OLG Karlsruhe, Az.: 1 U 155/17, Urteil vom 10.09.2018
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 13.10.2017 – 8 O 224/15 – wie folgt abgeändert:
Die Klage wird hinsichtlich der Klageanträge Z. 1, 2 und 4 dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines hälftigen Mithaftungsanteils der Klägerin für gerechtfertigt erklärt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner unter Berücksichtigung eines hälftigen Mithaftungsanteils der Klägerin verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 26.07.2013 auf der K 4133 auf der Gemarkung H. zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Berufung der Klägerin und die weitergehende Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Berufungsrechtszugs werden gegeneinander aufgehoben, die Streithelferin der Klägerin behält ihre Kosten im Berufungsrechtszug auf sich.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% der zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I.
Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadenersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend. Außerdem begehrt sie die Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, für künftige aus dem Unfall resultierende materielle und immaterielle Schäden aufzukommen.
Am 26.07.2013 gegen 18:20 Uhr ereignete sich auf der K 4133 auf der Gemarkung H. ein Verkehrsunfall, an dem sowohl die Klägerin als Fahrerin ihres Pkw Lancia Y 1,2 – krafthaftpflichtversichert bei der Streithelferin der Klägerin – als auch der Beklagte Z. 1 als Führer eines Pkw Audi S5, dessen Halter der Beklagte Z. 2 ist und der bei der Beklagten Z. 3 krafthaftpflichtversichert ist, beteiligt waren.
Die Klägerin war von M. kommend in Richtung W. unterwegs. Hinter der Klägerin fuhr die Zeugin B. mit einem Pkw BMW, als sich die Klägerin einem querenden Weg näherte, der für Kraftfahrzeuge mit Ausnahme des landwirtschaftlichen Verkehrs verboten ist – nach einigen Metern befindet sich ein Verkehrszeichen 260 – und auf den im Vorfeld durch das Zeichen 138 hingewiesen wird. Zulässig ist an dieser Stelle eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h. Als die Klägerin in den kreuzenden Weg nach links abbog, kam es zur Kollision mit dem Fahrzeug des Beklagten Z. 1, der, an der Zeugin B. vorbeifahrend, im Überholen begriffen war. Der Beklagte Z. 1 erfasste dabei mit seinem Fahrzeug – in streitiger Reihenfolge – auch den Zeugen G., der sich mit seinem Fahrrad aus klägerischer Fahrtrichtung links auf dem querenden Weg befand. Die Klägerin zog sich bei dem Unfall schwere Verletzungen zu.
Das Landgericht hat am 13.10.2017 ein Grund- und Teilurteil erlassen. Darin hat es den auf Schmerzensgeld gerichteten Klageantrag Z. 2 sowie die bezifferten Zahlungsanträge Z. 1 und 4 mit der Maßgabe für gerechtfertigt erklärt, dass zu Lasten der Klägerin ein Mitverschulden von einem Drittel zu berücksichtigen sei. Es hat außerdem festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner der Klägerin zwei Drittel aller weiteren immateriellen und materiellen Schäden aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall zu erstatten hätten, soweit kein Leistungsübergang auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte erfolgt sei. Das weitergehende Feststellungsbegehren der Klägerin hat das Gericht abgewiesen (Klageantrag Z. 3).
Zur Begründung führt das Landgericht zusammengefasst aus, dass aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen feststünde, dass die Klägerin zum Kollisionszeitpunkt dabei gewesen sei, die linke Fahrbahn zu überqueren und sich damit im Abbiegevorgang in Richtung des links befindlichen Wirtschaftsweges befunden habe. Im Anschluss an die Kollision der beiden Fahrzeuge sei der Zeuge G. vom Fahrzeug des Beklagten Z. 1 erfasst worden. Eine weitere Aufklärung des Unfallhergangs sei indes nicht möglich. Der Sachverständige habe lediglich verschiedene Sachverhaltsvarianten als möglich darstellen können.
Es bestünden jeweils denkbare Konstellationen, in denen der Unfall für beide Fahrzeugführer vermeidbar gewesen sei, so dass keiner Seite der Nachweis einer Unabwendbarkeit im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG gelungen sei.
Deshalb hänge die Verpflichtung zum Schadenersatz und deren Umfang gemäß § 17 Abs. 1 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei. Dabei falle der Beklagtenseite ein pflichtwidriges und schuldhaftes Verhalten des Beklagten Z. 1 zur Last, während auf Seiten der Klägerin lediglich die Betriebsgefahr zu berücksichtigen sei. Ein zu Lasten eines Linksabbiegers grundsätzlich in Betracht kommender Anscheinsbeweis, der eingreife, wenn es zu einem Zusammenstoß mit einem ihm unmittelbar nachfolgenden, ihn ordnungsgemäß Überholenden komme, greife vorliegend nicht, da der Beklagte Z. 1 in einer unklaren Verkehrslage überholt und damit gegen § 5 Abs. 3 StVO verstoßen habe. Die Betriebsgefahr der Klägerin trete auch nicht deshalb vollständig zurück, weil der Beklagte Z. 1 die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten habe. Zwar sei davon auszugehen, dass der Beklagte Z. 1 zum Kollisionszeitpunkt mindestens 100 km/h schnell gewesen sei. Allerdings stehe nicht fest, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung für den Unfall kausal geworden sei. Eine Erhöhung der Betriebsgefahr zu Lasten der Klägerin sei auf der anderen Seite ebenfalls nicht anzunehmen, da nicht feststehe, dass sie sich bezüglich des Abbiegevorgangs pflichtwidrig verhalten habe und dass dies für den Unfall kausal geworden sei. Ein kausaler Verstoß gegen § 9 Abs. 1 StVO sei nicht nachgewiesen. In der Gesamtbetrachtung führe dies zu einer Haftung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Beklagten.
