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Instandhaltungsbeschluss Nichtzustimmung – Beschlussanfechtungsklage

BGH

Az: V ZR 202/10

Urteil vom 13.05.2011


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Mai 2011 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 18 des Landgerichts Hamburg vom 1. September 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Im Jahr 2002 wurde Sanierungsbedarf an den Fassaden der beiden zugehörigen Gebäude festgestellt. Im Juli 2008 beschloss die Eigentümerversammlung die Instandsetzung für ca. 45.000 €. Eine nach Beginn der Arbeiten in Auftrag gegebene Begutachtung ergab einen erheblich höheren Sanierungsbedarf. Am 8. September 2008 beschlossen die Wohnungseigentümer die Fortsetzung der Arbeiten und Erhöhung des Budgets auf ca. 65.000 €. Diesen Beschluss erklärte das Amtsgericht rechtskräftig für ungültig, weil die Eigentümer keine Möglichkeit zur Vorbefassung mit dem Gutachten hatten und keine Alternativen zur Sanierung der neu festgestellten Mängel aufgezeigt wurden.

Nach Abschluss der Sanierungsarbeiten an dem ersten Gebäude fassten die Eigentümer in der Versammlung vom 12. Mai 2009 unter anderem drei Beschlüsse, gegen die sich die Klägerin mit der Anfechtungsklage wendet. Zu TOP 3 beschlossen sie, die durchgeführten Arbeiten auf der Grundlage des Beschlusses vom 8. September 2008 zu genehmigen und die Kosten aus der Instandhaltungsrücklage zu finanzieren, zu TOP 4 lehnten sie einen Antrag der Klägerin auf Feststellung der Schäden und Erstellung eines Sanierungskonzepts durch einen anderen Sachverständigen ab und zu TOP 6 beschlossen sie die Fortsetzung der Sanierungsarbeiten an dem zweiten Gebäude sowie die Entnahme des hierfür erforderlichen Betrages von 32.000 € aus der Instandhaltungsrücklage. Einen weiteren im Oktober 2009 gefassten Beschluss über die Fortsetzung der Sanierungsarbeiten an dem zweiten Haus bei einer erneuten Erhöhung des Gesamtbudgets auf nunmehr 87.000 € hat die Klägerin erfolgreich angefochten; über die dagegen gerichtete Berufung der übrigen Wohnungseigentümer ist noch nicht entschieden.

Das Amtsgericht hat die Klage hinsichtlich TOP 3 als unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre im Berufungsrechtszug gestellten Anträge weiter, die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht meint, die Hauptsache habe sich mit der Durchführung der Sanierungsarbeiten während des Rechtsstreits erledigt. Die Berufung sei aus diesem Grund zurückzuweisen, nachdem die Klägerin den Rechtsstreit trotz entsprechenden Hinweises nicht für erledigt erklärt habe. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Fortführung des Rechtsstreits sei entfallen, weil die Beschlüsse keine Auswirkungen mehr hätten. Eine Folgenbeseitigung sei unzumutbar, wenn nicht sogar technisch unmöglich, weil die Sanierung nicht rückgängig gemacht werden könne. In einem späteren Rechtsstreit über Schadensersatzansprüche etwa gegen die Verwaltung könne die Ordnungsmäßigkeit der Beschlüsse inzident geprüft werden. Die Klägerin könne auch nicht verlangen, von ihrer Verpflichtung zur anteiligen Beteiligung an den Sanierungskosten freigestellt zu werden. Ein solcher Anspruch ergebe sich weder aus der direkten noch aus einer entsprechenden Anwendung von § 16 Abs. 6 WEG.

II.

Die Revision hat Erfolg.

1.

