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Haftung des Hundehalters wegen Hundebiss

OLG Celle

Az.: 20 U 38/11

Urteil vom 11.06.2012


Leitsatz (vom Verfasser – nicht amtlich):

Ein Tierhalter haftet für Schäden und/oder Verletzungen bei Dritten, wenn diese durch ein typisches Verhalten seines Tieres verursacht werden (z.B. bei Bedrohung oder aus Angst reagieren Hunde typischerweise mit Beißen oder Schnappen – hierfür haftet der jeweilige Hundehalter). Der Tierhalter haftet sogar dann für die von seinem Tier verursachten Schäden und/oder Verletzungen, wenn er selbst nicht vor Ort ist und sich sein Tier in der Obhut einer anderen Person befindet (z.B. wenn das Tier in Abwesenheit des Tierhalters vom Tierarzt behandelt wird). Ein Tierarzt, der ein Tier im Auftrag des Tierhalters medizinisch versorgt, handelt nicht auf eigene Gefahr, sondern zur Erfüllung eines Behandlungsvertrages mit dem Tierhalter, so dass der Tierhalter auch für Verletzungen des Tierarztes durch sein Tier haften muss.


Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17. Oktober 2011 verkündete Grund- und Teilurteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover (Geschäftsnummer: 19 O 348/07) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1) und 3) dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 50 % gerechtfertigt.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 50 % aller materiellen und – soweit nicht vorhersehbar – weiteren immateriellen Zukunftsschäden aus Anlass des Hundebisses vom … zu ersetzen, soweit kein öffentlich-rechtlicher Forderungsübergang stattfindet.

3. Die weitergehende Feststellungsklage wird abgewiesen.

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Im Übrigen werden die Berufungen des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Dieses Urteil ist vorläufig vorstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf-grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von

110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 115.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Einstandspflicht für materielle und zukünftige immaterielle Schäden aus Tierhalterhaftung in Anspruch.

Der Kläger ist Tierarzt. Die Beklagte war Halterin eines Schäferhundes, der bereits mehrfach in der Kleintierklinik des Klägers behandelt worden war. Im Rahmen einer stationären Behandlung des Hundes am … wurde eine Rektoskopie in Allgemeinnarkose vorgenommen. Bei der anschließenden Umlagerung des aus der Narkose erwachenden Hundes beugte sich die angestellte Tierärztin des Klägers, die Zeugin …, über diesen und wurde in beide Unterarme gebissen. Sie schrie auf und verließ den Aufwachraum. Nachdem der Kläger den Aufwachraum betreten und sich über den Hund gebeugt hatte, wurde auch er in seine rechte Hand gebissen.

Der Kläger hat behauptet, der Schäferhund der Beklagten sei plötzlich hochgefahren und habe die Zeugin … unmotiviert in beide Unterarme gebissen. Die Zeugin sei ihm auf dem Gang entgegengekommen, habe aber nicht mitgeteilt, was passiert war. Der Aufschrei habe ihm signalisiert, dass es zu einem postoperativen Zwischenfall gekommen sein könne, weswegen er unverzüglich die Vitalfunktionen des Hundes habe überprüfen müssen. Als er den Aufwachraum betreten habe, habe der Hund zunächst flach auf der Erde gelegen, sich dann jedoch aufgerichtet und ihn unmotiviert in seine rechte Hand gebissen.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 15.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 16. Juni 2007 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte dem Kläger alle materiellen und, soweit nicht vorhersehbar, weiteren immateriellen Zukunftsschaden aus Anlass des Hundebisses vom … zu ersetzen hat, soweit kein öffentlich-rechtlicher Forderungsübergang stattfindet;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.578,14 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 16. Juni 2007 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat den Unfallhergang mit Nichtwissen bestritten.

Das Landgericht Hannover hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Klage mit Grund- und Teilurteil vom 17. Oktober 2011 (Geschäftsnummer: 19 O 348/07, Bl. 342 d. A.) dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 1/4 für gerechtfertigt erklärt. Die weitergehende Feststellungsklage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht Hannover im Wesentlichen ausgeführt, dass sich in den Bissen die spezifische Tiergefahr verwirklicht habe und dass eine Haftung der Beklagten nicht aufgrund des Schutzzwecks des § 833 BGB oder der Rechtsfigur des Handelns auf eigene Gefahr ausgeschlossen sei. Allerdings müsse sich der Kläger ein Mitverschulden von 25 % anrechnen lassen, weil er sich nicht bei der Zeugin … erkundigt habe, was geschehen sei, bevor er den Aufwachraum betreten habe.