Hinsichtlich der näheren Begründung, der getroffenen Feststellungen, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien sowie der gestellten Anträge wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil, welches der Klägerin am 16.10.2017 und den Beklagten am 19.10.2017 zugestellt worden ist, richten sich die Berufungen beider Parteien.
Die Klägerin vertritt in ihrer am 13.11.2017 eingelegten und am 10.01.2018 begründeten Berufung die Auffassung, dass das Landgericht die erstinstanzlich vorgetragenen Tatsachen unvollständig festgestellt und darüber hinaus den Sachverhalt unzutreffend rechtlich gewürdigt habe. Der Beklagte Z. 1 habe sich zum Unfallhergang widersprüchlich eingelassen, was vom Landgericht hätte gewürdigt werden und zu einer vollen Haftung der Beklagten führen müssen. In der Klageerwiderungsschrift sei vorgetragen worden, dass der Beklagte Z. 1 beschlossen habe, die vorausfahrenden Fahrzeuge zu überholen, da nichts darauf hingedeutet habe, dass der BMW bzw. das vorausfahrende Fahrzeug abbiegen hätten wollen. In seiner Anhörung am 22.01.2016 habe der Beklagte Z. 1 demgegenüber angegeben, nach dem Ansetzen zum Überholen auf einmal gesehen zu haben, dass ein vor dem BMW fahrendes Fahrzeug Fahrzeug nach links zieht. Dieses Fahrzeug habe er vorher nicht gesehen. Außerdem habe das Landgericht die Zeugenaussage der unmittelbaren Unfallzeugin B. rechtsfehlerhaft gewürdigt. Die Zeugin habe klar und nachvollziehbar den Stillstand des Klägerfahrzeugs vor der Kollision bestätigt. Gleichwohl komme das Landgericht zu der entscheidungserheblichen Feststellung, dass der bestrittene Stillstand des Klägerfahrzeugs vor dem Unfall nicht habe aufgeklärt werden können. Da dem Beklagten Z. 1 schuldhafte Verstöße gegen die Verhaltenspflicht nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO und § 3 StVO nachzuweisen seien, habe das Landgericht auf eine volle Haftung der Beklagten erkennen müssen.
Die Streithelferin der Klägerin ist der Auffassung, dass ein Verstoß der Klägerin gegen die Pflichten einer Linksabbiegerin, insbesondere gegen die doppelte Rückschaupflicht, nicht nachgewiesen sei, da nicht festgestellt werden könne, dass sie das Beklagtenfahrzeug im Zeitpunkt der zweiten Rückschau bereits im Rückspiegel bzw. bei einem Schulterblick sehen hätte können. Ein Anscheinsbeweis zu Lasten der Klägerin greife nicht ein. Angesichts der detaillierten Aussagen der Zeugin B. dazu, dass das klägerische Fahrzeug zum Stillstand gekommen sei, stehe fest, dass der Beklagte Z. 1 in geradezu rücksichtsloser Weise gegen das Verbot des Überholens bei unklarer Verkehrslage verstoßen habe. Unter diesen Umständen hafteten die Beklagten zu 100 Prozent.
Die Klägerin und ihre Streithelferin beantragen:
1. Die Klage ist hinsichtlich des dort mit Antrag Z. 2 begehrten Schmerzensgeldes und mit den dortigen Anträgen Z. 1 und 4 beziffert begehrten materiellen Schadens dem Grunde nach in vollem Umfang begründet.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle weiteren immateriellen und materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 26.07.2013 auf der K 4133 in H. zu erstatten, soweit kein Leistungsübergang auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte erfolgt ist.
