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Geh- und Radweg – Verkehrssicherungspflicht Gemeinde

LG Bonn – Az.: 1 O 410/19 – Urteil vom 24.06.2020

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte für materielle und immaterielle Schäden aus einem Unfall haftet, der sich am 29.07.2017 im Gebiet der Gemeinde X auf dem parallel zur L ### führenden Geh- und Radweg ereignet hat. Die Beklagte ist dort verkehrssicherungspflichtig. Für die Lage der Örtlichkeiten wird auf die der Beiakte (Az. ##.##-####.#######.#$##) angefügten Lichtbilder sowie auf die Anlagen K 4, B 4 und B 5 Bezug genommen.

Der Kläger befuhr am 29.07.2017 mit seinem Fahrrad gegen 12:00 Uhr aus Richtung Y kommend in Richtung X den Geh- und Radweg, wo es zu einem Sturz kam. Der genaue Hergang des Unfalls ist zwischen den Parteien streitig.

Der Geh- und Radweg parallel zur L ### wies an verschiedenen Stellen aufgewölbten Asphalt, Aufwölbungen von Wurzelausläufern mit einem Höhenunterschied von teilweise 5 bis 6 cm und Unebenheiten auf. Entlang des Weges wurden vor dem Unfalltag Hinweisschilder auf Straßenschäden aufgestellt, die sich in Richtung Y bei km 1,970 und in Richtung X in Höhe von km 0,700 befanden. Bei Abbiegen aus der sog. „F“ in Fahrtrichtung X befand sich bis zur Unfallstelle kein weiteres Hinweisschild.

Einige Tage nach dem Unfallereignis stellte die Beklagte an der Unfallstelle Hinweisschilder hinsichtlich der Gehwegschäden auf und markierte die Unebenheiten auf dem Asphalt farblich.

Geh- und Radweg – Verkehrssicherungspflicht Gemeinde
(Symbolfoto: Von Vetertravel/Shutterstock.com)

Der Kläger erlitt durch den Fahrradsturz erhebliche Verletzungen. So musste er intensivmedizinisch behandelt werden und befand sich unter anderem vier Wochen im künstlichen Koma. Bei dem Kläger wurde u.a. ein Schädel-Hirn-Trauma Grad III, ein traumatisches Subduralhämatom, ein Epiduralhämatom, eine traumatische Subarachnoidalblutung sowie eine okzipitale und temporale Kalottenfraktur diagnostiziert. Zudem erlitt der Kläger verschiede Frakturen, u.a. der ersten Rippe links. Wegen der Einzelheiten der Verletzungen wird auf die Anlagen K 1 und K 2 verwiesen. Der Kläger musste sich aufgrund dieser Verletzungen zahlreichen medizinischen Maßnahmen unterziehen.

Mit Bescheid des A vom 02.08.2018 wurde der Grad der Behinderung des Klägers mit 50 % festgestellt.

Der Kläger behauptet, mit seinem Fahrrad auf Höhe des Hauses mit der Anschrift B-Straße einen aufgewölbten und für ihn nicht erkennbaren Asphaltbereich des Radweges überfahren zu haben. Dadurch sei er zunächst mit dem Fahrrad ins Trudeln geraten und sodann nach weiteren 2,50 Metern auf eine weitere Aufwölbung des Straßenbelages gestoßen, wodurch es bei einem Bremsversuch zu dem Sturz vom Fahrrad gekommen sei. Die Unebenheiten auf dem Radweg seien für ihn nicht erkennbar gewesen. Der Weg stelle somit eine erhebliche Gefahrenquelle dar.

Der Kläger behauptet ferner, dass unfallbedingte Beeinträchtigungen und Behinderungen fortbestünden. Grundlegende Fähigkeiten wie das Atmen, Schlucken, Sprechen, Wasserlassen, selbstständige Anziehen oder Laufen habe er nach dem Unfall neu erlernen müssen.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe gegen ihre Verkehrssicherungspflicht verstoßen, da sie an der Unfallstelle Warnschilder im Hinblick auf die Bodenaufwölbungen hätte aufstellen müssen.

