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diskriminierende Kündigung in der Schwangerschaft – Entschädigungsanspruch


Bundesarbeitsgericht

Az: 8 AZR 838/12

Urteil vom 12.12.2013


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 27. Juli 2012 – 3 Sa 129/12 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.


Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts.

Die 1978 geborene, geschiedene und zwei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin ist bei der Beklagten, die regelmäßig nicht mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt, seit dem 1. September 2010 bei einer Arbeitszeit von 30 Wochenstunden und einem monatlichen Bruttoentgelt von 750,00 Euro als Vertriebsmitarbeiterin angestellt. In der Jahresmitte 2011 wurde bei der Klägerin eine Schwangerschaft mit voraussichtlichem Entbindungstermin am 16. Januar 2012 festgestellt. Am 4. Juli 2011 bescheinigte ihr Gynäkologe ein sofortiges, generelles Beschäftigungsverbot iSd. § 3 Abs. 1 MuSchG. Davon unterrichtete die Klägerin den Geschäftsführer der Beklagten, der verärgert reagierte und die Klägerin drängte, weiter zu arbeiten. Die Klägerin lehnte dies ab.

Durch eine weitere Untersuchung wurde am 14. Juli 2011 festgestellt, dass die Leibesfrucht abgestorben war. Für den damit notwendigen Eingriff wurde die Klägerin für den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestellt. Darüber informierte die Klägerin noch am 14. Juli 2011 ihre Vorgesetzte, die Innendienstleiterin S der Beklagten. Nach dem Eingriff stehe sie wieder zur Verfügung. Frau S informierte den Geschäftsführer der Beklagten.

Dieser verfasste noch am 14. Juli 2011 eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 15. August 2011 „aus betriebsbedingten Gründen“ und ließ diese am Abend desselben Tages in den Briefkasten der Klägerin einwerfen.

Am 15. Juli 2011 wurde die Klägerin stationär im Klinikum G aufgenommen. Die Diagnose lautete „missed abortion Mens IV“, dh. fehlender Abgang der (toten) Leibesfrucht im vierten Schwangerschaftsmonat. Die Frucht wurde durch Vakuumextraktion entfernt, danach wurde eine Ausschabung vorgenommen. Am 16. Juli 2011 wurde die Klägerin aus der Klinik entlassen; bei ihrer Rückkehr fand sie in ihrem Hausbriefkasten die Kündigung vom 14. Juli 2011.

Unter dem 9. August 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ein weiteres Mal „aus betriebsbedingten Gründen“, diesmal zum 15. September 2011. Die Beklagte hat dazu vortragen lassen, dass diese zweite Kündigung erfolgte, da sie nicht wusste, ob bei der Klägerin die Schutzvorschriften zum Mutterschutz noch galten oder nicht. Zu betriebsbedingten Kündigungen anderer Arbeitnehmer kam es nicht. Im Zeitraum der ersten Kündigung wurde mit einem anderen Mitarbeiter auf dessen Wunsch ein Aufhebungsvertrag geschlossen. Die Klägerin hat mittlerweile nach Zustellung des Berufungsurteils das Arbeitsverhältnis unter dem 30. August 2012 außerordentlich zum 31. August 2012 gekündigt.

Die Klägerin hat beide Kündigungen der Beklagten mit fristgerechten Feststellungsklagen angegriffen. Die Beklagte habe keine billigenswerten Motive für ihre Kündigungen gehabt, vielmehr ergebe sich schon aus der zeitlichen Nähe zum Ende ihrer Schwangerschaft und aus der Verärgerung des Geschäftsführers über ihr vorausgegangenes Beschäftigungsverbot eine Diskriminierung wegen des Geschlechts. Die Kündigung sei zur Unzeit erfolgt, die zweite Kündigung stelle darüber hinaus eine Maßregelung wegen Erhebung der Klage gegen die erste Kündigung, verbunden mit einem Antrag auf Entschädigung, dar. Sie sei der Beklagten am 9. August 2011 zugestellt worden.

