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Gewerbetreibender – persönliche Unzuverlässigkeit

OVG Rheinland-Pfalz

Az: 6 A 10676/10

Urteil vom 03.11.2010


Auf die Berufung des Beklagten wird die Klage unter teilweiser Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2010 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Trier abgewiesen, soweit sie gegen die unter Ziffer I des Bescheids des Beklagten vom 13. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2009 ausgesprochene Gewerbeuntersagung gerichtet ist.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Gewerbeuntersagungsverfügung. Er betreibt in … ein China-Restaurant, das er im Jahre 2000 als Schank- und Speisewirtschaft gewerberechtlich angemeldet hat. Die ihm hierfür erteilte Gaststättenerlaubnis wurde Ende des Jahres 2005 aufgehoben. In der Folgezeit wurde ihm mit Wirkung vom 22. Februar 2006 eine bis zum 31. August 2006 befristete vorläufige Erlaubnis erteilt.

Im August 2003 beantragte die „AOK – Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz“ beim Amtsgericht Bitburg die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers. Mit Beschluss vom 20. Mai 2008 – 9 IN 57/07 – eröffnete das Amtsgericht Bitburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers und bestellte eine Insolvenzverwalterin. Diese teilte dem Kläger durch Schriftsatz vom 4. Juni 2008 mit, die Fortführung seines Unternehmens zu Lasten der Masse sei nicht rentabel. Gemäß § 35 Abs. 2 der Insolvenzordnung – InsO – erkläre sie daher, dass Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehöre und Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden könnten. Die Erklärung wurde dem Insolvenzgericht am 5. Juni 2008 übermittelt und von ihm öffentlich bekannt gemacht.

Nach vorheriger Anhörung untersagte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 13. Januar 2009 die Ausübung des Gewerbes „Schank- und Speisewirtschaft“ sowie die Ausübung einer Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person und die selbständige Ausübung aller Gewerbe, wobei sie ihm zur Abwicklung der laufenden Geschäfte eine Frist bis zum 15. Januar 2009 einräumte (Ziffer I). Für den Fall der Nichtbefolgung der Verfügung innerhalb der gesetzten Frist wurde die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht (Ziffer II). Zudem ordnete der Beklagte die sofortige Vollziehung der Gewerbeuntersagung an (Ziffer III). Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, der Kläger sei unzuverlässig im Sinne des § 35 der Gewerbeordnung – GewO -, da er seinen steuerlichen Pflichten und seinen Pflichten zur Leistung öffentlich-rechtlicher Abgaben in erheblichem Umfang nicht nachgekommen sei, Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt habe und eine mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bestehe. Da sich seine Unzuverlässigkeit nicht auf das ausgeübte Gewerbe beschränke, sei eine umfassende Gewerbeuntersagung geboten.

Den Widerspruch des Klägers wies der Kreisrechtsausschuss des Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2009 als unbegründet zurück.

Auf die vom Kläger fristgerecht erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides durch Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2010 aufgehoben. Der Kläger sei zwar als unzuverlässig anzusehen, die Untersagung des von ihm ausgeübten Gewerbes verstoße jedoch gegen § 12 GewO, da das Insolvenzverfahren bereits zuvor eröffnet worden sei. Hinsichtlich der erweiterten Gewerbeuntersagung habe der Beklagte das ihm zustehende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Rechtswidrig sei schließlich auch die Zwangsmittelandrohung, denn es sei nicht zulässig, in dem am 23. Januar 2009 zugestellten Bescheid eine Frist zur Abwicklung der Geschäfte auf den 15. Januar 2009 und damit einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt festzusetzen.

Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Beklagte geltend, § 12 GewO stehe der Gewerbeuntersagung nicht entgegen. Die Vorschrift sei wegen der Freigabe des Geschäftsbetriebs durch die Insolvenzverwalterin nicht anwendbar. Das Erfordernis der erweiterten Gewerbeuntersagung folge bereits daraus, dass der Kläger trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festhalte. Dem Bescheid ließen sich auch die insoweit maßgeblichen Ermessenserwägungen entnehmen.

