Skip to content

Heimvertrag – Schriftformerfordernis bei fristloser Kündigung

LG Nürnberg-Fürth – Az.: 5 S 2253/16 – Beschluss vom 12.01.2017

1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 24.02.2015, Az. 19 C 8850/15, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

1.

Heimvertrag - Schriftformerfordernis bei fristloser Kündigung
(Symbolfoto: Von Lighthunter/Shutterstock.com)

Die Parteien streiten über Entgeltansprüche aus einem Heimvertrag. Die Beklagte befand sich am 29.01.2014 zunächst zur Kurzzeitpflege in einem Heim der Klägerin. Ihre Betreuerin schloss in ihren Namen am 29.01.2014 einen Heimvertrag ab, der am 04.02.14 schriftlich fixiert wurde und Unterkunft, Verpflegung sowie die Kurzzeitpflege der Beklagten bis zum 25.02.2014 vorsah. Am 09.02.2014 verließ die Beklagte das Heim der Klägerin mit ihren Sachen und erklärte gegenüber dem Pflegepersonal, dass sie nach Hause zurückkehre.

Die Klägerin stellte am 31.01.2014 eine Vorauszahlung für Kurzzeitpflege der Beklagten in Höhe von 1.721, 44 Euro in Rechnung, welche an deren damalige Betreuerin adressiert war. Mit Rechnung vom 22.07.2014 rechnete die Beklagte die erbrachten Leistungen ab und stellte nach Abzug der Vorauszahlungen einen Betrag von 1.192, 60 Euro in Rechnung. In diesem Betrag waren auch 21 Euro Telefongrundgebühren enthalten. Die Rechnung war wiederum an die Betreuerin der Beklagten adressiert war, deren Bestellung zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr bestand.

Das Amtsgericht Nürnberg hat die Beklagte zur Zahlung des Rechnungsbetrages von 1.192,60 Euro verurteilt. Die Forderung sei in vollem Umfang berechtigt. Die Klägerin habe berücksichtigt, dass die Beklagte das Heim am 9.2.14 verlassen habe und den Entgeltanspruch gemäß der vertraglich vorgesehenen Abwesenheitsregelung gekürzt. Ab dem 18.02.14 seien keine Leistungen mehr berechnet worden. Eine außerordentliche Kündigung der Beklagten durch das Verlassen des Heimes am 09.02.2014 sei schon mangels Beachtung der Schriftform unwirksam gewesen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vortrags. § 11 Abs. 2 WBVG sehe ein außerordentliches Kündigungsrecht von Heimverträgen vor, welches nicht der Schriftform unterliege. Das Amtsgericht sei in Verkennung der h.M. zu Unrecht von einem Schriftformerfordernis ausgegangen. Der Gesetzgeber habe durch das außerordentliche Kündigungsrecht des Heimbewohners ein Probewohnen ermöglichen wollen. Anders als Abs. 1 ausdrücklich vorgesehen, werde eine Schriftform in § 11 Abs. 2 WBVG nicht erwähnt. Die Berufung rügt weiter, dass das Amtsgericht zu Unrecht den klägerischen Vortrag zur Vereinbarung einer Telefonanschlussmiete als zugestanden behandelt habe. Schließlich habe das Amtsgericht der Beklagten zu Unrecht ein Zurückbehaltungsrecht versagt, das dieser aufgrund der falsch adressierten Abrechnung zustehe. Die Beklagte habe, wiederum vom Amtsgericht verkannt, mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 07.08.2014 ausdrücklich zur Erstellung einer korrigierten Rechnung aufgefordert. Im Übrigen wird auf die Berufungsbegründung vom 12.05.2016 (Bl. 58 ff. d.A.) Bezug genommen.

2.

Diese Berufungsangriffe dringen nicht durch. Das Amtsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Das amtsgerichtliche Urteil weist weder eine Rechtsverletzung auf, noch bestehen Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der vom Amtsgericht festgestellten Tatsachen, noch werden von der Berufung neue Tatsachen vorgebracht, die eine Abänderung des Urteils rechtfertigen (§§ 513, 529, 546 ZPO).

a) Das Amtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Vertrag durch den Auszug der Klägerin am 09.02.2014 nicht beendet wurde. Selbst wenn man diesem Verhalten eine durch schlüssiges Verhalten erklärte Kündigung entnehmen wollte, wäre diese formunwirksam gewesen. Eine außerordentliche Kündigung nach § 11 Abs. 2 WBVG unterliegt der Schriftform. Die ausführliche und nachvollziehbare Auslegung von § 11 Abs. 2 WBVG durch das Amtsgericht ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht tritt ihr ausdrücklich bei. Es sind insofern nur noch folgende Ergänzungen veranlasst:

