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Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG – Unfallbeteiligung durch Betrieb eines Kfz

LG Darmstadt – Az.: 29 O 312/20 – Urteil vom 12.08.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld infolge eines Verkehrsunfalls.

Am XX.XX.2017 um 7:56 Uhr kollidierten in […] auf der A… das im Eigentum der Klägerin zu 1 stehende Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen […], das von der Klägerin zu 1 auch gehalten wird und das am Unfalltag von der Klägerin zu 2 gefahren wurde, mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 2 mit dem amtlichen Kennzeichen […], welches bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversichert ist.

Kurz vor dem Unfallzeitpunkt befuhr die Beklagte zu 2 den äußerst rechten Fahrstreifen, links daneben fuhr ein Sattelzug, wiederum links daneben befand sich das Fahrzeug der Klägerin zu 1. Der Sattelzug überholte das Fahrzeug der Beklagten zu 2 und rammte deren Fahrzeug, wodurch das Fahrzeug der Beklagten zu 2 gegen das Fahrzeug der Klägerin zu 1 geschleudert wurde. Die Klägerin zu 2 wurde dabei schwer verletzt.

Am Fahrzeug der Klägerin zu 1 entstand ein Totalschaden. Die Klägerin zu 1 erwarb in der Folge ein neues Fahrzeug.

Die Klägerinnen machen folgende Schadenspositionen geltend:

  • Restbetrag des Wiederbeschaffungsaufwands: 300,00 €
  • Display des iPhones: 149,00 €
  • Kostenpauschale: 30,00 €
  • Zulassungskosten: 170,00 €
  • Höherstufungsschaden: 1.178,92 €
  • insgesamt: 1.827,92 €

Die Klägerinnen behaupten, dass das Fahrzeug der Beklagten zu 2 aus Unachtsamkeit gegen das Fahrzeug der Klägerin zu 1 geschleudert worden sei. Sie Beklagte zu 2 habe den Sattelschlepper rechts überholt, sei von diesem gerammt worden, und dann gegen das Fahrzeug der Klägerin zu 1 geschleudert worden. Die Klägerinnen behaupten weiter, dass die Klägerin zu 2 noch heute unter diversen Folgeschäden des damaligen Autounfalls leide. Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass die Beklagten für die Unfallschäden aus §§ 7, 17, 18 StVG voll einstandspflichtig seien.

Die Klägerinnen beantragen,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1. einen Betrag i.H.v. 1.678,92 €, nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2. einen Betrag i.H.v. 149 €, nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2. ein angemessenes, in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch i.H.v. 5.000 €, nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihrer Prozessbevollmächtigten i.H.v. 633,94 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, dass die Kollision für die Beklagte zu 2 unvermeidbar gewesen sei.

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.07.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Die Klägerinnen haben gegen die Beklagten keinen Anspruch gemäß §§ 7, 17, 18 StVG. Aus den von den Klägerinnen vorgetragenen Indizien ist nicht ersichtlich, dass der Schaden vorliegend beim Betrieb des Kfz der Beklagten eingetreten ist. Einen Einfluss der Beklagten zu 2 auf das Unfallgeschehen, welcher nach Grundsätzen, insbesondere dem Schutzzweck von § 7 Abs. 1 StVG, eine verschuldensunabhängige Haftung der Beklagten zu 2 rechtfertigen würde, vermag das Gericht in der Zusammenschau nicht zu erkennen.

Eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG kommt zwar grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Unfall nur mittelbar durch ein anderes Kraftfahrzeug verursacht wurde. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle hierfür nicht aus. Vielmehr muss das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (BGH, Urteil vom 22.09.2010, Az. VI ZR 265/09 = SVR 2010 Heft 12, 466; OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.12.1981, Az. 1 U 45/81 – juris; Just/Quarch, in: Balke/Reisert/Schulz-Merkel (Hrsg.), Regulierung von Verkehrsunfällen, 2. Aufl. 2021, Kap. 20, Rn. 1). Der Betrieb des Kfz muss den eingetretenen Schaden adäquat verursacht haben. Erforderlich ist darüber hinaus, dass das Schadensereignis dem Betrieb des Kfz nach dem Schutzzweck der Gefährdungshaftung auch zugerechnet werden kann (BGH, Urteil vom 22.11.2016, Az. VI ZR 533/15 = NJW 2017, 1173; OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.12.1981, Az. 1 U 45/81 – juris; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 26. Aufl. 2020, StVG § 7 Rn. 13). Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Allerdings hängt die Haftung gem. § 7 StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist. Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kfz erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird und will daher alle durch den Kfz-Verkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kfz entstanden, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus.

