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Selbstständiges Beweisverfahren – Anordnung wegen hohem Alter eines Zeugen

Zeugenaussagen im Alter: Streit um Wegerecht scheitert an Beweisverfahren

Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat entschieden, dass das hohe Alter eines Zeugen die Besorgnis begründet, dass das Beweismittel verloren geht oder dessen Nutzung erschwert wird, was die Anordnung eines selbstständigen Beweisverfahrens rechtfertigt, vorausgesetzt der Zeuge hat die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich überschritten. Die Antragstellerin strebt die Sicherung von Zeugenaussagen bezüglich der Nutzung eines Weges an, um die straßenrechtliche Einordnung eines Weges zu klären, deren Bestandteil ihr Grundstück sein könnte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 O 132/20 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat mit Beschluss vom 09.03.2021 (Az.: 2 O 132/20) entschieden.
  • Das hohe Alter eines Zeugen kann ein selbstständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 1 Alt. 2 ZPO rechtfertigen, insbesondere wenn die Lebenserwartung deutlich überschritten ist.
  • Der Fall betrifft die Sicherung von Zeugenaussagen zur Nutzung und Breite eines Weges, der möglicherweise über das Grundstück der Antragstellerin führt.
  • Die Antragstellerin zielt darauf ab, die Eigenschaft des Weges als öffentliche Straße zu klären, was für zukünftige Streitigkeiten relevant sein könnte.
  • Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag zunächst ab, da nicht glaubhaft gemacht wurde, dass die Beweismittel (Zeugenaussagen) verloren gehen könnten.
  • Das Oberverwaltungsgericht hob diese Entscheidung jedoch auf, da das hohe Alter der Zeugen die Besorgnis eines Beweismittelverlustes begründet.
  • Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung des selbstständigen Beweisverfahrens zur Sicherung von Beweisen in Fällen, in denen Zeugen aufgrund ihres Alters möglicherweise nicht mehr zur Verfügung stehen könnten.

Schutz vor Beweismittelverlust

Bei Rechtsstreitigkeiten kommt es häufig auf die Aussagen von Zeugen an. Doch was passiert, wenn diese aufgrund ihres hohen Alters versterben oder eine schwere Erkrankung erleiden, bevor es zur mündlichen Verhandlung kommt? Um einen drohenden Beweismittelverlust zu verhindern, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein selbstständiges Beweisverfahren beantragt werden.

In einem solchen Verfahren werden die Zeugenaussagen bereits im Vorfeld gesichert. Das Gericht ordnet die Vernehmung oder Begutachtung an, auch wenn noch kein Hauptsacheverfahren anhängig ist. So kann wichtiges Beweismaterial frühzeitig festgehalten und für einen späteren Prozess verwendet werden – unabhängig vom Gesundheitszustand der Beteiligten.

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➜ Der Fall im Detail


Streit um Wegerecht mündet in seltenes Beweisverfahren

Im Fokus der rechtlichen Auseinandersetzung steht eine strittige Wegerechtsangelegenheit, die die Antragstellerin und die Antragsgegnerin – eine Gemeinde – betrifft. Kern des Disputs ist der sogenannte P.-Weg, der über das Grundstück der Antragstellerin sowie ein angrenzendes Grundstück führt.

Wegerecht: Beweisverfahren
(Symbolfoto: Zerbor /Shutterstock.com)

Während die Antragsgegnerin den Weg als öffentliche Straße einstuft, widerspricht die Antragstellerin dieser Ansicht, basierend auf der historischen Nutzung des Weges. Ein von der Antragsgegnerin erlassener Bescheid forderte die Antragstellerin auf, Hindernisse auf dem Weg zu entfernen, was diese jedoch mit Hinweis auf das fragliche Wegerecht ablehnte. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die straßenrechtliche Anordnung ab, woraufhin die Antragstellerin Beschwerde einlegte.

OVG Sachsen-Anhalt entscheidet über selbstständiges Beweisverfahren

Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt war mit der Frage konfrontiert, ob das hohe Alter eines Zeugen die Anordnung eines selbstständigen Beweisverfahrens rechtfertigt, um die Aussagen hinsichtlich der historischen Nutzung und Beschaffenheit des P.-Weges zu sichern. Das Gericht bestätigte, dass das fortgeschrittene Alter eines Zeugen grundsätzlich die Befürchtung rechtfertigen kann, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Nutzung erschwert wird. Es stellte jedoch fest, dass im vorliegenden Fall nicht glaubhaft gemacht wurde, dass diese Gefahr tatsächlich besteht.

Rechtliche Erwägungen und Urteilsbegründung

In seiner Urteilsbegründung erörterte das Gericht die Voraussetzungen für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens und kam zu dem Schluss, dass die Antragstellerin nicht nachweisen konnte, dass die Zeugen aufgrund ihres Alters oder Gesundheitszustands nicht zur Verfügung stehen würden. Das Gericht legte dar, dass die Zustimmung des Gegners oder die Besorgnis des Beweismittelverlustes wesentliche Kriterien für die Anordnung eines solchen Verfahrens sind. Da weder eine Zustimmung vorlag noch die erforderliche Besorgnis glaubhaft gemacht wurde, wies es den Antrag ab.

