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Schadenersatz wegen Nichterfüllung aufgrund des Abbruchs der Versteigerung durch den Verkäufer

OLG Jena – Az.: 7 U 399/13 – Urteil vom 15.01.2014

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Grundurteil des Landgerichts Mühlhausen vom 09.04.2013 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu  vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Schadenersatz wegen Nichterfüllung aufgrund des Abbruchs der Versteigerung durch den Verkäufer
Symbolfoto: Von Ju Jae-young /Shutterstock.com

Der Kläger verlangt vom Beklagten Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines X.-Internet-Kaufvertrags. Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Berufung.

Der Beklagte stellte am 24.05.2012 um 21:23 Uhr ein Angebot bei X. ein, seinen PKW VW Passat zu verkaufen, der laut Klägervortrag einen Wert von 5.250 EUR und laut Beklagtenvortrag einen solchen von 2.250 EUR hatte. Als Mindestgebot gab er 1 EUR ein und startete den Verkauf („Auktion“), der 10 Tage laufen sollte. Der Kläger nahm dieses Angebot um 21.33 Uhr – also 10 Minuten später – an und setzte ein Preisoberlimit von 555,55 EUR. Der Beklagte brach die „Auktion“ um 04:41 des Folgetags ab, somit rund 7 Stunden nach Auktionsbeginn. Der Kläger fragte um 04:49 Uhr in einer E-Mail nach dem Grund des Auktionsabbruchs. Der Beklagte teilte um 05:05 Uhr mit, er habe außerhalb der Auktion einen Käufer gefunden, der 4.200 EUR zahle. Um 09:43 Uhr bot der Beklagte dem Kläger das Fahrzeug zum Kaufpreis von 4.500 EUR an.

In einer E-Mail vom 08.06.2012 erklärte der Beklagte dem Kläger, dass er die Auktion wegen eines Tippfehlers beim Startgebot abgebrochen habe. Er habe statt 1 EUR 4.000 EUR eingeben wollen. Letztlich gab der Beklagte sein Fahrzeug anderweitig für 4.000 EUR in Zahlung.

Der Beklagte hat behauptet, er habe sich beim Startpreis vertippt und statt 1 EUR 4.000 EUR eingeben wollen.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.249 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit 14.07.2012 zu zahlen;

2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 546,69 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit 14.07.2012 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der Begründung des angefochtenen Grundurteils wird auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Mit seiner Berufung macht der Beklagte geltend, das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass er die Auktion wegen eines Tippfehlers abgebrochen habe. Er habe irrtümlich einen Startpreis von 1 EUR eingegeben. Als er dies bemerkt habe, habe er die Auktion abgebrochen. Er habe den Kläger in einer E-Mail vom 08.06.2012 auch von dem Tippfehler in Kenntnis gesetzt. Darin liege eine unverzügliche Anfechtung.

Der Kaufvertrag verstoße auch gegen Treu und Glauben, weil das Fahrzeug nach dem Klägervortrag einen Wert von 5.250 EUR habe, der Kläger aber sein Höchstgebot auf 555,55 EUR begrenzt habe. Das seien 10,58% des Fahrzeugswerts. In solchen Fällen nehme die Rechtsprechung einen Rechtsmißbrauch an (OLG Koblenz, MMR 2009, 630 f.).

Der Kläger habe es darauf angelegt, den PKW zu einem unrealistischen Kaufpreis zu erwerben. Der Kaufvertrag sei daher auch sittenwidrig.

Der Beklagte beantragt, das angefochtene Grundurteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Grundurteil.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511Abs. 1, 2 Nr. 1,517,519,520 ZPO). Sie ist aber in der Sache unbegründet. Denn das Landgericht hat der Klage aus den von ihm zitierten Anspruchsgrundlagen zu Recht stattgegeben.

1.) Zwischen den Parteien ist ein wirksamer Kaufvertrag zustandegekommen, wegen dessen Nichterfüllung der Beklagte Schadensersatz zu leisten hat.

Ein Verkauf über X. stellt keine Versteigerung im Sinne von § 156 BGB dar, bei der erst ein Zuschlag den Kaufvertrag zustande bringt. Vielmehr handelt es bei der Einstellung der Offerte in die X.-Plattform verbunden mit dem Start der Auktion um ein Angebot im Sinne von § 145 BGB, das unter dem Vorbehalt der Rückgängigmachung nach den X.-AGB steht (BGH NJW 2011, 2643 f., Tz. 16; Palandt/Ellenberger, BGB, 73. Aufl. 2014, § 156 Rn. 3).

Bei anderen Internet-Versteigerungen soll diese Offerte eine vorweggenommene Annahme darstellen (BGHZ 149, 129 ff. = NJW 2002, 363 ff.: war dort in den AGB ausdrücklich als vorweggenommene Annahme geregelt). Darum geht es hier nicht.

Der Kläger hat die Offerte durch sein Gebot angenommen. Damit ist ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen.

2.) Der Beklagte hat seine Willenserklärung nicht wirksam nach § 119 Abs. 1 BGB wegen eines Tippfehlers angefochten. Dies ergibt sich aus der vorgelegten E-Mail des Beklagten an den Kläger vom 25.05.2012, 05.05 Uhr (Anlage K5, Blatt 38). Darin teilt Beklagte mit, er habe außerhalb der Auktion einen Käufer gefunden, der 4.200 EUR zahle. Hätte der Beklagte sich wirklich vertippt, so hätte er in dieser E-Mail dies als Grund für den Abbruch der Auktion angegeben. Dagegen hat er ein „Vertippen“ erst später in einer E-Mail vom 08.06.2012 (Blatt 89 unten) als Grund für den Abbruch angeführt. Der Unterschied von 1 EUR zu 4.000 EUR ist nicht mit einem typischen Tippfehler zu erklären. Der Beklagte hätte sich hierbei viermal vertippen müssen, was er selbst nicht behauptet. Ein „Vertippen“ ist deshalb nicht glaubhaft (§ 286 ZPO).

