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Sozialhilfeempfänger: Haltung eines Kfz als unwirtschaftliches Verhalten?

Bundesverwaltungsgericht

Beschluss vom 29. 12. 2000

Az.: 5 B 217/99

Vorinstanz: OVG Lüneburg; VG Lüneburg


Leitsatz:

Die Haltung eines Kraftfahrzeugs ist kein unwirtschaftliches Verhalten i. S. v. § 25 Abs. 2 Nr. 2 BSHG, wenn sie, wie im Streitfall, mit Sozialhilfemitteln für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens des Haushaltsvorstandes bis zu ein Halb und des Ehegatten und der haushaltsangehörigen Kinder unter zehn Jahren bis zu 30 v. H. finanziert werden kann.

Norm: § 25 Abs. 2 Nr. 2 BSHG


In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 29. Dezember 2000 beschlossen:

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. September 1999 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Beklagten ist nicht begründet.

Die Revision kann nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden.

Die vom Beklagten als grundsätzlich bezeichnete Frage, „ob ein unwirtschaftliches Verhalten i. S. d. § 25 Abs. 2 Ziffer 2 BSHG dann vorliegt, wenn der Haushaltsvorstand die laufenden Kosten für die Unterhaltung seines Pkw aus denjenigen Teilen der ‚persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens‘ i. S. d. § 12 BSHG aus seinem Regelsatz und dem Regelsatz seiner volljährigen und minderjährigen Familienangehörigen finanziert, der die im Regelsatz enthaltenen Anteile für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel offenkundig übersteigt“, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Die Antwort ergibt sich aus dem Gesetz und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

Unwirtschaftlich i. S. d. § 25 Abs. 2 Nr. 2 BSHG kann ein Verhalten sein, wenn Sozialhilfeleistungen zweckwidrig verwendet werden und damit nicht mehr für den sozialhilferechtlichen Bedarf zur Verfügung stehen. Da das Halten eines Personenkraftwagens im Streitfall unstreitig nicht zum notwendigen Bedarf der Kläger gehört, ist entscheidend, ob sie die Kosten der Autohaltung mit frei verfügbaren Sozialhilfemitteln decken können.

Das Berufungsgericht ist von monatlichen Aufwendungen für die Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von 49, 66 DM, für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung in Höhe von 107, 66 DM und für Kraftstoff in Höhe von allenfalls 72 DM ausgegangen. Diese Kosten im Einzelnen beanstandet der Beklagte nicht, meint aber, weitere Kosten seien für Verschleißteile und Reparaturen oder Rücklagen dafür anzusetzen.

Für frei verfügbar hält das Berufungsgericht jedenfalls ein Drittel bis die Hälfte des Leistungsanteils für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens aus den Regelsatzleistungen für den Kläger zu 1 als Haushaltsvorstand (nach dem Berechnungsansatz des Berufungsgerichts 60, 66 DM bzw. 91 DM) und 20 bis 30 v. H. des Leistungsanteils für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens aus den Regelsatzleistungen für die Kläger zu 2 bis 6 als Haushaltsangehörige (nach dem Berechnungsansatz des Berufungsgerichts 112, 84 DM bzw. 169, 26 DM).

Demgegenüber hält der Beklagte unter Berufung auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen Sozialhilfemittel nur in wesentlich geringerem Umfang für die Autohaltung einsetzbar, nämlich lediglich in Höhe des Anteils, der in den Regelsatzleistungen für die Benutzung von Verkehrsmitteln enthalten sei. Allerdings betraf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20. Juni 1979 – VI 3798/ 78 – (FEVS 28, 170) einen Fall, in dem die Betriebskosten unter dem Anteil für die Benutzung von Verkehrsmitteln lagen, so dass über den Aufwand höherer Betriebskosten als unwirtschaftliches Verhalten nicht entschieden wurde. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen in seinem Beschluss vom 19. Februar 1988 – 2 B 17/ 88 – (FEVS 37, 471) ausgeführt, dass zum unwirtschaftlichen Verhalten i. S. d. § 25 Abs. 2 Nr. 2 BSHG auch zu rechnen seien „die Kosten für die Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs, wenn dieses nicht benötigt wird und seine Betriebskosten außer Verhältnis zu dem Betrag stehen, der im Regelsatz für die Benutzung von Verkehrsmitteln vorgesehen ist“; diese Ausführungen finden sich aber lediglich in einem obiter dictum, weil das Gericht aus anderem Grund die Kürzung der Regelsatzleistung für nicht rechtens hielt.