Folgen der Entscheidung für die Beteiligten

Für die Antragstellerin bedeutet diese Entscheidung, dass sie keine Möglichkeit erhält, die Zeugenaussagen im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens zu sichern. Dies könnte ihre Position in einem möglichen späteren Hauptsacheverfahren schwächen, insbesondere wenn die Zeugen nicht mehr verfügbar sein sollten. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung, die das Gericht der Glaubhaftmachung der Gefahr eines Beweismittelverlustes beimisst.

Ausblick und praktische Bedeutung

Obwohl das Oberverwaltungsgericht eine Anordnung für das selbstständige Beweisverfahren ablehnte, wirft der Fall Licht auf die komplexen Anforderungen und die hohe Relevanz solcher Verfahren zur Beweissicherung in strittigen Rechtsangelegenheiten. Insbesondere in Fällen, in denen die Verfügbarkeit von Beweismitteln durch Faktoren wie das hohe Alter von Zeugen gefährdet sein könnte, zeigt dieser Fall die Notwendigkeit auf, frühzeitig und überzeugend die Voraussetzungen für die Durchführung eines solchen Verfahrens darzulegen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was ist ein selbstständiges Beweisverfahren?

Ein selbstständiges Beweisverfahren ist ein gerichtliches Verfahren zur vorgezogenen Beweisaufnahme, das unabhängig von einem Hauptsacheverfahren durchgeführt werden kann. Es dient der Sicherung von Beweisen, die für ein mögliches oder bereits laufendes Gerichtsverfahren relevant sind.

Das Verfahren kann beantragt werden, wenn der Verlust von Beweismitteln droht oder deren Benutzung erschwert wird, oder wenn ein rechtliches Interesse an der Feststellung bestimmter Tatsachen besteht, z.B. des Zustands einer Sache, der Ursache eines Schadens oder des Aufwands für die Schadensbeseitigung. Insbesondere im Baurecht findet das selbstständige Beweisverfahren häufig Anwendung, um Baumängel frühzeitig gerichtsfest zu dokumentieren.

Das Verfahren wird auf Antrag einer Partei durch Beschluss des zuständigen Gerichts eingeleitet. Das Gericht beauftragt dann einen neutralen Sachverständigen mit der Begutachtung und Feststellung der relevanten Tatsachen. Die Ergebnisse des Gutachtens haben in einem späteren Hauptsacheverfahren Beweiskraft.

Ziel des selbstständigen Beweisverfahrens ist es, durch die vorgezogene Beweissicherung einen möglichen Hauptprozess zu verkürzen oder ganz zu vermeiden, wenn sich die Parteien aufgrund der Feststellungen außergerichtlich einigen. Zudem wird durch Einleitung des Verfahrens die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche gehemmt.

Wann kann das hohe Alter eines Zeugen ein selbstständiges Beweisverfahren rechtfertigen?

Das hohe Alter eines Zeugen kann ein selbstständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO rechtfertigen, wenn aufgrund des Alters die Besorgnis besteht, dass das Beweismittel verloren geht oder dessen Benutzung erschwert wird.

Allein das hohe Alter eines Zeugen begründet nach überwiegender Auffassung die Besorgnis, dass der Beweis durch Ableben des Zeugen verloren gehen könnte. Dies rechtfertigt die vorsorgliche Sicherung der Zeugenaussage in einem selbstständigen Beweisverfahren, auch ohne dass der Zeuge erkennbar erkrankt ist.

Insbesondere wegen der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft und der Zunahme von Demenz- und Alzheimer-Erkrankungen erscheint es sachgerecht, jedenfalls ab einem Alter von 75 Jahren aufwärts von der Gefahr einer erschwerten Benutzung des Beweismittels auszugehen. Aber auch unterhalb dieser Altersgrenze kann je nach Umständen des Einzelfalls aufgrund des Alters die Sicherung einer Zeugenaussage im Wege des selbstständigen Beweisverfahrens gerechtfertigt sein.

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Neben dem Alter können auch konkrete gesundheitliche Probleme des Zeugen wie schwere oder lebensbedrohliche Erkrankungen die Anordnung eines selbstständigen Beweisverfahrens rechtfertigen. Hier ist eine Einzelfallbetrachtung erforderlich.

Zusammenfassend begründet das hohe Alter eines Zeugen für sich genommen bereits die Besorgnis des Beweismittelverlusts. Ab einem Alter von 75 Jahren sollte in der Regel von dieser Gefahr ausgegangen werden. Unterhalb dieser Grenze oder bei jüngeren Zeugen mit gesundheitlichen Problemen ist anhand der konkreten Umstände zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ein selbstständiges Beweisverfahren vorliegen.

Welche Rolle spielt die Zustimmung des Gegners bei einem selbstständigen Beweisverfahren?

