BAG
Az: 2 AZR 215/05
Urteil vom 06.07.2006
In Sachen hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 6. Juli 2006 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Februar 2005 – 8 Sa 921/04 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – vom 7. Oktober 2004 – 9 Ca 988/04 – abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 12. März 2004 nicht zum 16. April 2004 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30. Juni 2004 fortbestanden hat.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.750,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 750,00 Euro seit dem 1. Mai 2004, auf weitere 1.500,00 Euro seit dem 1. Juni 2004 und auf weitere 1.500,00 Euro seit dem 1. Juli 2004 zu zahlen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten über den Zeitpunkt der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und davon abhängige Vergütungsansprüche, die der Kläger aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs erhebt.
Der bei Klageerhebung 33 Jahre alte Kläger trat im Jahre 1989 in die Dienste der Beklagten. Die monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt 1.500,00 Euro.
Am 12. März 2004 wurde dem Kläger ein Schreiben der Beklagten mit folgendem Wortlaut übergeben:
„Sehr geehrter Herr S,
wir kündigen den Arbeitsvertrag mit Ihnen zum 16. April 2004 auf.
Begründung: Es kam in der Vergangenheit wiederholt zu Unregelmäßigkeiten, wie z. B. Unpünktlichkeit, unentschuldigtes Fehlen, Entfernen vom Arbeitsplatz und Unzuverlässigkeit.
Da Sie auf mündliche Ermahnungen und zwei schriftliche Abmahnungen nicht entsprechend reagiert haben, müssen wir uns leider von Ihnen trennen.
Hochachtungsvoll
M GmbH“
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe bei Ausspruch der Kündigung eine gegen § 622 BGB verstoßende zu kurze Kündigungsfrist zugrunde gelegt. Angesichts seiner Beschäftigungszeit nach Vollendung des 25. Lebensjahres habe die Kündigungsfrist gem. § 622 Abs. 2 Nr. 3 BGB drei Monate zum Monatsende betragen müssen; frühestmöglicher Beendigungszeitpunkt sei somit der 30. Juni 2004 gewesen. Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nF gelte nicht für den Fall der falschen Fristberechnung durch den Arbeitgeber.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 12. März 2004 zum 16. April 2004 aufgelöst worden ist, sondern bis zum Ablauf des 30. Juni 2004 fortbestanden hat;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.750,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins auf 750,00 Euro seit dem 1. Mai 2004, auf 1.500,00 Euro seit dem 1. Juni 2004 und auf weitere 1.500,00 Euro seit dem 1. Juli 2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, auch die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist müsse innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden. Das müsse jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art gelten. Die Beklagte habe keinesfalls zu erkennen gegeben, dass es sich um eine ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist habe handeln sollen. Zur Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist sei die Beklagte gerade nicht bereit gewesen. Die Kündigung sei eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Die Klage ist begründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwar lasse sich nicht sagen, die Neufassung von § 4 KSchG sei in der Absicht erfolgt, eine umfassende Rechtssicherheit im Kündigungsschutzverfahren herzustellen. Nach der Gesetzesbegründung sei es lediglich darum gegangen, die Frage, „ob eine Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet hat oder nicht“, rasch zu klären. Jedoch erfordere die Korrektur des Beendigungszeitpunktes eine Umdeutung nach § 140 BGB, was Nichtigkeit der Kündigung voraussetze. Das gelte jedenfalls dann, wenn sich der Kündigung nicht entnehmen lasse, dass es sich um eine ordentliche Kündigung handele. So liege der Fall hier. Der Kläger habe keinen Grund gehabt zu zweifeln, dass die Beklagte sich in jedem Fall zum genannten frühen Beendigungszeitpunkt von ihm habe trennen wollen.
B. Dem folgt der Senat nur in Teilen der Begründung, nicht aber im Ergebnis.
I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat bis zum 30. Juni 2004 fortbestanden.
Dem Kläger steht der nach Grund und Höhe unbestrittene Zahlungsanspruch zu. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist nicht auf Grund der Fiktionswirkung des § 7 KSchG am 16. April 2004 eingetreten. Der Kläger war nicht gehindert, die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist auch außerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG geltend zu machen.
