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Sorgfaltspflichten eines Radfahrers beim Überholen von Reitern

LG Frankenthal – Az.: 4 O 10/19 – Urteil vom 22.05.2020

In dem Rechtsstreit wegen Schadensersatzes und Schmerzensgeldes aus Verkehrsunfall hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) durch die Richterin als Einzelrichterin am 05.06.2020 auf Grund des Sachstands vom 22.05.2020 ohne mündliche Verhandlung mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 3.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %

Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.12.2018 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 936,81 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %

Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.12.2018 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 413,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %

Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 26.01.2019 zu zahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren

materiellen Schäden zu 50 % und sämtliche weiteren nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50% zu ersetzen, die aus dem Unfall vom 02.07.2018 auf dem Fahrradweg neben der L 530 auf Höhe der Baumschule Schibel, Schwabengütle 1, 67435 Neustadt resultieren, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

6. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 44 % und die Beklagte 56 % zu tragen.

7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatz nach einem Unfall zwischen einem Liegefahrrad und einem Pferd.

Sorgfaltspflichten eines Radfahrers beim Überholen von Reitern
Symbolfoto: Von vasilieffoto/Shutterstock.com

Der Kläger befuhr am 02.07.2018 gegen 14:20 Uhr mit seinem mit einer Fahne versehenen Trike (dreirädriges Liegefahrrad) den Fahrradweg neben der L 530 von Haßloch in Fahrtrichtung Geinsheim. Die Zeugen A und B ritten mit zwei Pferden der Beklagten auf dem Fahrradweg in entgegengesetzter Richtung. Als die Reiter den Trikefahrer erkannten, wendeten sie ihre Pferde. Als der Kläger links an den Pferden vorbeifahren wollte, schlug das von der Zeugin A geführte Pferd der Beklagten aus und traf das Trike. Der Kläger fiel mit dem Trike in das neben dem Fahrradweg befindliche Feld. Das Trike wurde beschädigt. Die Reparaturkosten betragen 1.729,08 € netto.

Der Kläger hat folgende Verletzungen erlitten: Handgelenkprellung, Fußprellung, Schädelprellung, Hautabschürfung Ohr, Hautabschürfung Unterschenkel, Hautabschürfung Achillessehne.

Mit Schreiben vom 12.07.2018 wurde die Beklagte aufgefordert, die Eintrittspflicht anzuerkennen mit Fristsetzung zum 27.07.2018. Mit Schreiben vom 09.11.2018 wurden die Ansprüche unter Fristsetzung auf den 30.11.2018 beziffert. Es werden folgende Schäden geltend gemacht:

Leukotape 10 €

Parkkosten 3,00 €

Ibuflam 15,00 €

Retterspitz 12,70 €

Retterspitz 12,70 €

Retterspitz 12,70 €

Voltaren 35,88 €

Sporthose 29,99 €

Sportshirt 19,99 €

Transportkosten 80,00 €

Fahrradreparatur 1.729,08 €

Brille 430 €

Aktenversendung 12,00 €

Kostenpauschale 25 €

Nutzungsausfall Trike 380,00 €

Eigenanteil Daumenschiene 5,56 €

Der Kläger behauptet, er sei, als die Pferde gewendet hätten, zunächst im Schritttempo hinter den beiden hergefahren. Als die Pferde dann hintereinander geritten seien, sei ausreichend Platz zum Überholen gewesen. Die im Fahrzeugkoffer verstaute Brille des Klägers sei nach dem Unfall nicht mehr auffindbar gewesen. Der Kläger habe noch Wochen nach dem Unfall Schmerzen im Oberbauch und im rechten Daumen gehabt. Aus diesem Grund sei der Kläger an die Chirurgie verwiesen worden, bei deren Besuch Parkkosten angefallen seien. Es sei eine Instabilität und eine vaulnare Bandruptur des rechten Daumens diagnostiziert worden. Hierzu habe sich der Kläger Voltaren und weitere Fixierbinden kaufen müssen. Eine Morbis Sudeckerkrankung sei nicht ausgeschlossen. Zudem habe der Kläger den gesamten Restsommer und Herbst kein Fahrrad fahren können und habe seinen 2-wöchigen Radurlaub absagen müssen. Es sei ein Schmerzensgeld von mindestens 4.000,00 € angemessen. Bei dem Unfall seien das Sportshirt und die Sporthose des Klägers zerrissen worden. Für den Transport des Trikes seien 80 € angefallen. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte auch im Falle eines Nachweises der Nutztiereigenschaft hafte, da sich der Sorgfaltsverstoß bereits aus der Nutzung des Fahrradweges ergebe. Sofern die Beklagte nicht erklärt habe, dass man auf dem Radweg nicht reiten darf, könne der Entlastungsbeweis nicht gelingen. Für das Trike sei eine Nutzungsausfallentschädigung zu zahlen. Hierzu behauptet er, er nutze das Trike nicht nur als Freizeitartikel, sondern auch zur Beförderung, beispielsweise zum Einkaufen. Es handele sich um sein Hauptverkehrsmittel. Er ist der Auffassung, die Nutzungsentschädigung sei für den gesamten Zeitraum geschuldet, da er die Beklagte zur Übernahme der Haftung aufgefordert und die Versicherung zur Reparaturfreigabe aufgefordert habe (K 31) und er eine Reparatur aufgrund der Möglichkeit von Einwendungen durch die Beklagte im Hinblick auf die Schadenshöhe nicht durchgeführt habe. Ihm stehe für jeden Tag ein Betrag von 10,00 € zu. Er hätte das Trike ab dem 01.10.2018 wieder nutzen können.