Der Kläger beantragt,

1.  festzustellen, dass die Beklage verpflichtet ist, ihm im Umfang von 50 Prozent sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aufgrund des Verkehrsunfalls vom 29.07.2017 auf dem Radweg der B-Straße, km 2.000 in ##### K-X, entstanden sind oder entstehen werden,

2.  die Beklagte zu verurteilen, ihn von den Kosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 887,03 EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet den Unfallhergang mit Nichtwissen. Die Beklagte ist der Ansicht, dass schon ein Anspruch dem Grunde nach nicht bestehe, da es an einer Gefahrenquelle fehle.

So behauptet die Beklagte, der Gesamtzustand des Radweges sowie die Bodenaufwölbungen seien für jeden Radfahrer zu erkennen gewesen. Ferner seien im ländlichen Bereich durch Baumbewuchs und Wurzeln mit Unebenheiten der Fahrbahndecke zu rechnen, sodass das Fahrverhalten entsprechend hätte angepasst werden müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze einschließlich der Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Das für den Feststellungsantrag notwendige Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO besteht. Ein Feststellungsinteresse liegt regelmäßig dann vor, wenn die schädigende Handlung bereits eingetreten ist, der endgültige Umfang des Schadens noch nicht feststeht und eine Verjährung des Anspruchs droht (Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 256 Rn. 14). Der Kläger hat schlüssig dargelegt, dass die Schwere der unfallbedingten Verletzungen den Eintritt von Folgeschäden zumindest nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit erscheinen lassen. So werden nach dem vorgelegten ärztlichen Attest der Ärztin M vom 06.08.2019 (Anlage K 2, Bl. ## f. d.A.) posttraumatische Dauerschäden für möglich erachtet und zudem festgestellt, dass sich in Bezug auf einige Beschwerden keine Besserungen eingestellt haben.

II.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz wegen schuldhafter Amtspflichtverletzung gemäß § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu.

Grundsätzlich obliegt der Beklagten für den streitgegenständlichen Fuß- und Radweg als Trägerin der Straßenbaulast gemäß § 9a Abs. 1 S. 2 Straßen- und Wegegesetz NRW (StrWG NRW) die Verkehrssicherungspflicht. Daraus folgt, dass die Beklagte dafür Sorge zu tragen hat, dass sich die öffentlichen Verkehrsflächen – zu denen auch der Fuß- und Radweg entlang der L ### gehört – in einem Zustand befinden, der eine gefahrlose Nutzung dieser Verkehrsflächen gewährleistet.

Selbst wenn die Kammer einen Sturz des Klägers wie von ihm behauptet annähme, so hat die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht vorliegend nicht verletzt. Denn es lag schon keine Gefahrenquelle vor.

Der Verkehrssicherungspflichtige schuldet nämlich nicht den optimalen Zustand von Straßen und Gehwegen. Grundsätzlich muss der Benutzer die Straße vielmehr so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet und sein Verhalten den gegebenen Verhältnissen anpassen (vgl. BGH, VersR 2005, 660). Der Verkehrssicherungspflichtige hat nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, für die ein echtes Sicherungsbedürfnis besteht und die im Rahmen der berechtigten Sicherheitserwartungen des in Betracht kommenden Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, Gefahren von den Verkehrsteilnehmern abzuwehren. Die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht dürfen dabei nicht überspannt werden, da im praktischen Leben nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist vielmehr genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (vgl. BGH, NJW 2007, 1683).