Die Beklagten beantragen: Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagten beantragen außerdem ihrerseits, das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 13. Oktober 2017, 8 O 224/15, wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin und ihre Streithelferin beantragen, die Berufung der Beklagten gegen das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Mannheim vom 13.10.2017, Az. 8 O 224/15, kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Beklagten sind in ihrer am 07.11.2017 eingelegten und am 19.01.2018 begründeten Berufung der Meinung, dass das landgerichtliche Urteil auf einer fehlerhaften Abwägung der Verursachungsbeiträge beruhe. Es sei richtig, dass beide Parteien den Nachweis der Unabwendbarkeit nicht hätten führen können, da diverse Unfallkonstellationen denkbar seien, in denen der Unfall sowohl für die Klägerin als auch für die Beklagten vermeidbar gewesen wäre. Allerdings verneine das Landgericht unzutreffenderweise einen Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Linksabbiegers, von dem im Hinblick auf die zwingend vorgesehene Rückschaupflicht nach § 9 Abs. 1 S. 4 StVO immer auszugehen sei, wenn der Linksabbieger mit einem überholenden Fahrzeug kollidiere. Es sei im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zum Unfall gekommen. Die Argumentation des Landgerichts, der Anscheinsbeweis würde wegen eines Überholens in unklarer Verkehrslage nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO entfallen, sei nicht zutreffend. Der Linksabbiegende wisse regelmäßig nicht, ob für den Überholenden eine unklare Verkehrslage vorliege. Die Regelung in § 9 Abs. 1 S. 4 StVO wolle gerade Zusammenstöße mit Überholenden verhindern, selbst dann, wenn diese in einer unklaren Verkehrslage überholen sollten. Außerdem liege ein Überholen in unklarer Verkehrslage im vorliegenden Fall nicht vor. Weder die Klägerin noch die Zeugin B., die gar keine Abbiegeabsicht gehabt habe, hätten den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Im Übrigen sei von einem Verschulden der Klägerin auszugehen, indem sie ihre Abbiegeabsicht nicht angezeigt habe. Für das rechtzeitige Betätigen des Blinkers sei sie beweispflichtig. Die Tatsache, dass die Klägerin bzw. die dahinter fahrende Zeugin B. ihre Fahrzeuge zu irgendeinem Zeitpunkt zum Stillstand abgebremst hätten, müsse bei der Bewertung, ob eine unklare Verkehrslage vorliege, außer Betracht bleiben, da nicht bewiesen sei, dass der Beklagte Z. 1 den Überholvorgang erst begonnen habe, als das vor ihm fahrende Fahrzeug gestanden habe. Außerdem sei zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass diese in einen gesperrten Weg eingebogen sei. Das Zeichen 250, das hier als Zeichen 260 erscheine, ordne grundsätzlich an, dass jedes Einfahren in den Sperrbezirk verboten sei. Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts könne es keine Rolle spielen, ob das Verbotszeichen sich direkt am Straßenrand befinde oder etwas dahinter. Im Ergebnis sei somit ein klägerischer Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht beim Linksabbiegen sowie ein verbotswidriges Abbiegen in einen gesperrten Weg zu berücksichtigen, was eine alleinige, jedenfalls aber weit überwiegende Haftung der Klägerin gebiete.
Zum weiteren Parteivorbringen im Berufungsrechtszug wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die Berufungen der Parteien sind zulässig. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg.
1. a) Die Klage ist zulässig. Insbesondere besteht das für das Feststellungsbegehren der Klägerin erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. An einem Feststellungsinteresse fehlt es bei einer – vorliegend unstreitig – eingetretenen Primärverletzung nur, wenn bei verständiger Würdigung aus Sicht des Geschädigten kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines (weiteren) Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, Beschluss vom 09.01.2007 – VI ZR 133/06 –, Rn 5 mwN, juris). Angesichts der erheblichen Unfallfolgen für die Klägerin kann dies vorliegend nicht angenommen werden.
b) In prozessualer Hinsicht ist außerdem zu bemerken, dass das Landgericht zulässigerweise in Form eines Grund- und Teilurteils entschieden hat. Die Voraussetzungen gemäß § 304 Abs. 1 ZPO liegen vor, was von den Parteien auch nicht in Frage gestellt wird.
2. Die Klägerin hat aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis einen Anspruch gegen den Beklagten Z. 1 als Fahrer des unfallbeteiligten Pkw Audi S5 gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG, gegen den Beklagten Z. 2 als dessen Halter nach § 7 Abs. 1 StVG sowie gegen die Beklagte Z. 3 als dessen Pflichthaftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG bei einer Haftungsquote von 50:50.
a) Dabei ist nicht davon auszugehen, dass die Kollision für eine der Parteien durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde und deshalb deren (Mit-)Haftung nach § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG ausgeschlossen ist bzw. dass den Beklagten Z. 1 als Fahrzeugführer kein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls trifft und er daher gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG für die Unfallschäden nicht haftet.
aa) Unabwendbar ist ein Ereignis nach § 17 Abs. 3 Satz 2 StVG, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Die danach erforderliche äußerste Sorgfalt setzt ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab iSv § 276 BGB hinaus voraus. Verlangt ist eine über den gewöhnlichen Fahrerdurchschnitt erheblich hinausgehende Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht sowie geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln im Augenblick der Gefahr in den Grenzen des Menschenmöglichen. Der Schädiger soll nur von Schäden freigestellt werden, die sich auch bei vorsichtigem Vorgehen nicht vermeiden lassen (BGH, Urteil vom 18.01.2005 – VI ZR 115/04 , Rn 15 – juris = DAR 2005, 263; BGH, Urteil vom 23.09.1986 – VI ZR 136/85, Rn 8 – juris). Maßgeblich ist nicht das Verhalten eines gedachten „Superfahrers“, aber dasjenige eines „Idealfahrers“ (BGH, Urteil vom 17.03.1992 – VI ZR 62/91, Rn 10 mwN – juris) Die Prüfung der Unabwendbarkeit darf sich dabei nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation untadelig reagiert hat, sondern ist auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre, denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04, Rn 21 – juris; BGH, Urteil vom 17.03.1992 – VI ZR 62/91, Rn 11 – juris). Allerdings darf ein Fahrer auch im Rahmen von § 17 Abs. 3 StVG als besonders sorgfältiger Kraftfahrer grundsätzlich auf das Unterlassen grober Verstöße durch andere Verkehrsteilnehmer vertrauen, solange keine besonderen Umstände vorliegen, die geeignet sind, dieses Vertrauen zu erschüttern (BGH, Urteil vom 28.05.1985 – VI ZR 258/83, Rn 7 mwN – juris).