Die Zustimmung des Gegners spielt eine wichtige, aber keine zwingende Rolle für die Zulässigkeit eines selbstständigen Beweisverfahrens:

Ein selbstständiges Beweisverfahren kann auch ohne Zustimmung des Gegners durchgeführt werden, wenn der Verlust eines Beweismittels oder die Erschwerung seiner Benutzung zu besorgen ist (§ 485 Abs. 1 Alt. 2 ZPO). Dies ist z.B. der Fall bei schwerer Erkrankung oder hohem Alter eines Zeugen.

Liegt eine solche Besorgnis nicht vor, ist ein selbstständiges Beweisverfahren nur mit Zustimmung des Gegners zulässig (§ 485 Abs. 1 Alt. 1 ZPO). Die Zustimmung ermöglicht die Beweissicherung auch ohne Eilbedürftigkeit.

Stimmt der Gegner nicht zu, muss der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der sofortigen Feststellung des Beweises glaubhaft machen, insbesondere dass das Beweisverfahren zur Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann (§ 485 Abs. 2 ZPO). Dies ist eine hohe Hürde.

Ein praktischer Vorteil der Zustimmung des Gegners liegt darin, dass dieser dann die Kosten des Verfahrens mittragen muss, wenn er unterliegt. Ohne Zustimmung trägt der Antragsteller das Kostenrisiko zunächst allein.

Zusammenfassend ermöglicht die Zustimmung des Gegners ein selbstständiges Beweisverfahren auch ohne besondere Eilbedürftigkeit oder Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses. Sie ist aber keine zwingende Voraussetzung, wenn andere Gründe für eine vorgezogene Beweiserhebung sprechen. Ohne Zustimmung sind die Hürden jedoch deutlich höher.

Wie kann die Besorgnis des Beweismittelverlustes glaubhaft gemacht werden?

Die Besorgnis des Beweismittelverlustes oder der erschwerten Benutzung eines Beweismittels als Voraussetzung für ein selbstständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO muss vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden (§ 294 ZPO).

Für die Glaubhaftmachung reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt und ggf. durch Beweismittel untermauert, die das Vorliegen der Besorgnis überwiegend wahrscheinlich machen. An die Glaubhaftmachung sind geringere Anforderungen zu stellen als an den Vollbeweis, es genügt ein geringerer Grad an Gewissheit.

Mögliche Gründe für eine Besorgnis des Beweismittelverlusts, die glaubhaft gemacht werden können, sind z.B.:

  • Hohes Alter, schwere Erkrankung oder Gebrechlichkeit eines Zeugen
  • Geplanter Auslandsaufenthalt eines Zeugen
  • Gefahr der Veränderung einer Sache, die Gegenstand eines Augenscheins sein soll
  • Drohender Abriss eines Gebäudes mit Baumängeln

Der Antragsteller muss die Tatsachen, aus denen sich die Besorgnis ergibt, substantiiert darlegen und kann zu deren Untermauerung alle Beweismittel nutzen, z.B. ärztliche Atteste, Reiseunterlagen oder Fotos.

Bestehen Zweifel, ob die Tatsachen für eine Besorgnis ausreichen, darf das Gericht den Antrag nicht zurückweisen. In einer solchen „non-liquet“-Situation ist im Zweifel zugunsten des Antragstellers zu entscheiden und das selbstständige Beweisverfahren durchzuführen.

Zusammenfassend genügt für die Glaubhaftmachung der Besorgnis des Beweismittelverlusts die überwiegende Wahrscheinlichkeit aufgrund der vom Antragsteller vorgetragenen und belegten Tatsachen. Bestehen Zweifel, ist im Interesse der Beweissicherung eher großzügig von einer ausreichenden Besorgnis auszugehen.

Inwiefern unterscheidet sich das selbstständige Beweisverfahren vom regulären Gerichtsverfahren?

Das selbstständige Beweisverfahren unterscheidet sich in mehreren wesentlichen Punkten vom regulären Gerichtsverfahren:

Zweck und Gegenstand

Das selbstständige Beweisverfahren dient allein der vorgezogenen Beweisaufnahme zu bestimmten Tatsachen, ohne dass über den zugrundeliegenden Anspruch entschieden wird. Es geht nur um die Feststellung von Tatsachen wie Mängeln, Schadensursachen oder Beseitigungsaufwand. Im Gegensatz dazu wird im regulären Gerichtsverfahren in der Sache selbst, also über den geltend gemachten Anspruch, entschieden.

Zeitpunkt

Ein selbstständiges Beweisverfahren kann bereits vor Einleitung eines Klageverfahrens oder während eines laufenden Rechtsstreits durchgeführt werden. Ein reguläres Gerichtsverfahren setzt dagegen eine erhobene Klage voraus.

Ablauf und Dauer

Das selbstständige Beweisverfahren ist auf die reine Beweiserhebung, meist durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, beschränkt und endet mit deren Abschluss. Es ist daher regelmäßig deutlich schneller abgeschlossen als ein Klageverfahren mit schriftlichem und mündlichem Verfahren.

Ergebnis

Am Ende des selbstständigen Beweisverfahrens steht kein Urteil, sondern nur das Ergebnis der Beweisaufnahme, z.B. ein Sachverständigengutachten. Im Klageverfahren trifft das Gericht dagegen eine Entscheidung in der Sache und erlässt ein vollstreckbares Urteil.