Soweit für die Revision noch von Bedeutung hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung gemäß § 15 AGG für die mit Datum vom 14. Juli 2011 ausgesprochene Kündigung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch den Betrag von 3.000,00 Euro nicht unterschreiten darf.

Ihren Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte damit begründet, dass die Kündigung nur zufällig eine zeitliche Nähe zur Beendigung der Schwangerschaft aufweise. Die Kündigung beruhe auf unternehmerischer Entscheidung und sei von normalen geschäftlichen Überlegungen getragen.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigung vom 14. Juli 2011 für unwirksam befunden, die Klage gegen die Kündigung vom 9. August 2011 sowie den Klageantrag auf Zahlung einer Entschädigung hat es abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte vor dem Landesarbeitsgericht auch in diesen beiden Anträgen Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht für die Beklagte im Hinblick auf die ausgeurteilte Entschädigung zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte insoweit das Ziel einer Klageabweisung weiter.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 3.000,00 Euro zugesprochen.

A. Seine Entscheidung zum Anspruch der Klägerin auf Entschädigung hat das Landesarbeitsgericht im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Klägerin habe ausreichend Tatsachen vorgetragen, die aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen ließen, dass sie durch die Beklagte eine Benachteiligung wegen ihrer Schwangerschaft und damit unmittelbar wegen ihres Geschlechts erfahren habe. Die Beklagte habe nur der Klägerin gekündigt. Ihr Vorbringen, noch eine weitere Kündigung ausgesprochen zu haben, habe sie nicht substanziiert. Vielmehr habe sie den Vortrag der Klägerin, es sei ein Aufhebungsvertrag auf Wunsch eines Arbeitnehmers abgeschlossen worden, unbestritten gelassen. Die Umstände zu diesem Aufhebungsvertrag habe die Beklagte nicht dargelegt. Damit könne nicht von einer einheitlichen unternehmerischen Entscheidung zum Personalabbau ausgegangen werden.

Der Geschäftsführer der Beklagten habe auf das Beschäftigungsverbot verärgert reagiert und die Klägerin gedrängt, weiter zu arbeiten. Schließlich sei der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen dem Wegfall des Mutterschutzes und dem Kündigungsausspruch am 14. Juli 2011 zu berücksichtigen. Damit lägen hinreichende Indizien für die Annahme vor, dass die Kündigung vom 14. Juli 2011 eine Reaktion der Beklagten auf das Beschäftigungsverbot gewesen sei und dessen Einhaltung durch die Klägerin. Es sei zu vermuten, dass die Beklagte gegenüber einer nicht schwangeren und von keinem Beschäftigungsverbot nach § 3 MuSchG betroffenen Arbeitnehmerin eine Kündigung nicht ausgesprochen hätte. Die Beklagte habe der ihr nach § 22 AGG obliegenden Darlegungslast, die Schwangerschaft der Klägerin sei in ihrem Motivbündel nicht enthalten gewesen, nicht entsprochen. Vielmehr habe sie nur pauschal auf die „Betriebsbedingtheit“ der Kündigungen verwiesen und auf eine unternehmerische Entscheidung, wegen rückläufigen Arbeitsanfalls das Arbeitsverhältnis zur Klägerin zu kündigen. Dies stehe aber in Widerspruch zu den sonstigen Umständen und sei von der Beklagten nicht weiter substanziiert worden. Damit sei die Klägerin wegen des Beschäftigungsverbots, mithin wegen ihrer Schwangerschaft und folglich wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden. Diese Benachteiligung wiege schwer, zumal sie bewusst und gewollt geschehen sei, worauf auch der Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs hindeute. Unter dem Gesichtspunkt einer fühlbaren Sanktion, aber auch zur Abschreckung hinsichtlich künftigen Fehlverhaltens sei unter Berücksichtigung der geringen Betriebsgröße der Beklagten ein Betrag von 3.000,00 Euro angemessen, aber auch ausreichend. § 2 Abs. 4 AGG stehe dem nicht entgegen. Das Bundesarbeitsgericht habe bereits Entschädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung ausdrücklich für möglich gehalten.

