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Benachteiligung (geschlechtsbezogene) – Schadensersatzanspruch

Bundesarbeitsgericht

Az: 8 AZR 257/07

Urteil vom 24.04.2008


In Sachen hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2008 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 19. Oktober 2006 – 2 Sa 1776/06 – aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch der Klägerin wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung bei einer Beförderungsentscheidung.

Die Klägerin war seit dem 1. April 2002 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt, zuletzt als „Marketing Director International Division“ gegen eine Bruttomonatsvergütung von etwa 8.700,00 Euro.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Musikbranche. Die Klägerin arbeitete in dem Bereich „International Marketing“, dem der Vizepräsident der Beklagten E vorstand. Sie war als „Directorin Pop“ Abteilungsleiterin. In diesem Bereich gab es außerdem zwei männliche Abteilungsleiter.

Die Stelle des Bereichsvorstandes „International Marketing“, welche nach Beförderung des Bereichsleiters E zum Senior-Vize-Präsidenten „Music Division“ vakant geworden war, wurde einem der beiden männlichen Abteilungsleiter-Kollegen der Klägerin übertragen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung war die Klägerin schwanger, was der Beklagten bekannt war. Der frühere Bereichsleiter E teilte ihr am 13. Oktober 2005 mit, dass nicht sie, sondern einer der männlichen Bewerber zu seinem Nachfolger bestimmt worden sei. Mit Anwaltsschreiben vom 13. Dezember 2005 ließ die Klägerin die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung auffordern, was diese mit Schreiben vom 19. Dezember 2005 ablehnte.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Zahlung einer Entschädigung.

Sie meint, sie sei im Hinblick auf ihr Geschlecht bei der Beförderungsentscheidung benachteiligt worden. Allein die Tatsache ihrer Schwangerschaft sei geeignet, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbezogene Benachteiligung bei der Stellenbesetzung zu erbringen. Sie behauptet, stets Abwesenheitsvertreterin des Bereichsleiters E gewesen zu sein. Dieser habe ihr mehrmals erklärt, dass sie seine Nachfolgerin werden solle. Dass auch familiäre Gesichtspunkte für die getroffene Personalentscheidung eine Rolle gespielt hätten, ergebe sich aus den Äußerungen des Herrn E in dem Gespräch, in welchem er ihr die Nichtberücksichtigung mitgeteilt habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene, in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung in Geld, mindestens jedoch 17.062,50 Euro nebst Zinsen hieraus iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe keine hinreichenden Indiztatsachen für eine Benachteiligung wegen ihrer Schwangerschaft vorgetragen. Für die Beförderung des männlichen Bewerbers hätten sachliche Gründe, vor allem seine erstklassigen Kundenkontakte sowie Proporzgesichtspunkte gesprochen. Für den Fall einer Beförderung der Klägerin hätte ein Übergewicht des S-Unternehmensbereiches gegenüber dem Unternehmensbereich B bestanden. Dies hätte vermieden werden sollen. Die Beklagte hat ferner behauptet, es habe nie in Rede gestanden, dass die Klägerin über die Mutterschutzzeiten hinaus habe pausieren wollen, so dass sie nicht von einer längeren Ausfallzeit der Klägerin ausgegangen sei. Vom früheren Bereichsleiter E sei der Klägerin auch nicht zugesichert worden, seine Nachfolgerin zu werden. Dieser habe lediglich erklärt, dass sie eine Chance auf Beförderung habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe des von der Klägerin geforderten Mindestbetrages nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der durch den Senat zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts durfte die Klage nicht abgewiesen werden.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe ein Entschädigungsanspruch wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung bei der Beförderung nicht zu. Es sei ihr nicht gelungen, gem. § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB in der bis 17. August 2006 geltenden Fassung Hilfstatsachen darzulegen und unter Beweis zu stellen, die eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts vermuten ließen, um so die Umkehr der Beweislast zu Lasten des Arbeitgebers herbeizuführen.

Soweit sich die Klägerin auf den Umstand berufe, dass sie zum Zeitpunkt der Beförderungsentscheidung schwanger und dies der Beklagten bekannt gewesen sei, reiche das allein für die im Streitfall vorliegende Konstellation einer Beförderung nicht aus, indiziell eine geschlechtsbezogene Benachteiligung anzunehmen.