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass in Anbetracht des ausgedehnten Straßen- und Wegenetzes der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften die Gewährleistung einer gänzlich gefahrlosen Nutzung der Verkehrsflächen mit zumutbaren Aufwand nicht erreichbar ist, so dass von einem Straßenbaulastträger nur erwartet werden kann, dass er diejenigen Gefahren ausräumt und erforderlichenfalls vor ihnen warnt, die für den Verkehrsteilnehmer, der die nötige Sorgfalt beachtet, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einrichten kann.

Nach dieser Maßgabe waren die Auswölbungen und Unebenheiten auf dem kombinierten Fuß- und Radweg für den Kläger gut erkennbar. Die vorgelegten Lichtbilder (Anlagen K 5, K 6, B 4, B 5 sowie der Beiakte des A, Az. ##.##-####.#######.#$##) belegen, dass die Risse und Auswölbungen eine Größe hatten, die für aufmerksame Verkehrsteilnehmer und damit auch für Radfahrer mit einer den örtlichen Verhältnissen angepassten Geschwindigkeit sichtbar waren. Die Risse und Auswölbungen befanden sich gerade nicht an einer unübersichtlichen oder gar versteckten Stelle des Rad- und Fußweges, sondern mittig auf der Fahrbahn.

Ferner berücksichtigt die Kammer, dass sich ein nicht unerheblicher Abschnitt des Fuß- und Radweges ausweislich der Lichtbilder in einem nicht einwandfreien und unbeschädigten Zustand befand. So weist der Wegabschnitt zahlreiche Risse, Unebenheiten und Niveauunterschiede auf. Für Radfahrer dieses Fuß- und Radweges konnte damit das Vorhandensein von Asphaltwölbungen nicht überraschend sein, stattdessen musste mit einem derartigen Zustand der Straße gerechnet werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der hier streitgegenständliche Fuß- und Radweg vor der Unfallstelle entlang von Wald- und Wiesenstücken verläuft und auch an der Unfallstelle der Weg von Bäumen gesäumt ist. Aus diesem Grund ist in besonderem Maße mit Unebenheiten wie der hier unfallauslösenden Beschaffenheit des Weges zu rechnen, da das Wurzelwerk der Bäume sich mit der Zeit unter den Asphalt ausbreitet und diesen stellenweise anhebt (so auch LG Bonn, Urt. v. 13.06.2012, Az. 1 O 448/11, Anlage B 8). Für einen Fahrradfahrer war es auch im vorliegenden Fall durchaus möglich, die vor ihm liegende gerade und gut einsehbare Strecke vollständig zu überschauen und sein Fahrverhalten entsprechend anzupassen.

Auch die Tatsache, dass der Fuß- und Radweg an zwei Stellen mit Warnhinweisen zu dem Zustand des Weges gekennzeichnet war und sich nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers vor der Unfallstelle für Verkehrsteilnehmer, die aus der sog. „F“ kommen, kein weiteres Warnschild sichtbar war, vermag eine entsprechende Verkehrssicherungspflicht der Beklagten nicht zu begründen. Aus den oben dargelegten Gründen muss der Benutzer des Fuß- und Radweges diesen so hinnehmen, wie er sich ihm erkennbar darbietet und muss insoweit selbstverantwortlich handeln und erkennbare Gefahrenstellen vermeiden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte nach dem Unfall die Unfallstelle auf dem Asphalt mit Farbe markiert und durch ein Verkehrsschild kenntlich gemacht hat. Dieses Verhalten erachtet die Kammer nicht als ein Eingeständnis eines pflichtwidrigen Zustandes des Weges. Vielmehr steht es der Beklagten frei, Unfallstellen vorbeugend zu sichern (so auch LG Bonn, Urt. v. 13.06.2012, Az. 1 O 448/11, Anlage B 8).

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III.

Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten teilt ebenso wie der Zinsanspruch das Schicksal der Hauptforderung.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen wegen der Kosten auf § 91 Abs. 1 ZPO und wegen der Vollstreckbarkeit auf den § 709 Satz 1 ZPO.

V.

Streitwert: 10.000 EUR (§§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO)

 

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