Der Kläger beantragte mit der am 25.01.2019 zugestellten Klage:

1. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber mindestens 4.000,00 € betragen soll nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 28.07.2018 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.820,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 28.07.2018 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 571,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 28.07.2018 zu zahlen.

Mit Schriftsatz vom 15.04.2019 erweiterte er den Klageantrag zu 2) um 5,56 €.

Mit Schriftsatz vom 09.01.2020 erweiterte er die Klage wie folgt:

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfall vom 02.07.2018 auf dem Fahrradweg neben der L 530 auf Höhe der Baumschule Schibel, Schwabengütle 1, 67435 Neustadt resultieren, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten bestreiten, dass die ab dem 08.10.2018 erfolgten Behandlungen noch auf dem Vorfall beruhen.

Die Beklagte behauptet, die Zeugen hätten sich zum selbständigen Ausritt die Pferde für jeweils 15,00 € gemietet. Sie hätten sich bereits zuvor als zuverlässig erwiesen. Zudem habe die Beklagte erneut auf den Umgang mit den Pferden hingewiesen. Auch die Pferde seien zuverlässig. Die Tierhaltung erfolge im Rahmen der Erwerbstätigkeit der Beklagten, da sie einen als Gewerbe angemeldeten Reitbetrieb unterhalte. Für weitere Einzelheiten wird auf S. 3 ff. der Klageerwiderung verwiesen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dem Kläger sei ein Mitverschulden anzulasten. Hierzu behauptet sie, die Zeugen hätten dem Kläger, als dieser ihnen auf dem Radweg entgegenkam, mit Handzeichen signalisiert, dass er anhalten und Abstand halten solle und dass die Zeugen beabsichtigen, mit den Pferden umzudrehen, um in eine etwa 10 Meter entfernte Wiese auszuweichen. Der Kläger habe sein Radio eingeschaltet gehabt. Aufgrund der lauten Musik, der wackelnden Fahne und des nicht eingehaltenen Sicherheitsabstandes habe das Pferd ausgetreten.

Die Kammer hat die Parteien informatorisch angehört und Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und Einholung eines Sachverständigengutachtens. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 29.05.2019 sowie auf das Gutachten vom 29.11.2019 Bezug genommen. Die Akte des Polizeipräsidiums Rheinpfalz mit dem Aktenzeichen 500055937438 wurde beigezogen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Mit Beschluss vom 05.05.2020 hat die Kammer mit Zustimmung der Parteien das schriftliche Verfahren angeordnet.

Für weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

I.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist es zulässig, einen unbezifferten Schmerzensgeldantrag zu stellen (§ 253 Abs. 2 ZPO). Der Kläger muss sein Begehren hierbei dadurch konkretisieren, dass er die Größenordnung des geltend gemachten Betrages (BGH NJW 2002, 3769; 2014, 939 Rn. 56) oder einen Mindestbetrag (BGH NJW 1999, 1339 (1340)) angibt (BeckOK ZPO/Bacher ZPO § 253 Rn. 59-62.1, beck-online). Dieser Pflicht ist der Kläger nachgekommen.

Zudem ist die Feststellung von zukünftigen und derzeit nicht absehbaren Folgeschäden zulässig (§ 256 Abs. 1 ZPO). Das zulässige Feststellungsinteresse i.S.v. § 256 ZPO liegt darin begründet, die noch nicht absehbaren Zukunftsschäden verjährungsrechtlich abzusichern.

II.

Die Klage ist in dem tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 936,81 € sowie 413,64 € sowie auf Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,00 € aus §§ 833, 249 Abs. 2, 253 BGB zu.

Der Haftungsgrund des § 833 S. 1 BGB ist erfüllt. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger durch das Pferd, dessen Halterin die Beklagte ist, verletzt wurde und hierbei auch das Liegefahrrad beschädigt wurde. Dabei hat sich mit dem zwischen den Parteien unstreitigen Huftritt auch die typische Tiergefahr realisiert (vgl. BeckOK BGB/Spindler, 53. Ed. 1.2.2020, BGB § 833 Rn. 7). Es ist unerheblich, ob dieser Huftritt durch äußere Einflüsse veranlasst wurde (vgl. BeckOK BGB/Spindler, 53. Ed. 1.2.2020, BGB § 833 Rn. 7).

Die Beklagte konnte sich nicht gemäß § 833 S. 2 BGB entlasten.