Soweit die Klägerin sich darauf beziehe, dass sie die Abwesenheitsvertreterin des früheren Bereichsleiters E gewesen sei, genüge dies ebenfalls nicht, um eine entsprechende Indizwirkung zu entfalten. Es gebe keinen Erfahrungssatz, dass bei der endgültigen Besetzung einer Stelle stets der frühere Vertreter Priorität genösse.

Auch aus der von der Klägerin behaupteten Äußerung des Herrn E im Vorfeld der Bewerbung, wonach sie seine Nachfolgerin werden solle, könne nicht auf eine Art Zusage geschlossen werden, die im Falle der Nichtberücksichtigung der Klägerin die Annahme einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung indizieren würde.

Soweit Herr E der Klägerin bei dem Gespräch, in welchem er ihr mitgeteilt habe, dass nicht sie, sondern ein anderer Bewerber berücksichtigt worden sei, geäußert habe, sie solle sich auf ihr Kind freuen, sei nicht davon auszugehen, dass sich dies auf den Bewerbungsvorgang selbst und die Besetzungsentscheidung bezogen habe, sondern dass Herr E der Klägerin damit ein „Trostpflaster“ im Hinblick auf ihre Nichtberücksichtigung habe geben wollen. So habe es offenbar auch die Klägerin selbst verstanden.

B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht Stand.

I. Die Klage ist zulässig. Für die hinreichende Bestimmtheit des Klageantrages gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist es ausreichend, dass die Klägerin die Berechnungsgrundlagen in der Klagebegründung dargelegt und einen Mindestbetrag der begehrten Entschädigung angegeben hat. Dies ist ausreichend, wenn die Bestimmung der Höhe des Anspruches von billigem Ermessen oder einer gerichtlichen Schätzung abhängt (vgl. BAG 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 – BAGE 113, 361 = AP SGB IX § 81 Nr. 7 = EzA SGB IX § 81 Nr. 6).

II. Ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung nach § 611a Abs. 2 und Abs. 5 BGB in der bis 17. August 2006 geltenden Fassung (im Folgenden: BGB aF) hat, weil die Beklagte gegen das in § 611a Abs. 1 BGB aF geregelte Diskriminierungsverbot verstoßen hat, konnte der Senat nicht nach § 563 Abs. 3 ZPO abschließend entscheiden. Die Sache war daher gem. § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

1. § 611a BGB aF wurde durch das Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz und über die Erhaltung von Ansprüchen bei Betriebsübergang vom 13. August 1980 (BGBl. I S. 1308 – Arbeitsrechtliches EG-Anpassungsgesetz -) in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt. Damit sollten Männern und Frauen gleiche Chancen bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz eingeräumt werden (BT-Drucks. 8/3317 S. 6 ff.). Den Anlass zu der gesetzlichen Regelung gab die EG-Richtlinie vom 9. Februar 1976 (RL 76/207/EWG, ABl. EG Nr. L 39 S. 40 – Gleichbehandlungsrichtlinie -). Sie wollte den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen ua. hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, in den Mitgliedsstaaten verwirklichen (Art. 1 RL 76/207/EWG). Jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung durch den Arbeitgeber auf Grund des Geschlechts sollte unterbunden werden. Die Mitgliedsstaaten wurden verpflichtet, diesen Grundsatz in nationales Recht umzusetzen. Die Richtlinie wurde durch die RL 2002/73/EG vom 23. September 2002 (ABl. EG Nr. L 269 S. 15) grundlegend geändert.

Infolge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (10. April 1984 – C-14/83 – EuGHE 1984, 1891 = AP BGB § 611a Nr. 1 = EzA BGB § 611a Nr. 1 und – C-79/83 – EuGHE 1984, 1921 = AP BGB § 611a Nr. 2) wurde § 611a BGB durch das Zweite Gleichberechtigungsgesetz vom 24. Juni 1994 (BGBl. I S. 1406) umfassend geändert. Eine weitere Neufassung des § 611a BGB mit einer geänderten Sanktionsregelung trat im Anschluss an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22. April 1997 (- C-180/95 – EuGHE I 1997, 2195 = AP BGB § 611a Nr. 13 = EzA BGB § 611a Nr. 12) am 3. Juli 1998 (BGBl. I S. 1694) in Kraft. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2002 die Überschrift „geschlechtsbezogene Benachteiligung“ eingefügt. Mit Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 wurde § 611a BGB durch das Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897) aufgehoben. § 611a BGB aF ist jedoch gem. § 33 Abs. 1 AGG weiter für Benachteiligungen anzuwenden, die vor Inkrafttreten des AGG erfolgt sind.