B. Diese Begründung des Berufungsurteils hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Die Klägerin wurde wegen ihrer Schwangerschaft und daher wegen ihres Geschlechts ungünstiger behandelt, § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 2 AGG. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG wird nicht durch § 2 Abs. 4 AGG ausgeschlossen.

I. Der Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Als Arbeitnehmerin ist die Klägerin „Beschäftigte“ iSd. AGG, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG. Die Beklagte, die die Klägerin beschäftigt hat, ist Arbeitgeberin, § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG.

II. Den Entschädigungsanspruch hat die Klägerin rechtzeitig nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG geltend gemacht. Bereits die am 5. August 2011 beim Arbeitsgericht Z eingegangene Klage gegen die Kündigung vom 14. Juli 2011 enthielt unter Ziff. 2 den Antrag auf Entschädigung. Damit hat die Klägerin sowohl die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG als auch die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt.

III. Einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG kann die Klägerin grundsätzlich auch in Ansehung der Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG geltend machen.

1. Der Wortlaut von § 2 Abs. 4 AGG bestimmt, dass „für Kündigungen“ ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Der Wortlaut dieser verabschiedeten Gesetzesfassung geht auf einen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags zurück (BT-Drucks. 16/2022 S. 6). Der Regierungsentwurf hatte noch vorgesehen, dass für Kündigungen „vorrangig“ die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes zu gelten hätten (BT-Drucks. 16/1780 S. 7). Für die Beurteilung von Kündigungen hat dies in der Rechtslehre den Streit ausgelöst, ob § 2 Abs. 4 AGG auch primärrechtswidrig die „Kündigung“ aus dem Anwendungsbereich des AGG ausklammere (zB Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 260, 262 unter Verweis auf EuGH 22. November 2005 – C-144/04 – [Mangold] Slg. 2005, I-9981), oder ob mit der Norm nur ein „doppelter Kündigungsschutz“ vermieden werden sollte (zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59). Für Kündigungen hat die Rechtsprechung diesen Streit dahin gehend aufgelöst, dass die Diskriminierungsverbote des AGG einschließlich der im Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten sind, als sie Konkretisierungen des Sozialwidrigkeitsbegriffs darstellen. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegen Benachteiligungsverbote des AGG, so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 KSchG führen (vgl. BAG 6. November 2008 – 2 AZR 523/07 – BAGE 128, 238; 22. Oktober 2009 – 8 AZR 642/08 – Rn. 15; 5. November 2009 – 2 AZR 676/08 -).

2. Ungeachtet der Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung sperrt § 2 Abs. 4 AGG weitergehende Ansprüche auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht. Ansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG auf Entschädigung wegen Schäden, die nicht Vermögensschäden sind, auch im Fall einer sozial nicht gerechtfertigten, diskriminierenden Kündigung grundsätzlich zuzulassen, ist nicht systemwidrig. Auch bisher waren etwa auf § 823 Abs. 1 BGB gestützte Entschädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung nicht ausgeschlossen (vgl. BAG 24. April 2008 – 8 AZR 347/07 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8; 22. Oktober 2009 – 8 AZR 642/08 – Rn. 15 f.; 28. April 2011 – 8 AZR 515/10 – Rn. 20). Dies wird auch von der überwiegenden Meinung in der Rechtslehre so gesehen (zB KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 27; Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 2 Rn. 50; Meinel/Heyn/Herms AGG § 2 Rn. 66 und § 15 Rn. 55; Schleusener/Suckow/Voigt/Schleusener 3. Aufl. § 2 Rn. 30; ebenso – im Hinblick auf das unionsrechtliche Sanktionsgebot in der Form eines Schadensausgleichs – Jacobs RdA 2009, 193, 196 und Stoffels RdA 2009, 204; aA zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59; Sagan NZA 2006, 1257). Dabei ist zu berücksichtigen, dass erklärte Kündigungen oft Bezüge zu den Anknüpfungsmerkmalen des AGG aufweisen. Im Normalfall wird eine ungerechtfertigte Belastung durch die Überprüfung der Kündigung anhand der Bestimmungen des allgemeinen und des besonderen Kündigungsschutzes ausgeräumt. Eine merkmalsbezogene Belastung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung führt jedenfalls dann zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG, wenn die Belastung – wie bei einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung – über das Normalmaß hinausgeht.