Entgegen der seitens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Auffassung ist die Revision uneingeschränkt zugelassen. Allerdings kann sich eine Beschränkung der in der Entscheidungsformel zugelassenen Revision auch aus den Entscheidungsgründen ergeben, wenn sie eindeutig ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Januar 2003 – XII ZR 92/01, BGHZ 153, 358, 360 ff. mwN). Das ist hier nicht der Fall.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, Anlass für die Zulassung sei die Frage der Kostenfreistellung des überstimmten Wohnungseigentümers nach einer erfolgreichen Beschlussanfechtung. Diese Rechtsfrage hat es bei der Prüfung des – im Ergebnis verneinten – Rechtsschutzbedürfnisses erörtert, ohne zwischen den einzelnen angefochtenen Beschlüssen zu differenzieren. Die Annahme, das Berufungsgericht habe die Revision für den Negativbeschluss TOP 4 nicht zulassen wollen, liegt angesichts dessen fern. Zudem steht auch dieser Beschluss in dem Gesamtzusammenhang der streitigen Sanierungsmaßnahmen, an deren Kosten sich die Klägerin nicht beteiligen möchte.

2.

Im Hinblick auf die Anfechtung der Beschlüsse zu TOP 4 und 6 halten die Ausführungen des Berufungsgerichts rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil es die Berufung auch aus seiner Sicht nicht uneingeschränkt zurückweisen durfte. Denn nachdem das Amtsgericht die Klage insoweit durch Sachentscheidung abgewiesen und erst das Berufungsgericht das Rechtsschutzbedürfnis ohne eigene Sachprüfung verneint hat, durfte es die Berufung nur mit der Maßgabe einer Abweisung der Klage als unzulässig zurückweisen. Diese Unterscheidung ist wegen der unterschiedlichen Rechtskraftwirkung insbesondere im Hinblick auf Nichtigkeitsgründe bedeutsam (vgl. Senat, Urteil vom 16. Januar 2009 – V ZR 74/08, BGHZ 179, 230 Rn. 6).

3.

Aber auch die Annahme, das Rechtsschutzschutzbedürfnis sei durch den Vollzug der beschlossenen Maßnahmen entfallen, ist rechtsfehlerhaft. Die Klage ist zulässig.

a)

Über die Auswirkungen des Vollzugs eines Beschlusses auf die Beschlussanfechtungsklage besteht nur im Ausgangspunkt weitgehend Einigkeit. Danach fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Beschluss nicht rückgängig gemacht werden und eine Ungültigerklärung auch sonst keine Auswirkungen mehr haben kann (BayObLG, NZM 1999, 286, 287; NZM 2002, 623; OLG Düsseldorf, NZM 2001, 146; Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 46 Rn. 90, 93; Palandt/Bassenge, BGB, 70. Aufl., § 23 WEG Rn. 18; Staudinger/Bub, BGB [2005], § 23 WEG Rn. 309; Staudinger/Wenzel aaO § 44 WEG Rn. 44; Timme/Elzer, WEG, § 46 Rn. 49 f. jeweils mwN; Bonifacio, ZMR 2010, 163, 164). Verfolgt der Kläger – wie hier – erklärtermaßen nicht das Ziel einer Folgenbeseitigung, sondern will die eigene Belastung mit Kosten verhindern bzw. Schadensersatzansprüche vorbereiten, gehen die Meinungen darüber auseinander, ob der Beschluss noch Auswirkungen haben kann.

Nach einer Ansicht entfällt das Rechtsschutzbedürfnis, weil in einem Schadensersatzprozess inzident geprüft werden könne, ob der Beschluss rechtmäßig sei (OLG München, NZM 2006, 868, 869; ZMR 2007, 139, 140; ZMR 2009, 468, 469 f.; Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 46 Rn. 93). Die Bestandskraft des Beschlusses stehe dem nicht entgegen, weil die Wohnungseigentümer mögliche Ansprüche einzelner Wohnungseigentümer nicht konstitutiv verändern könnten (OLG München, ZMR 2009, 468, 469 f.). Nach der Gegenmeinung bleibt das Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig bestehen (BayObLG, NJW-RR 1992, 1367; ZMR 1994, 279, 280; NZM 2002, 623; OLG Hamm, ZMR 2009, 58, 61; LG Düsseldorf, ZMR 2008, 484, 485; Suilmann in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 46 Rn. 135; Bonifacio, ZMR 2010, 163, 164 ff.; Greiner, Wohnungseigentumsrecht, 2. Aufl., Rn. 1935). Zur Begründung wird überwiegend geltend gemacht, die erfolgreiche Anfechtung habe die Kostenfreistellung des überstimmten Wohnungseigentümers gemäß § 16 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 WEG in direkter oder analoger Anwendung zur Folge. Teilweise wird auch auf die mögliche Bindungswirkung einer Entscheidung über die Anfechtungsklage in weiteren Prozessen verwiesen.

b)

Im Ergebnis ist die zweite Auffassung vorzuziehen. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt in der Regel nicht allein durch den Vollzug des Beschlusses.

aa)

Dieses Ergebnis lässt sich allerdings nicht auf eine Kostenbefreiung des überstimmten Wohnungseigentümers gemäß § 16 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 WEG nach erfolgreicher Anfechtung stützen.

