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Nachholung Sühneversuch nach Erhebung Privatklage

LG Mannheim – Az.: 4 Qs 48/21 – Beschluss vom 30.11.2021

1. Auf die sofortige Beschwerde des Privatklägers gegen die Kostenentscheidung des Amtsgerichts Schwetzingen vom 22. September 2021 wird diese wie folgt neu gefasst: Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der beiden Privatbeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Privatklägers trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Mit Schreiben vom 01.04.2021, eingegangen beim Amtsgericht Schwetzingen am 06.04.2021, erhob der Privatkläger Privatklage gegen A und B wegen „Beleidigung, Unterstellung, Bedrohung und Falschbehauptung“. Zudem forderte er in dem Schreiben ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500 Euro. Dem Schreiben war ein Ausdruck einer per E-Mail bei der Internet-Wache Baden-Württemberg vom 24.02.2021 erstatteten Strafanzeige sowie eine handschriftliche Schilderung des Vorfalls, welcher sich in der Stadt X ereignet habe und derentwegen er Privatklage erhebe, beigefügt. Diese durch den Privatkläger eigenhändig unterschriebene Schilderung enthält Ort, Datum und Uhrzeit des Vorfalls und die Angabe einer Zeugin nebst deren Unterschrift. Auch wies der Privatkläger auf das Aktenzeichen eines eingestellten Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft Mannheim hin, welche ihn auf den Privatklageweg verwiesen hatte.

Das Amtsgericht Schwetzingen forderte daraufhin die entsprechende Akte bei der Staatsanwaltschaft Mannheim an. Mit Beschluss vom 03.05.2021, dem Privatkläger zugestellt am 12.05.2021, forderte das Amtsgericht diesen unter Fristsetzung bis zum 24.05.2021 zur Zahlung eines Gebührenvorschusses auf. Zudem wies es den Privatkläger darauf hin, dass er gemäß §§ 381, 200 StPO den Anklagesatz vorzutragen und Beweismittel zu benennen habe, wobei insbesondere die Strafvorschriften zu bezeichnen seien.

Mit Schreiben vom 20.05.2021, eigegangen beim Amtsgericht am 21.05.2021, teilte der Privatkläger mit, den Vorschuss bezahlt zu haben, wobei er monierte, dass das Schreiben keine Bankdaten enthalten habe, sodass er bis zum Tag seines Schreibens beim Gericht habe nachfragen müssen, bis er diese erhalten habe. Weiterhin nahm er zu dem Hinweis in Bezug auf §§ 381, 200 StPO insoweit Stellung, als er angab, er sei nach einem Telefongespräch mit der Geschäftsstelle des Amtsgerichts im Vorfeld der Klageerhebung, bei welchem er nach dem notwendigen Inhalt der Klageschrift gefragt habe, der Meinung, diese sei vollständig. Er bat nochmals um eine diesbezügliche Erläuterung, da er kein Anwalt sei und nicht anwaltlich vertreten werde; sofern das Gericht noch etwas von ihm benötigte, bitte er darum, dies ihm so mitzuteilen, dass er es auch verstehe. Eine Antwort des Amtsgerichts erfolgte hierauf nicht.

Das Amtsgericht stellte mit Verfügung vom 08.09.2021 den Privatbeklagten A und B das als vom Amtsgericht als Privatklageschrift bezeichnete Schreiben vom 01.04.2021 mit zweiwöchiger First zur Stellungnahme zu. Diese nahmen mit den Schreiben vom 20.09.2021, beziehungsweise 21.09.2021 Stellung. Mit Beschluss vom 22.09.2021, dem Privatkläger zugestellt am 28.09.2021, wies das Amtsgericht die Privatklage „vom 20.05.2021“ als unzulässig zurück und legte dem Privatkläger die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Privatbeklagten auf. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, die Klage sei als unzulässig zurückzuweisen, da ein Sühneversuch weder dargelegt, noch nachgewiesen worden sei.

Mit Schreiben an das Amtsgericht Schwetzingen vom 05.10.2021, eingegangen aus dem elektronischen Rechtsverkehr am selben Tage, legte der nunmehr anwaltlich vertretene Privatkläger durch seine Rechtsanwältin Beschwerde gegen den Beschluss vom 22.09.2021 ein, wobei sich die Beschwerde gegen die Kostenfolge richte. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Gericht habe den Privatkläger nicht auf das Erfordernis des Sühneversuchs hingewiesen. Da das Gericht in analoger Anwendung des § 139 ZPO diesbezüglich eine Hinweispflicht treffe, könne dem Privatkläger die Kostenfolge nicht auferlegt werden, der keine Kenntnis darüber gehabt hätte, dass vorher ein Sühneversuch zu unternehmen sei.