Der Beklagte beantragt erkennbar, die Klage unter teilweiser Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2010 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Trier abzuweisen, soweit sie gegen die unter Ziffer I des Bescheids des Beklagten vom 13. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2009 ausgesprochene Gewerbeuntersagung gerichtet ist.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er macht im Wesentlichen geltend, seine Gewerbetätigkeit bleibe trotz der Freigabeerklärung der Insolvenzverwalterin ein Teil des Insolvenzverfahrens. Ein Ausweichen in eine andere gewerbliche Tätigkeit sei nicht zu erwarten, da er der deutschen Sprache nicht mächtig sei. Zudem komme für ihn als gelernter Koch eine anders geartete gewerbliche Tätigkeit nicht in Betracht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Verwaltungs- und Widerspruchsakten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg, da die unter Ziffer I des Bescheides des Beklagten vom 13. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2009 ausgesprochene Gewerbeuntersagung rechtmäßig ist und den Kläger somit nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insoweit ist die Klage daher unter teilweiser Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils abzuweisen.

1. Die Untersagung des vom Kläger ausgeübten Gewerbes „Schank- und Speisewirtschaft“ beruht auf § 35 Abs. 1 der Gewerbeordnung – GewO -. Danach ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebs beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.

a) Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2003 – 6 C 10.03 -, GewArch 2003, 482 m.w.N.) Tatsachen vor, welche auf die Unzuverlässigkeit des Klägers schließen ließen, da er seinen Steuererklärungspflichten nicht nachgekommen war und Steuerschulden in erheblichem Umfang bestanden. Da auch der Kläger hiergegen keine Einwände erhoben hat, nimmt der Senat in entsprechender Anwendung des § 130 b Satz 2 VwGO (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 130b Rn. 5; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 03. Januar 2006 – 10 B 17.05 -, juris) insoweit auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug.

Das Verwaltungsgericht weist in diesem Zusammenhang allerdings zutreffend darauf hin, dass der Kläger infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits mehrere Monate vor dem Erlass der Untersagungsverfügung die Verfügungsberechtigung über sein Vermögen verloren hatte (vgl. §§ 80 Abs. 1, 81 Abs. 1, 148 der Insolvenzordnung – InsO -). Daraus ergeben sich jedoch keine Zweifel an seiner Unzuverlässigkeit, denn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist in der Regel Ausdruck ungeordneter Vermögensverhältnisse und damit auch der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden (Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, § 12; Hess, in: Friauf, Gewerbeordnung, § 12 Rn. 6 ff., jew. m.w.N.).

b) § 35 Abs. 8 Satz 1 GewO steht der Gewerbeuntersagung im vorliegenden Fall nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift sind die Absätze 1 bis 7a des § 35 GewO nicht anzuwenden, soweit für einzelne Gewerbe besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften bestehen, die auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen, oder eine für das Gewerbe erteilte Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zurückgenommen oder widerrufen werden kann. Als eine solche Vorschrift ist zwar § 15 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 1 des Gaststättengesetzes – GaststättenG – (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Art. 125a Abs. 1 des Grundgesetztes – GG -) anzusehen, da sie die Rücknahme beziehungsweise den Widerruf einer Gaststättenerlaubnis vorschreibt, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Erlaubnisinhaber habe die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit bereits zum Zeitpunkt der Erlaubniserteilung nicht besessen bzw. besitze sie nicht mehr. Im vorliegenden Fall ist der Kläger jedoch nicht im Besitz einer Gaststättenerlaubnis und benötigt eine solche nach § 2 Abs. 2 GaststättenG (in der Fassung von Art. 8 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes vom 21. Juni 2005, BGBl. I S. 1666) auch nicht, da er – wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen – lediglich alkoholfreie Getränke und zubereitete Speisen verabreicht.