(1)

§ 16 Abs. 6 WEG ist auf Maßnahmen nach § 22 Abs. 1 WEG bezogen und damit auf Maßnahmen der ordnungsgemäßen Instandhaltung und Instandsetzung im Sinne von § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG – wie die hier in Rede stehende Sanierung der schadhaften Fassaden – nicht direkt anwendbar. Für diese gilt die Pflicht zur anteiligen Kostentragung gemäß § 16 Abs. 2 WEG.

(2)

Eine analoge Anwendung von § 16 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 WEG kommt nicht in Betracht. Insoweit wird vertreten, der nicht zustimmende Wohnungseigentümer müsse sich nach erfolgreicher Anfechtung eines Beschlusses in analoger Anwendung dieser Bestimmung an den Kosten einer bereits durchgeführten Maßnahme nicht beteiligen, wenn der Beschluss nicht rückgängig zu machen sei (OLG Hamm, ZMR 2009, 58, 61; Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 27 Rn. 25; Gottschalg, NZM 2001, 113, 116; Timme/Bonifacio, WEG, § 16 Rn. 234). Die Vorschrift sei Ausdruck des Rechtsgedankens, dass derjenige, der einer Kosten auslösenden Maßnahme nicht zustimmen müsse und nicht zustimme, keine Kosten zu übernehmen habe (Gottschalg, NZM 2001, 113, 116). Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Weil § 16 Abs. 2 WEG die gesetzliche Kostenverteilung regelt, fehlt es an einer Regelungslücke. Die Verteilung nach Anteilen ohne Rücksicht auf das Abstimmungsverhalten gemäß § 16 Abs. 2 WEG beruht auf der Entscheidung des Gesetzgebers für das Mehrheitsprinzip und kann nur durch Vereinbarung oder Beschluss unter den in § 16 Abs. 3 und 4 WEG bestimmten Voraussetzungen, nicht aber mittels einer Analogie verändert werden. Im Übrigen unterscheiden sich die Regelungsgegenstände grundlegend, weil bauliche Veränderungen in § 22 Abs. 1 WEG gerade dadurch definiert sind, dass sie über Maßnahmen der ordnungsgemäßen Instandhaltung und Instandsetzung im Sinne von § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG hinausgehen. Wird im Rahmen einer Beschlussanfechtungsklage festgestellt, dass eine Instandsetzungsmaßnahme nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprach, wird sie dadurch nicht – wie die Revision meint – zur baulichen Veränderung (so aber OLG Hamm, ZMR 2009, 58, 61). Eine analoge Anwendung von § 16 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 WEG wäre angesichts der Vielfalt möglicher Anfechtungsgründe auch in der Sache unangemessen. Eine erfolgreiche Anfechtung muss keineswegs zwingend zur Folge haben, dass die durchgeführten Maßnahmen unbrauchbar sind.

bb)