bb) Die Beklagten berufen sich auf die Haftungsausschlusstatbestände nach §§ 17Abs. 3, 18 Abs. 1 Satz 2 StVG in der Berufung ausdrücklich gar nicht, sie räumen vielmehr – zu Recht – ein, dass der ihnen obliegende Nachweis nicht geführt werde konnte (AS II/91).
cc) Soweit die Klägerin weiterhin der Ansicht sein sollte, dass der Unfall für sie unabwendbar gewesen ist, hat die landgerichtliche Beweisaufnahme den von ihr anhand des dargestellten Maßstabs zu führenden Nachweis (vgl. BGH, Urteil vom 05.07.1988, VI ZR 346/87, Rn 11 – juris) nicht erbracht.
Zur streitgegenständlichen Kollision kam es – was die Klägerin mittlerweile ausdrücklich unstreitig gestellt hat (Schriftsatz vom 12.01.2017, AS I/225) – auf der Gegenfahrbahn im Rahmen eines von ihr durchgeführten Linksabbiegevorgangs. Der Zeuge G. spielte bei der Entstehung dieser Kollision keine Rolle. Er befand sich mit seinem Fahrrad – entgegen seiner Einlassung (AS I, 144f.), aber in Übereinstimmung mit der Zeugin B. (AS I, 114) – aus Fahrtrichtung der Klägerin nicht rechts, sondern links der Fahrbahn. Entgegen der Aussage der Zeugin B. (AS I/114) wurde er erst nach der Kollision der beiden Pkw durch einen Driftvorgang des Beklagtenfahrzeugs erfasst. Die diesbezüglichen Darlegungen des Sachverständigen Dipl. Ing. H. (siehe Gutachten vom 07.06.2016, Sonderband, Seite 8 ff.; Gutachtenergänzung vom 28.11.2016, Sonderband, Seite 6) sind plausibel und nachvollziehbar und auch für den Senat überzeugend und werden in der Berufung von keiner Seite in Frage gestellt.
Das Landgericht hat insofern völlig zutreffend ausgeführt, dass der Unabwendbarkeitsnachweis der Klägerin bereits deshalb scheitert, weil nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Klägerin das Beklagtenfahrzeug noch rechtzeitig erkannt hätte, wenn sie – wie es nicht nur ein „Idealfahrer“ im beschriebenen Sinn täte, sondern wie es jedem Fahrzeugführer obliegt (§ 9 StVO) – zurückgeschaut hätte, bevor sie auf die Gegenfahrbahn fuhr (siehe Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2017, AS I/215 f.).
b) Die Angriffe der klägerischen Berufung gegen die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge iSd §§ 17Abs. 2 und 1, 18 Abs. 3 StVG durch das Landgericht bleiben ohne Erfolg, diejenigen der Beklagten sind teilweise erfolgreich.
aa) Ausgangspunkt der Abwägung ist, dass ausschließlich die festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen (§ 138 Abs. 3 ZPO) oder bewiesenen (§ 286 ZPO) Umstände des Einzelfalls einzustellen sind, soweit sie sich ursächlich auf den Unfall ausgewirkt haben. Entscheidend ist das Maß der Verursachung, mit dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Das beiderseitige Verschulden stellt dabei einen Abwägungsfaktor dar (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2016, -VI ZR 32/16, Rn 8 mwN – juris).
bb) Die Klägerin hat – anders als die Beklagten meinen – nicht gegen ein generelles Verbot verstoßen, mit einem Pkw in den querenden Weg abzubiegen. Das auf beiden Seiten des Weges angebrachte Verkehrszeichen 260, welches ein Verbot für Kraftfahrzeuge enthält, ist jeweils erst am Ende des Einmündungstrichters aufgestellt, einige Meter, nachdem der Weg die Straße schneidet. Da Verkehrszeichen nur in Fahrtrichtung ihrer Bildseite gelten (Koehl, in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, StVO § 39 Rn 19), sind Kraftfahrzeuge also befugt, den Weg – etwa um zu Wenden – bis zur Höhe des Schildes zu befahren.
cc) Ein Verstoß der Klägerin gegen § 9 StVO lässt sich nicht feststellen.
(1) Der Senat stimmt mit dem Landgericht darin überein, dass die Klägerin beim Abbiegen in den Wirtschafts- und Radweg keine über die des gewöhnlichen Linksabbiegers (§ 9 Abs. 1 StVO) hinausgehenden Sorgfaltspflichten zu beachten hatte.