Nach § 833 S. 2 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei dem Pferd im vorliegenden Fall um ein „Haustier“ im Sinne des § 833 S. 2 BGB, handelt, also um ein Tier, das – in Abgrenzung zum Luxustier – dem Erwerb, dem Beruf oder dem Unterhalt, also einem wirtschaftlichen Zweck zu dienen bestimmt ist. Denn jedenfalls die zusätzliche Voraussetzung der Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist vorliegend nicht erfüllt.

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Die Anforderungen an die Aufsichtspflicht des Tierhalters richten sich nach dem Gefahrenpotenzial des Tieres, insbesondere seinen Eigenschaften und der beabsichtigten Verwendung sowie den bedrohten Rechtsgütern. Entsprechend den Entlastungsbeweisen in § 831 oder § 836 BGB stellt die Rspr. auch für die Exkulpation nach § 833 S. 2 BGB hohe Anforderungen, insbesondere bei zu besorgendem hohen Gefahrenpotenzial, etwa bei Vermietung eines Pferdes zum Ausritt in den Straßenverkehr. Delegiert der Tierhalter die Beaufsichtigung des Tieres auf einen Dritten, indem er einen Tierhüter i.S.d. § 834 bestellt oder sonst eine Person mit der Beaufsichtigung des Tieres betraut, so trifft ihn die selbstverständliche Verpflichtung, den Aufsichtführenden sorgfältig auszuwählen und zu überwachen (MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 833 Rn. 55). Eben diese Pflicht hat die Beklagte vorliegend verletzt. Sie hat im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung selbst angegeben, dass sie selbst und auch viele ihrer Kunden mit den Pferden auf dem Fahrradweg reiten, da es keine andere Möglichkeit gebe, um in den Wald zu kommen. Auch wenn sie gemeinsam mit der Zeugin A ausgeritten sei, seien sie über diesen Radweg geritten. Sie habe allerdings darauf hingewiesen, dass dies ein Radweg sei und Radfahrer und Fußgänger immer Vorrang hätten (vgl. Seite 6 des Protokolls, Bl. 129 d.A.). Bereits durch diese Einweisung hat die Beklagte ihre Sorgfaltspflichten verletzt. Denn der hier nach dem unstreitigen Vortrag genutzte Sonderweg für Radfahrer (Zeichen 237) darf durch anderen Verkehr nicht genutzt werden (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Auflage 2020, Anlage 2 zu § 41 Abs. 1, Abschnitt 5, lfs. Nr. 16; MüKoStVR/Kettler, 1. Aufl. 2016, StVO § 41 Rn. 28).

Dem Kläger ist jedoch gemäß § 254 BGB ein Mitverschulden anzulasten.

Bei der gebotenen Abwägung im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB ist in erster Linie das Maß der Verursachung maßgeblich, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 9. Juli 1968 – VI ZR 171/67 – VersR 1968, 1093, 1094 m.w.N.; vom 20. Januar 1998 – VI ZR 59/97 – VersR 1998, 474, 475). Es kommt danach für die Haftungsverteilung entscheidend darauf an, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat (vgl. BGH, Urteile vom 20. Januar 1998 – VI ZR 59/97 – aaO; vom 12. Juli 1988 – VI ZR 283/87 – VersR 1988, 1238, 1239 m.w.N.).

Vorliegend ist dem Kläger ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO anzulasten. Auch auf Radwegen sind die Vorschriften der StVO zu beachten. Aus dem Umstand, dass der Reiter den Radweg nicht benutzen darf, folgt nicht, dass hierdurch die Verkehrsregeln diesem gegenüber außer Kraft treten. Gemäß § 5 Abs. 4 S. 2 StVO muss beim Überholen ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden. Auch Radfahrer haben den nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO erforderlichen Seitenabstand einzuhalten. Welcher Abstand geboten ist, hängt von den konkreten Bedingungen des Einzelfalls ab. Der Abstand muss so groß sein, dass Schreckreaktionen der überholten Verkehrsteilnehmer nicht zu erwarten sind. Beim Überholen von Pferden und Zugtieren ist gehörig Abstand zu halten (Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 5 StVO (Stand: 22.07.2019) Rn. 68 ff.). Dabei ist zwar grundsätzlich ein Seitenabstand beim Passieren eines anderen Verkehrsteilnehmers von einem Meter ausreichend. Dies gilt aber nicht, wenn zum Beispiel ein Radfahrer oder ein Reiter passiert werden muss, weil im ersteren Fall mit Schlenkern und beim Reiter oder auch anderen Tieren mit einer plötzlichen Reaktion des Tiers gerechnet werden muss (OLG Celle NJW-RR 2018, 728; OLG Celle, Urt. v. 19.12.2002 – 14 U 94/02, BeckRS 2002, 30299252), sodass ein Seitenabstand von wenigstens 1,5 bis etwa 2 m einzuhalten ist (OLG Celle NJW-RR 2018, 728; OLG Brandenburg, NJW-RR 2011, Seite 1400; Hentschel/König/Dauer, StraßenverkehrsR, 44. Aufl. 2017, § 5 StVO Rn. 54, 55). Diesen auch hier erforderlichen Seitenabstand hat der Kläger nach eigenem Vortrag nicht eingehalten. Er hat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung selbst angegeben, dass er in einem Abstand von einem „guten Meter“ an dem Pferd vorbeigefahren ist. Als das Pferd dann ausgetreten habe, sei er seitlich neben dem Pferd, mit dem Oberkörper vielleicht noch 30-40 cm seitlich hinter den Hinterbeinen gewesen (Seite 3 des Sitzungsprotokolls, Bl. 126 d.A.). Dass ein größerer Abstand aufgrund der geringen Breite des Radweges nicht eingehalten werden konnte, kann den Kläger nicht entlasten. Es war ihm unbenommen, sich mit den Reitern über die Möglichkeit eines Passierens oder eines Ausweichortes zu verständigen. Unabhängig davon, ob durch die Reiter der Versuch einer Verständigung unternommen wurde, hätte ein solcher auch von dem Kläger ausgehen können. Es ist auch nicht deshalb ein geringerer Seitenabstand zu fordern, weil es sich nicht um ein Kraftfahrzeug, sondern um ein Liegefahrrad handelt. Der Seitenabstand dient der Vermeidung von Schreckreaktionen. Diese können ebenso durch ein Liegefahrrad, das hier noch mit einer Fahne ausgestattet war, ausgelöst werden.