3. Es ist nicht zu entscheiden, ob bei diskriminierenden Kündigungssachverhalten weitere Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens nach § 15 Abs. 1 AGG in Betracht kommen können. Grundsätzlich wird bei einer für unwirksam befundenen Kündigung der materielle Schaden, was die Kündigung selbst angeht, im Wege der Naturalrestitution ausgeglichen, für weitere materielle Folgen von Kündigungen stehen die Anspruchsgrundlagen des bürgerlichen Rechts unabhängig von § 15 Abs. 1 AGG seit jeher zur Verfügung, zB § 615 BGB.

IV. Durch die Kündigungen hat die Klägerin eine weniger günstige Behandlung erfahren als die übrigen vergleichbaren Arbeitnehmer der Beklagten, denen nicht gekündigt wurde. Die Klägerin hat eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG wegen ihres Geschlechts als einem der in § 1 AGG genannten, verbotenen Merkmale erfahren, weil sie als Frau wegen ihrer Schwangerschaft ungünstiger behandelt worden ist, § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG.

1. Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal „Schwangerschaft/Geschlecht“ ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Schwangerschaft anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund – die Schwangerschaft – das ausschließliche Motiv für das Handeln ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (st. Rspr., BAG 21. Juni 2012 – 8 AZR 364/11 – Rn. 32, BAGE 142, 158 = EzA AGG § 22 Nr. 6; 16. Februar 2012 – 8 AZR 697/10 – Rn. 42, AP AGG § 22 Nr. 4 = EzA AGG § 15 Nr. 17). Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG 16. Februar 2012 – 8 AZR 697/10 – aaO). Die Schwangerschaft muss mithin nicht – gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens – handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; eine bloße Mitursächlichkeit genügt.

Besteht eine derartige Vermutung für die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

2. Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von der Klägerin vorgetragenen und unstreitigen oder bewiesenen (Hilfs-)Tatsachen eine Benachteiligung wegen der Schwangerschaft vermuten lassen, ist nur beschränkt revisibel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Überzeugung bzw. Nichtüberzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen dem Anknüpfungsmerkmal – hier die Schwangerschaft oder das Geschlecht – und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BAG 21. Juni 2012 – 8 AZR 364/11 – Rn. 34, BAGE 142, 158 = AP AGG § 22 Nr. 5 = EzA AGG § 22 Nr. 6; 13. Oktober 2011 – 8 AZR 608/10 – Rn. 36, AP AGG § 15 Nr. 9 = EzA AGG § 15 Nr. 16).

3. Das Landesarbeitsgericht hat die Kausalität zwischen der Schwangerschaft der Klägerin und dem Kündigungsverhalten der Beklagten im Ergebnis rechtsfehlerfrei bejaht.

a) Die Kündigung vom 14. Juli 2011 ist der Klägerin während ihrer noch bestehenden Schwangerschaft zugegangen. Damit verstieß sie objektiv gegen das Verbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG, wonach die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig ist, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war.

aa) Die Klägerin hatte am 14. Juli 2011 erfahren, dass ihre Leibesfrucht abgestorben ist. Eine natürliche Fehlgeburt war bis dahin nicht erfolgt, weswegen sie auf den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestellt worden war, um eine solche Fehlgeburt künstlich einzuleiten oder durch einen entsprechenden Eingriff zu ersetzen. Hierüber unterrichtete die Klägerin die Beklagte über ihre Vorgesetzte Frau S noch am 14. Juli 2011. Daraufhin setzte der Geschäftsführer der Beklagten sofort ein Kündigungsschreiben auf und ließ dieses noch am 14. Juli 2011 in den Hausbriefkasten der Klägerin einwerfen. Dadurch ging die Kündigung der Klägerin spätestens am Morgen des 15. Juli 2011 zu, als die Schwangerschaft noch bestand.