Gegen dieses Grund- und Teilurteil richten sich die wechselseitigen Berufungen des Klägers und der Beklagten.

Der Kläger behauptet, die Zeugin … habe aufgrund der Bisse eine retrograde Amnesie erlitten, so dass sie von einer Bissverletzung durch den Hund ohnehin nicht hätte berichten können. Er habe in den Risikobereich des Gebisses kommen müssen, um Atemnotgefahren wegen einer etwaigen Verlegung der Zunge des Hundes abzuwenden. Mit einem Biss des Hundes habe er nicht rechnen müssen. Er ist der Ansicht, dass ihm kein Mitverschulden anzulasten sei.

Der Kläger beantragt, das am 17.Oktober 2011 verkündete Grund- und Teilurteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover teilweise, nämlich soweit zum Nachteil des Klägers erkannt, abzuändern und unter Wegfall jeglicher Mithaftungsquote des Klägers wie folgt neu zu fassen:

1. Die Klage ist hinsichtlich der Klageanträge zu 1. und 3. nach gerechtfertigt.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen, und soweit nicht vorhersehbar, weiteren immateriellen Zukunftsschadens aus Anlass des Hundebisses vom … zu ersetzen, soweit ein öffentlich-rechtlicher Forderungsübergang nicht stattfindet.

Die Beklagte beantragt,

1. das angefochtene Urteil des Landgerichts Hannover vom 17. Oktober 2011 teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen;

2. hilfsweise, das angefochtene Urteil mit dem zugrunde liegenden Verfahren aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Hannover zurückzuverweisen.

Die Beklagte behauptet, dass sich aufgrund der teilweisen Narkotisierung des Hundes nicht die Tiergefahr verwirklicht habe. Sie ist der Ansicht, eine Haftung komme aufgrund der tatsächlichen Herrschaftsgewalt des Klägers über den Hund nicht in Betracht. Schließlich meint sie, der Mitverursachungsanteil des Klägers sei mit 25 % zu gering bemessen. Das grob fahrlässige Verhalten des Klägers rechtfertige einen vollständigen Haftungsausschluss.

Gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet, die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat die Einstandspflicht der Beklagten als Tierhalterin zu Recht bejaht. Der Kläger hat wegen des Hundebisses dem Grunde nach Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus § 833 S. 1 i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB. Der Senat ist unter Berücksichtigung aller Umstände zu der Überzeugung gelangt, dass das Mitverschulden des Klägers 50 % bemisst.

Im Einzelnen:

1.

a) In dem Schadensereignis hat sich die von dem behandelten Hund ausgehende spezifische Tiergefahr verwirklicht. Eine typische Tiergefahr äußert sich in einem der tierischen Natur entsprechenden willkürlichen, unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres (BGH, NJW-RR 2006, 813, 814 m. w. N.). Auf Bedrohung oder aus Angst reagieren Hunde entsprechend ihrer Natur typischerweise mit Beißen oder Schnappen.

b) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen, die der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, steht die Tatsache, dass der Schäferhund der Beklagten sich noch in der Aufwachphase und damit unter dem Einfluss von Medikamenten befand, der Verwirklichung der Tiergefahr nicht entgegen. In der Rechtsprechung wird ein willkürliches, auf der Triebkonstellation beruhendes Verhalten des Tieres dann verneint, wenn auf den Körper oder auf die Sinne des Tieres ein äußeres Ereignis mit übermäßiger Gewalt derart einwirkt, dass ihm gar keine Freiheit gelassen wird, sich anders zu verhalten (vgl. BGH, NJW-RR 1990, 789 m.w.N.), oder die Verletzung durch eine „reine Reaktion im Unterbewusstsein“ herbeigeführt wird, etwa indem sich ein in Vollnarkose gelegter Hund aufbäumt und durch diese nicht bewusst gesteuerte Bewegung mit den Zähnen des geöffneten Fangs den behandelnden Tierarzt verletzt (OLG München, VersR 1978, 334).

