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Notwegerecht – Duldungs- bzw. Wiederherstellungsanspruch eines Grundstückseigentümers

LG Stade – Az.: 4 O 287/11 – Urteil vom 23.02.2012

1. Der Beklagte zu 1) wird verpflichtet, die Nutzung des ca. 150 m langen  Wegstückes auf seinem Grundstück mit der postalischen Anschrift F-straße 8 – wie in der zum Tenor genommen Anlage (Anlage K 1) orange markiert – zur Herstellung der erforderlichen Verbindung des Grundstückes des Klägers mit der postalischen Anschrift F-straße 10 zum Weg F-straße/Kreisstraße C.-deich als Notweg zu dulden.

Das umgepflügte Wegestück ist von dem Beklagten zu 1) entsprechend den zum Tenor genommenen Lichtbildern (Anlage K 9) wieder so herzustellen, dass dieses zu Fuß, mit dem Fahrrad und gelegentlich mit Fahrzeugen (insbesondere Rettungsfahrzeugen) passiert werden kann, wobei es – wie zuvor – keiner befestigten Fahrbahndecke bedarf. Die weitere Instandhaltung obliegt dem Kläger.

Die Nutzung des Notweges erfolgt wie bisher in dem Umfang, dass dieser zu Fuß, mit dem Fahrrad und gelegentlich mit Kraftfahrzeugen (insbesondere Rettungsfahrzeugen) passiert werden kann. Etwaige Absperrungen sind offen zu halten, soweit dem Kläger nicht Schlüssel zum Öffnen ausgehändigt sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreites tragen der Kläger ¼ und der Beklagte zu 1) ¾. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) zu ¼ und die der Beklagten zu 2) vollständig. Der Beklagte zu 1) trägt von den außergerichtlichen Kosten des Klägers ¾. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 €.

4. Der Streitwert wird auf € 40.000 festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger und der Beklagte zu 1) sind Grundstücksnachbarn. Die Beklagte zu 2) veräußerte das Grundstück unter der jetzigen postalischen Anschrift F-straße 10 an den Kläger gemäß notariellem Kaufvertrag vom 21.09.1970 (Anlage K2).

Das mit einem Reetdachhaus bebaute Grundstück des Klägers verfügt über keinen unmittelbaren Zugang zu einem öffentlichen Weg. Der bisher in Hamburg wohnende Kläger nutzte dies vorwiegend als Wochenendhaus und will sein Grundstück veräußern. An der nördlichen Grundstückgrenze des Klägers verläuft der nicht öffentliche Weg F-straße in westlicher Richtung bis zur öffentlichen Kreisstraße C.-deich über den streitgegenständlichen nördlichen Bereich des Grundstückes des Beklagten zu 1) und in östliche Richtung über die Grundstücke anderer Eigentümer zum öffentlichen Weg Y-weg. Es wird auf die Anlage K 5 ergänzend Bezug genommen. Der Kaufvertrag (K 2) nimmt Bezug auf die Zuwegung in östlicher Richtung zum Y-weg.

Der streitgegenständliche ca. 150 m lange Bereich auf dem Grundstück des Beklagten zu 1) wurde seit 1970 und in der Zeit davor zumindest derart genutzt, dass über diesen zu Fuß und im Bedarfsfall auch mit dem PKW das Grundstück des Klägers erreicht werden konnte, wobei streitig ist, ob sich der zwischenzeitlich verstorbene Vater des Beklagten zu 1) ebenso wie später der Beklagte zu 1) selbst stets vorbehielt, diese Gestattung, mit der kein Überwegrecht verbunden sein sollte, jederzeit zu widerrufen. Der Weg war unbefestigt und entsprach zuletzt dem Zustand entsprechend der Lichtbilder (Anlage K9).

Der Beklagte zu 1) ließ Anfang 2011 den an der Nordgrenze seines Grundstückes gelegenen Apfelhof roden und auch den streitgegenständlichen Bereich umpflügen, um auch diesen als Ackerfläche zu nutzen. Er möchte seitdem nicht mehr, dass der Kläger diesen Bereich passiert, um sein Grundstück zu erreichen und verweist auf die Zuwegung in östlicher Richtung zum Y-weg. An der Straßenmündung F-straße/Kreisstraße Bereitendeich befand sich bisher ein Wegeschild „F-straße 2-10“. Im April 2011 veranlasste der Beklagte zu 1) die Gemeinde unter Verweis auf sein Eigentum dazu, den Hinweis auf das Haus des Klägers mit der Nr. 10 zu entfernen und lediglich auf sein Haus mit der Nummer 8 zu verweisen (Lichtbilder Anlage K 10).