c) § 12 GewO hindert die Untersagung des vom Kläger ausgeübten Gewerbes ebenfalls nicht. Danach finden Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes beziehungsweise die Rücknahme oder den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, insbesondere während eines Insolvenzverfahrens in Bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde, keine Anwendung. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob allein schon die Freigabeerklärung der Insolvenzverwalterin nach § 35 Abs. 2 InsO zur Folge hat, dass § 12 GewO auf die hiervon umfasste gewerbliche Tätigkeit des Klägers keine Anwendung finden kann. Denn selbst wenn man § 12 GewO im vorliegenden Fall für anwendbar hält, steht er der Untersagung des vom Kläger ausgeübten Gewerbes nach seinem Sinn und Zweck nicht entgegen, da die Unzuverlässigkeit des Klägers nicht allein auf seine ungeordneten Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist.

aa) § 12 GewO verfolgt in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Insolvenzordnung das Ziel, die Möglichkeit der Sanierung eines insolventen Unternehmens offenzuhalten (Begründung zu Art. 75 Nr. 1 des Entwurfs des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung, BT-Drs. 12/3803, S. 103). Daher steht er nur solchen Maßnahmen entgegen, die gerade an die in der Insolvenz zum Ausdruck kommenden ungeordneten Vermögensverhältnisse anknüpfen. In Literatur und Rechtsprechung besteht im Grundsatz Einigkeit darüber, dass Verstöße gegen Verhaltensvorschriften dann der Sperrwirkung des § 12 GewO unterfallen, wenn sie gewerbebezogen sind und in einem engen Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten stehen, die das Insolvenzverfahren ausgelöst haben (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 8. Dezember 2008 – 7 ME 144/08 -, GewArch 2009, 162; Beschluss vom 29. Januar 2010 – 4 E 1182/09 -, juris; Heß, a.a.O., § 12 Rn. 7 f.; Hahn, GewArch 2000, 361 [362]; Marcks, a.a.O., § 12 Rn. 11).

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bb) Der Kläger hat bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens insbesondere Lohn- und Umsatzsteuer nicht abgeführt und ist zudem seinen steuerrechtlichen Erklärungspflichten nicht nachgekommen (vgl. Schriftsatz des Finanzamts [Bl. 2ff. der Vorgangsakte der Beklagten] sowie das Gutachten der späteren Insolvenzverwalterin vom 9. Mai 2008 [Bl. 46 ff. der Akte des Amtsgerichts Bitburg – 9 I N 57/07 -]). Teilweise wird bei derartigen Verstößen bezweifelt, dass sie auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen sind, und daher die Sperrwirkung des § 12 GewO infrage gestellt (vgl. Hahn, a.a.O.; Hess, a.a.O.). Ob das der Intention des § 12 GewO gerecht wird, kann aber für die vorliegende Entscheidung dahingestellt bleiben. Der Kläger hat nämlich auch nach der Freigabeerklärung der Insolvenzverwalterin ein Verhalten gezeigt, das seine Unzuverlässigkeit dokumentiert. Zumindest insoweit fehlt es auch an einem engen Zusammenhang mit den ungeordneten finanziellen Verhältnissen des Klägers, die zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt haben.

Nach einem Vermerk des Beklagten vom 11. November 2009 war der Kläger nach einer Mitteilung des Finanzamts bei der Fortsetzung seiner gewerblichen Tätigkeit während des Insolvenzverfahrens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2009 seinen steuerrechtlichen Erklärungspflichten erneut nicht nachgekommen und hatte seit April 2009 keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Nach einer schriftlichen Mitteilung des Finanzamts vom 28. Oktober 2010 hatte er zudem die Einkommen- und Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2008 nicht abgegeben, so dass die betreffenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden mussten. Der Kläger hat die Richtigkeit der ihm zur Kenntnis gegebenen Mitteilungen des Finanzamts, zu denen es nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 der Abgabenordnung befugt war (BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 – 1 C 146.80 -, BVerwGE 65, 1; BVerwG, Beschluss vom 19. Januar1994 – 1 B 5/94 -, GewArch 1995, 115), nicht in Abrede gestellt. Daher besteht kein Zweifel, dass der Kläger die mitgeteilten Verfehlungen tatsächlich begangen hat.