Der vorliegende Fall liegt anders. Nach den Angaben des Sachverständigen war der Hund zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Bisses nicht völlig ohne Bewusstsein (Bl. 333 ff., 347 d. A.). Auch wenn die innere Steuerung noch durch die Medikation beeinflusst war, reagierte er bereits auf Reize aus der Umgebung. Es kommt nach den Angaben des Sachverständigen, die das Landgericht seinen Ausführungen rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt hat, häufiger vor, dass ein Hund in der Aufwachphase – auch ohne konkrete Berührungsreize – außergewöhnlich reagiert (Bl. 334 d. A.). Selbst wenn der unvermittelt erfolgte Hundebiss damit nicht auf einem aggressiven Verhaltens des Hundes beruhte, sondern möglicherweise Folge des Einflusses der Narkose auf das Gehirn war (Sachverständigengutachten vom 26.07.2010, S. 3, III.1), spricht dies aufgrund des von innen gesteuerten Verhaltens des Hundes nicht gegen die Annahme einer Tiergefahr. Vielmehr ist für die Beurteilung der Tiergefahr auch zu berücksichtigen, dass die Narkotisierung die von Hunden drohenden Gefahren wie reflexartiges Beißen verursachen und verstärken kann. Es liegt in der Natur von Hunden, auf Einwirkungen verschiedenster Art in irgendeiner Form zu reagieren. Schädigende Verhaltensweisen werden dadurch gerade hervorgerufen und die tierische Energie mobilisiert. In diesen Fällen verwirklicht sich daher eine Tiergefahr, für deren Folgen der Tierhalter nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung einzustehen hat (vgl. Eberl-Borges, in: Staudinger, BGB-Komm., November 2007, § 833, Rz. 53; Kraft, in: BGB-RGRK, 12. Auflage, § 833, Rz. 22). Weitergehende Feststellungen des Landgerichts waren aufgrund des insoweit eindeutigen, vollständigen und widerspruchsfreien Sachverständigengutachtens nicht erforderlich.

2.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ihre Einstandspflicht aus § 833 Satz 1 BGB nicht ausgeschlossen.

a) Ein Ausschluss der Haftung der Beklagten unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm kommt, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Die Aufnahme eines Tieres in eine Tierklinik rechtfertigt nicht ohne Weiteres die Annahme, dass der Schutzbereich der Gefährdungshaftung aufgrund der tatsächlichen unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeit des Geschädigten und seiner besonderen Sachkunde nicht mehr berührt ist. Vielmehr müssen nach übereinstimmender Rechtsprechung weitere Kriterien hinzutreten. Dies beruht auf dem der Gefährdungshaftung zugrundeliegenden gesetzgeberischen Gedanken, dass derjenige, der im eigenen Interesse eine Gefahrenquelle schafft, für die damit notwendig zusammenhängenden, bei aller Sorgfalt nicht zu vermeidenden Sachbeschädigungen oder Verletzungen Dritter einzustehen hat (BGH, NJW 1974, 234 f.; OLG Nürnberg, NJWE-VHR 1997, 261 f. = VersR 1999, 240). Das Spezifische dieser außerdeliktischen Schadenszurechnung beruht auf der Auferlegung einer sozialen Verantwortung (Einstandspflicht) für ein eigenes Wagnis und dem Zwang für jeden Dritten, das Halten des Tieres und die von ihm ausgehenden Gefahren zu dulden („erlaubtes Risiko“, a. a. O.). Diesem Grundgedanken folgend, entspricht die den Tierhalter treffende Gefährdungshaftung dann nicht mehr einer gerechten Zuweisung des Zufallsschadens, wenn der Geschädigte nicht nur die Herrschaftsgewalt über das Tier übernommen, sondern dies vorwiegend im eigenen Interesse und in Kenntnis der damit verbundenen besonderen Tiergefahr getan hat, so dass sein eigenes Interesse im Verhältnis zum Tierhalter den Gesichtspunkt aufwiegt, dass dieser den Nutzen des Tieres hat (BGH, NJW 1974, 234; OLG Köln, VersR 1982, 559; OLG Celle, VersR 1990, 794).

