Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 3 U 8/18 – Urteil vom 16.04.2019
1. Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten gegen das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Neuruppin vom 22.12.2017, Az. 1 O 143/14, werden auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Neuruppin ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
3. Der Berufungsstreitwert beträgt 91.046,74 €.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Haftung der Beklagten für die bei der Klägerin eingetretenen Folgen der Beißattacke eines zwischenzeitlich eingeschläferten Hundes.
Die damals 63jährige Klägerin wurde am … 2013 auf dem Gelände des Beklagten zu 2 mehrfach in die Unterarme und den linken Unterschenkel gebissen, als die Beklagte zu 1 ihr das in ihrem Eigentum stehende Tier vorführte. Der Beklagten zu 1 war zuvor von der Stadt … mit Bescheid vom 12.06.2013 die Haltung des Hundes, eines Rottweiler-Rüden, nach mehreren Beißattacken und einem negativ verlaufenen Wesenstest des Tieres untersagt worden; die Beklagte zu 1 hatte das Tier daraufhin bei dem Beklagten zu 2 in Pflege gegeben. Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf das angefochtene Grund- und Teilurteil des Landgerichts Neuruppin vom 22.12.2017 (Bl. 724 ff GA) Bezug genommen.
Die in der Hauptsache auf die Erstattung materieller Schäden, Leistung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden gerichtete Klage hatte im erstinstanzlich entschiedenen Umfang teilweise Erfolg. Das Landgericht hat die Beklagten durch das angefochtene Grund- und Teilurteil unter Bestimmung einer Mitverschuldensquote der Klägerin von 1/3 verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 20.000 € zu zahlen und für alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden der Klägerin aufzukommen; die weitergehenden Schadenersatzansprüche hat es unter Berücksichtigung der genannten Mitverschuldensquote für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt. Wegen der Begründung dieser Entscheidung wird ebenfalls gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf den Urteilsinhalt Bezug genommen.
Gegen das landgerichtliche Urteil richten sich die Berufungen der Parteien.
Die Klägerin wendet sich gegen die Einschätzung des Landgerichts, den eingetretenen Schaden mitverschuldet zu haben, und verlangt ein höheres, nicht unter 135.543,30 € liegendes, Schmerzensgeld. Sie rügt, die Zivilkammer habe den von ihr vorgetragenen und unter Beweis gestellten Sachverhalt nicht hinreichend zur Kenntnis genommen sowie gewürdigt. Sie habe das Tier vor der Beißattacke gerade nicht gekannt und sei von der Beklagten zu 1 über dessen Gefährlichkeit auch nicht aufgeklärt worden; im Gegenteil habe sich der Hund bei ihrer ersten Annäherung am Vortag des Angriffes unauffällig verhalten und sich sogar streicheln lassen; sie sei lediglich darüber informiert gewesen, dass der Beklagten zu 1 die Haltung untersagt worden sei.
Das Landgericht habe auch, so die Klägerin weiter, das ihr zustehende Schmerzensgeld erheblich zu niedrig bemessen; es habe dabei die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Vorhersehbarkeit, Bestimmbarkeit, Vergleichbarkeit und Angemessenheit von Schmerzensgeldzahlungen nicht beachtet, denen aber die von ihr gewählte Berechnungsmethode gerecht werde.
Die Beklagten vertreten die Auffassung, die Klägerin habe für den bei ihr entstandenen Schaden, soweit bewiesen, wegen eines weit überwiegenden Eigenverschuldens selbst aufzukommen; sie habe sich nach den erstinstanzlichen Feststellungen bewusst und ohne zwingenden Grund in eine gefahrdrohende Situation begeben, die über die normale Tiergefahr hinausgegangen sei, mithin auf eigene Gefahr gehandelt; die Anhörung der Parteien und erstinstanzliche Vernehmung der bei dem Beklagten zu 2 angestellten Zeugin F… habe insbesondere ergeben, dass sie über die von dem Hund etwa aufgrund früherer Beißattacken ausgehenden Gefahren im Bilde war.