bb) § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG – Kündigungsverbot – wie § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG – Beschäftigungsverbot – stellen auf den Begriff der Schwangerschaft und auf deren Ende durch „Entbindung“ ab. Unter „Entbindung“ ist grundsätzlich die „Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib“ zu verstehen, was bei einer Lebendgeburt vollkommen unproblematisch ist (vgl. BAG 16. Februar 1973 – 2 AZR 138/72 – BAGE 25, 70; ErfK/Schlachter 13. Aufl. § 6 MuSchG Rn. 2). Im Falle einer Totgeburt wurde bis 1994 von einer Entbindung gesprochen, wenn die Frucht eine Körperlänge von 35 cm hatte (vgl. BAG 16. Februar 1973 – 2 AZR 138/72 – zu II 1 der Gründe, aaO). Nach einer Änderung der Personenstandsverordnung (§ 29 Abs. 2 PStV aF, gültig ab 1. April 1994; seit 1. Januar 2009 § 31 Abs. 2 PStV) entsprechend den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO von 1977 gelten nunmehr Kinder als tot geboren oder in der Geburt verstorben, wenn das Gewicht der Leibesfrucht mindestens 500 g betragen hat (vgl. BAG 15. Dezember 2005 – 2 AZR 462/04 – zu B I 1 d der Gründe). Auch eine solche Totgeburt ist als Entbindung anzusehen. Dies gilt auch im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs, wenn sich das Kind schon bis zu einem Stadium entwickelt hatte, in dem es zu einem selbständigen Leben – wenn auch nur kurz – grundsätzlich fähig war (vgl. BAG 15. Dezember 2005 – 2 AZR 462/04 – zu B I 1 der Gründe). Eine tot geborene Leibesfrucht von geringerem Körpergewicht als 500 g gilt dagegen als Fehlgeburt, § 31 Abs. 3 PStV, die keine Entbindung im Sinne des Mutterschutzgesetzes bedeutet. Bei einer Fehlgeburt besteht der Schutz vor Kündigungen nur, aber eben auch bis zum Zeitpunkt der Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib.

cc) Dem entspricht die medizinische Terminologie und Einteilung. Ärzte sprechen bei einem Gewicht des Fötus von 500 g und mehr von einer Totgeburt. Dieses Gewicht ist ab der 22. Schwangerschaftswoche zu erwarten (Runnebaum/Rabe Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin Bd. 2, S. 414). Generell wird zwischen Fehlgeburten aus natürlicher Ursache (Spontanaborten) und Schwangerschaftsabbrüchen (artifizielle Aborte) unterschieden. Bei einer „missed abortion“, also einem verhaltenen Abort, ist die Fruchtanlage abgestorben, wird aber nicht aus der Gebärmutter ausgestoßen. Es gibt außer fehlenden Vitalitätszeichen keine äußeren Anhaltspunkte wie eine Blutung oder Gewebsabgang. Der Zervikalkanal ist geschlossen. Eine sicher diagnostizierte missed abortion muss mit einem artifiziellen Abort therapiert werden, um möglicherweise letale Komplikationen wie das Dead-Fetus-Syndrom zu vermeiden. Dies bedeutet, dass auch medizinisch der Abort „verhalten“, also vom Körper nicht natürlich vorgenommen wird und die Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib erst durch den artifiziell herbeigeführten Abort erfolgt. Erst in diesem Zeitpunkt ist auch aus medizinischer Sicht die Schwangerschaft beendet.

dd) Juristisch wie medizinisch hat daher die Schwangerschaft der Klägerin nicht mit dem Absterben des Kindes in der Gebärmutter geendet. Entscheidend war vielmehr die Trennung der toten Leibesfrucht vom Mutterleib, die erst im Verlauf des 15. Juli 2011 erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt war die Kündigung der Klägerin schon zugegangen (vgl. BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 21 und 22, EzA KSchG § 5 Nr. 41). Wann die Klägerin als Empfängerin die Kündigung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat, ist unerheblich. Es kommt nicht darauf an, dass dies – aus individuell verständlichen Gründen – erst am 16. Juli 2011 nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus geschah. Da die Kündigung mit Zugang wirksam wurde und die Klägerin in diesem Zeitpunkt noch schwanger war, verstieß die Kündigung der Beklagten vom 14. Juli 2011 gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.