Unabhängig von diesem Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO ist im Rahmen des Mitverschuldens der Verletzungsbeitrag zu berücksichtigen, den der Kläger durch das Sich-Nähern an ein Pferd von hinten mit einem zu geringen Abstand gesetzt hat. Dieser ist dann von Bedeutung, wenn der Verletzte „ohne Not an einem fremden Pferd so nahe vorbeigeht, dass er den Angriffs- oder Verteidigungsbewegungen des Pferdes … ausgesetzt ist“ (RG JW 1906, 739; s. auch BGH JZ 1955, 87). Bei einer Entfernung von unter 150 cm besteht die Gefahr, beim Auskeilen von einem Huf getroffen zu werden. Dies ist auch nicht lediglich einem erfahrenen Reiter bekannt. Es ist allgemein bekannt, dass sich hinter einem Pferd ein spezifischer („Austreten“) Gefahrenbereich befindet (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 31. Januar 2002 – 5 U 465/01 –, juris, VersR 2003, 1317; OLG Stuttgart, Urteil vom 24. Januar 2011 – 5 U 114/10 –, juris Rn 23). Allein daraus, dass in den Entscheidungen, die sich auf einen Reiter beziehen, ausgeführt wird, dass dies jedem Reiter bekannt sei (OLG Hamm, Urteil vom 16. November 2018 – 9 U 77/17 –, juris), kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass es anderen Personen (Nicht-Reitern) nicht bekannt sei. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Absicht der Reiter, die Konfrontation der Pferde mit dem Liegefahrrad zu vermeiden, für den Kläger erkennbar gewesen wäre. Denn die Reiter sind diesem zunächst entgegen geritten und haben dann, nachdem sie in Sichtweite waren, gewendet. Zwar ist nicht erwiesen, dass die Zeugen dem Kläger akustisch verständlich ihr Vorhaben erklärt haben. Die Zeugin A hat angegeben, sie hätten zwar auch was zu dem Radfahrer gesagt, aber sie vermute, dass er das nicht gehört habe (vgl. Seite 9 des Sitzungsprotokolls, Bl. 132). Allerdings ist das Gericht davon überzeugt, dass die Zeugen dem Kläger per Handzeichen mit einer Drehbewegung ihre Wendeabsicht angezeigt haben. Die Zeugin A hat angegeben, sie hätten versucht, dem Fahrradfahrer zu erklären, dass sie umdrehen, um auf die Wiese zu kommen. Sie hat angegeben, die Handzeichen habe der Zeuge B gemacht. Sie selbst könne nicht mehr sagen, wie genau er die Handzeichen gemacht habe (vgl. Seite 9 des Sitzungsprotokolls, Bl. 132). Auch der Zeuge B hat angegeben, sie hätten dem Kläger mit einem Handzeichen zu verstehen gegeben, dass sie umdrehen. Er hat auf Nachfrage eine Drehbewegung mit dem Zeigefinger in der Luft gemacht (vgl. Seite11 des Sitzungsprotokolls, Bl. 134 d.A.). Das Gericht erachtet die Zeugen als glaubwürdig und die Angaben als glaubhaft. Die jungen Zeugen ließen keinerlei Belastungseifer oder Entlastungstendenz erkennen. Vielmehr schilderten sie das Geschehen aus ihrer Erinnerung und ließen dabei auch für sie ungünstige Umstände nicht aus. So hat beispielsweise die Zeugin A selbst angegeben, dass der Kläger das, was sie sagten, vermutlich nicht hören konnte. Dass die Zeugin selbst sich an die konkrete Ausführung des Handzeichens, das sie selbst auch nicht gemacht hat, nicht erinnern konnte, ist demgegenüber nachvollziehbar und auch dies legte die Zeugin offen dar. Aufgrund des Handzeichens hätte der Kläger den nach dem Sichtkontakt erfolgten Wendevorgang der Reiter mit seiner Anwesenheit und der Enge des Radwegs in Verbindung bringen und damit die Absicht der Reiter, eine Konfrontation zu vermeiden, erkennen können.