Der Beklagte verkennt nicht, dass zu den Bedürfnissen des täglichen Lebens eine Vielzahl unterschiedlicher Bedürfnisse gehören können, und dass der Hilfeempfänger insoweit disponieren kann. Er missversteht aber die damit eingeräumte Dispositionsmöglichkeit, wenn er anknüpfend an eine beispielhafte Aufzählung möglicher Einzelbedürfnisse meint, „diese Vielzahl an Zwecken (könne) nur sichergestellt werden, wenn der monatliche Einzelbetrag entsprechend vom Hilfeempfänger nur hierfür disponiert wird“. Da die „persönlichen“ Bedürfnisse des täglichen Lebens ihrem Wesen nach solche aus freier, selbstbestimmter und -gestalteter, eben „persönlicher“ Lebensführung sind (BVerwGE 105, 281 <286>; 106, 99 <102>), ist der Hilfeempfänger in seiner Disposition darüber frei, ob er die ihm zustehenden Mittel auf viele oder wenige und welche von ihm ausgewählte Bedürfnisse aufteilt. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, wenn Hilfeempfänger einen Teil ihrer frei verfügbaren Sozialhilfeleistungen zur Finanzierung einer Autohaltung einsetzen.

Auch der Einsatz von Sozialhilfemitteln der Ehefrau und der Kinder ist nicht zu beanstanden. Zwar sieht der Beklagte die Gefahr, dass den Kindern zustehende Geldbeträge für Luxuszwecke des Haushaltsvorstandes missbraucht würden. Es ist aber zum einen zu bedenken, dass es die Eltern sind, denen die Pflicht und das Recht zusteht, für das minderjährige Kind zu sorgen (§ 1626 BGB), und die die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohle des Kindes auszuüben haben (§ 1627 BGB), und zum anderen, dass grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein Auto allein zum Nutzen des Haushaltsvorstandes und nicht auch der übrigen Haushaltsangehörigen gehalten wird.

Der Streitfall gibt auch keinen Anlass zu klären, bis zu welcher Höhe frei verfügbare Mittel auf ein bestimmtes Interesse konzentriert werden dürfen. Denn es ist nicht bedenklich, wenn das Berufungsgericht für zulässig hält, ein Drittel bis ein Halb der für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens zur Verfügung stehenden Mittel beim Haushaltsvorstand und von 20 bis 30 v. H. der für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens zur Verfügung stehenden Mittel bei den Haushaltsangehörigen für die Haltung eines Autos zu verwenden. Angesichts des Alters der 1985, 1986, 1990 bzw. 1991 geborenen Kläger zu 3 bis 6 steht die elterliche Entscheidung für die Haltung eines Autos in der streitgegenständlichen Zeit 1994 ihrer elterlichen Aufgabe, bei der Pflege und Erziehung die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen (§ 1626 Abs. 2 BGB), nicht entgegen. Den Klägern zu 1 bis 6 bleiben ausreichend Mittel für weitere Interessen im Bereich der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens.

Die vom Beklagten als grundsätzlich bezeichnete Frage, „ob bei der Bestimmung eines unwirtschaftlichen Verhaltens i. S. d. § 25 Abs. 2 Ziffer 2 BSHG in dem streitgegenständlichen Beurteilungszeitraum zwischen Erlass des Bescheides und Widerspruchsbescheid auch Rücklagen für außerhalb dieses Zeitraumes anfallende zwangsläufig vorhersehbare Verschleißreparaturen und die Zahlung des restlichen Kaufpreises zu berücksichtigen sind“, stellte sich in einem Revisionsverfahren nicht. Denn das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Kläger solche Rücklagen gebildet haben. Ob Rücklagen für zukünftige Aufwendungen gebildet werden, liegt im Ermessen des Besitzers. Notwendig sind sie, wie die Autohaltung selbst, nicht.

