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Sachverständiger ist befangen wenn er einer Partei eine unlautere Vorgehensweise unterstellt

OLG Koblenz – Az.: 4 W 338/20 – Beschluss vom 19.10.2020

In Sachen hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz als Einzelrichter am 19.10.2020 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 5. Zivilkammer – Einzelrichterin – des Landgerichts Mainz vom 25. Juni 2020 abgeändert und das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Dipl. Ing./Dipl. Kfm. Wolfdietrich Anger für begründet erklärt.

Der Beschwerdewert wird auf 460.626,65 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die nach §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin hat in der Sache Erfolg. Das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen ist begründet.

1. Nach § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit wird nach §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO ermöglicht, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln. Es müssen also tatsächliche Umstände vorliegen, die ein auch nur subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen können (vgl. nur BGH, DS 2008, 27, 28).

Die Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann berechtigt sein, wenn der Sachverständige den Gutachterauftrag in einer Weise erledigt, die als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gesehen werden kann (BGH, NJW 2020, 691), was etwa in Betracht kommt, wenn der Sachverständige gegenüber einer Partei eine einseitige Haltung einnimmt, indem er sich zu ihrem Vortrag sachwidrig äußert (vgl. Saenger/Siebert, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 406 ZPO, Rdnr. 5).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt ein Ablehnungsgrund vor, da die von der Klägerin glaubhaft gemachte Äußerung des Sachverständigen in einem Telefonat mit ihrem Prozessbevollmächtigten am 20. April 2020 Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen begründet.

a) Den Sachverständigen trifft eine Verpflichtung zur Objektivität und strengen Sachlichkeit. Hiermit ist nicht in Einklang zu bringen, wenn der Sachverständige eine nicht am Beweisthema orientierte Äußerung zu Lasten einer Partei vornimmt, die auf eine unsachliche Einstellung hindeutet. Mit der von der Klägerin zur Begründung des Ablehnungsgesuchs angeführten Äußerung des Sachverständigen, man habe den Eindruck, der Auftraggeber habe eine Zahl genannt und der Architekt versuche, diese darzustellen, wird der Anschein einer einseitigen Einstellung des Sachverständigen erweckt (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. März 2013 – I-21 W 57/12, zur Unterstellung falschen Vortrags durch den Sachverständigen). Der Sachverständige hat mit der Erklärung noch vor Beiziehung und Auswertung der aus seiner Sicht zur Gutachtenerstellung erforderlichen Unterlagen den Verdacht einer unlauteren Vorgehensweise erhoben. Eine sachbezogene Stellungnahme – wie sie etwa in der bloßen Anforderung von Unterlagen und dem Verweis auf die unvollständige Grundlage für eine Begutachtung zu sehen gewesen wäre – war mit der Äußerung nicht verbunden. Insbesondere beschränkte er sich nicht auf sachliche Kritik an dem Vorbringen der Klägerin, sondern nahm bereits vor einer abschließenden Bewertung der zu begutachten – den Fragen eine Würdigung vor, die aus Sicht einer verständigen Partei auf eine Voreingenommenheit schließen und sich nicht als Teil einer sachbezogenen Auseinandersetzung über den Gegenstand des Sachverständigengutachtens einordnen lässt. Die Erklärung des Sachverständigen kann daher dahin verstanden werden, dass er bereits ein Misstrauen gegenüber der Klägerin hegt, was er nunmehr durch die angeforderten Unterlagen belegen will.

Der danach gegebene Ablehnungsgrund entfällt nicht durch die Stellungnahme des Sachverständigen, nach der tatsächlich eine Unvollständigkeit hinsichtlich der für die Begutachtung maßgebenden Unterlagen vorgelegen habe und er auch in dieser Sache sein Gutachten objektiv erstellen werde. Die Ablehnung setzt – wie ausgeführt – gerade nicht voraus, dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt. Es genügt, wenn der Eindruck einer solchen entsteht. Für diesen Anschein sind vorliegend nicht die Ungereimtheiten hinsichtlich der klägerischen Behauptungen maßgebend, die in die Anforderung der Unterlagen mündeten.

Entscheidend ist der vom Sachverständigen geäußerte Manipulationsverdacht.

Der Ablehnungsgrund wird durch die Stellungnahme des Sachverständigen auch nicht nachträglich ausgeräumt. Dies kommt in Betracht, wenn ein ursprünglich berechtigtes Misstrauen durch eine Erläuterung, Klarstellung oder Entschuldigung behoben wird (vgl. etwa OLG Frankfurt, BeckRS 2018, 4102). Allerdings hat der Sachverständige vorliegend weder ein Fehlverhalten eingeräumt, noch einen Versuch unternommen, den erweckten Eindruck der Voreingenommenheit durch eine „zurückrudernde“ Erklärung zu beseitigen. Vielmehr hat er sich darauf beschränkt, darauf zu verweisen, er werde „dieses Gutachten, wie auch alle anderen Gutachten seit 2012, unabhängig und neutral nach bestem Wissen und Gewissen“ erstellen. Dies allein genügt jedoch nicht, den einmal entstandenen Eindruck einer einseitigen Einstellung auszuräumen.

b) Die Klägerin hat den Ablehnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 406 Abs. 3 ZPO). Hierfür genügt auch eine „anwaltliche Versicherung“ (vgl. nur MünchKomm-ZPO/Zimmermann, 6. Aufl. 2020, § 406 ZPO, Rdnr. 13). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat im Ablehnungsgesuch vom 28. April 2020 die Erklärung des Sachverständigen sinngemäß, aber klar und deutlich wiedergegeben und deren Richtigkeit anwaltlich sowie zusätzlich an Eides statt versichert. Die damit erfolgte Glaubhaftmachung wird nicht durch die Stellungnahme des Sachverständigen in Zweifel gezogen. Der Sachverständige hat sich in seiner vom Landgericht veranlassten (ersten) Stellungnahme zu dem Ablehnungsgesuch zu dem angeführten Ablehnungsgrund – der konkreten Äußerung eines Manipulationsverdachts in dem Telefonat – nicht ausdrücklich erklärt. Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, die Angaben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und des Sachverständigen stünden in einem Widerspruch. Der Senat hat daher zur Klärung des Sachverhalts eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen zu dem Ablehnungsgrund eingeholt. Danach vermag sich der Sachverständige nicht an seine konkrete Wortwahl zu erinnern (Schreiben des Sachverständigen vom 12. September 2020). Auch wenn der Sachverständige den Inhalt des Telefongesprächs mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin „sinngemäß“ wiedergibt, kann bei dieser Sachlage nicht davon ausgegangen werden, dass die von der Klägerin angeführte Äußerung in Abrede gestellt wird. Folglich besteht auch kein Anlass, die erfolgte anwaltliche Versicherung in Frage zu stellen.

3. Eine Kostenentscheidung ist aufgrund des Erfolgs der sofortigen Beschwerde nicht veranlasst. Etwaige außergerichtlichen Kosten der Parteien sind Teil der Kosten des Rechtsstreits; sie werden von der zu treffenden Kostengrundentscheidung mit umfasst.

4. Der Beschwerdewert bemisst sich entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats nach §§ 47, 48 Abs. 1 S. 1 GKG, 3 ZPO auf 1/3 des Hauptsachestreitwerts.

 

 

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