Die Beklagte zu 1 beruft sich ergänzend darauf, dass sie nach Übergabe des Tieres in die Obhut des Beklagten zu 2 nicht mehr als dessen Halterin im Sinne von § 833 BGB gelten könne; ihr sei die alleinige Bestimmungsmacht durch die Ordnungsverfügung vom 12.06.2013 entzogen und nach der Unterbringung des Hundes jedenfalls teilweise auf den Beklagten zu 2 übertragen worden, was sich etwa daran zeige, dass die Klägerin und sie von Mitarbeitern des Beklagten zu 2 über den Umgang mit dem Hund umfassend belehrt worden seien.
Der Beklagte zu 2 meint, er hafte nicht für den eingetretenen Schaden, da dieser entstanden sei, als die Beklagte zu 1 als Halterin die Herrschaftsgewalt über das Tier ausgeübt habe; auch habe er seine Verpflichtungen als Tierhüter durch ausreichende organisatorische Maßnahmen und Anweisungen erfüllt; so habe er der Beklagten zu 1 (unstreitig) aufgegeben, den Hund stets angeleint und nur in einem umzäunten Außengelände auszuführen sowie einen Maulkorb tragen zu lassen, und die Einhaltung dieser Weisungen überwacht, ohne dass sich insoweit in der Vergangenheit Beanstandungen ergeben hätten; weitergehender Maßnahmen habe es auch mit Blick auf die früheren Beißvorfälle nicht bedurft, denen nicht vergleichbare Situationen zugrunde gelegen hätten: diese seien zum einen im häuslichen Umfeld (“Revier“) des Tieres erfolgt und hätten sich zum anderen lediglich gegen einen anderen Hund gerichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsbegründungsschriften der Parteien vom 08.03.2018 (Bl. 795 ff GA), 12.04.2018 (Bl. 820 ff GA) und 11.05.2018 (Bl. 836 ff GA) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Teil- und Grundurteils des Landgerichts Neuruppin vom 22.12.2017 zum Az. 1 O 143/14
1. festzustellen, dass die Beklagten zu 1 und 2 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin den zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden aus dem Ereignis vom … 2013, welches sich zugetragen hat auf dem Gelände des Beklagten zu 2 im …-Tierheim, …, …, zu ersetzen, soweit deren Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind;
2. die Beklagten zu 1 und 2 zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 135.543,30 € liegen sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 25.000 € seit dem 08.12.2013;
3. die Klage hinsichtlich des geltend gemachten materiellen Schadens (Klageanträge zu 3 – 6) dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären;
4. die Berufungen der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagten beantragen jeweils, die gegen sie gerichtete Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Neuruppin, Az. 1 O 143/14, abzuweisen.
Im Umfang der Klageabweisung stützen sie die erstinstanzliche Entscheidung.
II.
Die Berufungen sind nicht begründet. Die landgerichtliche Entscheidung ist nicht zu beanstanden. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche, allerdings nur im erkannten Umfang, zu.
1. Die Klägerin beruft sich zu Recht auf eine Haftung der Beklagten aus §§ 833 Satz 1, 249, 251, 253 BGB, hinsichtlich des Beklagten zu 2 in Verbindung mit § 834 BGB.
a. Die Voraussetzungen des § 833 Satz 1 BGB für die Haftung der Beklagten zu 1 als Tierhalterin liegen dem Grunde nach vor. Die Klägerin wurde von dem Hund der Beklagten angefallen und mehrfach gebissen. Infolgedessen zog sie sich erhebliche Verletzungen zu.