Übernimmt jedoch der Geschädigte das Tier nicht (nur) im eigenen Interesse, sondern besteht an dieser Übernahme ein – möglicherweise sogar vorrangiges – Interesse des Tierhalters, ist der Schutzbereich der Tierhalterhaftung betroffen und für einen Haftungsausschluss aufgrund des Schutzzwecks der Norm kein Raum, da anderenfalls die Ausgestaltung des § 833 BGB als Gefährdungshaftungstatbestand aufgeweicht würde. Dementsprechend ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes schon bei gleicher Interessenlage von Halter und demjenigen, der das Tier übernimmt, die Haftung des Tierhalters vom Schutzzweck der Norm erfasst (BGH, NJW 1974, 234; NJW 1977, 2158 f.). Die im Einzelfall schwer zu treffende Wertung nach der Interessenlage darf, wenn sie sich nicht ausnahmsweise geradezu aufdrängt, nicht verallgemeinert werden (BGH, NJW 1977, 2158, 2159).

Der Bundesgerichtshof hat bereits früher betreffend den Hufbeschlagvertrag entschieden, dass es in der Regel weder der Interessenlage noch den Erfordernissen von Treu und Glauben entspreche, dass der Hufschmied, der sich der mit dem Hufbeschlag notwendig verbundenen gesteigerten Tiergefahr aussetzen müsse, um seinen Lebensunterhalt zu erwerben, auch die durch die Tiergefahr hervorgerufenen Schadenfolgen auf sich nehme, die das Gesetz dem Tierhalter als dem Urheber der Gefahr anlaste. Zum Wesen des Beschlagvertrages gehöre, dass der Hufschmied sich einer erhöhten Tiergefahr aussetze, nicht aber, dass er den Tierhalter, von dessen Tier die Gefahr ausgehe, von seiner gesetzlichen Haftung für die Schadenfolgen entbinde, die aus der Tiergefahr erwachsen können (BGH, VersR 1968, 797). Nichts anderes kann für den Tierarzt gelten (BGH, VersR 2009, 693). Daher kann nicht angenommen werden, dass das Interesse des Tierarztes an der Erzielung von Einkünften das Interesse des Tierhalters überwiegt, jedenfalls, solange sich nicht eine andere Wertung geradezu aufdrängt (BGH, VersR 1977, 2158).

Der Senat folgt insoweit nicht der Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg, wonach die Behandlung aus gewerblichen Gründen das Interesse des Halters überwiege (OLG Nürnberg, NJWE-RR 1997, 261). Denn diese Auffassung führt zu einer zu weitgehenden Aufweichung der Gefährdungshaftung zu Lasten sämtlicher Berufsgruppen, die nicht ausschließlich aus altruistischen Gründen mit Tieren umgehen.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger den Hund der Beklagten zum Zweck der Erfüllung des Behandlungsvertrages in seine Klinik aufgenommen und behandelt. Ein weitergehendes Interesse bestand seinerseits nicht. Die Behandlung diente dagegen aus Sicht der Beklagten dazu, den Hund untersuchen und gegebenenfalls therapieren zu lassen, um seine Gesundheit zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Dieser Zweck lag allein im Interesse der Beklagten als Halterin. Damit lag im Verhältnis zur Beklagten kein Interesse des Klägers vor, das geeignet wäre, ihren aus der Haltung des Hundes folgenden Nutzen aufzuwiegen oder gar zu überwiegen. Die Beklagte kann daher mit dem Einwand, es läge ein die Haftung der Beklagten ausschließender Ausnahmefall vor, nicht durchdringen.

b) Ein Haftungsausschluss ist auch nicht wegen der durch den Kläger ausgeübten Herrschaft über das Tier anzunehmen. Soweit in der Rechtsprechung zum Teil berücksichtigt wird, ob der Tierhalter die Möglichkeit eigener Einflussnahme auf das Tier hatte (OLG Nürnberg, VersR 1999, 240), kann dem nicht gefolgt werden. Denn die Berücksichtigung der Möglichkeit eigener Einflussnahme stellt sich bereits gesetzessystematisch als Verstoß gegen die Ausgestaltung der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung und nicht als Verschuldenshaftung dar. Darüber hinaus ist das Kriterium zur Begründung einer Haftungsbeschränkung im Rahmen des § 833 BGB nicht geeignet, weil es in den Fällen der vorliegenden Art irrelevant ist, ob der Tierhalter zugegen ist. Denn eine Möglichkeit der Einflussnahme ist nie gegeben, wenn das Tier reflexartig zubeißt. Es handelt sich dann nicht um ein durch den Tierhalter oder andere Personen beeinflussbares Verhalten, so dass es auf die Frage, wer aufgrund der Herrschaft hätte Einfluss auf das Tier nehmen können, nicht ankommen kann (so auch OLG Hamm, Urteil vom 06.06.2008 – 9 U 229/07 – zitiert nach juris).