§ 611a BGB aF diente der Erreichung der von Art. 3 Abs. 2 GG gesetzten Ziele. Er erstreckte das Diskriminierungsverbot auf private Arbeitsbeziehungen und bezweckte, Frauen gleiche Chancen im Beruf, insbesondere bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses und beim beruflichen Aufstieg zu sichern. Art. 3 Abs. 2 GG enthält ein Gleichberechtigungsgebot. Der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- und Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Er zielt auf Angleichung der Lebensverhältnisse (BVerfG 16. November 1993 – 1 BvR 258/86 – BVerfGE 89, 276 = AP BGB § 611a Nr. 9 = EzA BGB § 611a Nr. 9). Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts iSv. Art. 3 Abs. 3 GG liegt bereits dann vor, wenn eine rechtliche Ungleichbehandlung an das Geschlecht anknüpft. Es kommt nicht darauf an, ob daneben auch andere Gründe maßgeblich waren. Soll die Beachtung des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbotes auch für den Arbeitgeber verbindlich gemacht werden – und darin liegt der Sinn des § 611a BGB aF -, so muss es diesem verwehrt sein, das Geschlecht eines Bewerbers bei seiner Entscheidung überhaupt zu dessen Lasten zu berücksichtigen. Das ist aber bereits dann der Fall, wenn in dem Motivbündel, das seine Entscheidung beeinflusst hat, das Geschlecht des abgewiesenen Bewerbers als negatives oder das andere Geschlecht als positives Kriterium enthalten ist (BVerfG 16. November 1993 – 1 BvR 258/86 – aaO).

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2. Ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf Entschädigung wäre nicht wegen Versäumung der Ausschlussfrist des § 611a Abs. 4 BGB aF verfallen.

Die Klägerin hat die Fristen für die Geltendmachung des Anspruches gem. § 611a Abs. 4 Satz 3, Abs. 5 BGB aF und § 61b Abs. 1 ArbGG in der bis zum 17. August 2006 geltenden Fassung eingehalten. Sie hatte ihren Anspruch mit Schreiben vom 13. Dezember 2005 innerhalb von sechs Monaten nachdem ihr der frühere Bereichsleiter E am 13. Oktober 2005 die mangelnde Berücksichtigung für die Beförderungsstelle mitgeteilt hatte, gegenüber der Beklagten schriftlich geltend gemacht und dann innerhalb weiterer drei Monate Klage auf Entschädigung nach § 611a Abs. 2, Abs. 5 BGB aF erhoben. Die Klage ist am 13. März 2006 beim Arbeitsgericht eingegangen und der Beklagten am 22. März 2006 zugestellt worden. Für die Fristwahrung genügte gem. § 167 ZPO der Eingang der Klage beim Arbeitsgericht, weil deren Zustellung demnächst erfolgte.

3. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Klägerin sei es nicht gelungen, Hilfstatsachen darzulegen und unter Beweis zu stellen, die ihre Benachteiligung auf Grund ihres Geschlechts vermuten lassen, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Die Beweislastregelung des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF bezieht sich auf den Benachteiligungsgrund, also auf die Tatsache der Benachteiligung aus geschlechtsbezogenen Gründen. § 611a Abs. 1 Satz 3 aF lässt die Beweisverteilung zunächst unberührt, er senkt lediglich das Beweismaß. Dabei ist die Formulierung „glaubhaft machen“ in § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF nicht als Glaubhaftmachung iSd. § 294 ZPO zu verstehen; verlangt ist lediglich eine Darlegung, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts als wahrscheinlich erscheinen lässt. Es handelt sich auch nicht um eine Vermutungsregelung iSd. § 292 ZPO (BAG 5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03 – BAGE 109, 265 = AP BGB § 611a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 3). Die Vorschrift muss so verstanden werden, dass der klagende Arbeitnehmer eine Beweislast des Arbeitgebers dadurch herbeiführen kann, dass er Hilfstatsachen darlegt und gegebenenfalls beweist, die eine Benachteiligung wegen seines Geschlechts vermuten lassen. Hierzu genügt die Überzeugung des Gerichts von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Geschlechtszugehörigkeit und Nachteil. Solche Vermutungstatsachen können in Äußerungen des Arbeitgebers bzw. anderen Verfahrenshandlungen begründet sein, welche die Annahme einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nahelegen. Es genügen Indizien, die aus einem regelhaft einem Geschlecht gegenüber geübten Verhalten auf eine solchermaßen motivierte Entscheidung schließen lassen (Senat 5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03 – aaO). Ist die Benachteiligung aus geschlechtsbezogenen Gründen nach diesen Grundsätzen überwiegend wahrscheinlich, muss nunmehr der Arbeitgeber den vollen Beweis führen, dass die Benachteiligung aus rechtlich zulässigen Gründen erfolgt ist (Senat 5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03 – aaO).