Die Beklagte war am … 2013 auch Tierhalterin im Sinne von § 833 BGB. Tierhalter ist, wer die Bestimmungsmacht über das Tier hat, aus eigenem Interesse für die Kosten des Tieres aufkommt, den allgemeinen Wert und Nutzen des Tieres für sich in Anspruch nimmt und das Risiko seines Verlustes trägt (BGH NJW-RR 1988, 655). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Als Indizien für die Bestimmungsmacht über das Tier werden von der Rechtsprechung (RGZ 55, 163 RGZ 62, 79; BGH VersR 1956, 574; OLG Hamm, VersR 1973, 1054 OLG Frankfurt, VersR 1976, 1238) der unmittelbare Besitz und das Eigentum an dem Tier gewertet, ferner Sorge für Obdach, Unterhalt und Versicherung (RGZ 52, 117, 118; BGH LM Nr. 10; OLG Hamm, VersR 1970, 729, 720; LG Aachen, VersR 1991, 356); LG Hanau NJW-RR 2003, 457; OLG Celle, VersR 1979, 161). Wer das Tier, auch für längere Zeit, einem Dritten überlässt, bleibt unter den genannten Voraussetzungen Halter (OLG Saarbrücken NJW-RR 1988, 1492).
Die Beklagte zu 1 war Eigentümerin des Hundes. Ihr war zwar durch Bescheid der zuständigen Stadtverwaltung die Haltung des Tieres untersagt worden. Wie das Landgericht aber richtig ausgeführt hat, wirkte sich diese Verbotsverfügung nicht unmittelbar auf die zivilrechtliche Rechtslage aus; vielmehr kommt es insofern auf die tatsächlichen Verhältnisse im Augenblick der unerlaubten Handlung an. Diese waren indes dadurch geprägt, dass die Beklagte zu 1 mit dem Beklagten zu 2 einen Tierpensionsvertrag geschlossen hatte, worin sich gerade ihre fortbestehende Verantwortung für den Hund zeigt, der bei der Beklagten zu 2 lediglich untergebracht (d.h. im Sinne von §§ 688 ff BGB verwahrt) und dort auf Kosten der Beklagten zu 1 versorgt worden war. Die Beklagte zu 1 war zwar um einen Weiterverkauf bemüht – die Klägerin war eine potentielle Interessentin -, trug aber noch die überwiegende Verantwortung für das Tier, dessen Rückholung aus der Obhut des Beklagten zu 2 ihr jederzeit möglich gewesen wäre und das von ihr versichert worden war. Der Beklagten zu 1 stand insofern auch die letztlich uneingeschränkte Entscheidungshoheit über das Tier zu. Der Beklagte zu 2 war zwar aufgrund der mit ihm eingegangenen Vertragsbeziehungen berechtigt, der Beklagten zu 1 Verhaltensmaßregeln im Umgang mit dem Hund innerhalb seines Geländes zu geben; die Beklagte zu 1 hätte jedoch den mit dem Beklagten zu 2 geschlossenen Tierpflegevertrag jederzeit kündigen und ihren Hund aus der Obhut des Beklagten zu 2 entnehmen können, was unmittelbar (und zivilrechtlich) zunächst keine Sanktionen ausgelöst hätte.
Da § 833 BGB eine Gefährdungshaftung statuiert, kommt es auf ein Verschulden der Beklagten zu 1 insoweit nicht an.
b. Die Haftung des Beklagten zu 2 beruht auf § 834 BGB. Der Beklagte zu 2 hat, ohne selbst Tierhalter zu sein, für die Beklagte zu 1 die Führung und Aufsicht über das Tier durch Vertrag übernommen. Im Zusammenhang mit der Verwahrung des Tieres aufgrund des mit der Beklagten zu 1 geschlossenen Pensionsvertrages ist die Klägerin von dem Hund verletzt worden.