1. Gem. § 4 Satz 1 KSchG nF muss ein Arbeitnehmer, der geltend machen will, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Mit dieser, am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Fassung des § 4 Satz 1 KSchG nF auf Grund des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) wird die Verknüpfung von Klagefrist und Wirksamkeitsfiktion, § 7 KSchG nF, auf Unwirksamkeitsgründe außerhalb des materiellen Kündigungsgrundes (§ 1 Abs. 2 KSchG, § 626 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG) ausgedehnt. Die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist kann jedoch auch außerhalb der Klagefrist des § 4 KSchG nF geltend gemacht werden (Senat 15. Dezember 2005 – 2 AZR 148/05 – DB 2006, 1116; vgl. Hanau ZIP 2004, 1169, 1175; KR-Spilger 7. Aufl. § 1a KSchG Rn. 67; zu § 4 Satz 1 KSchG aF wohl auch BAG 12. Januar 1994 – 4 AZR 152/93 – AP BGB § 622 Nr. 43 = EzA BGB § 622 nF Nr. 47, zu B I 3 der Gründe).
a) Der Arbeitnehmer, der lediglich die Einhaltung der Kündigungsfrist verlangt, will gerade nicht die Sozialwidrigkeit oder die Unwirksamkeit der Kündigung als solche festgestellt wissen. Er geht im Gegenteil von der Wirksamkeit der Kündigung aus. Er will geltend machen, sie wirke, allerdings zu einem anderen Zeitpunkt als es nach Auffassung des Arbeitgebers der Fall ist.
b) Dem lässt sich in diesem Zusammenhang nicht entgegenhalten, der Arbeitnehmer, der die Einhaltung der Kündigungsfrist erstrebe, mache, wenn sich sein Klageziel rechtsdogmatisch nur durch Umdeutung der Kündigung nach § 140 BGB begründen lasse, notwendigerweise auch die Unwirksamkeit der Kündigung geltend.
Denn § 4 Satz 1 KSchG erfasst eine solche Geltendmachung der Unwirksamkeit als eines Begründungselementes nicht. Das zeigt die in § 4 Satz 1 KSchG vorgegebene Formulierung des Feststellungsantrags. Sie geht dahin, dass das Arbeitsverhältnis „nicht aufgelöst“ ist. Die „Nichtauflösung“ des Arbeitsverhältnisses entspricht aber nicht dem Klageziel desjenigen, der die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist rügt. Er ist ganz im Gegenteil der Auffassung, das Arbeitsverhältnis werde durch die Kündigung sehr wohl aufgelöst, nur zu einem späteren als dem vom Arbeitgeber zugrunde gelegten Zeitpunkt.
c) Überdies ist in all den Fällen, in denen sich bei fehlerhaft zu Grunde gelegter Kündigungsfrist die Kündigungserklärung dahin auslegen lässt, dass eine fristwahrende Kündigung ausgesprochen sein sollte, – was in aller Regel der Fall ist – eine Umdeutung nach § 140 BGB nicht erforderlich. Nur dann, wenn sich aus der Kündigung und den im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalles ein Wille des Arbeitgebers ergibt, die Kündigung ausschließlich zum erklärten, nicht aber zu einem späteren Zeitpunkt gegen sich gelten zu lassen, scheidet eine Auslegung – allerdings dann auch eine Umdeutung – aus (Senat 15. Dezember 2005 – 2 AZR 148/05 – DB 2006, 1116). Der Kündigungstermin ist dann ausnahmsweise integraler Bestandteil der Willenserklärung und muss innerhalb der Klagfrist des § 4 Satz 1 KSchG angegriffen werden.
2. Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass der Kläger die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist auch außerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend machen konnte. Insbesondere war im Streitfall der Kündigungstermin nicht integraler Bestandteil der Wirksamkeit der Kündigung. Die Beklagte macht selbst nicht geltend, sie habe für den Fall, dass der im Kündigungsschreiben genannte Termin nicht der richtige wäre, am Arbeitsverhältnis festhalten wollen.
II. Die Begründetheit des Zahlungsanspruchs folgt aus §§ 615, 295, 296, 288, 291 BGB (vgl. BAG 9. April 1987 – 2 AZR 280/86 – BAGE 55, 206).
C. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.