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Geschwindigkeitsüberschreitung – Anforderungen an Täteridentifizierung anhand Beweisfotos

OLG Dresden, Az.: Ss (OWi) 32/00, Beschluss vom 29.02.2000

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Döbeln vom 4. Oktober 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Döbeln zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Döbeln hat am 4. Oktober 1999 den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 41 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft zu einer Geldbuße von 200,00 DM verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.

Zum Schuldspruch hat das Amtsgericht Folgendes festgestellt:

„Der Betroffene fuhr am 01.07.1998 um 17.42 Uhr auf der B 169 aus Richtung Riesa kommend außerhalb der geschlossenen Ortschaft in Höhe der Einmündung Richtung Forchheim mit dem PKW …, amtliches Kennzeichen …. Abzüglich des Toleranzwertes von 4 km/h betrug seine Geschwindigkeit 111 km/h. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war durch Verkehrszeichen 274/276 beschränkt auf 70 km/h. Bei der erforderlichen und der dem Betroffenen zumutbaren Sorgfalt hätte dieser seine Geschwindigkeitsüberschreitung bemerken und unterlassen können.“ (UA S. 3)

Zur Beweiswürdigung hinsichtlich der Fahrereigenschaft des Betroffenen führt das Amtsgericht Folgendes aus:

„Das Gericht ist auf Grund der Inaugenscheinnahme der bei der Messung gefertigten Lichtbilder einerseits und der Inaugenscheinnahme des Betroffenen andererseits davon überzeugt, daß der Betroffene das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt hat. Dafür spricht auch insbesondere das anthropologische Gutachten des Sachverständigen Dr. …. Der Sachverständige hat in seinem in der Hauptverhandlung vom 04.10.1999 mündlich vorgetragenen Gutachten festgestellt, daß der Betroffene mit dem auf den Lichtbildern Blatt 15 und 16 d.A. abgebildeten Fahrer identisch ist. Der Sachverständige hat zunächst aus dem bei der Messung angefertigten Videofilm verschiedene Fotos des auf den Meßbildern Blatt 15 und 16 d.A. abgebildeten Fahrers angefertigt. Anhand dieser Fotos hat der Sachverständige dann 18 Einzelmerkmale des abgebildeten Gesichtes erfaßt. In der Hauptverhandlung überprüfte er nach Inaugenscheinnahme des Betroffenen, ob das Gesicht des Betroffenen ebenfalls die erfaßten Merkmale aufweist, oder ob und wieviele Abweichungen gegebenenfalls vorliegen. Der Sachverständige kam in der Hauptverhandlung zum Ergebnis, daß von den erfaßten 18 Einzelmerkmalen keine Abweichungen im Gesicht des Betroffenen vorliegen. Auf Grund der völligen Übereinstimmung der erfaßten Einzelmerkmale kam der Sachverständige zum Ergebnis, daß der Betroffene und der auf den Lichtbildern Blatt 15 und 16 d.A. abgebildete Fahrer identisch sind. Der Sachverständige ist dem Gericht aus zahlreichen Gerichtsverhandlungen als kompetent und erfahren bekannt. Der Sachverständige macht ausschließlich anthropologische Gutachten bei Gerichten. Das Gericht hat auch keinen Zweifel daran, daß — wie vom Sachverständigen in der Hauptverhandlung klargestellt — ein dreidimensionaler Vergleich von Merkmalen im Gesicht des Betroffenen in der Hauptverhandlung mit zweidimensional erfaßten Merkmalen auf Grund der Erfahrung des Sachverständigen und der großen Anzahl bereits gefertigter Gutachten möglich ist. Die vom Sachverständigen erfaßten Merkmale sind der

—  Stirnbereich (incl. Haaransatz und Stirnkontur),

—  Nasenwurzel (Übergang glabella),

—  Augenbrauen (Verlauf, Dichte und Höhe),

—  Oberlidregion (Lidspalte),

—  Nasenrückenprofilierung (einschl. Nasenkuppe),

—  Nasenflügelregion (incl. Nasenflügelunterrand),

—  Hautoberlippe (incl. Philtrum),

—  Mundspalte (Schleimhautlippen-Anteil),

—  Hautunterlippe,

—  Kinnregion (Unterkiefer-Profil),

—  Wangenbeine, Gesichtsform und Ohr (Scheitelhelix, Helix und Läppchen).“ (UA S. 4/5)

Gegen das Urteil hat der Betroffene mit Verteidigerschriftsatz vom 04.10.1999 form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Verteidigerschriftsatz vom 25.11.1999, eingegangen beim Amtsgericht am 26.11.1999, form- und fristgerecht begründet. Er beantragt die Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Döbeln vom 04.10.1999 und Freispruch. Indem er sich gegen die Methode des Sachverständigen wendet, erhebt er in zulässiger Weise die Sachrüge.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Dresden hat beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Döbeln vom 04.10.1999 als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Die Sachrüge greift durch.

Die Urteilsgründe tragen den Schuldspruch nicht, weil sie keinen für die rechtliche Überprüfung ausreichenden Aufschluss darüber geben, ob das zum Vergleich benutzte Lichtbild für einen Personenvergleich geeignet ist und was es darstellt.