b) Da § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF zu keiner Änderung der Beweislastverteilung führt, sondern lediglich geringere Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers stellt, unterliegt die Würdigung, ob dieser seiner (verminderten) Darlegungs- und Beweislast genügt hat, er also Tatsachen vorgetragen hat, die seine Benachteiligung wegen seines Geschlechts vermuten lassen, ebenso der freien Überzeugung des Tatsachengerichts nach § 286 Abs. 1 ZPO wie in den Fällen der uneingeschränkten Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Erbringung des so genannten „Vollbeweises“ durch die darlegungs- und beweispflichtige Partei.

Gem. § 286 Abs. 1 ZPO haben die Tatsachengerichte unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung zu entscheiden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachten. Diese Grundsätze sind auch auf die Fälle anzuwenden, in denen die Tatsachengerichte nicht zu entscheiden haben, ob eine Behauptung „wahr“ ist, sondern (nur), ob vorgetragene und gegebenenfalls bewiesene Tatsachen eine Behauptung des Klägers (dh. hier die Benachteiligung wegen des Geschlechts) als „wahr“ „vermuten“ lassen. Es ist nämlich letztlich dem Tatrichter vorbehalten zu entscheiden, ob er die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen dem Geschlecht eines Bewerbers und dessen Benachteiligung gewinnt. Es widerspräche dem Sinn und Zweck des § 286 Abs. 1 ZPO dessen Anwendbarkeit auf die Fälle des so genannten „Vollbeweises“ zu beschränken, dem Tatsachengericht die freie Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO aber zu versagen, wenn es nur darüber zu entscheiden hat, ob dargelegte und bewiesene Tatsachen das Vorliegen einer anderen Tatsache (hier der geschlechtsbezogenen Benachteiligung) „nur“ vermuten lassen.

Eine vom Berufungsgericht gem. § 286 Abs. 1 ZPO vorgenommene Würdigung ist nach ständiger Rechtsprechung revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist, gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (Senat 26. April 2007 – 8 AZR 695/05 – AP InsO § 125 Nr. 4) und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände in sich widerspruchsfrei beachtet worden sind (BAG 31. Mai 2007 – 2 AZR 276/06 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 94 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 77).

c) Dem Landesarbeitsgericht sind bei seiner Bewertung, die Klägerin sei ihrer Darlegungslast nach § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF nicht nachgekommen, Rechtsfehler unterlaufen.

aa) Zunächst ist die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass allein die Tatsache der Kenntnis der Beklagten zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die streitgegenständliche Stellenbesetzung von der Schwangerschaft der Klägerin nach § 611 Abs. 1 Satz 3 BGB aF eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Geschlechts nicht vermuten lässt.

Eine unmittelbare geschlechtsbezogene Benachteiligung liegt nicht nur dann vor, wenn bei einer Auswahlentscheidung direkt an das Geschlecht angeknüpft wird, sondern auch dann, wenn negativ auf Auswahlkriterien abgestellt wird, welche ausschließlich von Angehörigen eines Geschlechts erfüllt werden können, wie beispielsweise die Schwangerschaft bei Frauen (st. Rspr. des EuGH, vgl. 13. Dezember 1989 – C-102/88 – EuGHE 1989, 4311 = AP EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 22). Dies stellt mittlerweile auch Art. 2 Abs. 7 Unterabs. 3 der RL 76/207/EWG idF der RL 2002/73/EG vom 23. September 2002 (ABl. EG Nr. L 269 S. 15) klar.

Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ist dann gegeben, wenn der Arbeitgeber ausdrücklich erklärt hat, dass für seine Entscheidung das Geschlecht des Arbeitnehmers ein Entscheidungskriterium war oder wenn er für seine Entscheidung Gründe nennt, die auf dem Geschlecht des Arbeitnehmers beruhen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Benachteiligung eines Arbeitnehmers regelmäßig auch dann zu vermuten, wenn der Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft gemacht hat (§ 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF), aus denen sich ergibt, dass der Arbeitgeber objektiv feststellbar gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen hat, welche bereits durch die Herstellung eines gewissen Formalismus der ungerechtfertigten Benachteiligung bestimmter Arbeitnehmergruppen vorbeugen oder entgegenwirken sollen.