Bei Abwägung der wie dargelegt aus § 833 BGB folgenden Haftung mit diesem aus dem unterschrittenen Sicherheitsabstand folgenden Verursachungsbeitrag erachtet die Kammer eine hälftige Haftungsverteilung für angemessen. Die Tiergefahr ist dabei bei einem Reitpferd schon im Hinblick auf die Größe, Masse und Kraft im Sinne einer „Betriebsgefahr“ hoch zu veranschlagen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 31. Januar 2002 – 5 U 465/01 –, juris, VersR 2003, 1317). Zudem ist die grundsätzliche Kenntnis der Beklagten von der Nutzung des Radweges zu berücksichtigen. Allerdings ist auf der Klägerseite der Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO in die Bemessung einzustellen. Nach Auffassung der Kammer ist dieser Verursachungsbeitrag mit 50% zu gewichten. Zwar wurde in der Rechtsprechung vielfach in Fällen, in denen sich ein Reiter ohne Sicherheitsabstand hinter einem Pferd befand, ein etwas geringeres Mitverschulden von etwa 1/3 zugrunde gelegt. Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon jedoch zum einen dadurch, dass sich der Kläger dem Pferd nicht lediglich zu Fuß, sondern mit einem ungewöhnlich und für das Pferd unbekannten Fahrzeug genähert hat, was eine Schreckreaktion gegenüber der bloßen Anwesenheit einer Person noch begünstigt. Zum anderen liegt nicht lediglich eine Verletzung der Sorgfalt vor, die zum Schutz der eigenen Person erforderlich ist, sondern zugleich ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO, der in den klägerseits angeführten Entscheidungen nicht zu berücksichtigen war. Im Falle eines einen Radweg benutzenden Fußgängers wurde dessen Haftungsquote bei einer Kollision mit einem Radfahrer mit lediglich 25% angenommen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Januar 2003 – I1 U 110/02 –, juris). Auch im Falle eines entgegen der Benutzungspflicht des Radweges auf der Fahrbahn fahrenden Radfahrers wurde dessen Haftungsquote bei einer Kollision mit einem den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht wahrenden Pkw mit 25 % angenommen (OLG Hamm, Urteil vom 28. Oktober 1993 – 6 U 91/93 –, juris). Der aus einer verbotswidrigen Nutzung eines Radweges oder einer Fahrbahn folgende Verursachungsbeitrag wird demnach gegenüber einem Verstoß gegen den erforderlichen Seitenabstand, der letztlich den Eintritt des Schadens verursacht hat, als geringer angesehen. Vorliegend war diese Quote jedoch auf Beklagtenseite aufgrund der spezifischen Tiergefahr zu erhöhen. Nach Auffassung der Kammer haben vorliegend bei einer Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge aufgrund der erörterten Umstände die spezifische Tiergefahr bei durch die Beklagte in Kauf genommener Benutzung des Radweges und der sorgfaltswidrige Überholvorgang durch den Kläger in gleicher Weise zu dem Schaden beigetragen und sind gleich zu gewichten.

Ausgehend von dieser Haftung steht dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,00 €

Gemäß § 253 Abs. 2 BGB kann für die Verletzung des Körpers eine billige Entschädigung in Geld verlangt werden. Durch das Schmerzensgeld soll der Verletzte einen Ausgleich für die in der Regel nicht rückgängig zu machenden erlittenen Schmerzen und Leiden erhalten und ihm soll Genugtuung verschafft werden. Maßgebend für die Bemessung des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen und ihre Folgen, das durch sie bedingte Leiden, dessen Dauer und der Grad des Verschuldens des Schädigers (vgl. dazu BGH NJW 1998, 2741/2742). Der Genugtuungsfunktion kommt im vorliegenden Fall der Gefährdungshaftung nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Wesentlich ist daher hier vor allem die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes, also die Schwere der unfallbedingten Verletzung und ihre Folgen. Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss. Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt. Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu.

Nach diesen Maßstäben erachtet die Kammer ein Schmerzensgeld von insgesamt 3.000,00 € als angemessen, aber auch ausreichend.

