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Gefährdungshaftung beim Betrieb einer Schienenbahn: Selbst verschuldeter Sturz eines Fahrgastes

Oberlandesgericht Bremen – Az.: 1 U 24/11 – Urteil vom 15.07.2011

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bremen – 7. Zivilkammer, Einzelrichter – vom 24.02.2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in derselben Höhe geleistet haben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 29.355 € festgesetzt.

Gründe

I.

Wegen des Sach- und Streitstands erster Instanz und der Begründung der Entscheidung im Einzelnen wird auf das angefochtene Urteil (BI. 174 ff. d.A.) Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Gefährdungshaftung beim Betrieb einer Schienenbahn: Selbst verschuldeter Sturz eines Fahrgastes
Symbolfoto: Von Vadim Rodnev/Shutterstock.com

Das Landgericht Bremen – 7. Zivilkammer – hat mit Urteil vom 24.02.2011 die Klage abgewiesen. Gegen das der Klägerin am 02.03.2011 zugestellte Urteil hat diese am 18.03.2011 Berufung eingelegt; die Berufungsbegründung wurde am 28.04.2011 eingereicht. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts Bremen vom 24.02.2011 aufzuheben und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

1. an die Klägerin 13.355,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.08.2009 aus 6.129,39 € und seit Rechtshängigkeit aus 7.226,28 € und ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.08.2009 sowie weitere 1.561,28 € zu zahlen und

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner für künftige Schäden haften, die der Klägerin aufgrund des Bruches des rechten Handgelenks infolge des Sturzes vom 13.08.2008 in der Straßenbahn der Beklagten zu 2. entstehen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil und treten dem Berufungsvorbringen entgegen.

Wegen des Berufungsvorbringen der Parteien wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 28.04.2011 (Bl. 197 ff. d.A.) und den Schriftsatz der Beklagten vom 01.06.2011 (Bl. 219 ff. d.A.) verwiesen.

II.

Die statthafte (§ 511 ZPO), form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 517, 519, 520 ZPO) der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 24.02.2011 ist zulässig, aber unbegründet.

Das Landgericht, auf dessen Entscheidungsgründe ergänzend Bezug genommen wird, hat zu Recht eine Haftung der Beklagten verneint.

1. Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, dass der Beklagte zu 1. die von ihr bei der Straßenbahnfahrt am 13.08.2008 erlittenen Verletzungen schuldhaft verursacht hat.

Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass eine Haftung des Beklagten zu 1. nur aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommen kann. Die Klägerin trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Bremsung, die zu dem Sturz der Klägerin geführt hat, auf einer Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten zu 1. beruht. Diesen Beweis hat sie jedoch nicht geführt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin trifft den Beklagten nicht eine sekundäre Darlegungslast für die Ursachen der Bremsung. Der Prozessgegner ist nach den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast nur dann gehalten, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, wenn die beweisbelastete Partei außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs steht, während der Prozessgegner nähere Kenntnis über die Tatsachen hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 138 Rn. 8b m.w.N.). Daran fehlt es hier bereits deshalb, weil nicht festgestellt werden kann, dass der Beklagte zu 1. über eine nähere Kenntnis hinsichtlich des zum Unfall führenden Geschehensablaufs verfügt. Der Beklagte zu 1. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 13.01.2011 angegeben, keine Erinnerung mehr daran zu haben, was an jenem Arbeitstag geschehen ist. Dies entspricht auch seinen Angaben gegenüber der Polizei in dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren (Az.: 630 Js 51539/08). Diese Einlassung ist glaubhaft. Der Beklagte zu 1. wurde unstreitig nicht unmittelbar nach dem Sturz der Klägerin am 13.08.2008 von dem Vorfall informiert, sondern er hat erst aufgrund des polizeilichen Anhörungsschreibens vom 22.09.2008 Kenntnis davon erhalten. Es ist nachvollziehbar, dass ein Straßenbahnführer sich nicht nach Wochen noch an den jeweiligen Anlass einzelner Bremsungen erinnern kann. Es sind auch keine besonderen Vorkommnisse festgestellt, die für den Beklagten zu 1. Anlass hätten sein können, sich den damit in Zusammenhang stehenden vorangegangenen Geschehensablauf einzuprägen. Allein aus dem Umstand, dass es zu einer stärkeren Bremsung gekommen ist, kann indessen nicht geschlossen werden, dass die Bremsung schuldhaft eingeleitet worden wäre. Es kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Aufklärungsmöglichkeiten bei sofortigem Hinweis an den Straßenbahnführer ungleich besser gewesen wären.

2. Das Landgericht hat auch zu Recht angenommen, dass die Klägerin sich ein anspruchsminderndes Mitverschulden entgegenhalten lassen muss, hinter dem die Haftung der Beklagten zu 2. aus Gefährdungshaftung gemäß § 1 Abs. 1, § 6 HPflG vollständig zurücktritt.

Zutreffend hat das Landgericht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung ausgeführt, dass der Fahrgast verpflichtet ist, sich im Fahrzeug festen Halt zu verschaffen. Er muss jederzeit mit einem scharfen Bremsen rechnen (KG, NZV 2010, 570 m.w.N.). Dieser Verpflichtung ist die Klägerin unstreitig nicht nachgekommen, da sie sich im Zeitpunkt der Bremsung ohne Halt in der Straßenbahn bewegt hat. Demgegenüber kann die Klägerin nicht mit Erfolg einwenden, sie habe lediglich ihrer Pflicht entsprechend, ein zügiges Aussteigen zu ermöglichen, sich kurz vor Erreichen der Haltestelle zum Ausgang begeben. In der gegebenen Situation bestand für die Klägerin kein Grund, sich der besonderen Gefahr auszusetzen, indem sie unmittelbar zu dem weiter vorne befindlichen Haltegriff auf der anderen Gangseite ging. Die Klägerin hätte, wie bereits das Landgericht festgestellt hat, sich an der Haltestange ihrer Sitzreihe oder auf der anderen Seite des Ganges festhalten können. Ferner bestand die Möglichkeit, sich an dem linksseitig vor ihrem Sitz befindlichen Haltegriff festzuhalten. Da die Klägerin sich ohnehin nahe der Tür befand und der Weg nicht durch andere Fahrgäste versperrt war, bestand auch insoweit keine Veranlassung sich zu dem ferneren Haltegriff zu begeben.

Unter den gegebenen Umständen vermag der Senat keine rechtsfehlerhafte Abwägung der Verursachungsbeiträge feststellen. Macht der Fahrgast von den Möglichkeiten, sich vor den naheliegenden Gefahren bei der Nutzung einer Straßenbahn zu schützen, keinen Gebrauch, dann führt dies zum völligen Zurücktreten der Betriebsgefahr. Ein grobfahrlässiges Verhalten ist nicht erforderlich (KG, NZV 2010, 570, 572 m.w.N.).

Nach den getroffenen Feststellungen kommt es nicht darauf an, ob es der Klägerin möglich gewesen wäre, sich durchgängig beim Aussteigen Halt zu verschaffen, so dass das Landgericht rechtsfehlerfrei von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 ZPO).

 

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