 

Hat der Tatrichter im Bußgeldverfahren wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit anhand eines bei einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme gefertigten Beweisfotos die Überzeugung erlangt, dass der Betroffene und die abgebildete Person identisch sind, so gilt für die Darstellung in den Urteilsgründen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 41, 376 ff.) Folgendes:

1.  Macht der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO (i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG) Gebrauch, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich, wenn das Foto — wie etwa ein Frontfoto, das die einzelnen Gesichtszüge erkennen lässt — zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet ist. Es bedarf weder einer Auflistung der charakteristischen Merkmale, auf die sich die Überzeugung von der Identität mit dem Betroffenen stützt, noch brauchen diese Merkmale und das Maß der Übereinstimmung beschrieben zu werden. Solche Ausführungen wären auch überflüssig und ohne Wert: Die Überprüfung, ob der Betroffene mit dem abgebildeten Fahrer identisch ist, steht dem Rechtsmittelgericht ohnehin nicht zu und wäre ihm zudem unmöglich. Als Grundlage für die Überprüfung der generellen Ergiebigkeit des Fotos könnten Beschreibungen der Abbildung dem Rechtsmittelgericht keine besseren Erkenntnisse vermitteln, als sie ihm auf Grund der — durch die Bezugnahme ermöglichten — eigenen Anschauung zur Verfügung stehen.

2.  Ist das Foto — etwa auf Grund schlechter Bildqualität (z. B. erhebliche Unschärfe) oder auf Grund seines Inhalts — zur Identifizierung eines Betroffenen nur eingeschränkt geeignet, so hat der Tatrichter zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die — auf dem Foto erkennbaren — charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben.

3.  Sieht der Tatrichter hingegen von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er die von ihm — oder einem Sachverständigen — zur Identifizierung herangezogenen abstrakten Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird. Die Zahl der zu beschreibenden Merkmale kann dabei umso kleiner sein, je individueller sie sind und je mehr sie in ihrer Zusammensetzung geeignet erscheinen, eine bestimmte Person sicher zu erkennen. Dagegen muss die Beschreibung umso mehr Merkmale umfassen, wenn die geschilderten auf eine Vielzahl von Personen zutreffen und daher weniger aussagekräftig sind. Umstände, die eine Identifizierung erschweren können, sind ebenfalls zu schildern.

Im vorliegende Fall nehmen die Urteilsgründe nicht verfahrenswirksam auf die Lichtbilder Bezug.

Die Verweisung muss in den Urteilsgründen deutlich und eindeutig zum Ausdruck kommen (BGHSt 41, 376, 382; OLG Düsseldorf NZV 1994, 202; VRS 92, 417; BayObLG NZV 1996, 375). Dabei genügt es nicht, wenn das Urteil Mitteilungen von der Art enthält, das Lichtbild sei in Augenschein genommen und mit dem erschienenen Betroffenen verglichen worden. Damit wird nur erklärt, auf Grund welcher Beweiserhebungsvorgänge das Tatgericht zu seiner Überzeugung gelangt ist; über Inhalt und Umfang der Urteilsurkunde sagen solche Ausführungen nichts aus. Voraussetzung einer zulässigen Verweisung ist zwar andererseits nicht, dass die Gründe den Gesetzeswortlaut wiederholen (OLG Hamm NStZ-RR 1998, 239) oder, wie vielfach angenommen wird (BayObLG NZV 1996, 375), die Mitteilung enthalten, die Verweisung geschehe „wegen der Einzelheiten“. Der Tatrichter muss aber in den Urteilsgründen sinngemäß erklären, dass das Lichtbild ebenso Teil der Urteilsgründe sein soll wie ihr Text. Diese Erklärung muss so deutlich sein, dass jeder Zweifel am Vorliegen und am Gegenstand der Verweisung ausgeschlossen ist. Eine andere, großzügigere Handhabung wäre mit der Bedeutung, die das Gesetz der Urteilsurkunde als Beweismittel u. a. für das Rechtsmittelverfahren beimisst, nicht zu vereinbaren (s. OLG Brandenburg DAR 1998, 112 f.).

Das Amtsgericht beschränkt sich vorliegend weitgehend auf die Schilderung des Inhalts der Beweisaufnahme, insbesondere auf die Darstellung der Vorgehensweise des Sachverständigen und der Schlüsse, die es aus ihrem Ergebnis gezogen hat. Das reicht, wie ausgeführt, nicht aus. Darüber hinaus teilt das Urteil nur mit, an welcher Stelle der Akte sich die Lichtbilder befinden (so auch bei OLG Brandenburg DAR 1998, 112; KG Berlin 10.09.1997 — 2 Ss 224/97). Mit dieser Angabe kann beabsichtigt sein, das Lichtbild in der für zulässige erklärten Weise in die Urteilsgründe einzubeziehen. Sie kann aber auch nur die Darstellung bedeuten, auf welches Lichtbild sich die Inaugenscheinnahme bezogen hat. Genaueres dazu lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Davon, dass die Lichtbilder durch die Anführung der Aktenstelle, an der sie sich befinden, unmissverständlich und zweifelsfrei zum Bestandteil des Urteils gemacht worden wären, kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

Das Amtsgericht hätte daher Ausführungen zur Bildqualität machen und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale näher beschreiben müssen. Hieran fehlt es.

Ausführungen zur Bildqualität sind nicht vorhanden. Das Urteil enthält zwar eine Liste von Identifizierungsmerkmalen. Diese werden jedoch nur abstrakt aufgeführt, ohne dass eine Beschreibung der Merkmale im konkreten Fall folgen würde. Dem Senat ist daher eine Prüfung, ob die Fotos für eine Identifizierung geeignet sind, nicht möglich.

Dies führt zur Aufhebung des Urteils mit den zugehörigen Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Döbeln. Die Zurückverweisung erfolgt an dasselbe Amtsgericht, weil kein triftiger Umstand erkennbar ist, der eine Verweisung an ein anderes Amtsgericht erfordern könnte, § 79 Abs. 6 OWiG.

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