§ 9 Abs. 5 StVO findet vorliegend keine Anwendung, da der querende Weg kein „Grundstück“ im Sinne der Vorschrift darstellt. Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei einem Wald-, Feld- oder Radwanderweg, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, beim Abbiegen ähnlich verschärfte Pflichten gelten können wie bei einer Grundstückseinfahrt. Dabei gilt grundsätzlich, dass der Abbiegende sich umso sorgfältiger verhalten muss, je weniger das Abbiegeziel im Fahrverkehr – als dem fließenden Verkehr dienend – erkennbar und erwartbar ist (OLG Naumburg, Urteil vom 12.12.2008 – 6 U 106/08, Rn 19 – juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.04.2011 – 13 U 2/11, Rn 5 – juris; OLG Saarbrücken, Urteil vom 16.10.2014 – 4 U 145/13, Rn 65 ff. – juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, StVO § 9 Rn 45).
Im Streitfall ist insofern jedoch zu sehen, dass sich der Unfall bei Tageslicht und klarer Sicht ereignete. Einschränkungen der Sichtverhältnisse, z.B. durch eine seitlich der Straße befindliche Bepflanzung, bestanden nicht. Der querende Weg, auf den jedenfalls als solchen durch Verkehrszeichen hingewiesen wird, war am Unfalltag ausweislich der polizeilichen Lichtbilder für die Parteien bereits aus einiger Distanz sichtbar. Dass der Weg nach wenigen Metern für den allgemeinen Verkehr nicht mehr zugelassen ist, lässt sich für den Verkehr auf der Landstraße aus der Entfernung hingegen kaum erkennen. Der Weg ist kein klassischer Feldweg, sondern besitzt beidseitig einen breiten, trichterförmigen Einmündungsbereich und eine asphaltierte Fahrbahnunterlage. Kreuzende Wege dieser Art sind bei Landstraßen recht häufig.
(2) Dass die Klägerin die somit geltenden Sorgfaltspflichten gemäß § 9 Abs. 1 StVO (rechtzeitige Ankündigung durch Fahrtrichtungsanzeiger, rechtzeitiges Einordnen sowie Verpflichtung zur doppelten Rückschau) unfallursächlich missachtet hat, kann aufgrund der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden. Die Klägerin selbst vermag sich an das Unfallgeschehen nicht zu erinnern. Die Aussagen des Beklagten Z. 1 und der Zeugen hierzu sind unergiebig. Auch der Sachverständige kann insoweit keine Feststellungen treffen.
Weshalb die Beklagten in diesem Zusammenhang meinen, die Klägerin trage die Beweislast dafür, dass sie den Blinker rechtzeitig betätigt habe, erschließt sich dem Senat nicht. Denn nach allgemeinen Regeln hat im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG der andere Teil dem Halter einen als Verschulden anzurechnenden Umstand zu beweisen (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, StVO § 17 Rn 31 mwN).
(3) Die Voraussetzungen für einen Beweis des ersten Anscheins zu Lasten der Klägerin liegen nicht vor. Zwar kommt ein zu Lasten des Linksabbiegers streitender Anscheinsbeweis grundsätzlich in Betracht, wenn es zu einer Kollision zwischen ihm und einem ihn ordnungsgemäß Überholenden kommt. Allerdings gilt dies in der Regel nur, wenn der Überholer dem Linksabbieger unmittelbar gefolgt war und nicht, wenn der Überholer eine kleine Kolonne überholt hat und erst dann mit dem abbiegenden Fahrzeug zusammenstößt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.04.2011 – 13 U 2/11, Rn 9 – juris; OLG Hamm, Urteil vom 09.07.2013 – I-9 U 191/12, Rn 27ff.; OLG Saarbrücken, Urteil vom 16.10.2014 – 4 U 145/13, Rn 56 ff. – juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, StVO § 9 Rn 55). In letzterem Fall fehlt es an einem typischen Geschehensablauf, der aufgrund von Erfahrungssätzen den Schluss auf ein schuldhaftes Verhalten des Linksabbiegers zuließe. Befindet sich – wie vorliegend – ein weiteres Fahrzeug zwischen Überholer und Linksabbieger, ist es ohne weiteres möglich, dass der Überholende für den Linksabbieger bei Fassung des Abbiegeentschlusses nicht erkennbar ist, weil der Überholer mit seinem Fahrzeug noch nicht auf die Gegenfahrbahn ausgeschert ist und daher von dem dem Abbieger unmittelbar folgenden Fahrzeug verdeckt wird (OLG Hamm, Urteil vom 09.07.2013 – I-9 U 191/12, Rn 29). Angesichts der auch nach der Beweisaufnahme verbleibenden Ungewissheiten fehlt es an der für die Anwendung der Regeln über den Anscheinsbeweis notwendigen Typizität.
dd) Es steht ebenfalls nicht fest, dass der Beklagte Z. 1 in unfallursächlicher Weise trotz unklarer Verkehrslage überholt hat (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO).