So hat der Senat als Indiz, welches zur Begründung einer Geschlechterdiskriminierung herangezogen werden kann, eine gegen § 611b BGB (in der bis 17. August 2006 geltenden Fassung) verstoßende, dh. geschlechtsspezifische Arbeitsplatzausschreibung, angesehen. Ein solcher Verstoß begründet nach der Rechtsprechung grundsätzlich die Vermutung, dass ein Arbeitnehmer eines bestimmten Geschlechts, unabhängig davon, ob noch andere Gründe für die Entscheidung des Arbeitgebers maßgeblich waren, wegen seines Geschlechts benachteiligt worden ist (Senat 27. April 2000 – 8 AZR 295/99 -; 5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03 – BAGE 109, 265 = AP BGB § 611a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 3).

Auch der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat den Verstoß des Arbeitgebers gegen im Interesse von schwerbehinderten Menschen bestehende gesetzliche Regelungen als Hilfstatsachen iSd. § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX (in der bis 17. August 2006 geltenden Fassung) für die Vermutung einer Benachteiligung eines schwerbehinderten Menschen bei einer Einstellungsentscheidung betrachtet; insbesondere wenn der Arbeitgeber die von § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX geforderte Einschaltung der Bundesagentur, die nach § 82 Satz 2 SGB IX nötige Einladung des schwerbehinderten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch oder die nach § 81 Abs. 1 Satz 4 und 6 SGB IX erforderliche Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung unterlassen hat (vgl. BAG 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – BAGE 119, 262 = AP SGB IX § 81 Nr. 13 = EzA SGB IX § 81 Nr. 14).

Die Beklagte hat beim Besetzungsverfahren objektiv betrachtet gegen keine (Form-)Vorschriften der oben dargestellten Art verstoßen und der Klägerin gegenüber ausdrücklich keine Gründe für die getroffene Personalentscheidung genannt, aus denen sich objektiv ergibt, dass deren Schwangerschaft ein Kriterium für ihre Nichtberücksichtigung war.

Ob auch ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme des Arbeitgebers und dem Anzeigen der Schwangerschaft durch die Arbeitnehmerin, die Vermutungswirkung des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF entfaltet und damit zu einer Beweislastumkehr (§ 611a Abs. 1 Satz 3 2. Halbs. BGB aF) führt (so Mauer BB 1991, 1867; KR/Pfeiffer 7. Aufl. § 611a BGB Rn. 139; HWK/Thüsing 2. Aufl. § 611a BGB Rn. 55; aA zur entsprechenden Regelung im AGG: Diller/Kern FA 2007, 103; Meinel/Heyn/Herms AGG § 22 Rn. 20; ErfK/Schlachter 8. Aufl. § 22 AGG Rn. 4), kann im Streitfalle dahinstehen.

Ein solcher enger zeitlicher Zusammenhang hat nicht bestanden. Der Zeitpunkt der von der Beklagten getroffenen Personalentscheidung bezüglich der Besetzung der Position des Bereichsleiters „International Marketing“ war unabhängig von der Schwangerschaft der Klägerin und deren Bekanntgabe an die Beklagte. Die Stellenneubesetzung war auf Grund der Beförderung des bisherigen Stelleninhabers E erforderlich geworden. Der Zeitpunkt der Neubesetzung wurde damit auf Grund einer betrieblichen Organisationsentscheidung der Beklagten und unabhängig von der Kenntnis von der Schwangerschaft der Klägerin festgelegt. Dieses „zufällige“ Zusammenfallen der getroffenen Personalentscheidung mit der Schwangerschaft der Klägerin entfaltet für sich allein nicht die Vermutungswirkung des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF.

bb) Das Landesarbeitsgericht hat aber andere von der Klägerin vorgetragene Tatsachen, welche eine geschlechtsbezogene Benachteiligung gem. § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF vermuten lassen könnten, nicht oder nicht in der gesetzlich geforderten Weise berücksichtigt und damit § 286 ZPO verletzt.

Zur Glaubhaftmachung genügen Indizien, die aus einem regelhaft einem Geschlecht gegenüber geübten Verhalten auf eine ebenso motivierte Entscheidung schließen lassen (MünchKommBGB/Müller-Glöge 4. Aufl. § 611a Rn. 82; Schlachter Wege zur Gleichbehandlung 1993 S. 406). Dabei ist kein zu strenger Maßstab an die Vermutungswirkung dieser so genannten Hilfstatsachen anzulegen, da es nicht erforderlich ist, dass die Tatsachen einen zwingenden Indizienschluss auf eine Benachteiligung zulassen. Vielmehr reicht es aus, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Diskriminierung besteht.