Vorliegend ist nicht ersichtlich, inwieweit die Beklagte zu 2 durch ihre Fahrweise den Fahrstreifenwechsel des Sattelzuges und somit die daran anschließende Kollision mit dem Fahrzeug der Klägerin zu 1 verursacht haben soll.

Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sowie nach den Umständen im konkreten Fall ist nicht anzunehmen, dass der Spurwechsel auf die rechte Spur durch den Fahrer des Sattelschleppers dadurch verursacht wurde, dass die Beklagte zu 2 mit ihrem Fahrzeug versuchte, den Sattelschlepper von rechts zu überholen. Zweifelhaft ist bereits, ob ein Überholvorgang durch die Beklagte zu 2 überhaupt durchgeführt wurde. Jedenfalls wäre eine Kollision beider Fahrzeuge aber unvermeidbar gewesen, so dass mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht ersichtlich ist, dass der Fahrer des Sattelschleppers durch das Fahrverhalten der Beklagten zu 2 zu dem auch für ihn gefährlichen Spurwechsel motiviert worden sein soll.

Die Beklagte zu 2 musste aus diesem Grund auch nicht damit rechnen, dass der Fahrer des Sattelschleppers trotz ihrer Anwesenheit auf der rechten Spur einen Spurwechsel vornehmen würde, der zu einer Kollision beider Fahrzeuge führen würde.

Aus dem Fahrverhalten der Beklagten zu 2 nach der Kollision zwischen ihrem Fahrzeug und dem unfallbeteiligten Sattelschlepper kann ebenfalls nicht auf ein adäquat kausal unfallverursachendes Verhalten der Beklagten zu 2 geschlossen werden. Konkrete Anhaltspunkte, wie sich die Beklagte zu 2 nach der Kollision mit dem Sattelschlepper als Fahrerin verhalten hat, gab es keine. Die Klägerin zu 2 konnte hierzu in der mündlichen Verhandlung keine Angaben machen. Davon, dass die Kollision zwischen den Parteien somit durch eine Unachtsamkeit der Beklagten zu 2 verursacht worden sein soll, ist das Gericht auch bei Wahrunterstellung bestrittener Tatsachen zu Gunsten der Klägerinnen nach der Indizienlage nicht überzeugt.

Vielmehr wäre davon auszugehen, dass der Fahrer des Sattelzuges die Kollision alleine verursacht hat. Bei einem Unfall im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Wechselnde die ihm gemäß § 7 Abs. 5 StVO obliegende Sorgfaltspflicht bei den Fahrstreifenwechsel nicht in ausreichendem Maße beachtet und den Unfall alleine verursacht und verschuldet hat (OLG Köln, Urteil vom 10.11.2016, Az. 7 U 91/16 = BeckRS 2016, 114560; KG, Beschluss vom 06.05.2010 – 12 U 144/09 = BeckRS 2010, 18950).

Die bloße Anwesenheit des Fahrzeugs der Beklagten zu 2 auf der rechten Spur ist nach alledem nicht ausreichend dafür, dass davon ausgegangen werden kann, dass der Schaden am Fahrzeug der Klägerin zu 1 bei dem Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten zu 2 entstanden ist, da nicht ersichtlich ist, dass sich in der streitgegenständlichen Kollision eine von dem Kfz der Beklagten zu 2 ausgehende Gefahr verwirklicht hat.

Die Klägerinnen haben gegen die Beklagten auch keinen Anspruch gemäß § 823 Abs.1 BGB. Eine der Beklagten zu 2 zurechenbare Rechtsgutsverletzung am Eigentum der Klägerin zu 1 ist entsprechend den obigen Ausführungen nicht gegeben.

Mangels Hauptforderung besteht für die Klägerinnen auch kein Anspruch auf die begehrten Nebenforderungen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 2 ZPO.

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