3.) Der Kaufvertrag ist nicht sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB). Es fehlt an einer verwerflichen Gesinnung des Klägers. Nach der Rechtsprechung kann bei X.-Versteigerungen beispielsweise nicht aus einem Mißverhältnis von 782 EUR zu 24.000 EUR (BGH NJW 2012, 2723 f.) oder einem Mißverhältnis von 51 EUR zu 60.000 EUR (OLG Köln, MMR 2007, 446 ff.) auf eine verwerfliche Gesinnung geschlossen werden (BGH a.a.O., Tz. 20; OLG Köln, a.a.O.). Es ist gerade typisch für X.-Versteigerungen, dass beide Seiten die Chance haben, ein „Schnäppchen“ zu machen.

4.) Nach der Rechtsprechung des BGH steht das Angebot unter dem Vorbehalt des § 10 Nr. 1 S. 5 X.-AGB, wonach die „Auktion“ beendet werden darf, wenn eine gesetzliche Berechtigung dazu bestand. Das legt der BGH dahin aus, dass dies die Fälle der Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB und des Verlust des Kaufgegenstands durch Diebstahl sind. Keiner dieser Fälle liegt hier vor.

5.) Der Fall des Amtsgerichts Dieburg (WRP 2012, 882) liegt ebenfalls nicht vor. Dort erstreckte sich der Vorbehalt auf die Möglichkeit, die Auktion vorzeitig abzubrechen, wenn ihre Dauer noch 12 Stunden oder länger betrug. Eine solche AGB ist vorliegend nicht enthalten.

6.) Der Beklagte kann gegen den klagegegenständlichen Schadensersatzanspruch nicht den Einwand eines rechtmäßigen Alternativverhaltens erheben. Er kann daher nicht geltend machen, der Kläger würde den PKW niemals zu einem Kaufpreis von 1 EUR bekommen haben, wenn er – der Beklagte – die Auktion nicht beendet hätte. Denn der Abbruch der Auktion ist keine pflichtverletzende schadenskausale Handlung, vielmehr ist es die Verweigerung der Vertragserfüllung. Der Kaufvertrag war im Zeitpunkt des Abbruchs bereits zustandegekommen (rund 7 Stunden vorher). Die Fortführung der Auktion ist daher unter dem Gesichtspunkt eines rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht relevant.

7.) Auch ein Rechtsmißbrauch des Klägers liegt nicht vor. Die anderslautende Rechtsprechung des OLG Koblenz, MMR 2009, 630 f. ist in der Rechtsliteratur auf Ablehnung gestoßen (Oechsler, Jura 2012, 497 ff.; Wenn, jurisPR-ITR 16/2009 Anm. 4). Das OLG Koblenz begründet seine Auffassung maßgeblich damit, dass ein „Schnäppchen“ von 5,50 EUR bei einem Porsche Carrera im Wert von 75.000 EUR kein „Schnäppchen“ mehr sei, weil ein „Schnäppchen“ nur ein solches sei, das innerhalb realistischer Preisspanne liege. Der BGH dagegen vertritt die Auffassung, dass darin durchaus noch ein bei solchen Versteigerungen übliches „Schnäppchen“ zu sehen sei (BGH NJW 2012, 2723 f., Tz. 20: Mißverhältnis von 782 EUR zu 24.000 EUR).

Nach Ansicht des Senats kann es nicht rechtsmißbräuchlich sein, wenn ein Käufer von einer Kaufmöglichkeit Gebrauch macht, die ihm – wie hier – der Verkäufer selbst eröffnet.

Richtig ist zwar, dass Kaufverträge mit derartigen Mißverhältnissen außerhalb der X.-Plattform niemals zustande kommen würden. Kein vernünftiger Mensch außerhalb der X.-Plattform würde einen Kaufvertrag mit einem derartigen Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung abschließen. Dieser Gesichtspunkt spielt aber im vorliegenden Fall keine Rolle, weil gerade durch die Nutzung der Verkaufplattform X. ein Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung in Kauf genommen wird. Das Mißverhältnis allein rechtfertigt nicht die Annahme eines Rechtsmißbrauchs. Verkäufer und Käufer stehen sich auf Augenhöhe gegenüber. Der Verkäufer ist gegenüber dem Käufer nicht schutzbedürftig. Er kann sich selbst schützen, indem er ein Mindestpreis-Limit eingibt. Wenn dies wie hier versäumt wird, ist dies kein Grund, dem Kaufvertrag die Wirksamkeit zu versagen. Derjenige, der die Bedingungen eines Geschäfts selbst stellt, muss nicht vor sich selbst geschützt werden. Er handelt eigenverantwortlich und bedarf keines Verbraucherschutzes. Der Senat braucht sich nicht mit der Frage zu befassen, ob X. eine Sicherheitsabfrage eingebaut hat oder – im Hinblick auf den obigen Aspekt – einzubauen verpflichtet ist. Denn dies ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708Nr. 10, 711 Satz 1,2,709 S. 2 ZPO.

Der Senat läßt die Revision zu, da er von der Rechtsprechung des OLG Koblenz abweicht (s. oben 7.). Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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