(1) Eine unklare Verkehrslage, die jedes Überholen verbietet, ist allein von objektiven Umständen und nicht vom Gefühl des Überholwilligen abhängig. Unklar ist die Lage, wenn nach allen Umständen mit gefahrlosem Überholen nicht gerechnet werden darf (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, StVO § 5 Rn 34 mwN). Das Überholverbot greift ein, wenn sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende jetzt sogleich tun wird, wenn er sich unklar verhält, wenn er in der Fahrweise unsicher erscheint (KG Berlin, Beschluss vom 20. Juli 2009 – 12 U 192/08 –, Rn 19 juris), indem er z.B. den Anschein erweckt, er wolle abbiegen, ohne dass dies deutlich wird (OLG Karlsruhe, Urteil vom 12. September 1997 – 10 U 84/97 –, juris), aber auch beispielsweise bei unklarer Einordnung des Vorausfahrenden ohne deutliches Richtungszeichen (OLG Köln, Urteil vom 27. November 1992 – 19 U 84/92 –, Rn 3 juris; BayObLG, Urteil vom 27. Oktober 1965 – RReg. 1a St 255/65 = NJW 1966, 414).
(2) Nicht ausreichend ist allerdings eine bloß abstrakte Gefahrenlage. Dementsprechend ist das Überholen einer Fahrzeugkolonne nicht generell verboten (KG Berlin, Urteil vom 07.10.2012 – 12 U 41/01= NZV 2003, 89). Allein der Umstand, dass sich hinter einem langsam fahrenden Fahrzeug eine Kolonne gebildet hat, begründet für die weiter hinten in der Kolonne befindlichen Fahrzeugführer keine unklare Verkehrslage mit der Folge, dass jeweils nur der Vorausfahrende überholen dürfte. Ansonsten wäre bei fehlender Überholabsicht der vorausfahrenden Fahrzeugführer ein Überholen durch weiter hinten befindliche Fahrzeuge und damit ein Auflösen der Kolonne ausgeschlossen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.06.2001 – 10 U 77/01, Rn 14 – juris; KG Berlin, KG Berlin, Urteil vom 30.01.1995 – 12 U 2820/93, Rn 9 – juris).
(3) Daraus folgt, dass ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vorliegend – entgegen dem Landgericht – nicht schon deshalb anzunehmen ist, weil der Beklagte Z. 1 eingeräumt hat, lediglich das unmittelbar vor ihm befindliche Fahrzeug der Zeugin B., nicht aber das Fahrzeug der Klägerin wahrgenommen zu haben, bevor er zum Überholen ansetzte. Denn auch beim zulässigen Überholen aus einer – u.U. aus deutlich mehr als drei Fahrzeugen bestehenden – Kolonne heraus ist es unmöglich, bereits vor dem Überholen bzgl. aller vorausfahrenden Fahrzeuge zu überblicken, wie sie sich im Weiteren verhalten werden. Ohne konkrete, gegen ein gefahrloses Überholen sprechende Anhaltspunkte ist ein Überholen in einer solchen Situation gleichwohl möglich. Soweit die Klägerin und die Streithelferin in diesem Zusammenhang rügen, dass das Landgericht nicht gewürdigt habe, dass die Einlassung des Beklagten Z. 1 in seiner informatorischen Anhörung, das klägerische Fahrzeug zunächst gar nicht wahrgenommen zu haben, im Widerspruch zum vorangegangenen schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten stehe, ist richtig, dass dieser Widerspruch besteht. Allerdings lassen die Ausführungen der Klägerseite nicht ansatzweise erkennen, welche tatsächlichen oder rechtlichen Schlüsse sich daraus ergeben sollen. Die notwendigen objektiven Umstände für die Annahme einer unklaren Verkehrslage ergeben sich daraus nicht.
(4) Ein Überholverbot nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO lässt sich im Streitfall auch sonst nicht mit erforderlicher Gewissheit feststellen. Die hierfür notwendige Uneindeutigkeit im Verhalten des vorausfahrenden Verkehrs kann sich zwar – worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat – auch daraus ergeben, dass dieser seine Geschwindigkeit ohne eindeutig erkennbaren Anlass plötzlich erheblich reduziert. Allerdings müssen diese zu einer unklaren Verkehrslage führenden Umstände erkennbar auftreten, bevor der Nachfolgende seinen Überholvorgang in korrekter Weise begonnen hat. Wenn er ordnungsgemäß zum Überholen angesetzt hat, darf er darauf vertrauen, dass sich kein vorausfahrender Fahrzeugführer verkehrswidrig verhält und vorschriftswidrig ausschert oder nach links abbiegt (vgl. BGH, Urteil vom 23.09.1986, VI ZR 46/85, Rn 12 – juris). Ihm steht der Vorrang gegenüber den Vorausfahrenden zu. Denn von mehreren hintereinander fahrenden Fahrzeugen hat dasjenige Vortritt beim Überholen, das zuerst korrekt hierzu ansetzt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.06.2001 – 10 U 77/01, Rn 14 – juris).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nicht fest, dass die Zeugin B. auffällig abgebremst hat, noch bevor der Beklagte Z. 1 ordnungsgemäß zum Überholen ansetzte. Es fehlen belastbare Beweise sowohl zu dem Zeitpunkt, in dem der Beklagte Z. 1 seinen Überholvorgang begonnen hat, noch dazu, wann und auf welche Weise die Zeugin B. in Reaktion auf eine Verlangsamung der Klägerin ihrerseits für den Beklagten Z. 1 deutlich erkennbar langsamer wurde.