Der Kläger hat sich wiederholt vergeblich an den Beklagten gewandt, um diesen zur Herstellung des bisherigen Zustandes und Nutzung des Weges wie bisher aufzufordern.

Der Kläger behauptet, dass der Beklagte zu 1) ihm im Rahmen der vom Kläger im Jahre 2006 ausgeführten Instandhaltung des Wegestückes erklärt habe, dass er auch künftig diesen nutzen dürfe. Der Beklagte habe sich daher und wegen der langjährigen Nutzung schuldrechtlich gebunden, hilfsweise bestehe ein Notwegerecht.

Der Kläger beantragt wie folgt: Den Beklagten zu 1) zu verurteilen, das in dem Kartenblatt Hülle Anlage K1 orange angelegte Wegestück zwischen den Grundstücken des Klägers und des Beklagten zu 2) zum Zwecke der Überwegung für den Kläger und seinen etwaigen Rechtsnachfolger zu seinem Grundstück F-straße 10 (K) freizugeben, evtl. als Notweg gemäß § 917 BGB.

Die Überwegung ist vom Beklagten zu 1) so wieder herzustellen und fortan zu dulden, dass der Kläger die Verbindung zwischen den Fuß, mit dem Fahrrad sowie mit Fahrzeugen (ggf. Versorgungsfahrzeugen) im erforderlichen Umfange nutzen (lassen) kann, um das Grundstück F-straße 10 in üblicher Weise zu erreichen.

Evtl. mag das Gericht entsprechend § 917 Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmen, dass der Kläger den im Antrag zu 1. beschriebenen Weg von seinem Grundstück über das Grundstück des Beklagten zu 1) im erforderlichen Umfang nutzen darf, hilfsweise, dass dem Kläger diese Nutzung gegen eine nach dem Ermessen des Gerichtes festzusetzende Nutzungsentschädigung (§ 917 Abs. 2 BGB) zu Gunsten des Beklagten zu 1) gestattet wird.

Festzustellen, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, dem Kläger diejenigen Schäden zu ersetzen, die ihm daraus entstehen, dass der Beklagte zu 1) nicht verpflichtet werden kann, die Zufahrt des Klägers zu seinem Haus F-straße 10, (K) über das eigene Grundstück des Beklagten zu 1) (F-straße 8, Balje) zu dulden.

Die Beklagten zu 1) und 2) beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 2) erhebt die Einrede der Verjährung.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist gegenüber dem Beklagten zu 1) begründet und gegenüber der Beklagten zu 2) unbegründet.

I.

Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten zu 1) zwar kein schuldrechtliches Wegerecht aufgrund jahrelanger Übung, selbst wenn der Beklagte zu 1) bzw. sein verstorbener Vater keinen Widerrufsvorbehalt ausgesprochen und der Kläger im Jahre 2006 Ausbesserungsarbeiten an dem Weg vorgenommen haben sollte. Er hat jedoch einen Anspruch auf Duldung der Nutzung der streitgegenständlichen Wegestrecke an der Nordseite des Grundstückes des Beklagten zu 1) als Notweg gemäß § 917 BGB. Das Grundstück verfügt über keine Anbindung an einen öffentlichen Weg, sei es in westlicher Richtung zum C.-deich oder in östlicher Richtung zum Y-weg. Dabei ist dieser Weg notwendig, um das bebaute Grundstück des Klägers überhaupt sinnvoll nutzen zu können. Soweit der Beklagte auf den Zugang in östlicher Richtung verweist, kann es dahinstehen, ob dieser nach seinem Zustand weniger oder gleich geeignet ist. Denn auch dieser Weg würde über fremdes Eigentum führen, mithin mit derselben Problematik verbunden sein, weil auch für diesen auf fremdem Eigentum liegenden Wegbereich kein dingliches oder schuldrechtliches Wegerecht besteht. Der streitgegenständliche über das Grundstück des Beklagten zu 1) führende Weg war jedoch derjenige, der über Jahrzehnte als Zuwegung diente, bis der Beklagte diesen Bereich umgepflügt hat, um diesen als Teil der Ackerfläche zu nutzen. Auch nach dem Beklagten wurde der Weg seit 1970 und in der Zeit davor zumindest derart genutzt, dass über diesen zu Fuß und im Bedarfsfall auch mit dem PKW das Grundstück des Klägers erreicht werden konnte. Deutlich wird dies zudem durch den von der Gemeinde bisher am öffentlichen Weg C.-deich angebrachten Hinweis auf das Haus des Klägers mit der Nummer 10, wobei der Beklagte seit April 2011 einen Wegfall dieses Hinweises erwirkte, der nunmehr an seinem Haus, dem Haus mit der Nummer 8 endet. Auch wenn der Beklagte zu 1) sich nicht schuldrechtlich gebunden hat, kann unter diesen Umständen jetzt nicht auf den anderen Weg als vermeintlich besseren Weg als Notweg verwiesen werden. Dass der Kaufvertrag zwischen der Beklagten zu 2) und dem Kläger auf den anderen Weg in östlicher Richtung verweist, ist für das Verhältnis zum Beklagten zu 1) ohne Belang und negiert nicht die jahrzehntelange tatsächliche Nutzung über das Grundstücks des Beklagten zu 1).