Kosten

Die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens muss zunächst der Antragsteller tragen, der sie im Falle des Obsiegens in einem späteren Hauptsacheprozess erstattet verlangen kann. Im regulären Prozess werden die Kosten dagegen am Ende der unterlegenen Partei auferlegt.

Zusammenfassend ist das selbstständige Beweisverfahren ein eigenständiges Verfahren neben dem Klageprozess, das nur der vorgezogenen Klärung bestimmter Tatsachen durch Beweisaufnahme dient. Es kann der Vorbereitung oder Vermeidung eines Rechtsstreits dienen, ersetzt diesen aber nicht.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 485 Abs. 1 ZPO (Zivilprozessordnung)
    • Regelung für das selbstständige Beweisverfahren. Ermöglicht die Beweissicherung durch Vernehmung von Zeugen, Sachverständigenbegutachtung oder Augenscheinnahme, wenn der Verlust eines Beweismittels droht oder dessen Nutzung erschwert werden könnte. Relevant im Kontext der Sicherung von Zeugenaussagen aufgrund des hohen Alters der Zeugen.
  • § 98 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung)
    • Ermächtigt zur Anwendung der Vorschriften der ZPO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, inklusive des selbstständigen Beweisverfahrens. Wichtig für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bezüglich des Antrags auf ein selbstständiges Beweisverfahren.
  • § 485 Abs. 2 ZPO
    • Spezifiziert die Möglichkeit, eine schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens zu beantragen, wenn ein rechtliches Interesse besteht. Im besprochenen Fall jedoch nicht erfüllt, da bereits ein Rechtsstreit anhängig ist.
  • § 146 Abs. 1 VwGO
    • Regelung zur statthaften und zulässigen Beschwerde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Grundlage für die Beschwerde gegen die Ablehnung des selbstständigen Beweisverfahrens durch das Verwaltungsgericht.
  • § 487 Nr. 4 ZPO
    • Betrifft die Glaubhaftmachung der Umstände, die ein selbstständiges Beweisverfahren rechtfertigen würden. Im Kontext des Falles relevant, da die Antragstellerin die Besorgnis des Beweismittelverlusts nicht ausreichend glaubhaft machen konnte.
  • § 51 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 StrG LSA (Straßengesetz für das Land Sachsen-Anhalt)
    • Relevante Vorschriften zur Einordnung eines Weges als öffentliche Gemeindestraße. Wichtig für die straßenrechtliche Auseinandersetzung über den Status des P.-Weges.


Das vorliegende Urteil

Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 2 O 132/20 – Beschluss vom 09.03.2021

Leitsatz

Das hohe Alter eines Zeugen begründet die Besorgnis, dass das Beweismittel verloren geht oder eine erschwerte Benutzung desselben eintritt, und rechtfertigt damit die Sicherung des Beweises durch ein selbständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 1 Alt. 2 ZPO. Als „hohes Alter“ in diesem Sinne kommt aber nur ein fortgeschrittenes Lebensalter in Betracht; von einem solchen ist auszugehen, wenn der potentielle Zeuge die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich überschritten hat.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Sicherung von Zeugenaussagen hinsichtlich der tatsächlichen Breite und Nutzung eines Weges.

Sie ist Eigentümerin des Flurstücks 196 der Flur A der Gemarkung (W.) im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin. Über dieses Flurstück und das benachbarte Flurstück 200 führt der P.-Weg, der von einem Kreisverkehr am Platz D. zum Flurstück 199/1 führt, auf dem sich die derzeit zu Wohnzwecken genutzte sog. P. befindet. Die Antragsgegnerin geht davon aus, dass es sich bei dem P.-Weg um eine öffentliche Straße handelt. Die Antragstellerin meint, der Weg habe zu DDR-Zeiten nur über das Flurstück 200 geführt und sei erst nachträglich um ca. 1 m ausgebaut worden.

Die Antragstellerin ließ auf dem P.-Weg eine rot-weiß gestreifte Eisenstange und eine Betonplatte anbringen. Unter den Beteiligten ist streitig, ob sich diese Gegenstände auf dem Grundstück der Antragstellerin oder auf dem Nachbargrundstück (Flurstück 200) befanden. Mit Bescheid vom 18. September 2018 ordnete die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung an, den Sperrpfosten und die Betonplatte bis zum 30. September 2018 zu entfernen und die unbefestigte Oberfläche wiederherzustellen.