Das Rechtsschutzbedürfnis besteht aber aus anderen Gründen regelmäßig fort. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein Rechtsschutzbedürfnis im Beschlussanfechtungsverfahren im Regelfall nicht zu prüfen ist, weil das Anfechtungsrecht dem Interesse der Gemeinschaft an einer ordnungsgemäßen Verwaltung dient (Senat, Beschluss vom 17. Juli 2003 – V ZB 11/03, BGHZ 156, 19, 22; vgl. auch Urteil vom 15. Januar 2010 – V ZR 114/09, BGHZ 184, 88 Rn. 13). Es entfällt deshalb nur ausnahmsweise, wenn ein Erfolg der Klage den Wohnungseigentümern oder der Gemeinschaft keinen Nutzen mehr bringen kann. Das kann beispielsweise bei Eintritt der Bestandskraft eines inhaltsgleichen Zweitbeschlusses anzunehmen sein (Senat, Urteil vom 19. September 2002 – V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 51 mwN), nicht aber, solange Auswirkungen der Beschlussanfechtung auf Folgeprozesse der Wohnungseigentümer untereinander, gegen den Verwalter oder gegen Dritte nicht sicher auszuschließen sind. Die Zulässigkeitsprüfung darf weder dazu führen, dass die Auswirkungen eines Beschlusses auf nachfolgende Rechtsstreitigkeiten abschließend beurteilt werden, noch darf die Sachentscheidung unter Hinweis auf eine Prüfung des Beschlusses in Folgeprozessen verwehrt werden. Denn ein bestandskräftiger Beschluss schließt jedenfalls den Einwand aus, die Beschlussfassung habe nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen (OLG Hamm, ZMR 2005, 808, 809). Nach einer erfolgreichen Beschlussanfechtungsklage steht unter den Wohnungseigentümern als Folge der Rechtskraft fest, dass der Beschluss nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprach (Bonifacio, ZMR 2010, 163, 165 f.). Das gilt auch für Rechtsstreitigkeiten mit dem Verwalter, auf den sich die Rechtskraft nach ordnungsgemäßer Beiladung gemäß § 48 Abs. 3 WEG erstreckt. Dabei geht es nicht um eine Veränderung von Sekundäransprüchen durch Mehrheitsbeschluss, weil das Ergebnis der Beschlussanfechtungsklage für solche Ansprüche nur mittelbar von Bedeutung sein kann (BayObLG, ZMR 1994, 279, 280).

c)

Gemessen daran ist die Klage hinsichtlich aller Tagesordnungspunkte zulässig.

Die Auslegung der Beschlüsse durch den Senat ergibt, dass die Wohnungseigentümer mit TOP 3 die Sanierung nachträglich genehmigten, um eine Rechtsgrundlage für die Sanierung und ihre Finanzierung aus der Instandhaltungsrücklage zu schaffen, nachdem der vorangegangene Beschluss vom 8. September 2008 für ungültig erklärt worden war. TOP 4 und 6 haben die Fortführung der Sanierungsarbeiten unter Umsetzung des gewählten Sanierungskonzepts zum Gegenstand. Dass TOP 4 einen Negativbeschluss darstellt, lässt das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen (vgl. Senat, Urteil vom 15. Januar 2010 – V ZR 114/09, BGHZ 184, 88 Rn. 13). Allerdings enthalten die Beschlüsse weder eine Anerkennung der Arbeiten als ordnungsgemäß noch einen Verzicht auf Ansprüche gegen den Verwalter oder sonstige Dritte. Sie können dennoch Bedeutung gewinnen, wenn die Wohnungseigentümer untereinander Ansprüche geltend machen oder gegen den Verwalter vorgehen, weil die Beschlüsse die rechtliche Grundlage für die interne Willensbildung der Gemeinschaft hinsichtlich der Fassadensanierung schaffen. Darin unterscheiden sie sich von Beschlüssen über die Genehmigung der Jahresabrechnung, die Regressansprüchen gegen den Verwalter unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt entgegenstehen können (Senat, Urteil vom 4. März 2011 – V ZR 156/10, […] Rn. 8). Ob Sekundäransprüche tatsächlich bestehen, bedarf keiner näheren Prüfung; sie sind schon wegen der ungewöhnlichen Kostensteigerungen und des Erfolgs der bislang erhobenen Beschlussanfechtungsklagen jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen.

III.

Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das sich – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – mit den behaupteten Beschlussmängeln bislang nicht befasst und ausreichende Feststellungen dazu nicht getroffen hat.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Verwalter in diesem Verfahren entgegen § 48 Abs. 1 Satz 2 WEG bislang nicht beigeladen worden ist. Die Zustellung an den Verwalter als Zustellungsvertreter der Wohnungseigentümer ersetzt die Beiladung nicht (Senat, Urteil vom 5. März 2010 – V ZR 62/09, WuM 2010, 256 Rn. 13). Das Berufungsgericht wird sie daher nachzuholen haben.

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