Die Kammer hat den Umfang der Nutzung wie aus dem Tenor ersichtlich bestimmt. Dabei orientiert sich diese an der bisherigen Nutzung des Grundstückes des Klägers als Ferien-/ Wochenendhaus unter Berücksichtigung der Belange des Beklagten zu 1). Ein befestigter Weg kommt nicht in Betracht. Die Instandhaltung nach der Wiederherstellung obliegt dem Kläger.

Der Beklagte zu 1) schuldet schließlich die Wiederherstellung des bisherigen Weges gemäß § 1004 BGB, um diese bisherige Nutzung wieder zu ermöglichen, wobei auf die Lichtbilder Bezug genommen wird. Dabei bestand dieses Notwegerecht bereits als gesicherte Rechtsposition seit mindestens Erwerb im Jahre 1970. Diese bereits bestehende Rechtsposition ist geschützt und konnte nicht durch den Beklagten zu 1) beseitigt werden.

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Die Kammer hat von der Bestimmung einer Geldrente gemäß § 917 II BGB abgesehen. Denn über Jahrzehnte war dies unentgeltlich möglich, so dass eine Abkehr von dieser bisherigen Übung nicht geboten erscheint.

Soweit der Kläger seinen Antrag gegenüber dem Beklagten zu 1) dahingehend ergänzt hat, dass sich das Recht auch auf den etwaigen Rechtsnachfolger des Klägers erstrecken soll, hat die Kammer von einer solchen Tenorierung abgesehen. Das Notwegrecht entsteht kraft Gesetzes mit dem Vorliegen seiner Voraussetzungen, wobei diese seit Jahrzehnten gegeben sind und ein Notwegerecht seitdem praktiziert wurde. Begünstigter des Notwegrechts ist der Eigentümer des notleidenden Grundstücks. Das Urteil hat dazu lediglich deklaratorischen Charakter. Im Übrigen ist auf § 325 ZPO zu verweisen.

II.

Ansprüche gegenüber der Beklagten zu 2) bestehen nicht. Ungeachtet der Frage, ob es sich in dem Kaufvertrag aus dem Jahre 1970 um eine Zusicherung der Zuwegung über den östlich gelegenen Y-weg handelt, sind etwaige Ansprüche längst verjährt. Selbst unter der Annahme einer arglistigen Täuschung galt nach §§ 477, 195 BGB a.F. die regelmäßige Verjährungsfrist von 30 Jahren, die gem. § 198 S. 1 BGB a.F. mit der Entstehung des Anspruchs begann. Danach ist Verjährung bereits im September 2000 eingetreten. Die Rechtsausführungen des Klägers zu einem späteren Beginn in den nicht nachgelassenen Schriftsätzen nach Schluss der mündlichen Verhandlung sind fernliegend.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 92 I ZPO, 709 ZPO.

Für den Streitwert ist die Klage gegen den Beklagten zu 1) mit € 30.000 und gegen die Beklagte zu 2) mit € 10.000 bewertet.

Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in den Schriftätzen der Parteien nach Schluss der mündlichen Verhandlung waren nach § 296a ZPO zurückzuweisen, wobei diese zudem im Wesentlichen Rechtsausführungen enthielten. Auch im Übrigen war keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung geboten.

 

 

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