Die Aufsichtsführung über ein Tier übernimmt, wer die allgemeine Gewalt und Aufsicht innehat und selbständig ausübt, d.h. selbständige Entscheidungen über Maßnahmen zur Steuerung der Tiergefahr treffen kann, ohne bereits Tierhalter zu sein (BGH NJW 1987, 949 f). Dies trifft insbesondere für natürliche oder juristische Personen zu, denen das Tier (wie hier) zur Verwahrung oder in Pension übergeben worden ist (vgl. OLG Hamm VersR 1975, 865; OLG Hamm NZV 2007, 143; OLG Hamburg VersR 1965, 1009; OLG Düsseldorf VersR 1976, 197). Der Beklagte zu 2 hatte als Verwahrer die Obhut über den Hund inne und war zu dessen Pflege und Fütterung berufen. Er hatte als Grundstückseigentümer das Hausrecht inne und durfte der Beklagten zu 1 den Umgang mit ihrem Hund betreffende Anweisungen erteilen, solange sich beide auf seinem Gelände aufhielten. Entsprechende Maßnahmen zur Steuerung der Tiergefahr hatte er nach eigenen Darlegungen auch getroffen, nämlich vor allem die Beklagte zu 1 über den Umgang mit dem Tier in seiner Einrichtung belehrt, sie in diesem Umfang angewiesen und die Einhaltung der gemachten Vorgaben zunächst überwacht. Umfassend eigenverantwortlich schalten und walten konnte der Beklagte zu 2 dabei aber nicht, hätte die Beklagte zu 1 doch jederzeit ihren Hund aufgrund der zwischen beiden Parteien bestehenden lediglich schuldrechtlichen Beziehungen der Obhut des Beklagten zu 2 entziehen können und unterlag sie dessen Weisungen auch nicht außerhalb dessen Herrschaftsbereiches.
Der Beklagte zu 2 hat sich darüber hinaus nicht im Sinne von § 834 Satz 2 BGB entlastet. Die entsprechenden Ausführungen in dem angegriffenen landgerichtlichen Urteil (dort: Bl. 8 – 9 UA) treffen zu, weshalb zunächst auf sie Bezug genommen werden kann.
Welche Anforderungen an die verkehrserforderliche Sorgfalt nach § 834 Satz 2 BGB zu stellen sind, richtet sich nach den Umständen des Falles, insbesondere dem Ausmaß der von dem Tier nach seiner Gattung, seinen besonderen Eigenarten und der konkreten Situation ausgehenden Gefahr (BGH NJW-RR 2005, 1183; BGH NJW 1986, 2501). Es sind die allgemein üblichen und im Verkehr für ausreichend erachteten Sicherungsmaßregeln einzuhalten, d.h. es ist zu fragen, wie sich ein durchschnittlich gewissenhafter Tieraufseher unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände normalerweise verhalten hätte (OLG München r + s 2010, 434). Gerade mit Blick auf als aggressiv bekannte Hunde bestehen insofern allerdings strenge Sorgfaltsanforderungen (OLG Karlsruhe VersR 2001, 724).
Der Beklagte zu 2 hat sich nicht dementsprechend entlasten können. Die bei ihm angestellte Zeugin H… hat in ihrer erstinstanzlichen Vernehmung vom 09.02.2015 zwar bekundet, das Tier am Ereignistag im Beisein ihrer Kollegin F… angeleint, mit Maulkorb versehen und der Beklagten zu 1 übergeben zu haben, wobei sie davon ausging, dass der weitere Ablauf wie bei deren früheren Besuchen sein würde, d.h. der Hund von der Beklagten zu 1 gefüttert und mit ihm dann nach Wiederanlegen des Maulkorbes in Anwesenheit der Halterin gespielt werden würde. Das Vorstandsmitglied F… des Beklagten zu 2 hat ergänzend angegeben, die Beklagte zu 1 nach Aufnahme des Tieres dahingehend instruiert zu haben, dass dieses im Zwinger und den Außenanlagen stets angeleint bleiben und mit einem Maulkorb versehen sein müsse. Die Zeugin H… hat es aber gerade am Ereignistag unterlassen, den weiteren Ablauf der Geschehnisse zu überwachen, wozu vor allem deshalb Veranlassung bestand, weil der Hund die Klägerin erst einmal kurz kennengelernt