Den von der Antragstellerin gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die straßenrechtliche Anordnung wiederherzustellen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. April 2019 ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 12. Juni 2019 (2 M 50/19) zurück und führte zur Begründung u.a. aus: Maßgeblich für die Einordnung eines Weges als öffentliche Gemeindestraße im Sinne des § 51 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 StrG LSA sei die Frage, ob auf der Fläche bei Inkrafttreten der Verordnung über das Straßenwesen vom 18. Juli 1957 (GBl. DDR I S. 377) – StrVO – am 31. Juli 1957 ein allgemeiner Verkehr tatsächlich stattgefunden habe. Es spreche jedenfalls viel dafür, dass es sich bei dem P.-Weg um eine öffentliche Straße handele. Alle von der Antragsgegnerin befragten Zeitzeugen hätten angegeben, dass der Weg schon vor 1957 existiert habe und auch zur allgemeinen Befahrung durch Pkw genutzt worden sei. Offen sei, ob im Zeitpunkt des Inkrafttretens der StrVO im Jahr 1957 auch das Flurstück 196 der Flur A der Gemarkung (W.), das im Eigentum der Antragstellerin stehe, Bestandteil des Weges gewesen sei. Für diese Annahme spreche, dass einer der Zeitzeugen, Herr H., angegeben habe, dass der Weg schon vor 1957 „in der jetzigen Form und Breite existent“ gewesen sei. Habe sich, wie der Zeuge behauptet, seit 1957 keine Veränderung der Wegführung und -breite ergeben, müsse der Weg bereits in dieser Zeit über das Grundstück der Antragstellerin (Flurstück 196 der Flur A) geführt haben. Diese Schlussfolgerung gelte unabhängig davon, welche Flurstücksnummer in dem an die Zeitzeugen gerichteten Formular genannt worden sei und ob ausdrücklich nach der Nutzung des Grundstücks der Antragstellerin gefragt worden sei. Eine unveränderte Wegführung und -breite würde eine Verbreiterung des Weges und damit eine (erst) nachträgliche Inanspruchnahme des Grundstücks der Antragstellerin für den Weg ausschließen. Zwar werde die Darstellung des Zeugen H. durch die Erklärung einer Bauamtsmitarbeiterin der Antragsgegnerin, der Weg sei erst in der Nachwendezeit um einen Meter verbreitert worden, in Frage gestellt. Angesichts der widersprüchlichen Aussagen sei jedoch die Annahme gerechtfertigt, dass der Sachverhalt derzeit nicht abschließend geklärt sei. Sollte der Weg erst nachträglich verbreitert worden sein, würde sich im Übrigen die Frage stellen, ob der Weg im Jahr 1957 ausschließlich über das Flurstück 200 und nicht bereits in dieser Zeit über das im Eigentum der Antragstellerin stehende Flurstück 196 geführt habe. Weder den Angaben der Zeugen noch der Stellungnahme der Bauamtsmitarbeiterin lasse sich verlässlich entnehmen, dass der Wegverlauf mit den Flurstücksgrenzen übereingestimmt habe.

Einen am 21. Juni 2019 gestellten Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 23. Oktober 2019 ab. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 12. Dezember 2019 (2 M 122/19) zurück und gab zur Begründung an: Auch unter Berücksichtigung der nunmehr vorgelegten Erklärungen von Herrn J. und Herrn W. vom 10., 22. und 23. Juni 2019 sei der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nach wie vor offen, und die danach gebotene Interessenabwägung falle weiterhin zu Lasten der Antragstellerin aus.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2020 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin zurück.

Am 17. Februar 2020 (einem Montag) hat die Antragstellerin Klage erhoben (2 A 114/20 MD) mit dem Antrag, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2020 aufzuheben und festzustellen, dass das Widerspruchsverfahren erledigt ist. Zur Begründung hat sie vorgetragen, während des Widerspruchsverfahrens hätten sich der angefochtene Bescheid und das Widerspruchsverfahren erledigt, weil die Betonplatte von Mitarbeitern der Antragsgegnerin oder dritten Personen entfernt worden sei. Der Erlass eines Widerspruchsbescheides sei daher unzulässig gewesen. Für eine Fortsetzungsfeststellungsklage fehle ihr das Feststellungsinteresse.

Ebenfalls am 17. Februar 2020 hat die Antragstellerin beantragt, im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens zur Sicherung der Zeugenaussagen der Zeugen J., W. und Ja. hinsichtlich der tatsächlichen Breite und Nutzung des P.-Weges vor und im Jahr 1957 Beweis zu erheben, über die Behauptung der Antragsgegnerin,

1. der P.-Weg in C-Stadt habe unmittelbar vor und im Jahre 1957 über das Grundstück Flurstück 200 der Antragsgegnerin hinaus über das Grundstück der Antragstellerin, Gemarkung (W.), Flur A, Flurstück 196 geführt,

2. die heutige tatsächliche Inanspruchnahme des Grundstücks der Antragstellerin durch den P.-Weg nutzende Pkw (Anwohner Pkw-Verkehr der renovierten P.) sei identisch mit dem Zustand aus dem Jahre 1957,

3. seinerzeit sei – unabhängig von seinem tatsächlichen Verlauf über die beiden Flurstücke – der öffentlichen Nutzung des P.-Weges durch Anwohner nicht widersprochen worden.

durch Vernehmung der betagten Zeugen.