Die Aussagen des Beklagten Z. 1 und der Zeugin B. hierzu sind schon deshalb – unabhängig davon, welche Schlussfolgerungen sich daraus ergäben – unergiebig, weil sie nicht auflösbare Widersprüche enthalten: Der Beklagte Z. 1 will hinter dem BMW der Zeugin mit ca. 60 km/h gefahren sein und von dort zum Überholen angesetzt und hierzu beschleunigt haben. Der vor ihm fahrende BMW sei kontinuierlich mit 60 km/h gefahren. Eine Bremsung hätte er wegen des aufscheinenden Bremslichtes gesehen (AS I/147).
Die Zeugin B. hat angegeben, angehalten zu haben, weil das vor ihr befindliche Fahrzeug ebenfalls bis zum Stillstand angehalten gehabt habe (AS I/114, 116). Der Sachverständige hat hierzu dargelegt, dass beide Darstellungen unmöglich in Einklang zu bringen seien. Wenn der Beklagte Z. 1 hinter der Zeugin mit 60 km/h gefahren sein sollte und dann zum Überholen auf die linke Spur gefahren und beschleunigt habe, könne nicht sein, dass die Zeugin zum Schluss hinter der Klägerin gestanden habe, bevor diese den Abbiegevorgang eingeleitet habe (AS I/215). Entgegen der Auffassung der Klägerin und der Streithelferin vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass insoweit die Schilderung der Zeugin B. – und nicht diejenige des Beklagten Z. 1 – der Wahrheit entspricht. So gibt sie selbst gar nicht an, aus eigener Wahrnehmung sagen zu können, dass das klägerische Fahrzeug vor dem Abbiegevorgang angehalten hat, sondern schlussfolgert dies nur („Das muss wohl so gewesen sein“, AS I/114). Außerdem will sie auch beobachtet haben, dass es zuerst zu der Kollision mit dem Zeugen G. und dann erst zu der Kollision zwischen den Parteien gekommen sei (AS I/114), was – wie dargestellt – nachweislich nicht zutrifft. Schließlich weichen ihre Angaben gegenüber dem Landgericht, wonach sie den Fahrradfahrer erst gesehen haben will, nachdem sie ca. zwei oder drei Sekunden gestanden habe (AS I/116), von ihrer polizeilichen Aussage am 28.11.2013 ab, nach der sie den Fahrradfahrer aus dem querenden Weg herausfahren sehen haben will, „noch bevor“ sie gestanden habe (AG Weinheim, G 3 Cs 501 Js 20379/13, Seite 120).
Der Sachverständige H. hat verschiedentlich deutlich gemacht, zum genauen vorkollisionären Ablauf mangels Anknüpfungstatsachen keine verlässlichen Feststellungen treffen zu können. Tatsächlich fehlen für eine sachverständige Beurteilung erforderliche valide Erkenntnisse zum genauen Abstand der Fahrzeuge, zu deren Ausgangsgeschwindigkeit, zum genauen Beschleunigungsverhalten des Beklagten Z. 1 und zum Bremsverhalten der Klägerin und nachfolgend der Zeugin B., d.h. wann und in welcher Weise und mit welchem Geschwindigkeitsabbau der Bremsvorgang jeweils eingeleitet wurde. Auf dieser Grundlage ließ sich nicht ermitteln, ob der Beklagte Z. 1 – bevor er zum Überholen ansetzte – ein auffällig starkes Abbremsen durch die Zeugin B. erkennen und deshalb von einer unklaren Verkehrslage im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ausgehen musste.
(5) Der nicht nachgelassene klägerische Schriftsatz vom 06.09.2018 gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO).
ee) Auch ein unfallkausaler Geschwindigkeitsverstoß des Beklagten Z. 1 lässt sich nach der Beweisaufnahme – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht feststellen.
Zwar liegt die nachweisbare Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs von mindestens 100 km/h (siehe Gutachten vom 23.08.2013 im Verfahren des AG Weinheim, G 3 Cs 501 Js 20379/13, Seite 10 f.; Gutachten vom 07.06.2016, Sonderband, Seite 10; Gutachtenergänzung vom 28.11.2016, Sonderband, Seite 8) über der an der Unfallstelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h. Allerdings ist nach den Darlegungen des Sachverständigen H. nicht ausgeschlossen, dass der Beklagte Z. 1 auch bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit keine Möglichkeit gehabt hätte, die Kollision zu vermeiden, und es daher auch bei insoweit regelgerechtem Verhalten des Beklagten Z. 1 zum Unfall gekommen wäre. Nach den Weg-Zeit-Betrachtungen des Sachverständigen, der dabei die Reaktionsaufforderung für den Beklagten Z. 1 mit dem Passieren der Mittellinie durch den klägerischen Pkw gleichgesetzt hat, gibt es verschiedene – nicht ausschließbare – Unfallabläufe, bei denen der Beklagte Z. 1 bei Einhaltung von 70 km/h zwar später an der Unfallstelle angelangt wäre, ohne dass dieser Zeitverzug jedoch ausgereicht hätte, um es der Klägerin zu ermöglichen, aus der Fahrlinie des Beklagtenfahrzeugs herauszufahren. So sei es bei einer unterstellten Abbiegegeschwindigkeit der Klägerin von ca. 20 km/h (Gutachten vom 23.08.2013 im Verfahren des AG Weinheim, G 3 Cs 501 Js 20379/13, Seite 12). Aber auch wenn man davon ausgehe, dass die Klägerin aus dem Stillstand angefahren sei, wäre es bei dem Reaktionsort der Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten Z. 1 von 100 km/h und einem angesetzten Beschleunigungsbetrag bei der Klägerin von 1,0 m/s² zur Kollision gekommen, und zwar mit dem linksseitigen Heckbereich des klägerischen Fahrzeugs (Gutachtenergänzung vom 24.07.2017, Sonderband, AS I/246).