hatte, so dass beide nicht weiter miteinander vertraut waren. Die Zeugin H… konnte sich auch nicht darauf verlassen, dass „schon nichts passieren werde“, weil der Hund sich während des Kennenlernens friedlich gezeigt und sich sogar im Beisein der Beklagten zu 1 hatte streicheln lassen. Die Aggressivität des Hundes war dort nämlich bekannt: Das Vorstandsmitglied F… hatte nach eigenen erstinstanzlichen Bekundungen im Gerichtstermin vom 09.02.2015 (Bl. 139 ff, 143 GA) vom Inhalt der das Haltungsverbot aussprechenden städtischen Ordnungsverfügung Kenntnis, was sie dem Senat gegenüber im Rahmen ihrer erneuten Anhörung am 19.03.2019 bestätigte. Es hatte insofern zwar lediglich zwei (bekanntgewordene) frühere Beißattacken des Tieres gegeben, diese waren aber von einem nicht unerheblichem Gewicht. Insbesondere war einmal ein Vertreter auf dem Grundstück der Beklagten zu 1 gebissen worden. Die Situation war der streitgegenständlichen durchaus vergleichbar, befand sich das Tier doch in einer vertrauten Umgebung, in die ein Fremder „störend“ eindrang, und hatte sich die Beklagte zu 1 bereits in der Vergangenheit nicht dazu in der Lage gezeigt, ihrer Aufsichtspflicht hinreichend nachzukommen, dem Hund also den Maulkorb sachgemäß anzulegen und ggf. zu bändigen; noch dazu war dem Rottweiler am Ereignistag der Maulkorb zur Fütterung wieder abgenommen worden, woraus sich zusätzliche Unwägbarkeiten und Gefahren ergaben. Vor diesem Hintergrund bestand keine Veranlassung, die übrigen Parteien sich selbst zu überlassen, ohne sie weiter zu überwachen, um im Gefahrenfalle raschest eingreifen zu können.
2. Die Klägerin trifft allerdings ein nicht unerhebliches Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB), das auch der Senat mit einer Haftungsquote von 1/3 bewertet.
Der Klägerin ist ein erhebliches Maß an Selbstgefährdung vorzuwerfen. Die erneute Anhörung der Parteien durch den Senat hat dies bestätigt. Bereits das erstinstanzliche Sitzungsprotokoll vom 09.02.2015 weist aus, dass die Klägerin selbst im Gerichtstermin vom 09.02.2015 dargelegt hatte, über die von dem Hund ausgehenden Gefahren im Vorfeld der Kontaktaufnahme informiert gewesen zu sein und vor allem davon gewusst zu haben, dass der Rottweiler schon einmal jemand gebissen hatte (Bl. 4 des Protokolls, Bl. 142 GA). Dies kann sie zum einen nicht dadurch relativieren, dass dieser Vorfall auf dem Hof der Beklagten zu 1 stattgefunden hatte. Im Gegenteil bestand für sie danach erst recht Veranlassung zu allergrößter Vorsicht, zumal ihr das Tier bis zum Vortag des streitgegenständlichen Geschehens völlig unbekannt gewesen war. Wenn sie zum anderen im Senatstermin vom 19.03.2019, hierzu befragt, erklärte, sie sei erstinstanzlich missverstanden und ihre tatsächlichen Angaben am 09.02.2015 unzutreffend protokolliert worden, weil sie stets nur davon gesprochen habe, erst nachträglich etwas über die Gefährlichkeit des Rottweilers erfahren zu haben, glaubt ihr der Senat dies nicht. Das erstinstanzliche Protokoll bietet Beweis für die Vollständigkeit und Richtigkeit seines Inhaltes, § 415 ZPO. Die Klägerin hatte dessen Berichtigung nicht beantragt. Im Übrigen hat auch die Beklagte zu 1 dem Senat gegenüber im Gerichtstermin vom 19.03.2019 glaubhaft bestätigt, die Klägerin vor dem Ereignistag über das Haltungsverbot informiert und ihr von den früheren Beißattacken des Tieres berichtet zu haben, weil es ihr darum gegangen sei, den Hund in gute Hände weiterzuvermitteln, und es für sie selbstverständlich sei, potentielle Käufer entsprechend zu informieren.