Da dem Kläger die Ausübung seines Gewerbes insbesondere wegen solcher Verstöße gegen seine steuerrechtlichen Erklärungspflichten untersagt worden war und er somit in besonderem Maße darauf hätte bedacht sein müssen, zumindest während des Widerspruchsverfahrens die Bedenken gegen seine Zuverlässigkeit zu zerstreuen, ließ sein Verhalten im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung nur den Schluss zu, dass nicht zu erwarten war, er werde sein Gewerbe zukünftig im Einklang mit den steuerrechtlichen Vorschriften betreiben.

Die Richtigkeit dieser Einschätzung wird im Übrigen dadurch bestätigt, dass der Kläger nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides weiterhin gegen seine steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten verstoßen hat. Nach der oben genannten Mitteilung des Finanzamtes vom 28. Oktober 2010 kam der Kläger ebenfalls seiner Pflicht zur Abgabe der Einkommen- und Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2009 sowie der Umsatzsteuervoranmeldungen für März 2010 und das 2. und 3. Vierteljahr 2010 nicht nach. Das hatte wiederum zur Folge, dass die betreffenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden mussten.

cc) Da die Insolvenzverwalterin am 4. Juni 2008 gemäß § 35 Abs. 2 InsO erklärt hatte, Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit gehöre nicht zur Insolvenzmasse und Ansprüche aus der selbständigen Tätigkeit könnten im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden (vgl. hierzu Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 13. Aufl. 2010, § 35 Rn. 90 ff.), fehlt es an einem engen Zusammenhang zwischen den wirtschaftlich ungeordneten Verhältnissen, die das Insolvenzverfahren ausgelöst haben, und den nach der Freigabeerklärung begangenen Verstößen des Klägers gegen seine steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten. Denn der mit der selbständigen Tätigkeit erzielte Neuerwerb ist grundsätzlich – abgesehen von dem Ausgleichsanspruch entsprechend § 295 InsO (vgl. Uhlenbruck, a.a.O. Rn. 99) – massefrei und somit dem Zugriff der Massegläubiger entzogen. Daher ist kein nachvollziehbarer Grund erkennbar, weshalb die Schulden, die zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Klägers geführt haben, ihn veranlasst haben könnten, seinen steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten bei der Fortsetzung seiner gewerblichen Tätigkeit nicht nachzukommen. Somit steht § 12 GewO nach seinem Sinn und Zweck der gegenüber dem Kläger ausgesprochenen Untersagung des von ihm ausgeübten Gewerbes nicht entgegen.

d) Aufgrund der Unzuverlässigkeit des Klägers im Hinblick auf seine steuerrechtlichen Verpflichtungen war es zum Schutz der fiskalischen Interessen des Staates und damit der Allgemeinheit erforderlich, ihm die Fortführung seiner gewerblichen Tätigkeit zu untersagen.

2. Die von dem Beklagten über das bisher vom Kläger ausgeübte Gewerbe hinaus ausgesprochene erweiterte Gewerbeuntersagung begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Eine solche über das konkret ausgeübte Gewerbe hinausreichende und jegliche gewerbliche Betätigung betreffende Unzuverlässigkeit stellt insbesondere die dem Kläger zur Last zu legende Verletzung steuer- und abgabenrechtlicher Verpflichtungen dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 1994, a.a.O.; BayVGH, Beschluss vom 11. März 2010 – 22 ZB 08.3350 -, juris).

Die erweiterte Gewerbeuntersagung war ebenfalls zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich. Hierzu bedarf es keiner konkreten Anhaltspunkte dafür, der Kläger werde zukünftig in anderer Weise eine anders geartete gewerbliche Tätigkeit ausüben. Vielmehr ist die erweiterte Gewerbeuntersagung bereits dann erforderlich, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die ein Ausweichen auf solche Tätigkeiten ausschließen (BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 – 1 CB 2.81 -, Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 38; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. April 2009 – 4 A 830/07 -, juris). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache, auf die der Kläger hinweist, haben ihn schon bisher nicht daran gehindert, sich selbständig gewerblich zu betätigen. Weshalb das in Zukunft anders sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht. Aus welchen Gründen seine Ausbildung als Koch einer anderen gewerblichen Betätigung entgegenstehen sollte, ist gleichfalls nicht zu erkennen. Somit besteht durchaus ein Bedürfnis, mit der erweiterten Gewerbeuntersagung ein Ausweichen des Klägers auf eine andersartige gewerbliche Tätigkeit zu verhindern.