c) Die Entscheidung des Landgerichts stellt sich auch insoweit als rechtsfehlerfrei dar, als es einen Haftungsausschluss wegen Handelns des Klägers auf eigene Gefahr abgelehnt hat. Der Bundesgerichtshof hat einen Ausschluss der Haftung nur für Ausnahmefälle erwogen, in denen sich der Geschädigte bewusst einer besonderen Gefahr ausgesetzt hat, die über das normalerweise bestehende Maß hinausgeht, etwa weil das Tier erkennbar böse ist oder der Geschädigte sich mit dem Tier in eine gefahrerhöhende Situation begibt (BGH, NJW 1992, 907; NJW-RR 2006, 813, 814). In solchen Fällen würde die Geltendmachung eines Anspruches aus Tierhalterhaftung einen Verstoß gegen Treu und Glauben und das sich hieraus ergebende Verbot widersprüchlichen Verhaltens darstellen (BGH, a. a. O.). Eine Beschränkung der Haftung wegen Handelns auf eigene Gefahr kann demnach nur in Betracht kommen, wenn sich der Geschädigte in Kenntnis der besonderen Umstände in eine Situation drohender Selbstgefährdung begeben hat, ohne dass dafür ein triftiger – rechtlicher, beruflicher oder sittlicher – Grund vorlag (BGH, VersR 2009, 693 m. w. N.). Nähert sich der Geschädigte aber aus beruflichen Gründen im Interesse des Tierhalters und mit dessen Billigung dem Tier, kann sein Handeln nicht rechtlich in ungefährliche Handlungen auf Gefahr des Tierhalters und in gefährliche Handlungen auf Gefahr des Handelnden aufgeteilt werden (BGH, a. a. O.). Folglich handelt ein Tierarzt, der ein Tier im Auftrag des Halters medizinisch versorgt, nicht auf eigene Gefahr, sondern setzt sich der Tiergefahr mit triftigem Grund, nämlich zur Erfüllung des Behandlungsvertrages, aus (BGH, a. a. O.). Ein widersprüchliches Verhalten ist hierin nicht zu erblicken, weil sich der Tierarzt zur Erfüllung des Vertrages den Tiergefahren aussetzen muss, so dass die Einstandspflicht des Tierhalters für die entstandenen Schäden gemäß § 833 S. 1 BGB in diesen Fällen gerechtfertigt ist.

3.

Der Kläger muss sich aber ein anspruchsminderndes Mitverschulden in Höhe von 50 % nach § 254 Abs. 1 BGB entgegen halten lassen. Der Kläger hat eine Situation erhöhter Verletzungsgefahr herbeigeführt und konnte diese Gefahr auch erkennen und vermeiden. Hinsichtlich des Verletzungsbeitrags ist ein strenger Maßstab anzulegen, wenn der Geschädigte selbst – etwa wie vorliegend als Tierarzt – unmittelbar auf das Tier einwirken konnte und aufgrund seiner Berufstätigkeit mit besonderen Risiken vertraut ist (vgl. BGH, NJW 1982, 763).