Im Weiteren ist zwar davon auszugehen, dass sich das Geschehen am … 2013 wie von der Beklagten zu 1 geschildert ereignet hat, denn die Klägerin hat daran aufgrund des in dieser Situation nachvollziehbar erlittenen Schocks nahezu keine Erinnerungen mehr: Die Beklagte zu 1 hatte demnach dem 40 kg schweren Tier nach der Fütterung den Maulkorb wieder – wenn auch möglicherweise nicht sehr festsitzend – angelegt, die Klägerin sodann in den umzäunten Auslauf des Tierheims gebeten, ihr das angeleinte Tier übergeben und in kurzem Abstand innerhalb des Auslaufes verweilt, als der Rottweiler die Klägerin unvermittelt ansprang, sich in dem Gerangel mit der die Arme schützend vor das Gesicht haltenden Klägerin den Maulkorb, möglicherweise am Zaun, abstreifte und mehrfach immer wieder zubiss, bis es der Beklagten zu 1 gelang, dem Rüden am Halsband ziehend die Luft abzuschnüren, so dass seine Kräfte schließlich erlahmten. Die Klägerin hat sich indes bereits dadurch selbst in Gefahr begeben, dass sie sich auf die ihr zunächst nicht überprüfbare Mitteilung der Beklagten zu 1 verließ, der Maulkorb sei – nach Abschluss der Fütterung – wieder sicher angelegt, so dass sie in den Auslauf treten und das Tier führen könne. Sie hat ferner sogleich das Tier übernommen, ohne dass die Beklagte zu 1 die Führung des Tieres behalten hätte. Dies geschah, obwohl ihr das Tier nahezu fremd war. Hinzu kommt, dass sie von dem Rottweiler als Fremdling innerhalb seines Territoriums angesehen werden konnte, da sie den Auslauf nicht gemeinsam mit der Beklagten zu 1 betrat; dies hätte sie als erfahrene Halterin von Rottweilern, als die sie von der Beklagten zu 1 unwidersprochen geschildert worden ist, jedoch erkennen können. Die Situation war schließlich, wie bereits ausgeführt, nahezu dieselbe, die dem früheren Beißvorfall auf dem Hof der Beklagten zu 1 zugrunde lag. Auch damals hatte sich ein „Eindringling“ in das Revier des Rottweiler-Rüden gewagt, der deshalb sofort angegriffen worden war.
3. Der Klägerin steht ein Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB) in erstinstanzlich tenorierter Höhe zu. Die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts sind nicht zu beanstanden, der Senat schließt sich ihnen an. Die „taggenaue“ Bewertungsmethode, die die Klägerin zur Bemessung des ihr zustehenden Schmerzensgeldes anwendet, wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht verlangt (vgl. BGHZ 18, 149) und kann insofern auch nach Auffassung des Senats keine tragfähige Grundlage bilden, berücksichtigt sie doch insbesondere den Straf- und Sühnecharakter des Schmerzensgeldes nicht und erwächst sie doch dem Irrglauben, jegliche Art und Intensität körperlicher Einschränkungen sowie Schmerzen objektiviert bemessen zu können; es erscheint jedoch fehlsam anzunehmen, aus entsprechenden Vorgaben erwüchse eine größere Einzelfallgerechtigkeit.
