe, sein Auftraggeber sei sich einer Gefahr nicht bewusst. Er habe den Mandanten insbesondere auf die versicherungsvertraglichen Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Invaliditätsleistungen aus einer Unfallversicherung hinzuweisen und ihm zu verdeutlichen, dass innerhalb der Frist auch eine ärztliche Feststellung eines unfallbedingten Dauerschadens erfolgen müsse.
Der Beklagte zu 2 habe zum Gang der Besprechungen im einzelnen auch keine konkreten Angaben gemacht, er habe nicht angegeben, welche Belehrungen und Ratschläge er erteilt und wie darauf der Mandant reagiert habe.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 30.247,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.12. 2019, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.698,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.12. 2019 zu zahlen, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten verteidigten das Urteil. Dem Kläger sei die im Rahmen der Unfallversicherung einzuhaltende Frist positiv bekannt gewesen. Er habe die persönlich adressierten Schreiben erhalten, in welchen auf den Fristablauf hingewiesen worden sei. Er habe diese auch verinnerlicht, also gewusst, dass er innerhalb des Fristablaufs für eine ärztliche Feststellung der Invalidität sorgen müsse. Der Beklagte habe nur das wiederholen können, was der Kläger ohnehin schon gewusst habe. Die Beschaffung der ärztlichen Feststellung innerhalb der Frist sei keine Pflicht des Rechtsanwalts. Den Arzt habe der Kläger auch selbst angeschrieben, ihm das Formular überlassen und um Beibringung der ärztlichen Feststellung gebeten.
Selbst wenn aufgrund der handschriftlichen Notiz auf dem Schreiben vom 19.07.2016 noch Aufklärungsbedarf bestanden habe, so habe der Kläger darzulegen und zu beweisen, dass der Beklagte diese Aufklärung nicht erteilt habe. Der Beklagte zu 2 habe ausführlich vorgetragen, dass er im Anschluss an diese E-Mail ein Telefonat mit dem Kläger geführt und festgestellt habe, dass der Kläger die Frist gekannt und das Formular bereits selbst an den behandelnden Arzt gesendet habe. Es habe deshalb für den Beklagten zu 2 nichts mehr zu veranlassen gegeben.
Es habe im vorliegenden Fall auch kein Mandatsverhältnis gegeben. Der Beklagte zu 2 sei nicht damit beauftragt worden, die Vertretung im Rahmen des privaten Unfallversicherungsvertrages zu übernehmen.
II.
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagten aus einem Anwaltsvertrag, denn die beklagten Anwälte haben keine vertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt.
1.
Eine zum Schadensersatz verpflichtende Pflichtverletzung besteht nicht deshalb, weil die Beklagten vom Kläger ausdrücklich oder schlüssig beauftragt worden sind, seine Ansprüche gegenüber dem Unfallversicherer durchzusetzen oder ihn hinsichtlich der Durchsetzung dieser Ansprüche zu beraten, beides aber unterlassen haben. Es steht nicht fest, dass sich das Mandat der Beklagten auf diesen Gegenstand erstreckte.
1.1.
Vertragspartner des Klägers sind beide Beklagte geworden, auch wenn die Beratung und Vertretung nur durch den Beklagten zu 2 erfolgte. Zum Zeitpunkt der Mandatierung im Juni 2015 waren die beiden beklagten Rechtsanwälte in Gesellschaft bürgerlichen Rechts tätig.
1.2.
dass sich das Mandat auch auf den Gegenstand „Unfallversicherung“ erstreckte (vgl. Vill in Fischer/Vill/Fischer/Rinkler/Chab Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rn. 32).
Aus den schriftlichen Erklärungen, insbesondere aus der Vollmachtsurkunde ergibt sich kein Hinweis auf eine Mandatierung mit diesem Gegenstand. Zwar wird dort Vollmacht erteilt „wegen Verkehrsunfall“. Nach der Wortbedeutung mag die Interessenvertretung gegenüber dem Unfallversicherer darunter fallen, da auch diese Ansprüche durch den Verkehrsunfall verursacht worden sind, im weitesten Sinne also wegen Verkehrsunfalls bestehen konnten. Bei dieser weiten Auslegung wäre der Mandatsgegenstand indessen kaum einzugrenzen und würde eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen umfassen. Denn auch eine mögliche Auseinandersetzung mit einem Krankenversicherer kann durch den Verkehrsunfall verursacht werden, ebenso wie die Auseinandersetzung mit einer Autowerkstatt, sollte es Probleme bei der Reparatur des Autos geben, oder mit dem eigenen Vollkaskoversicherer, sollte dieser eine Regulierung ablehnen. Üblicherweise steht bei der anwaltlichen Vertretung nach Verkehrsunfällen die Auseinandersetzung mit dem Unfallgegner im Vordergrund. Ein darüber hinausgehendes Mandat hätte zur Folge, dass hierfür Rechtsanwaltsgebühren anfallen können, die nicht vom Unfallgegner oder dem eigenen Kfz-Haftpflichtversicherer zu tragen sind. Anders als bei der Auseinandersetzung mit dem Unfallgegner bedarf es für die Interessenwahrnehmung gegenüber einem Unfallversicherer im Regelfall zunächst keiner anwaltlichen Beratung. Es wäre deshalb zu erwarten, dass bei einem Mandat, das sich auch auf die Auseinandersetzung mit den eigenen Versicherern erstreckt, ausdrücklich ein gesonderter Auftrag erteilt wird.