(1) Der Gesetzgeber wollte mit dem WBVG ein modernes Verbraucherschutzgesetz für ältere Menschen, pflegebedürftige und behinderte Volljährige schaffen (vgl. BT-Drs. 16/12409 vom 24.03.2009, S.1). Wie das Amtsgericht überzeugend ausführt (vgl. Seite 7 des Urteils), geht das Schriftformerfordernis der außerordentlichen Kündigung des Verbrauchers durch die damit einhergehende, allerdings nur formelle Erschwerung der Kündigung nicht einseitig zu Lasten der Verbraucher, sondern bewirkt gerade auch deren Schutz. Dies einerseits, indem das Formerfordernis einer übereilten Entscheidung entgegenwirkt, zum anderen aber auch dadurch, dass es im Hinblick auf die große Reichweite der Kündigung für die Versorgung der betroffenen Verbraucher mögliche Missverständnisse von vornherein vorbeugt. Durch den Formzwang ist beispielsweise eine Kündigung durch schlüssiges Verhalten ausgeschlossen. Der besondere Schutzbedarf ergibt sich dabei ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs., aaO, S.1 und S.11) aus der Abhängigkeit der Verbraucher vom Unternehmer und der Koppelung von Wohnraumüberlassungs-, Pflege- oder Betreuungsleistungen, also gerade auch daraus, dass die angebotenen Leistungen und vertraglichen Regelungen vielfach sehr komplex sind.

(2) Mit der Einführung des außerordentlichen Kündigungsrechts zielte der Gesetzgeber auf eine Angleichung des Rechts der stationären und der häuslichen Pflege (vgl. BT-Drs., aaO, S. 12/13). Bei Inkrafttreten des WBVG und noch bis zum 29.10.2012 sah § 120 SGB XI in den Absätzen 2 S.2 und 3 eine gesonderte Kündigungsmöglichkeit innerhalb von zwei Wochen nach dem ersten Pflegeeinsatz vor. Seit dem 30.10.2012 ist dies durch ein generelles, jederzeitiges Kündigungsrecht ersetzt.

Diesem gesetzgeberischen Ziel steht aber der schriftformgebundenen Auslegung des außerordentlichen Kündigungsrechts in § 11 Abs. 2 WBVG nicht im Wege. Die Verbraucher verlieren durch das Schriftformerfordernis weder ihr Kündigungsrecht noch wird es materiell in irgendeiner Weise beschnitten. Zwar sieht auch § 120 SGB XI für die Kündigung eines Pflegevertrages keine Schriftform vor. Dies ist allerdings Folge des ihm zugrundeliegenden zivilrechtlichen Dienstvertrages (vgl. BGH, Urteil v. 09.06.2011, Az. III ZR 203/10, Rn. 16 ff.). Im Dienstvertragsrecht ist die Kündigungserklärung grundsätzlich nicht an die Schriftform gebunden. Die Möglichkeit des Probewohnens wird durch die Schriftform der außerordentlichen Kündigung jedenfalls nicht berührt.

(3) Für das Schriftformerfordernis spricht die bis 30.09.2009 geltende Vorgängerregelung in § 8 Abs. 2 des Heimgesetzes. In dieser war zwar noch kein zweiwöchiges außerordentliches Kündigungsrecht vorgesehen. Allerdings sah § 8 Abs. 2 S. 3 HeimG die Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist vor. Dass sich das Schriftformerfordernis aus Art. 8 Abs. 2 S.1 HeimG auch darauf erstreckte, ergibt sich aus dem unmittelbaren Regelungszusammenhang der Vorschriften in einem gemeinsamen Absatz.

Nachdem die Regelungen in den Sätzen 1 – 3 des zweiten Absatz von § 8 HeimG ausweislich ihres Wort- und Regelungsgehaltes für die Absätze 1 -3 des § 11 WBVG als Vorlage genutzt wurden, kann im Hinblick auf das völlige Schweigen der Gesetzesbegründung zur Frage des Formerfordernisses der außerordentlichen Kündigung, allein aus deren Aufteilung in verschiedene Absätze in § 11 WBVG nicht darauf geschlossen werden, dass der Gesetzgeber von der Schriftform der Kündigung aus wichtigem Grund abrücken wollte (a.A. Weidenkaff, in: Palandt, 76. Auflage 2017, § 11 WBVG, Rn. 3). Wenn aber die Kündigung aus wichtigem Grund nach § 11 Abs. 3 WBVG dem Schriftformerfordernis unterliegt, dann muss dies ebenfalls für die außerordentliche Kündigung nach § 11 Abs. 2 WBVG gelten.