Zur Begründung hat die Antragstellerin ausgeführt: Zwar sei das entsprechende Verwaltungsverfahren durch Demontage der Hindernisse durch die Antragsgegnerin oder Dritte zwischenzeitlich erledigt. Die grundsätzliche Frage, ob und in welchem Umfang das Eigentum der Antragstellerin straßenrechtlich überlagert sei, sei aber weiterhin ungeklärt. Die Durchführung des vorliegenden Verfahrens diene daher der Sicherung des Zeugenbeweises für künftige Streitigkeiten und darüber hinaus auch der Vermeidung eines förmlichen Verwaltungsverfahrens, sofern sich die Eigenschaft des P.-Wegs als öffentliche Straße bewahrheite oder widerlegt werden könne.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens mit dem angegriffenen Beschluss angelehnt und zur Begründung ausgeführt: Gemäß § 98 VwGO könne zwar auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein selbstständiges Beweisverfahren nach § 485 ZPO durchgeführt werden. Danach könne eine Partei während oder außerhalb eines Streitverfahrens u.a. die Vernehmung von Zeugen beantragen, wenn der Gegner zustimme oder zu besorgen sei, dass das Beweismittel verlorengehe oder seine Benutzung erschwert werde. Diese Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Ob angesichts des Untersuchungsgrundsatzes allein wegen der Zustimmung des Antragsgegners auf die weiteren objektiven Voraussetzungen verzichtet werden könnte, könne dahinstehen, da zumindest keine Zustimmung vorliege. Als in der Person eines Zeugen begründete Umstände im Sinne der zweiten Alternative des § 485 Abs. 1 ZPO kämen etwa eine gefährliche Erkrankung, eine längere Auslandsreise des Zeugen oder eine bevorstehende Auswanderung in Betracht. Das hohe Alter eines Zeugen begründe in der Regel nur bei einem entsprechend reduzierten Gesundheitszustand die Besorgnis seines alsbaldigen Todes. Entsprechendes habe die Antragstellerin nicht gemäß § 487 Nr. 4 ZPO glaubhaft gemacht. Sie habe weder das Geburtsdatum der drei benannten Zeugen genannt bzw. glaubhaft gemacht noch sei ihrem Vortrag zu entnehmen, dass möglicherweise ein schlechter Gesundheitszustand und die daraus resultierende Besorgnis eines alsbaldigen Todes eines Zeugen dessen Vernehmung zur Beweissicherung erforderlich machen würde. Die Formulierung der Antragstellerin im Antragsschriftsatz, dass es sich um „betagte“ Zeugen handele, genüge nicht. Darüber hinaus seien die schriftlichen Aussagen der Zeugen J. und W. von der Antragstellerin bereits im Verfahren 2 B 245/19 MD zu den Akten gereicht worden. Es sei aufgrund der umfangreichen schriftlichen Äußerungen dieser Zeugen angesichts der Tatsache, dass die Zeugen über die tatsächliche Nutzung des Pumpenmühlenweges im Jahr 1957 aussagen sollen, nicht davon auszugehen, dass die Zeugen im Falle ihrer nochmaligen Vernehmung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung wesentlich mehr berichten könnten, als dies im Rahmen Ihrer schriftlichen Äußerungen bereits geschehen sei. Ein Verlust der Aussagen der Zeugen J. und W. sei folglich nicht mehr zu besorgen. Auch die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO seien nicht erfüllt, weil die von der Antragstellerin begehrte Zeugenvernehmung vom Tatbestand dieser Norm nicht erfasst sei.

II.

I. Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat, ist nicht begründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, auf den Antrag der Antragstellerin ein selbständiges Beweisverfahren anzuordnen.

1. Gemäß § 485 Abs. 1 ZPO, der nach § 98 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprechend gilt, kann während oder außerhalb eines Streitverfahrens auf Antrag einer Partei die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.

a) Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die erste Alternative des § 485 Abs. 1 ZPO hier nicht erfüllt ist, weil die Antragsgegnerin der beantragten Zeugenvernehmung nicht zugestimmt hat. Die Zustimmungserklärung des Gegners ist eine unwiderrufliche Prozesserklärung, die schriftlich oder mündlich dem Gericht gegenüber zu Protokoll der Geschäftsstelle oder dem Antragsteller gegenüber erklärt werden kann (Kratz, in: BeckOK ZPO § 485 Rn. 22). Stimmt der Gegner schriftlich zu, muss sich aus dem Inhalt der Erklärung eindeutig ergeben, dass er gerade mit dem beantragten selbständigen Beweisverfahren einverstanden ist (Schreiber, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 485 Rn. 6). Eine solche – eindeutige – Zustimmungserklärung der Antragsgegnerin zu dem beantragten Zeugenbeweis im selbständigen Beweisverfahren lässt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin dem Schriftsatz vom 12. Juni 2020 (Bl. 45 der VG-Akte) nicht entnehmen. Darin hat die Antragsgegnerin lediglich vorgetragen, dass der Antrag im selbständigen Beweisverfahren vom Klageverfahren abzutrennen sei und im Übrigen der Antrag abzulehnen wäre, wenn sich das Klageverfahren tatsächlich erledigt habe, weil die Klage unzulässig sei; dem Antrag wäre nur dann zu folgen, wenn die Klage zulässig wäre, weil es in diesem Falle auf die Frage der Widmung des P.-Wegs ankomme, was sich im Ergebnis nur mit einer Zeugenvernehmung ermitteln ließe. Soweit die Antragsgegnerin weiter erklärt hat, es müssten neben den von der Antragstellerin benannten Zeugen drei weitere Zeugen vernommen werden, stand dies unter dem Vorbehalt, dass die Klage zulässig ist.

b) Auch die Voraussetzungen der zweiten Alternative des § 485 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor.