Für ein die Haftung minderndes Mitverschulden des Geschädigten ist nach allgemeinen Grundsätzen der Schädiger darlegungs- und beweisbelastet, im Anwendungsbereich des § 833 S. 1 BGB also der Tierhalter. Da es der Beklagten als Halterin des Hundes aufgrund ihrer Abwesenheit während der Behandlung nicht möglich war, zu den Handlungen des Geschädigten qualifiziert vorzutragen, oblag es dem Kläger, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast konkrete Angaben zu seinem Handeln zu machen. Die Berücksichtigung seines diesbezüglichen Vortrags führt zur Annahme eines erheblichen, einen Mitverschuldensanteil von 50 % rechtfertigenden Sorgfaltspflichtverstoßes.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts war es unstreitig der Aufschrei der Zeugin …, der den Kläger veranlasste, im Aufwachraum nach dem Rechten zu sehen (Bl. 199 d. A.). Diesen betrat er, ohne zuvor die ihm im Gang entgegenkommende Zeugin nach dem Grund ihres außergewöhnlichen Aufschreis befragt zu haben. Dort näherte er sich unmittelbar dem Kopf des Hundes und beugte sich über ihn, woraufhin es zu dem Hundebiss kam (Bl. 208 d. A.). In diesem Vorgehen liegt ein erheblicher Verstoß gegen die den Kläger im eigenen Interesse treffende Pflicht, sich vor den von dem in der Aufwachphase befindlichen Hund ausgehenden Gefahren zu schützen. Der Sachverständige hat angegeben, dass ein narkotisierter Hund in der Aufwachphase aufgrund übersteigerter Reflexe außergewöhnlich reagiert. Dies hätte dem Kläger als erfahrenem Tierarzt bekannt sein müssen, selbst wenn er bis dahin solche Erfahrungen nicht persönlich gemacht hatte und eine so heftige Reaktion nach den Ausführungen des Sachverständigen eher selten ist. Der Kläger kann nicht mit dem Einwand gehört werden, eine solche Reaktion sei derart selten, dass er hiermit vernünftigerweise nicht hätte rechnen müssen. Denn er musste aufgrund des vorhergehenden Aufschreis der Zeugin … alarmiert sein und war dies nach eigenen Angaben auch. Er konnte nicht wissen, welche Situation ihn im Aufwachraum erwarten würde. Er hätte daher mit besonderer Vorsicht agieren müssen. Neben den von ihm aufgrund des Aufschreis zunächst in Betracht gezogenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Hundes hätte er zumindest auch mit einer anderweitig atypischen Situation – wie einer Bedrohung durch den Schäferhund – rechnen und sich hierauf einstellen müssen. Sich ohne weitere Vorkehrungen – etwa das Testen der Reaktionen des Hundes durch Berühren an der Kruppe, das der Sachverständige als üblich bezeichnet hat (Bl. 334 d. A.) – umgehend über den Kopf des Tieres zu beugen, war daher in hohem Maße fahrlässig. An dieser Einschätzung ändert auch der Vortrag des Klägers nichts, der Hund habe mit dem Kopf zur Tür gelegen. Denn es ist nicht ersichtlich, warum es dem Kläger nicht hätte möglich sein sollen, gleichwohl von hinten an den Hund heranzutreten oder zunächst aus sicherer Entfernung oder durch das Berühren an ungefährlichen Körperstellen die Reaktion des Tieres zu testen, statt sich direkt über ihn zu beugen und sich damit in den Risikobereich des Gebisses zu begeben.

Da für die Begründung des Mitverschuldensanteils des Klägers nach Auffassung des Senats der Sorgfaltspflichtverstoß durch das Unterlassen von Vorsichtsmaßnahmen maßgeblich ist, konnte dahingestellt bleiben, ob die Zeugin … als Folge der Bisse an einer retrograden Amnesie litt und auf Nachfrage Angaben zum Grund ihres Aufschreis hätte machen können.

Entsprechend war der Berufung der Beklagten teilweise stattzugeben und das Urteil des Landgerichts Hannover teilweise abzuändern. Die Berufung des Klägers war zurückzuweisen. Dem Hilfsantrag der Beklagten auf Zurückverweisung an das Landgericht gemäß § 538 Abs. 2 ZPO war wegen Spruchreife nicht stattzugeben.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Berufung zur Revision nach § 543 Abs. 1 i. V. m. § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO liegen nicht vor, da es ausschließlich um die Bewertung der Umstände eines Einzelfalls geht und die rechtliche Beurteilung des Aufeinandertreffens von Tierhalterhaftung und den berufsspezifischen Risiken eines Tierarztes aufgrund der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, VersR 1968, 797; NJW 1974, 234; NJW 1977, 2158; NJW 1992, 907; NJW-RR 2006, 813; VersR 2009, 693) als geklärt angesehen werden kann.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, 2 GKG.

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