b) Die Missachtung der besonderen Schutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes zu Gunsten der werdenden Mutter bei Erklärung der ersten Kündigung indiziert eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft und damit wegen ihres Geschlechts, § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG iVm. § 1 AGG. Die Beklagte kann diesen Kausalzusammenhang nicht dadurch mit Erfolg bestreiten, dass sie auf eine am 14./15. Juli 2011 bestehende komplizierte kündigungs- und mutterschutzrechtliche Konstellation verweist. Im Gegenteil: Ihr Hinweis in der Revisionsbegründung, sie habe nicht gewusst, ob „bei der Klägerin die Schutzvorschriften zum Mutterschutz noch gelten oder nicht“ und deswegen das Arbeitsverhältnis am 9. August 2011 nochmals gekündigt, wirkt verstärkend: Ein Arbeitgeber, der die Möglichkeit eines geschlechtsspezifischen Kündigungsverbotes erkennt und gleichwohl eine Kündigung ausspricht oder die Kündigung aus genau dieser Überlegung wiederholt, will „erst recht“ wegen des Geschlechts der Arbeitnehmerin benachteiligen. Im Übrigen deutet diese Argumentation der Beklagten darauf hin, dass weder ein neuer, vom Geschlecht der Klägerin unabhängiger Kündigungsentschluss bei der Kündigung vom 9. August 2011 zugrunde lag noch, dass der ersten Kündigung „betriebsbedingte“ Motivationen zugrunde gelegen hätten.

c) Die weitere Würdigung des Landesarbeitsgerichts, auch die Tatsache, dass sich der Geschäftsführer der Beklagten über das Beschäftigungsverbot vom 4. Juli 2011 verärgert gezeigt und die Klägerin – erfolglos – zur Weiterarbeit gedrängt habe, deute darauf hin, dass die nur zehn Tage später ausgesprochene Kündigung eine Benachteiligung wegen der Schwangerschaft gewesen sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Würdigung ist möglich, in sich widerspruchsfrei und verstößt nicht gegen Erfahrungssätze, zumal die Klägerin bei ihrer Nachricht an Frau S am 14. Juli 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, nach dem Eingriff stehe sie wieder zur Verfügung und damit – juristisch korrekt – das Ende des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes mit dem Abschluss der artifiziellen Fehlgeburt mitgeteilt hatte.

d) Darüber hinaus ist die Kündigung vom 14. Juli 2011 „zur Unzeit“ erklärt worden. Die Art der Treuwidrigkeit ist wiederum geschlechtsspezifisch diskriminierend. Es verstößt grob gegen die Pflicht der Beklagten zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Klägerin, ihr noch vor dem Weg ins Krankenhaus, wo sie – für die Beklagte bekannt – einen artifiziellen Abort vornehmen lassen musste, die Kündigungserklärung zukommen zu lassen. Dies kann nur als absichtliche Missachtung der persönlichen Belange der Klägerin angesehen werden, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation sah und darüber hinaus den Tod ihres Kindes zu verarbeiten hatte. Die Beklagte hat bewusst einen Zugangszeitpunkt gewählt, der die Klägerin besonders beeinträchtigen musste (vgl. BAG 14. November 1984 – 7 AZR 174/83 – zu II 4 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 88; 12. Juli 1990 – 2 AZR 39/90 – zu B IV 2 a der Gründe; 5. April 2001 – 2 AZR 185/00 – zu II 2 b der Gründe, BAGE 97, 294).

V. Rechtsfehler des Berufungsgerichts bei der Bestimmung der Höhe der ausgeurteilten Entschädigung sind nicht erkennbar. Entgegen der mit der Revision vertretenen Meinung liegt auch kein Anwendungsfall des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG vor.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.


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