Das Schmerzensgeld hat eine doppelte Funktion (BGH r + s 2017, 101): Der Verletzte soll einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten; das Schmerzensgeld soll ihn dazu in die Lage versetzen, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, die die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise ausgleichen. Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld dem Verletzten – insbesondere bei vorsätzlichen und grob fahrlässigen Taten (OLG Saarbrücken NJW-RR 2015, 1115; OLG Naumburg NJW-RR 2008, 407) – Genugtuung für dasjenige verschaffen, das ihm der Schädiger angetan hat (BGH aaO). Für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist es dabei gleichgültig, ob der Schädiger nur nach Gefährdungshaftung oder wegen Verschuldens haftet (OLG Celle NJW 2004, 1185; OLG Saarbrücken NJW 2008, 1166 ff).
Die Bemessung des Schmerzensgeldes hat unter umfassender Berücksichtigung aller maßgeblicher Faktoren zu erfolgen und muss in einem angemessenen Verhältnis zur Art und Dauer der Verletzung stehen: Dabei sind in erster Linie der Grad und das Ausmaß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen (BGH r + s 2017, 101). Schmerzensgeldtabellen stellen dafür ein nach wie vor anerkanntes und für die Bemessung des Schmerzensgeldes letztlich unverzichtbares Hilfsmittel dar. Bei den Bemessungsfaktoren stehen diejenigen Umstände im Vordergrund, die den Verletzten betreffen (Ausmaß, Schwere und Dauer der Verletzung und der Schmerzen, Behandlungsdauer, Verbleiben ggf. dauernder Behinderungen und Entstellungen, Lebensalter des Verletzten, Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit und des Erscheinungsbildes, etwaige besondere Schadensanfälligkeit des Verletzten und eine unangemessene Erlebnisverarbeitung); aber auch Umstände aus der Sphäre des Schädigers können eine Rolle spielen (Grad dessen Verschuldens, ggf. dessen Lebensalter – Kind, Jugendlicher – oder wirtschaftliche Verhältnisse insbesondere bei Vorsatztaten – vgl. BGH r + s 2017, 101 – sowie eine ungebührliche Verzögerung der Schadensregulierung – KG NZV 2007, 301; OLG Dresden DAR 2017, 463; OLG Saarbrücken VersR 2017, 698; OLG München WM 1989, 1481). Das Mitverschulden eines Verletzten ist ein wichtiger Bewertungsfaktor, führt aber nach herrschender Rechtsprechung nicht zu einer quotenmäßigen Begrenzung des Anspruches (BGH WM 1991, 1776). Bei der Abwägung steht das Maß der beiderseitigen Verursachung, nicht das Verschulden im Vordergrund. Auch bei Anwendung von § 254 BGB kann daher in der Regel offen bleiben, ob beiderseits nur aus Gefährdung oder auch aus Verschulden gehaftet wird (Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl. § 253 Rz. 20).
Unter Zugrundelegung dessen erweist sich das vom Landgericht ausgesprochene Schmerzensgeld insbesondere unter Berücksichtigung von Art und Ausmaß der bei der Klägerin sachverständig festgestellten Verletzungen und Verletzungsfolgen, der Behandlungsdauer und der beiderseitigen Verursachungsbeiträge als angemessen. Der Senat macht sich die diesbezüglichen Erwägungen und die Darlegungen zum Verletzungsumfang im erstinstanzlichen Urteil, gegen die die Parteien im Berufungsrechtszug auch keine Einwände erhoben haben, mit der Maßgabe zu Eigen (Bl. 11 – 13 UA), dass das Mitverschulden der Klägerin eine Reduzierung des der Klägerin zustehenden Schmerzensgeldbetrages auf 20.000 € rechtfertigt, ohne dass jedoch insofern schematisch eine Quotelung vorzunehmen wäre; die vorliegend eingetretenen Verletzungen und Verletzungsfolgen sind weitgehend vergleichbar mit denen, die im Rahmen der Entscheidung des OLG Köln vom 25.05.2011 – 5 U 174/08 – (in: VersR 2012, 239) maßgeblich waren und dort – ohne Mitverschulden des Geschädigten – zur Zuerkennung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 25.000 € geführt haben.