Werden von dem benachteiligten Arbeitnehmer Hilfstatsachen vorgetragen, welche jeweils für sich allein betrachtet nicht ausreichen, um die Vermutungswirkung gem. § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF herbeizuführen, ist vom Tatsachengericht eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, ob diese Hilfstatsachen im Zusammenhang gesehen geeignet sind, die Vermutungswirkung zu begründen (so zu § 22 AGG: ErfK/Schlachter 8. Aufl. § 22 AGG Rn. 3). Es gibt nämlich Fälle, in denen die einzelnen vom Arbeitnehmer dargelegten Umstände des Einzelfalles oder Handlungsweisen bzw. Äußerungen des Arbeitgebers für sich allein betrachtet noch keine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen, die Gesamtschau der einzelnen Umstände des Einzelfalles oder der Handlungsweise bzw. der Äußerungen des Arbeitgebers aber eine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung begründen und damit die Vermutungswirkung des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF entfalten können.

Das Landesarbeitsgericht hat nicht nur eine solche Gesamtbetrachtung unterlassen, sondern auch einige von der Klägerin vorgetragene Hilfstatsachen überhaupt nicht berücksichtigt. So ist das Berufungsgericht der Behauptung der Klägerin nicht nachgegangen, der ehemalige Bereichsleiter E habe sie nach der Mitteilung der für sie negativen Auswahlentscheidung gefragt, warum sie sich so aufrege. Sie sei nach wie vor in der „Jobdiscription“ enthalten, obwohl man ansonsten nach der Entbindung wiederkehrenden Müttern geringerwertige Arbeiten zuweise. Sollte eine solche Äußerung gefallen sein, welche auf eine im Unternehmen der Beklagten übliche Frauendiskriminierung hindeutet, könnte diese auch die Vermutung der gesetzwidrigen Benachteiligung der Klägerin auf Grund ihrer Schwangerschaft begründen.

Ebenso wenig hat das Landesarbeitsgericht der Behauptung der Klägerin Beachtung geschenkt, die Beklagte habe sich erstmals im Laufe des Rechtsstreits zur Begründung der getroffenen Personalauswahlentscheidung darauf berufen, dass Proporzgesichtspunkte zur Auswahl des männlichen Mitbewerbers geführt hätten. Ob dieser Sachvortrag der Klägerin zutrifft und ob auf Grund desselben eine geschlechtsspezifische Benachteiligung der Klägerin nach § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF zu vermuten ist, hätte das Landesarbeitsgericht prüfen müssen.

Abgesehen von der fehlenden Berücksichtigung dieser von der Klägerin behaupteten Tatsachen hat das Landesarbeitsgericht auch keine abschließende Gesamtbetrachtung aller von der Klägerin vorgetragenen Hilfstatsachen vorgenommen. Auch wenn das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise allein die Behauptung der Klägerin, sie sei bislang Abwesenheitsvertreterin des Bereichsleiters E gewesen und dieser habe ihr erklärt, sie solle seine Nachfolgerin werden, auf Grund einer tatrichterlichen Würdigung gem. § 286 ZPO nicht als ausreichend für die Vermutungswirkung des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF bewertet hat, so hätte es doch auch dieses Vorbringen der Klägerin bei der erforderlichen Gesamtschau im Rahmen des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF mit berücksichtigen müssen. Gleiches gilt für die Äußerung des ehemaligen Bereichsleiters E, die Klägerin „solle sich auf ihr Kind freuen“, welche das Landesarbeitsgericht ebenfalls mittels tatrichterlicher Würdigung für sich allein nicht als Indiz für eine Benachteiligung auf Grund der Schwangerschaft, sondern lediglich als ein „Trostpflaster“ gewertet hat.

4. Sollte das Landesarbeitsgericht nach Berücksichtigung aller von der Klägerin iSd. § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF glaubhaft gemachten Tatsachen im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau zu dem Ergebnis gelangen, dass eine Vermutung dafür spricht, die Klägerin sei wegen ihrer Schwangerschaft bei der von der Beklagten getroffenen Besetzungsentscheidung benachteiligt worden, hätte diese die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass nicht auf die Schwangerschaft der Klägerin bezogene sachliche Gründe die Auswahlentscheidung gerechtfertigt haben (§ 611a Abs. 1 Satz 3 2. Halbs. BGB aF).

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