Dabei hat die Kammer die unstreitigen Verletzungen (Handgelenkprellung, Fußprellung, Schädelprellung, Hautabschürfung Ohr, Hautabschürfung Unterschenkel, Hautabschürfung Achillessehne) sowie die Dauerfolge der schmerzhaften Funktionsstörung der rechten Hand infolge der ulnaren Instabilität im Daumengrundgelenk rechts nach Verletzung des ulnaren Seitenbandes zugrunde gelegt, von deren Vorliegen und Unfallkausalität die Kammer nach der Einholung des Sachverständigengutachtens überzeugt ist. Der Sachverständige Prof. Dr. C hat in seinem Gutachten vom 29.11.2019 nach Auswertung des Akteninhalts und der Behandlungsunterlagen, eingehender Anamneseerhebung, körperlicher Untersuchung des Klägers und eigener Beurteilung der bildgebenden Diagnostik von den Parteien unbeanstandet und nachvollziehbar ausgeführt, dass Beschwerden im Bereich des rechten Daumengrundgelenks persistent seit dem Ereignis dokumentiert seien. Zudem habe die gehaltene Aufnahme des Daumens vom 07.09.2018 eine Insuffizienz des ulnaren Seitenbandes gezeigt. Da keine Anhaltspunkte für eine vorbestehende Verletzung vorliegen, könne festgestellt werden, dass mit genügender Wahrscheinlichkeit es zu einer Verletzung des ulnaren Kollateralbandes im Bereich des ulnaren Kollateralbandes im Bereich des rechten Daumens gekommen sei, die in einer Instabilität ausgeheilt sei, die zu der schmerzhaften Funktionsstörung führe. Die Grobfunktion der rechten Hand sei behindert, festes Zugreifen und kräftige Daumenopposition führe nachvollziehbar zu Beschwerden. Dabei sei auch nachvollziehbar, dass das Führen eines Kugelschreibers Beschwerden verursache.

Die Kammer ist den Ausführungen des Sachverständigen gefolgt, da keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich waren, die Fachkunde des Sachverständigen und/oder die Richtigkeit seiner gutachterlichen Erläuterungen und Bewertungen in Zweifel zu ziehen. Entgegen der Darstellung der Beklagten hat der Sachverständige nicht lediglich die Angaben des Klägers zugrunde gelegt, sondern diesen wie ausgeführt körperlich untersucht und auch die bildgebende Diagnostik vom 07.09.2018 selbst beurteilt. Auf dieser Grundlage ist er zu dem für die Kammer nachvollziehbaren Ergebnis gekommen, dass die Dauerfolge der Instabilität als Folge der Verletzung des ulnaren Kollateralbandes im Bereich des ulnaren Kollateralbandes im Bereich des rechten Daumens zu sehen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass beklagtenseits nicht die Primärverletzung als solche, sondern lediglich die Unfallkausalität der Dauerfolgen ab dem 08.10.2018 bestritten wurde. Dieser Nachweis der Unfallkausalität der Dauerfolge ist geführt. Der informatorisch angehörte Kläger hat angegeben, die Prellungen seien nach etwa 4-5 Wochen abgeklungen. Der Daumen verursache zwar nicht ständig Schmerzen, aber er könne nicht mehr richtig zugreifen. Er könne ihn nicht mehr so intensiv belasten wie vorher.

Unter Zugrundelegung dieser Verletzungen und insbesondere der dauerhaften Funktionseinschränkung erachtet die Kammer unter Berücksichtigung des Mitverschuldens ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,00 € als angemessen.

Die übrigen Schadenspositionen sind ausgehend von einer Haftungsquote von 50 % gemäß § 249 Abs. 2 BGB wie folgt ersatzfähig:

Da auch die ab dem 08.10.2018 vorliegenden Verletzungen als unfallkausal angesehen werden, sind die Behandlungskosten ersatzfähig. Es ergibt sich bei einer Haftung in Höhe von 50 % ein

Betrag von 53,77 €, der sich wie folgt zusammensetzt:

Leukotape 10,00 €

Parkkosten 3,00 €

Ibuflam 15,00 €

Retterspitz 12,70 €

Retterspitz 12,70 €

Retterspitz 12,70 €

Voltaren 35,88 €

Eigenanteil Daumenschiene 5,56 €

Gesamt 107,54 €

50 % 53,77 €

Die unstreitigen Fahrradreparaturkosten in Höhe von 1.729,08 € nebst Aktenversendung (12 €) und Kostenpauschale (25 €) sind bei einer Haftungsquote von 50 % in Höhe von 883,04 € ersatzfähig.

Der diesbezügliche Zinsanspruch folgt ab dem 01.12.2018 aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Eine Bezifferung erfolgte erst mit Schreiben vom 09.11.2018 unter Fristsetzung auf den 30.11.2018.

Die zur Rechtsverfolgung notwendigen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind aus einem Streitwert von 3.936,81 € und damit in Höhe von 413,64 € ersatzfähig.

Der diesbezügliche Zinsanspruch folgt ab dem auf die Zustellung folgenden Tag aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Eine vorherige Aufforderung mit Fristsetzung ist im Hinblick auf die Rechtsanwaltskosten nicht ersichtlich.

Der Feststellungsantrag ist aufgrund möglicher Zukunftsschäden begründet, allerdings auf die Haftungsquote von 50%. Hinsichtlich der immateriellen Schäden war zu berücksichtigen, dass der Kläger kein Teilschmerzensgeld geltend macht und bei der Bemessung sämtliche objektiv, d.h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines Sachkundigen, erkennbaren und nicht fernliegenden künftigen Auswirkungen der Verletzung zu berücksichtigen sind, die mit dem Schmerzensgeld abgegolten werden (BGH 20.1.15 – VI ZR 27/14). Die ergänzende Feststellung konnte sich somit nur auf nicht absehbare weitere immateriellen Folgen beziehen. Abgegolten ist damit die bereits durch den Sachverständigen als dauerhaft festgestellte Bewegungseinschränkung.

Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

Im Hinblick auf die Sporthose und das Sportshirt liegt kein ersatzfähiger Schaden vor. Angesichts der (objektiv) begrenzten Lebensdauer der Sportbekleidung, die im Rahmen einer sportlichen Betätigung (wie dem Radfahren mit einem Liegefahrrad) erhöhten Abnutzungen unterliegt, kann die Kammer auch im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO keinen Zeitwert mehr ansetzen, wenn die Kleidung „etwa 3-4 Jahre“ alt war.

Im Hinblick darauf, dass Transportkosten zum Abtransport des Liegefahrrads angefallen sind, fehlt es an einem geeigneten Beweisangebot. Sofern der Kläger 80 € für den Transport gezahlt hätte, dürft es ihm möglich gewesen sein, eine Rechnung hierüber vorzulegen oder die Person, an die er den Betrag gezahlt hat, als Zeugen anzubieten. Beides ist nicht erfolgt.

Der Verlust der Brille ist nicht als zurechenbarer Schaden anzusehen. Dies würde voraussetzen, dass der Kläger mit zumutbarem Aufwand nach der Brille gesucht hätte. Auch wenn dem Kläger unmittelbar nach dem Unfall eine Suche nicht zugemutet werden konnte, wäre es ihm möglich gewesen, in den folgenden Tagen zur Unfallstelle zurückzukehren oder zumindest die durch den Radfahrer eingesammelten Gegenstände auf Vollständigkeit zu untersuchen und nach Feststellung, dass die Brille fehlt, eine dritte Person explizit mit der Suche nach der Brille zu beauftragen. Denn da dem zufällig anwesenden Radfahrer die Art und Anzahl der zuvor vorhandenen Gegenstände nicht bekannt war, kann allein aus der Tatsache, dass die Brille nicht eingesammelt wurde, nicht geschlossen werden, dass sie auch bei einer hierauf konkretisierten Suche nicht gefunden werden konnte.

Eine Nutzungsausfallentschädigung ist nicht zu ersetzen.

Ersatz für den Ausfall der Nutzungsmöglichkeit eines Wirtschaftsguts kommt nur für einen der vermögensmehrenden, erwerbswirtschaftlichen Verwendung vergleichbaren eigenwirtschaftlichen, vermögensmäßig erfassbaren Einsatz der betreffenden Sache in Betracht. Der Ersatz für den Verlust der Möglichkeit zum Gebrauch einer Sache muss grundsätzlich Fällen vorbehalten bleiben, in denen die Funktionsstörung sich typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. Andernfalls bestünde die Gefahr, unter Verletzung des § 253 BGB die Ersatzpflicht auf Nichtvermögensschäden auszudehnen. Auch würde dies mit den Erfordernissen von Rechtssicherheit und Berechenbarkeit des Schadens in Konflikt geraten. Deshalb beschränkt sich der Nutzungsausfallersatz auf Sachen, deren ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist. Bei der Prüfung, ob nach der Verkehrsauffassung der vorübergehende Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstandes als wirtschaftlicher Schaden gewertet werden kann, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Das verlangt die in § 253 BGB getroffene gesetzgeberische Entscheidung, wonach immaterieller Schaden nur ausnahmsweise, nämlich in den gesetzlich geregelten Fällen, zu ersetzen ist (BGH, Urteil vom 23. Januar 2018 – VI ZR 57/17 –, BGHZ 217, 218-226). Dabei kann zwar grundsätzlich auch der Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Fahrrades als ersatzfähiger Schaden anzusehen sein (ablehnend LG Hamburg, Urteil vom 24. April 1992 – 306 O 344/91 –, juris), wenn das Fahrrad etwa regelmäßig für den Weg zur Arbeit genutzt wird. Soweit es sich bei dem Fahrrad jedoch um ein Sportgerät für die Freizeitgestaltung handelt, etwa ein Rennrad oder ein Mountainbike, ist diese Frage zu verneinen, da es sich dann nicht um einen Gegenstand handelt, auf dessen ständige Verfügbarkeit der Geschädigte für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise angewiesen ist (vgl. etwa auch BGH, Urt. v. 15.12.1982 – VIII ZR 315/80 (Wohnwagen); BGH, Urt. v. 12.02.1975 – VIII ZR 131/73 (Pelzmantel); OLG Hamm, Beschl. v. 08.12.2008 – 6 U 136/08 (privates Reitpferd); LG Wuppertal, Urt. v. 20.12.2007 – 9 S 415/06, jurisPR-VerkR 12/2008 Anm. 5, Wenker und LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 27.05.1998 – 8 S 1703/98 („Trike“)). Darüber hinaus muss die Entbehrung der Nutzung auch deshalb „fühlbar“ geworden sein, weil der Geschädigte das Fahrzeug mangels eines weiteren geeigneten Kraftfahrzeugs für seine alltägliche Lebensführung wirklich gebraucht hätte (BGH, Urteil vom 23. Januar 2018 – VI ZR 57/17 –, BGHZ 217, 218-226). Nach diesen Maßstäben stellt der Nutzungsausfall des Liegefahrrades vorliegend keinen ersatzfähigen Vermögensschaden dar. Der Kläger hat angegeben, er nutze das Rad sowohl für Sportfahrten als auch zum Einkaufen. Er erledige hiermit alles im Umkreis von 20-30 km. Demgegenüber stehe der Pkw dann manchmal sogar einen Monat in der Garage. Nach diesen Ausführungen ist der Kläger, dem zusätzlich ein Pkw zur Verfügung steht, auf die ständige Verfügbarkeit des Liegerades nicht typischerweise angewiesen. Lediglich der Zugriff auf ein gewerblich genutztes Fahrzeug sei wegen denkbarer Mietausfälle nicht zumutbar (vgl. LG Lübeck, Urteil vom 08. Juli 2011 – 1 S 16/11 –, juris). Dies kann auf die Verfügbarkeit eines privaten Pkw nicht übertragen werden. Der Kläger ist im vorliegenden Fall auf die Verfügbarkeit des Liegefahrrads als Transportmittel nicht angewiesen; vielmehr wäre ihm die Verfügbarkeit des Fahrrades als Transportmittel möglicherweise „lieber“ als der zusätzlich verfügbare Pkw – dies genügt jedoch nicht. Vielmehr stellt sich in diesem Fall der zeitweise Verlust unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung nicht als wirtschaftlicher Schaden dar, sondern als „individuelle Genussschmälerung“ (BGH, Urteil vom 23. Januar 2018 – VI ZR 57/17 –, BGHZ 217, 218-226).