Ergänzend ist lediglich Folgendes zu berücksichtigen: Das OLG Köln hat einem nach Mittelhandbruch aufgrund ärztlichen Behandlungsfehlers im Bereich der Gelenke von vier Langfingern dauerhaft hochgradig eingeschränkten 44jährigen Frau mit Urteil vom 13.03.2013 – 5 U 88/12 – ein Schmerzensgeld von 15.000 € zuerkannt (VersR 2014, 1093 f), wobei Behandlungsdauer und -umfang jedoch deutlich geringer waren als vorliegend. Das LG Dortmund – 5 O 69/00 – hat einer durch Hundebissverletzungen geschädigten Klägerin, die ohne Mitverschulden mehrere nur oberflächliche Bissmarken davontrug, jedoch eine sog. Sudecksche Dystrophie entwickelte, mehr als ein Jahr lang deswegen immer wieder stationär behandelt werden musste, zehn Monate lang zu 100 % arbeitsunfähig war und dauerhaft zu 35 % in der Erwerbsfähigkeit und Haushaltsführung eingeschränkt blieb, mit Urteil vom 11.09.2002 ein Schmerzensgeld von insgesamt 15.000 € zugesprochen (zitiert nach juris). Im Falle fortwirkender Beeinträchtigung der gesamten Lebensführung, jedoch eines Mitverschuldensanteils von 60 %, sprach das OLG Celle der insofern durch Hundebiss Geschädigten mit Urteil vom 17.03.2014 – 20 U 60/13 – (r + s 2014, 524 f) ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000 € zu (zitiert nach juris). Das OLG Brandenburg hielt gemäß Beschluss vom 30.09.2010 – 12 W 28/10 – bei einer durch Bisswunden im Bereich der Brust, einer Mittelhandfraktur, Frakturen der Großzehe und einer Schlüsselbeinfraktur sowie Brüchen des Joch- und Schläfenbeins durch vorsätzliche Gewalttaten innerhalb der Ehe zunächst lebensbedrohlich verletzten Frau unter maßgeblicher Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes ein solches von insgesamt 35.000 € für angemessen.
Diese Entscheidungen können auch fallbezogen eine ungefähre Bemessungsgrundlage abgeben. Der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes spielt hier allerdings keine tragende Rolle, weil den Beklagten kein vorsätzliches Verhalten, insbesondere keine diesbezügliche Straftat, vorzuwerfen ist. Mit Blick auf die Entscheidung des OLG Köln vom 13.03.2013 sind vorliegend abweichend die psychischen Erkrankungen der Klägerin zusätzlich zu berücksichtigen, gegenüber der Entscheidung des LG Dortmund im Wesentlichen der erhebliche Zeitablauf und die zwischenzeitlich stattgefundene Geldentwertung und im Vergleich zu der vom OLG Celle getroffenen Entscheidung maßgeblich der geringere Mitverschuldensanteil der Klägerin sowie die erheblicheren Verletzungsfolgen.
Es verbleibt danach bei einem der Klägerin zuzubilligenden Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 €.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
5. Der Berufungsstreitwert (91.046,74 €) errechnet sich wie folgt:
– Feststellungsantrag: 10.000 €, geschätzt,
– Schmerzensgeldantrag: 30.000 €,
– Haushaltsführungsschaden: 36.048 €,
– Erwerbsschaden (entgangener Gewinn): 13.323,10 €,
– materieller Schadenersatz: 1.465 € zzgl. 301,64 €.
Dabei entspricht der Streitwert des Grundurteils der Höhe der geltend gemachten Klageforderung, vgl. BGH NJW 2010, 681.
6. Die Revision war nicht zuzulassen, weil entgegen § 543 Abs. 2 ZPO weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes erfordern. Der Senat hat seine Entscheidung unter Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung getroffen, wobei die zugrunde liegenden Rechtsfragen bereits abschließend geklärt sind.