Das Amtsgericht Schwetzingen legte das Schreiben als sofortige Beschwerde aus und legte die Akten mit Verfügung vom 06.10.2021 dem Landgericht Mannheim zur Entscheidung vor.

II.

Das mit Schreiben vom 05.10.2021 als „Beschwerde“ bezeichnete Rechtsmittel, mit dem der Privatkläger sich über seine Rechtsanwältin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schwetzingen vom 05.10.2021 in Bezug auf die Kostenentscheidung richtet, ist als Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde auszulegen, da diese gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 311 StPO statthaft ist. Die Falschbezeichnung als Beschwerde ist gemäß § 300 StPO unschädlich.

III.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet, da das Gericht dem Privatkläger einen Hinweis auf das Erfordernis eines Sühneversuchs und die Möglichkeit der Nachholung in angemessener Frist hätte geben müssen.

1.

Die sofortige Beschwerde ist als gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 311 StPO statthaftes Rechtsmittel zulässig – insbesondere, weil sie form- und fristgerecht mit elektronischem Dokument am 05.10.2021 beim zuständigen Amtsgericht Schwetzingen eingelegt wurde, §§ 311 Abs. 2, § 35 Abs. 2, 37 Abs. 2, 306 Abs. 1 StPO und weil gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel, namentlich die sofortige Beschwerde gemäß §§ 390 Abs. 1 Satz 1, 210 Abs. 2 StPO, statthaft ist. Auch übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 200 Euro, sodass die Wertgrenze des § 304 Abs. 3 StPO überschritten ist.

2.

Sie ist auch begründet, weil eine Privatklage wegen Beleidigung zwar grundsätzlich wegen des Fehlens eines vor deren Erhebung durchgeführten Sühneversuchs als unzulässig zurückzuweisen ist, es hier zur kostenpflichtigen Zurückweisung aber eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises unter Einräumung der Gelegenheit zur Nachholung des Sühneversuchs vor Klagezustellung bedurft hätte. In Ermangelung dessen waren die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der beiden Privatbeklagten der Staatskasse aufzuerlegen.

a) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob dem Erfordernis des Sühneversuchs gemäß § 380 Abs. 1 StPO genügt ist; verneinendenfalls muss es die Klage als unzulässig zurückweisen (Löwe-Rosenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2009, § 380 Rn. 23, m.w.N.). Vorliegend erhob der Privatkläger in seinem Schreiben vom 01.04.2021 unter anderem die Tatvorwürfe der Beleidigung und der Bedrohung, weswegen die Erhebung der Klage grundsätzlich nur dann zulässig ist, wenn ein erfolgloser Sühneversuch vor der zuständigen Vergleichsbehörde – vorliegend der Bürgermeister der Stadt X – stattgefunden hat, § 380 Abs. 1 Satz 1 StPO in Verbindung mit § 37 ff. des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit vom 16.12.1975 sowie der Verordnung des Justizministeriums über das Sühneverfahren in Privatklagesachen vom 23.10.1971.

b) Ein solcher Sühneversuch wurde hier bis zur klageabweisenden Entscheidung des Amtsgerichts nicht unternommen. Ist die Privatklage bereits erhoben, kann der Sühneversuch grundsätzlich nicht mehr nachgeholt werden (Vergleiche: LG München I, Beschluss vom 21.10.1955 – III Qs 47/55; LG Aachen, Beschluss vom 09.12. 1960 – III Qs 712/60; LG Hamburg, Beschluss vom 12.09.1972 – (39) Qs 128/71; LG Neubrandenburg, Beschluss vom 02.11.1994 – II Qs 81/94; LG Itzehoe, Beschluss vom 28. Juni 2004 – 9 Qs 94/04 II; Löwe-Rosenberg a.a.O. Rn. 27 f., Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 63. Auflage 2020, § 380 Rn. 11; Valerius in BeckOK StPO, 40. Edition Stand: 01.07.2021, § 380 Rn. 12). Nachgereicht werden darf lediglich die Sühnebescheinigung über einen tatsächlich vor Klageerhebung stattgefundenen, erfolglosen Sühneversuch (Valerius a.a.O. Rn. 9, m.w.N.).

c) Vor der Zustellung der Privatlage und der klageabweisenden Entscheidung hätte das Gericht indessen dem Privatkläger einen Hinweis auf das Erfordernis eines Sühneversuchs und die Möglichkeit der Nachholung in angemessener Frist geben müssen.