Ein mündlicher Auftrag, auch in Sachen Unfallversicherung zu beraten und zu vertreten, steht ebenfalls nicht fest. Das Landgericht konnte sich nicht die Überzeugung bilden, dass ein solcher mündlicher Auftrag erteilt wurde. An diese Feststellung ist der Senat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, da keine konkreten Anhaltspunkte zu Zweifeln an dieser Feststellung vorliegen.
Die Schilderung des Beklagten zu 2, er habe als Reaktion auf die E-Mail in der sich der Kläger über ihn beklagte, mit diesem Kontakt aufgenommen, ist plausibel. Dies gilt auch für die Darstellung des Beklagten zu 2, man sei wegen der durch die Mandatierung entstehenden Kosten so verblieben, dass der Kläger sich selbst darum kümmere, dass der Arzt die notwendigen Angaben gegenüber dem Versicherer mache. Denn zur Wahrung der Frist bedurfte es einer anwaltlichen Tätigkeit tatsächlich nicht. Der Kläger benötigte nur eine formularmäßige ärztliche Bescheinigung. Diese konnte er ohne weiteres selbst beschaffen.
Die Darstellung des Beklagten zu 2 ist ausreichend detailliert, so dass er damit einer möglichen sekundären Darlegungslast genügt hat. Dem Kläger obliegt deshalb der Beweis seiner abweichenden Darstellung. Einen solchen Beweis hat der Kläger aber nicht in geeigneter Weise angeboten. Da für seine Darstellung kein sogenannter Anbeweis spricht, war er hierzu auch nicht als Partei zu vernehmen. Dass sich der Beklagte in seinem Schreiben vom 09.10.2017 noch gar nicht auf die jetzt behauptete telefonische Beratung berufen hat, fällt zwar auf, begründet aber noch keinen ausreichenden Anbeweis dafür, dass es eine solche Beratung nicht gegeben hat.
1.3.
Die Beklagten haften nicht wegen der Verletzung von Hinweis- oder Warnpflichten, denn der Kläger war über den Fristablauf und dessen Folgen informiert.
Auch wenn ein Rechtsanwalt nur eingeschränkt beauftragt ist, besteht eine Nebenpflicht, den Auftraggeber auf mögliche Fristversäumnisse hinzuweisen. Dies gilt bei drohenden Nachteilen durch die Versäumung einer Ausschlussfrist in den allgemeinen Bedingungen einer Unfallversicherung (vgl. Vill, a.a.O., § 2 Rn. 171). Dabei hat der Anwalt grundsätzlich von der Belehrungsbedürftigkeit des Mandanten auszugehen.
Den anwaltlichen Berater trifft aber in der Regel keine weitere Beratungspflicht gegenüber seinem Mandaten, wenn diesem die Risiken bereits hinreichend deutlich geworden sind (vgl. Vill a.a.O. § 2 Rn. 95). So stellte es sich für den Beklagten zu 2 dar. Den beiden Schreiben des Unfallversicherers durfte der Beklagte zu 2 entnehmen, dass der Kläger selbst den Unfall gegenüber dem Unfallversicherer gemeldet hatte und der Unfallversicherer daraufhin den Kläger zweimal schriftlich über die Ausschlussfrist belehrt hatte. Der Beklagte zu 2 hatte keinen Grund zu der Annahme, dass der Kläger diese inhaltlich einfachen Hinweise nicht verstanden habe oder vor Fristablauf wieder vergessen würde. Spätestens durch seine handschriftliche Beschwerde, dass er nicht auch vom Beklagten auf die Frist hingewiesen worden sei, hat der Kläger dokumentiert, dass er inzwischen Bescheid wusste.
Der Beklagte zu 2 musste auch nicht in der bis zum Fristablauf noch verbleibenden Zeit von gut einem Monat sicherstellen, dass der Kläger die Frist nicht wieder vergessen würde.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.