Der Beklagte hat auch das ihm gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Hierfür reicht es aus, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken soll (BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982, a.a.O.). Dem wird der angefochtene Bescheid gerecht. Darin wird ausgeführt, die Untersagung könne nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigten, der Gewerbetreibende sei auch für die Tätigkeit anderer oder aller Gewerbe unzuverlässig. Die festgestellten Tatsachen beschränkten sich nicht auf eine bestimmte Gewerbeart, sondern bildeten die Grundlage für jede gewerbliche Tätigkeit. Im Hinblick darauf, dass die Wiederaufnahme einer selbständigen gewerblichen Tätigkeit nicht ausgeschlossen werden könne, sei ohne die Ausdehnung der Untersagungsverfügung ein wirksamer Schutz nicht gewährleistet. Der Beklagte hat somit den ihm zustehenden Ermessensspielraum erkannt und hinreichend deutlich gemacht, dass er sich angesichts der Möglichkeit des Ausweichens auf eine andersartige gewerbliche Tätigkeit zum Schutz der Allgemeinheit zu der erweiterten Gewerbeuntersagung veranlasst gesehen hat.

Nach alledem ist das Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern und die Klage teilweise abzuweisen, soweit sie gegen die unter Ziffer I des angefochtenen Bescheids ausgesprochene – einfache und erweiterte – Gewerbeuntersagung gerichtet ist.

3. Eine weitergehende Abänderung des Urteils kommt nicht in Betracht, da der Beklagte sich mit seiner Berufung lediglich gegen die Aufhebung der unter Ziffer I des angefochtenen Bescheides ausgesprochene Gewerbeuntersagung wendet (vgl. § 129 VwGO). Zwar hat er in der Berufungsbegründungsschrift den Antrag formuliert, „das Urteil … insoweit aufzuheben, als darin der Bescheid … betreffend Ziffer I und III aufgehoben wird.“ Unter Ziffer III des Bescheides wird jedoch lediglich die sofortige Vollziehung der Gewerbeuntersagung angeordnet, und es spricht nichts für die Annahme, das Verwaltungsgericht habe hierin fälschlicherweise einen Verwaltungsakt gesehen und auch diesen aufheben wollen. Dass der Beklagte das anders verstanden haben könnte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Berufungsbegründung befasst nämlich sich ausschließlich mit der Aufhebung der Gewerbeuntersagung und enthält weder Ausführungen zur Anordnung des Sofortvollzugs noch zu der unter Ziffer II des Bescheids ausgesprochenen Zwangsmittelandrohung. Der Antrag kann daher auch nicht dahingehend verstanden werden, statt des unter Ziffer III angeordneten Sofortvollzugs sei die unter Ziffer II ausgesprochene – und vom Verwaltungsgericht aufgehobene – Androhung unmittelbaren Zwangs gemeint.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Beklagte unterliegt, soweit das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Aufhebung der Androhung unmittelbaren Zwangs weiterhin Bestand hat, nur zu einem geringen Teil, da die Anfechtung der unselbständigen Zwangsmittelandrohung nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts führt (vgl. Nrn. 1.6.2, 54.2.1 und 54.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 2004, 1525).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 ZPO (analog), da lediglich eine Vollstreckung des Urteils wegen der Kosten in Betracht kommt und die Interessenlage daher mit der bei Urteilen in vermögensrechtlichen Streitigkeiten vergleichbar ist.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Art nicht vorliegen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 20.000,– € festgesetzt (§§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG, vgl. den Streitwertkatalog, a.a.O.).

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