(4) Für das Schriftformerfordernis spricht schließlich auch, dass der Gesetzgeber mit dem WBVG eine stärkere Ausrichtung an den Grundsätzen des allgemeinen Zivilrechtes erreichen wollte (BT-Drs. aaO., S. 10). Die Auslegung von § 11 WBVG dahingehend, dass sich das Schriftformerfordernis nur auf die ordentliche Kündigung bezieht, nicht jedoch auf die außerordentliche Kündigung und nicht auf die Kündigung aus wichtigem Grund, liefe nun genau auf das Gegenteil dieser gesetzgeberischen Intention hinaus. Sie ist der Systematik des deutschen Zivilrechts fremd. Es gibt keinen einzigen anderen Fall, in welchem zwar die ordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses der Schriftform unterliegt, nicht jedoch dessen außerordentliche Kündigung. So sind beispielsweise die Kündigungserklärungen, gleich ob ordentlich oder außerordentlich, im Miet- und Arbeitsrecht grundsätzlich der Schriftform unterworfen, im Dienst- und Darlehensvertragsrecht dagegen aber grundsätzlich nicht.

b) Die Berufung dringt auch nicht durch soweit sie rügt, dass das Amtsgericht die Vereinbarung einer Telefonmiete zu Unrecht als zugestanden behandelt habe. In der Klageschrift wird auf Seite 4 vorgetragen, dass der Beklagten vereinbarungsgemäß am 04.02.14 auf Wunsch ihrer Betreuerin ein Telefon für einen täglichen Grundbetrag von 1,50 Euro zur Verfügung gestellt wurde. Diese Darlegung ist hinreichend konkret, um einfaches Bestreiten zu ermöglichen. Die Beklagte hat aber weder den Abschluss einer Vereinbarung zwischen der Betreuerin und der Klägerin, noch den Inhalt der Vereinbarung konkret bestritten. Der Vortrag der Beklagten beschränkt sich auf Seite 4 der Klageerwiderung vom 23.11.2015 (Bl. 20 d.A.) und im Schriftsatz vom15.01.2016 (Bl. 32 d.A.) darauf zu bestreiten, dass ein Telefon zur Verfügung gestellt wurde, es freigeschaltet wurde und die Beklagte über die Kosten aufgeklärt wurde.

c) Der Beklagten steht schließlich auch kein Zurückbehaltungsrecht zu, weil die Rechnung vom 22.07.14 an die ehemalige Betreuerin adressiert war. Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist das Stellen einer Rechnung keine Fälligkeitsvoraussetzung (vgl. § 286 Abs. 3 BGB). Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob der Heimvertrag vorliegend als Nebenpflicht die Klägerin zur Erteilung einer Rechnung verpflichtet. Denn selbst wenn man von einem entsprechenden Anspruch der Beklagten ausgeht, konnte diese anhand der ihr zugegangenen Rechnung den Anspruch der Klägerin hinreichend nachprüfen. Die Erstellung einer Rechnung ist kein Selbstzweck, sondern soll es dem Schuldner ermöglichen, die Berechtigung der Forderung anhand der einzelnen Ansätze zu beurteilen. Aus der Rechnung vom 22.07.2014 ergeben sich sowohl die von der Klägerin erbrachten Leistungen als auch die jeweiligen Leistungszeiträume. Der Umstand, dass die Rechnung noch an die mittlerweile nicht mehr bestellte Betreuerin adressiert war, tut ihrer Prüffähigkeit keinen Abbruch.

Können wir Ihnen in einem ähnlichen Fall behilflich sein? Vereinbaren Sie einen Termin unter 02732 791079 oder fordern Sie unsere Ersteinschätzung online an.

3.

Im Hinblick auf die offensichtlich nicht bestehenden Erfolgsaussichten des Berufungsvorbringens empfiehlt die Kammer zu prüfen, ob die Berufung weiter aufrechterhalten wird. Auf die mit einer Rücknahme der Berufung verbundene Kostenersparnis durch Reduktion von vier auf zwei Gerichtsgebühren wird hingewiesen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Soforthilfe vom Anwalt!

Jetzt Hilfe vom Anwalt!

Rufen Sie uns an um einen Beratungstermin zu vereinbaren oder nutzen Sie unser Kontaktformular für eine unverbindliche Beratungsanfrage bzw. Ersteinschätzung.

Ratgeber und hilfreiche Tipps unserer Experten.

Lesen Sie weitere interessante Urteile.

Unsere Kontaktinformationen.

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Hier finden Sie uns!

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

zum Kontaktformular

Ersteinschätzungen nur auf schriftliche Anfrage per Anfrageformular.

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Über uns

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!

Das sagen Kunden über uns
Unsere Social Media Kanäle

 

Termin vereinbaren

02732 791079

Bürozeiten:
Mo-Fr: 08:00 – 18:00 Uhr

Kundenbewertungen & Erfahrungen zu Rechtsanwälte Kotz. Mehr Infos anzeigen.

Ersteinschätzung

Wir analysieren für Sie Ihre aktuelle rechtliche Situation und individuellen Bedürfnisse. Dabei zeigen wir Ihnen auf, wie in Ihren Fall sinnvoll, effizient und möglichst kostengünstig vorzugehen ist.

Fragen Sie jetzt unverbindlich nach unsere Ersteinschätzung und erhalten Sie vorab eine Abschätzung der voraussichtlichen Kosten einer ausführlichen Beratung oder rechtssichere Auskunft.

Aktuelles Jobangebot

Juristische Mitarbeiter (M/W/D)
als Minijob, Midi-Job oder in Vollzeit.

mehr Infos