Darüber hinaus wäre die Geltendmachung des Nutzungsausfalls für die Dauer bis zur Reparatur gemäß § 254 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Den Geschädigten trifft aus dem Gesichtspunkt seiner Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB die Obliegenheit, die Ausfallzeit auf ein Mindestmaß zu beschränken. In der Regel kann er daher nur nach Maßgabe der voraussichtlichen Zeit einer unterstellt unverzüglich eingeleiteten Reparatur Ersatz verlangen, wobei ggfs. der Zeitraum für die Erstellung eines Schadensgutachtens und unter Umständen eine angemessene Überlegungsfrist für die Frage, ob eine Reparatur durchzuführen oder eine Ersatzbeschaffung vorzunehmen ist, hinzugerechnet werden kann (OLG Saarbrücken, MDR 2007, 1190). Jedenfalls ist der Geschädigte mit Blick auf § 254 Abs. 2 BGB gehalten, die Schadensbehebung in angemessener Frist durchzuführen und einen längeren Nutzungsausfall gegebenenfalls durch die Anschaffung eines Interimfahrzeugs zu überbrücken (vgl. etwa BGH, Teilurteil vom 14.04.2010 – VIII ZR 145/09, NJW 2010, 2426, 2429 m. w. N.). Ein Verstoß gegen diese Obliegenheit führt in aller Regel zur Einschränkung oder zum Verlust des Schadensersatzanspruches (vgl. etwa KG, Beschluss vom 06.03.2008 – 12 U 59/07, NZV 2009, 394; Urteil vom 09.04.2009 – 12 U 23/08, NZV 2010, 209, 210; OLG Celle, Urteil vom 20.03.1979 – 18 U 52/78, VersR 1980, 633; OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.08.2011 – 1 U 54/11, NZV 2011, 546; Balke, SVR 2012, 450, 452). Nach diesen Maßstäben hat der Kläger gegen die Schadensminderungsobliegenheit verstoßen. Dass ihm die Anschaffung eines Interimfahrrads nicht möglich gewesen wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Darüber hinaus wäre die Fertigung von Bildern und eine Schadensbeschreibung durch einen Sachverständigen zur Schadendokumentation möglich gewesen. Warum dies für eine mögliche spätere Begutachtung (bei der es sich nicht um eine Gegenüberstellung von Schäden handeln kann, sondern lediglich um die Begutachtung der am Fahrrad selbst entstandenen Schäden) nicht genügen sollte, ist nicht substantiiert vorgetragen. Dass eine solche Dokumentation und anschließende Reparatur bis zum Oktober, ab dem Fahrradfahren nach dem klägerischen Vortrag erst wieder möglich gewesen sein soll, nicht möglich gewesen wäre, ist ebenfalls nicht vorgetragen. Bis zu diesem Zeitpunkt kommt eine Nutzungsentschädigung mangels verletzungsbedingter Nutzungsmöglichkeit ohnehin nicht in Betracht. Selbst wenn entsprechend des Vortrags des Klägers eine einfache Schadensfeststellung und Schadensdokumentation nicht ausreichend gewesen sein sollte, hätte zumindest ein Beweissicherungsverfahren durchgeführt werden müssen (vgl. OLG München, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 U 4039/13 –, juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für den Kläger aus §§ 709 S. 2 ZPO, für die Beklagte aus §§ 708 Nr. 11 Alt. 2, 711, 709 S. 2 ZPO.

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