Auch das Gericht in Strafsachen trifft eine prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber den Verfahrensbeteiligten, denen eine sachgerechte Wahrnehmung ihrer prozessualen Befugnisse zu ermöglichen ist (Lindemann in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts Band 7, 1. Auflage 2020, II. Prozessuale Fürsorgepflicht der Gerichte und Strafverfolgungsbehörden Rn. 45, m.w.N.). Hieraus folgt im konkreten Fall, dass der anwaltlich nicht vertretene, rechtsunkundige und auf sich allein gestellte Privatkläger durch das Gericht auf das Fehlen eines Nachweises über den vergeblichen Sühneversuch hinzuweisen und binnen angemessener Nachfrist zur Vorlegung eines solchen Sühnenachweises aufzufordern ist (vergleiche: LG Bonn, Beschluss vom 12.01.1973 – 13a Qs 443/72, Daimagüler in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2019 § 380 Rn. 4; Valerius ebd.). Noch weitergehend folgt aus der prozessualen Fürsorgepflicht in vorliegender Sache, dass das Gericht im Falle eines nicht stattgefundenen Sühneversuchs dem Privatkläger unter Setzung einer angemessenen Frist die Gelegenheit geben muss, den Sühneversuch nachzuholen (Vergleiche hierzu: LG Schweinfurt, Beschluss vom 10.12.1952 – Qs 221/52; LG Bielefeld JR 1951, 695; noch weitergehend für anwaltlich vertretenen Privatkläger: LG Bonn, Beschluss vom 12.01.1973 – 13a Qs 443/72 = MDR 1973, 784).

Der Wortlaut des § 380 Abs.1 Satz 1 StPO ist insofern teleologisch zu reduzieren. Auch der Sinn und Zweck letztgenannter Norm spricht nicht gegen eine solche Auslegung. So soll im öffentlichen Interesse – auch zur Entlastung der Gerichte – vermieden werden, dass Privatklagen leichtfertig und übereilt erhoben werden. Zudem dient die Vorschrift der Befriedungs- und Aussöhnungsfunktion und dem damit verbundenen Entkriminalisierungseffekt (vergleiche LG Itzehoe, Beschluss vom 28. Juni 2004 – 9 Qs 94/04 II, Daimagüler, a.a.O., Vorbemerkung zu § 374 Rn. 1).

Hier ist aber dem anwaltlich nicht vertretenen Privatkläger weder die Erforderlichkeit noch die Existenz des Sühneversuchs bekannt gewesen, wie sich aus dessen Schreiben vom 20.05.2021 an das Amtsgericht ableiten lässt. Die den Privatkläger auf den Privatklageweg verweisende Verfügung der Staatsanwaltschaft enthielt keine Informationen über die Notwendigkeit eines Sühneversuchs. Ein solches Wissen darf auch nicht vorausgesetzt werden. Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 210.289 Verfahren bei der Staatsanwaltschaft mittels Verweisung auf den Privatklageweg erledigt (Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.6, 2020, 2.2.1.1), wobei bei den Amtsgerichten lediglich 442 Verfahren (und damit etwa 0,07 Prozent aller dort erledigten Verfahren) erledigt wurden, die auf eine Privatklage zurückgingen (Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.6, 2020, 2.1.). Vor diesem Hintergrund vermag weder das Argument der Entlastung der Gerichte durch „konsequente“ Anwendung der Vorschrift (LG Itzehoe, ebd.) noch das Argument einer Schutzfunktion vor übereilter Privatklageerhebung im konkreten Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen. Auch sind die Erfolgsaussichten des Sühneversuchs aufgrund der bereits nach Klageerhebung entstandenen Gerichtskosten nicht zwingend geschmälert (so aber wohl LG Itzehoe, ebd.).

d) Im Übrigen hätte das Gericht die Klage den Privatbeklagten erst mitteilen dürfen, sobald eine Sühnebescheinigung bei Gericht vorliegt (Daimagüler, a.a.O. § 380 Rn. 4, Löwe-Rosenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2009, § 380 Rn. 25), weshalb der Privatkläger schon aus diesem Grund die Auslagen der Privatbeklagten nicht zu tragen hat.

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IV.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs.1 StPO.

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