Schließlich kann die Revision nicht zugelassen werden zur Klärung der vom Beklagten als grundsätzlich bezeichneten Frage, „ob der Regelsatz bereits gem. § 22 Abs. 3 Satz 2 und 3 BSHG im Abstellen auf das tatsächliche Verbraucherverhalten von Haushalten in unteren Einkommensgruppen bereits Einsparmöglichkeiten beim Einkauf im Supermarkt beim Regelsatzanteil für Ernährung berücksichtigt, so dass keine weiteren Einsparungen in diesem Bereich für die ‚Einnahmeseite‘ bei der Unterhaltung eines Kfz. aus laufenden Sozialhilfemitteln (möglich sind) und damit ein unwirtschaftliches Verhalten i. S. d. § 25 Abs. 2 Nr. 2 BSHG besteht“, oder wegen eines Verfahrensmangels, den der Beklagte in der unterlassenen Ermittlung der tatsächlichen Einsparung der Kläger bei Einkauf im Supermarkt sieht. Denn die vom Berufungsgericht angenommene Möglichkeit einer Einsparung in Höhe von 10 v. H. durch Einkauf in Supermärkten ist nicht streitentscheidend.

Dies ergibt sich wohl bereits aus dem Berufungsurteil. Zwar werden dort den monatlichen Autohaltungskosten in Höhe von 229, 32 DM frei verfügbare Sozialhilfemittel in Höhe von 280, 11 DM gegenübergestellt, die neben einem Drittel bzw. 20 v. H. aus dem Leistungsanteil für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens auch einen Betrag von 106, 60 DM aus vermeintlicher Einsparung beim Einkauf in Supermärkten enthalten. Das Berufungsgericht hält es aber weitergehend – und, wie zuvor dargelegt, zu Recht – für zulässig, dass der Kläger zu 1 als Haushaltsvorstand und Kraftfahrzeughalter 50 v. H. und seine Ehefrau und seine Kinder, die Kläger zu 2 bis 6, als Haushaltsangehörige 30 v. H. aus dem Leistungsanteil für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens für die Autohaltung aufbringen (Berufungsurteil S. 14 und 15). Dieser höhere Betrag braucht nicht gegen die Einbehaltung von 80 DM wegen der Autohaltung verrechnet zu werden, weil diese im Streitfall kein unwirtschaftliches Verhalten darstellt. Auch ohne die vom Berufungsgericht für möglich gehaltene Einsparung beim Nahrungskauf stehen den Klägern bei einem Einsatz von 50 v. H. des Leistungsanteils für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens des Klägers zu 1 und von 30 v. H. des Leistungsanteils für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens der Kläger zu 2 bis 6 nach den vom Beklagten nicht beanstandeten Berechnungsansätzen zu den Leistungsanteilen für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens (35 v. H. aus 520 DM bzw. aus 1612 DM = 182 DM bzw. 564, 20 DM) 260, 26 DM (= 91 DM + 169, 26 DM) und damit ausreichende Mittel zur Deckung der Autohaltungskosten in Höhe von 229, 32 DM zur Verfügung.

Sollte das Berufungsgericht die über den mit einem Drittel bzw. 20 v. H. angenommenen Einsatz des Leistungsanteils für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens hinausgehenden Beträge lediglich als Sicherheit gegen den mit der Autohaltung begründeten Einbehalt des Beklagten in Höhe von monatlich 80 DM verstanden haben, wäre die Revision in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO nicht zuzulassen. Denn der vom Berufungsgericht für verfügbar angesehene höhere (50 v. H. und 30 v. H.) Sozialhilfebetrag braucht, wie oben dargelegt, nicht gegen die Einbehaltung von 80 DM wegen der Autohaltung verrechnet zu werden, weil diese im Streitfall kein unwirtschaftliches Verhalten darstellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.

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