ff) Ein Reaktionsverzug im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO zu Lasten des Beklagten Z. 1 kann ebenfalls nicht angenommen werden. Der Sachverständige H. hat bereits in seinem strafrechtlichen Gutachten festgehalten, dass nicht davon auszugehen sei, dass der Beklagte vor der Kollision zeitlich die Möglichkeit gehabt habe, sein Fahrzeug zu verzögern (Gutachten vom 23.08.2013 im Verfahren des AG Weinheim, G 3 Cs 501 Js 20379/13, Seite 11).
gg) Somit ist in die Abwägung der Verursachungsanteile der Parteien gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG lediglich die Betriebsgefahr der unfallbeteiligten Fahrzeuge einzustellen. Dabei ist zu sehen, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zwar nicht durch ein nachgewiesenes vorwerfbares und schuldhaftes Überholen trotz Überholverbot und einen unfallkausalen schuldhaften Geschwindigkeitsverstoß erhöht war. Jedoch wirkt sich gleichwohl die generelle, objektive Gefährlichkeit des Überholens mit beträchtlicher Geschwindigkeit betriebsgefahrerhöhend aus. Demgegenüber gilt aber ebenso, dass auch auf Seiten der Klägerin der objektiv gefahrenträchtige Abbiegevorgang zu einer erhöhten Betriebsgefahr führt. In der Abwägung dieser Gesichtspunkte hält der Senat eine hälftige Haftungsteilung für angemessen.
3. Die Beklagten haften mit gleicher Quote auch aus Delikt gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Es gelten insoweit für die Abwägung (§ 254 Abs. 1 BGB) keine inhaltlich abweichenden Maßstäbe wie bei der straßenverkehrsrechtlichen Gefährdungshaftung (BGH, Urteil vom 13.04.1956 – VI ZR 347/54, Rn 7 juris).
4. Da angesichts des Mithaftungsanteils der Klägerin nicht nur bzgl. des Feststellungsantrags Z. 3, sondern auch hinsichtlich der Anträge Z 1, 2 und 4 ein gequoteltes Grundurteil ergeht, hat der Senat – wie in der mündlichen Verhandlung erörtert und anders, als dies der Tenor Z. 3 des landgerichtlichen Urteils zum Ausdruck bringt – die Klage hinsichtlich sämtlicher Klageanträge „im Übrigen“ durch Teilurteil abgewiesen (vgl. Feskorn, in Zöller, ZPO, 32. Auflage 2018, § 304 Rn 29 BeckOK ZPO/Elzer, 29. Ed. 1.7.2018, ZPO § 304 Rn. 36a; MüKoZPO/Musielak, 5. Aufl. 2016, ZPO § 304 Rn. 10-11).
5. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsrechtszugs folgt aus §§ 97Abs. 1, 92 Abs. 1,101 ZPO. Ist ein Rechtsmittel gegen ein den Grund des Anspruchs für gerechtfertigt erklärendes Urteil ohne Erfolg geblieben, so steht nach der zwingenden Vorschrift des § 97 Abs. 1 ZPO endgültig fest, daß der unterlegene Rechtsmittelführer die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen hat. Hier ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, diese Entscheidung hinauszuschieben, denn § 97 Abs. 1 ZPO regelt einen Fall der sogenannten Kostentrennung, bei dem die Kostenpflicht von dem endgültigen Ausgang der Sache unabhängig ist. Nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes soll die Partei, die ein nicht zum Erfolg führendes Rechtsmittel einlegt, die Folgen im Kostenpunkt tragen (BGH, Urteil vom 29.5.1956 – VI ZR 205/55 (Düsseldorf), NJW 1956, 1235, 1236 = BGHZ 20, 397; BGH, Urteil vom 27.4.1970 – III ZR 49/69 (Koblenz), NJW 1970, 1416, 1418; BGH, Urteil vom 14.10.20110 – I ZR 212/08 -, juris Rn. 36; OLG Düsseldorf Beschl. v. 6.3.2014 – 23 U 112/13, BeckRS 2014, 12509). Dieser Grundsatz der Kostentrennung gilt auch, wenn wechselseitige Rechtsmittel gegen ein Grundurteil teilweise erfolglos bleiben (Schneider, Kostenentscheidung im Zivilurteil, 2. Aufl., S. 254; Mössner in: Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 64, Rn. 157). Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Endurteil vorbehalten.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708Nr. 10, 711 ZPO.
6. Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).