Zwar ist der Antragstellerin darin zu folgen, dass das hohe Alter eines Zeugen die Besorgnis begründet, dass das Beweismittel verloren geht oder eine erschwerte Benutzung desselben eintritt und damit die Sicherung des Beweises durch ein selbständiges Beweisverfahren gerechtfertigt ist. Bei Menschen, die in einem gegenüber der gewöhnlichen Lebensdauer sehr hohen Alter stehen, ist nämlich sowohl die Gefahr eines plötzlichen und unerwarteten Todes als auch die Möglichkeit einer schweren Erkrankung, wie Schlaganfall oder dergleichen, auch ohne erkennbare Krankheit gegeben, was dazu führt, dass der unvermittelte Verlust des Beweismittels in der Zukunft oder aber die Erschwerung der Benutzung des Beweismittels nicht selten sind. Diese Erwägung gilt umso mehr, wenn Zeugen in der gegenwärtigen Corona-Pandemie aufgrund ihres hohen Alters zu einer Gruppe zählen, bei denen das Risiko schwerer Verläufe wesentlich größer ist (vgl. zum Ganzen: OLG Hamm, Beschluss vom 20. August 2020, I – 6 W 32/20, 6 W 32/20, Rn. 25, m.w.N., zu einer 83-jährigen Zeugin). Als „hohes Alter“ in diesem Sinne kommt aber nur ein fortgeschrittenes Lebensalter in Betracht; von einem solchen ist auszugehen, wenn der potentielle Zeuge die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich überschritten hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 21. Dezember 2020 – 9 W 1070/20 – juris Rn. 2, m.w.N.).

Gemessen daran ist nicht gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 487 Nr. 4 ZPO glaubhaft gemacht, dass die Besorgnis besteht, ein erforderlicher Zeugenbeweis gehe aufgrund des Alters der von der Antragstellerin benannten drei Zeugen verloren.

Von den drei Zeugen ist lediglich das Geburtsjahr des Zeugen J. (1946) bekannt, der im laufenden Jahr sein 75. Lebensjahr vollendet. Nach der Tabelle des Statistischen Bundesamts über die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland mit Stand vom 4. März 2021 (https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?sequenz=tabelleErgebnis&selectionname=12621-0002&zeitscheiben=16&sachmerkmal=ALT577&sachschluessel=ALTVOLL000,ALTVOLL020,ALTVOLL040,ALTVOLL060,ALTVOLL065,ALTVOLL080#abreadcrumb) haben Männer, die – wie der benannte Zeuge J. – ihr 65. Lebensjahr in den Jahren 2009 bis 2011 vollendet haben, eine durchschnittliche Lebenserwartung von weiteren 17,48 Jahren, so dass bei diesem Personenkreis von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 82 bis 83 Jahren ausgegangen werden kann. Der Zeuge J. wird dieses Alter erst in sieben bis acht Jahren erreichen.

Eine andere Beurteilung ist auch nicht mit Blick auf die gegenwärtige Corona-Pandemie geboten. Nach den Angaben des Robert-Koch-Instituts steigt zwar das Risiko einer schweren Erkrankung an COVID-19 ab 50 bis 60 Jahren stetig mit dem Alter an (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html), und der Anteil der 70 bis 79-jährigen an den Todesfällen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus in Deutschland beträgt ca. 19 % (https://de.statista.com/infografik/23756/gesamtzahl-der-todesfaelle-im-zusammenhang-mit-dem-coronavirus-in-deutschland-nach-alter/). Insgesamt sind jedoch bis zum 2. März 2021 in Deutschland 8.666 Männer im Alter zwischen 70 und 79 Jahren mit dem Corona-Virus verstorben (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1104173/umfrage/todesfaelle-aufgrund-des-coronavirus-in-deutschland-nach-geschlecht/). Dies entspricht einem Anteil von ca. 0,25 % der Gesamtzahl der 70- bis 79-jährigen Männer in Deutschland von insgesamt rund 3,45 Mio. (vgl. http://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Bevoelkerung/Datensammlung/PDF-Dateien/abbVIII3.pdf). Im Übrigen haben Personen, die – wie der Zeuge J. – das 70. Lebensjahr vollendet haben, gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Coronavirus-Impfverordnung mit hoher Priorität Anspruch auf Schutzimpfung, so dass damit zu rechnen ist, dass der Zeuge das Risiko einer schweren Erkrankung an COVID.19 mit eventueller Todesfolge alsbald durch eine Impfung deutlich reduzieren kann.

