AG Sigmaringen – Az.: 2 C 501/18 – Urteil vom 28.06.2019
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 700,00 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Weise leistet.
Tatbestand
Der Kläger macht aus abgetretenem Recht des Geschädigten … Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 14.10.2017 in Stetten a.k.M. ereignete und an dem der Pkw Ford Ka des Zedenten mit dem amtl. Kennzeichen … und das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug mit dem amtl. Kennzeichen … beteiligt waren.
Der Versicherungsnehmer der Beklagten nahm der klägerischen Fahrzeug die Vorfahrt. Die volle Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig.
Der Kläger wurde von dem nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten mit der Reparatur beauftragt, nachdem ein Sachverständiger die voraussichtlichen Reparaturkosten mit 6.893,49 € errechnet hatte. Die Reparaturkostenrechnung beläuft sich auf 6.980,43 € brutto.
Die Beklagte regulierte vorgerichtlich lediglich 4.953,84 €.
Der Differenzbetrag ist Gegenstand der Klage.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.026,59 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 24.11.2017 zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, die Notwendigkeit der Erneuerung von Fahrwerksteilen und damit zusammenhängender Arbeiten (vgl. die Einzeldarstellung auf S. 2 der Klagerwiderung vom 14.2.2019, Bl. 41 d.A.) habe nicht bestanden. Insoweit stellt sie die Unfallkausalität in Abrede. Das von der Klägerseite vorgelegte Achsmeßblatt sei in Bezug auf einen Verzug im gesamten Lenktrapez nicht hinreichend aussagekräftig. Es fehlten der Hinweis zur Lenkradeinstellung und Angaben zum Spurdifferenzwinkel. Die letzte Kalibrierung der Prüfeinheit der Klägerin reiche in das Jahr 2015 zurück.
Die Verbringungskosten seien nicht nachvollziehbar. Marktüblich erfolge die Abholung durch die Lackierbetriebe kostenfrei.
Die Sicht-/Funktionsprüfung sei Grundlage jeder Instandsetzung und könne nicht zusätzlich berechnet werden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, daß an dem Fahrzeug des … aufgrund des Verkehrsunfalls vom 14.10.2017 ein Schaden entstanden ist, welcher den regulierten Betrag in Höhe von 4.953,84 € übersteigt.
Hält ein in Anspruch genommener Geschädigter oder Haftpflichtversicherer die gegnerische Forderung für teilweise nicht nachvollziehbar, so kann er mitzuteilen, welche Angaben oder Unterlagen er benötigt. Dies entspricht auch dem Rechtsgedanken des § 119 Abs. 3 VVG. Danach kann der Versicherer von dem Dritten zur Feststellung des Schadensereignisses und der Höhe des Schadens Auskünfte verlangen und die Vorlage von Belegen fordern, soweit dies dem Dritten billigerweise zugemutet werden kann (OLG Karlsruhe, Beschluß vom 23. Dezember 2011 – 1 W 61/11 –, Rn. 8, juris; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluß vom 30.5.2016 – 7 W 15/16, Rn 3,4, juris). Die Beklagte ist hiernach berechtigt, die Zahlung zu verweigern, solange ihr berechtigt angeforderte Auskünfte nicht erteilt und Belege nicht zur Verfügung gestellt werden.
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte sich darauf berufen, daß das vorgelegte Achsmeßblatt nicht vollständig sei. Es fehlten Aufzeichnungen zur Lenkradstellung und Angaben zum Spurdifferenzwinkel, zudem Hinweise und Angaben zu den Eingangs- und Ausgangswerten mit den Herstellertoleranzwerten zum Zeitpunkt der Messung. Nur über diese Werte sei eine sichere Aussage zu einem Verzug im gesamten Lenktrapez möglich und ein Nachweis für eine unfallbedingte Beschädigung von Achsteilen nicht erbracht. Die Klägerin hat weder die fehlenden Nachweise erbracht noch dargelegt und unter Beweis gestellt, daß die als fehlend gerügten Angaben und Meßwerte für die Beurteilung irrelevant seien. Immerhin handelt es sich bei den einer Kürzung der Schadensersatzforderung unterworfenen Teile zumindest teilweise um solche, welche einer Abnutzung unterliegen und deshalb bei einem immerhin mehr als 7 Jahre alten Fahrzeug unfallunabhängig reparaturbedürftig sein können. Es ist deshalb sicherzustellen, daß das Fahrzeug nicht aus Anlaß des Unfallereignisses auf Kosten des Schädigers und deren Haftpflichtversicherung „generalrepariert“ wird bzw. Arbeiten ausgeführt werden, welche unter dem Gesichtspunkt der Unfallreparatur überflüssig sind.
Für den erforderlichen Herstellungsaufwand im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ist zwar an sich der Aufwand maßgeblich, der vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheint; dabei ist auf die Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten abzustellen (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 15.09.2015 – VI ZR 475/14 – ; BGH, Urteil vom 29.10.1974 – VI ZR 42/73 -; BGH, Urteil vom 15.10.1991 – VI ZR 314/90 -, Juris). Solange dem Geschädigten nicht ausnahmsweise bezüglich des beauftragten Sachverständigen oder der beauftragten Werkstatt ein Auswahlverschulden zur Last fällt, sind ihm die Kosten zu erstatten, die er aufgrund des Gutachtens als notwendig ansehen darf und von denen er nach erfolgter Reparatur aufgrund der gestellten Werkstattrechnung annehmen darf, daß er sie als Auftraggeber schuldet (OLG Karlsruhe, Urteil vom 22. Dezember 2015 – 14 U 63/15 –, Rn. 11, juris). Keinesfalls soll der Geschädigte verpflichtet sein, den zuviel gezahlten Betrag auf eigenes Risiko gegenüber der Werkstatt geltend zu machen, stattdessen der Geschädigte das Werkstattrisiko tragen (a.a.O. Rn. 14). Diese Argumentation verfängt jedoch nicht, wenn zum einen der Geschädigte die Reparaturkostenrechnung noch gar nicht bezahlt hat – wovon vorliegend aufgrund des unwidersprochen gebliebenen Hinweises in der Terminsverfügung vom 18.4.2019 (Bl. 59 d.A.) auszugehen ist, zum anderen die Werkstatt selbst aus abgetretenem Recht klagt. Wenn im „Normalfall“ der Versicherer von dem Geschädigten nur die Abtretung von Rückforderungsansprüchen verlangen kann, wenn sie eine ausgeglichene Rechnung für überhöht hält, steht sie im Falle einer Abtretung der Schadensersatzforderung der Werkstatt in einem Gegenseitigkeitsverhältnis unmittelbar gegenüber. Im Gegenteil sieht das Gericht hier die Werkstatt im Rahmen ihrer sekundären Beweislast gehalten, die Umstände darzulegen und zu beweisen, welche die Abrechnung der streitigen Positionen rechtfertigen (vgl. LG Ravensburg, Urteil vom 13.10.2005, zur Geltendmachung von Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung durch den gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherer, dort: betriebswirtschaftlichen Berechtigung eines „Unfallersatztarifs“). Daß die Klägerin hierzu nicht Willens oder in der Lage ist, erscheint um so unverständlicher, als bereits die Begutachtung durch den Sachverständigen offensichtlich in ihrem Hause durchgeführt wurde (vgl. Anlage K2, Bl. 6 d.A., „Besichtigungsort: Autohaus“).
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11 und 711 S. 1 ZPO.