Vor diesem Hintergrund ist es wenig wahrscheinlich, dass sich das Risiko des Todes oder einer schweren Erkrankung des Zeugen J. vor Durchführung eines Termins zur mündlichen Verhandlung und einer dabei durchzuführenden Vernehmung verwirklichen wird. Da die von der Antragstellerin erhobene Klage gegen den Bescheid vom 18. September 2018 und den Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2020 bereits seit mehr als einem Jahr anhängig ist, ist davon auszugehen, dass innerhalb der nächsten beiden Jahre und damit noch innerhalb der statistischen Lebenserwartung des Zeugen J. im Rahmen einer mündlichen Verhandlung Beweis erhoben werden kann. Dem kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass es zu einer Beweisaufnahme im Rahmen des noch anhängigen Klageverfahrens nicht mehr komme, weil sich der angegriffene Verwaltungsakt durch die Demontage der Hindernisse während des Widerspruchsverfahrens erledigt habe. Die Erledigung eines Verwaltungsaktes tritt erst ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 – 7 C 5.08 – juris Rn. 13, m.w.N.). Die bloße Erfüllung oder sonstige Vollziehung eines Verwaltungsaktes führt grundsätzlich noch nicht zu dessen Erledigung, insbesondere wenn hierdurch keine irreversiblen Verhältnisse geschaffen werden und sich Vollstreckungsmaßnahmen rückgängig machen lassen (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO § 113 Rn. 119, m.w.N.). Soll eine behördliche Maßnahme das Verhalten des Betroffenen nicht nur einmalig, sondern auf Dauer steuern, wird sie nicht schon dann „gegenstandslos“, wenn der Betroffene ihr zwar nachgekommen ist, er seine Dispositionen aber jederzeit ändern könnte (BVerwG, Beschluss vom 26. März 1996 – 1 B 50.96 – juris Rn. 6). Darüber hinaus gehen von einem Verwaltungsakt, mit dem Handlungspflichten auferlegt werden, die im Wege der Ersatzvornahme vollstreckt wurden, unabhängig davon, ob irreversible Tatsachen geschaffen werden, auch weiterhin rechtliche Wirkungen für das Vollstreckungsverfahren aus; denn der Grundverwaltungsakt bildet zugleich die Grundlage für den Kostenbescheid; diese Titelfunktion des Grundverwaltungsaktes dauert an (BVerwG, Urteil vom 25. September 2008, a.a.O.). Eine Erledigung der Verfügung des Antragsgegners vom 18. September 2018 ist hiernach durch eine Entfernung der Hindernisse vom Weg unabhängig davon, ob die Antragsgegnerin die Verfügung im Wege der Ersatzvornehme vollstreckt hat, schon deshalb nicht eingetreten, weil sich die Hindernisse ohne weiteres wieder auf dem Weg anbringen lassen, die Verfügung vom 18. September 2018 aber das Ziel verfolgt, dass das Hindernis auf Dauer beseitigt bleibt. Es bleibt der Antragstellerin unbenommen, ihre Klage ungeachtet des in der Klageschrift bislang formulierten Klageantrages (Aufhebung des Bescheides vom 18. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides und zugleich Feststellung der Erledigung des Widerspruchsverfahrens) als Anfechtungsklage gegen die Verfügung vom 18. September 2018 weiterzuverfolgen.

Hinsichtlich der beiden anderen Zeugen fehlt es – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – an der Glaubhaftmachung, dass sie bereits ein höheres Lebensalter als der Zeuge J. erreicht haben, so dass nach dem oben genannten Maßstab nur noch von einer geringen Lebenserwartung auszugehen wäre. Dass einer der drei benannten Zeugen bereits so erkrankt ist, dass die Befürchtung besteht, seine Aussagen als Zeuge könne im Rahmen des laufenden Klageverfahrens verlorengehen, hat die Antragstellerin nicht behauptet.

Nach alldem kann offenbleiben, inwieweit das Verwaltungsgericht die Nichtdurchführung eines selbständigen Beweisverfahrens auch darauf stützen konnte, es lägen bereits schriftliche Aussagen der Zeugen J. und W. vor, so dass ein Verlust ihrer Aussagen nicht zu besorgen sei. Letzteres gilt zumindest nicht für die Zeugin Ja., von der noch keine schriftliche Aussage vorliegt. Im Übrigen liegt auch eine schriftliche Aussage des Herrn H. vor, die den Darstellungen der Zeugen J. und W. widerspricht, und hat die Antragsgegnerin weitere drei Zeugen benannt, so dass es entscheidend auf die Glaubwürdigkeit der einzelnen Zeugen ankommen dürfte, über die man sich aber in der Regel nur durch eine Vernehmung einen ausreichenden Eindruck verschaffen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 1980 – 3 C 1.79 – juris Rn 16 f.).

2. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO hat das Verwaltungsgericht zu Recht verneint. Danach kann eine Partei, wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass (1.) der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, (2.) die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels, (3.) der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangel festgestellt wird; ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Als Beweismittel des selbständigen Beweisverfahrens nach dieser Regelung kommt nur die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen in Betracht (Schreiber, a.a.O., § 485 Rn. 14, m.w.N.). Zudem ist bereits ein Rechtsstreit zwischen den Beteiligten anhängig, den die Antragstellerin – wie bereits dargelegt – fortführen und in diesem Rahmen eine Vernehmung der Zeugen erreichen kann.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

III. Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil gemäß KV-Nr. 5502 (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr entsteht (VGH BW, Beschluss vom 20. August 2019 – 5 S 2488/18 – juris Rn. 14).

IV. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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