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Steinwürfe bei fast siebenjährigen Kindern – Kontrollpflicht der Eltern

Elternpflichten bei Kinderunfällen: Richterliche Entscheidung zu Aufsichtsfrage

Bei Kindern, die fast sieben Jahre alt sind, besteht im Hof des eigenen Hauses keine ständige Kontrollpflicht für die Eltern, solange kein vorausgegangenes auffälliges Verhalten vorliegt. Das Landgericht Darmstadt entschied, dass ein Schadensersatzanspruch wegen Steinwürfen auf ein Auto abgelehnt wird, weil die Eltern ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt haben.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 19a O 42/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das LG Darmstadt entschied, dass Eltern fast siebenjähriger Kinder keine ständige Kontrollpflicht haben, wenn diese im eigenen Hof spielen, es sei denn, die Kinder hätten zuvor auffälliges Verhalten gezeigt.
  • Eine erhöhte Aufsichtspflicht besteht nicht allein durch das Vorhandensein eines Steingartens im Hof, da Kinder generell Möglichkeiten finden können, Schäden zu verursachen.
  • Im vorliegenden Fall wurde die Klage auf Schadensersatz nach Steinwürfen auf ein Auto abgewiesen, da keine Verletzung der Aufsichtspflicht der Eltern festgestellt wurde.
  • Die Eltern müssen ihre Kinder nicht vor jeder potenziellen Gefahr schützen, die von ihnen ausgehen könnte oder ihnen droht.
  • Der Kläger konnte nicht beweisen, dass der Schaden am Fahrzeug durch die Steinwürfe des Sohnes des Beklagten verursacht wurde.
  • Das Urteil unterstreicht die Bedeutung der kindlichen Entwicklung und der angemessenen Freiräume, die ihnen zum Spielen gewährt werden müssen.
  • Die Entscheidung zeigt, dass die Beweislast bei Schadensersatzansprüchen dem Kläger obliegt.
  • Die prozessualen Nebenentscheidungen basieren auf den §§ 91, 708 Nr. 11 ZPO, die die Kostenregelung und die vorläufige Vollstreckbarkeit betreffen.

Aufsichtspflicht der Eltern für fast Erwachsene Kinder

Die Aufsichtspflicht der Eltern steht häufig auf dem rechtlichen Prüfstand. Grundsätzlich haften Eltern für Schäden, die ihre minderjährigen Kinder anderen zufügen. Wie weit diese Verantwortung reicht, ist jedoch umstritten – vor allem bei älteren Kindern, die bereits ein gewisses Maß an Einsichts- und Urteilsvermögen besitzen.

Spielende Kinder stellen in dieser Hinsicht eine besondere Herausforderung dar. Eltern sollen ihren Nachwuchs nicht übermäßig einengen, aber gleichzeitig Schäden vermeiden. Die richtige Balance zwischen Freiheit und Fürsorge zu finden, ist oftmals eine Gratwanderung für Erziehungsberechtigte.

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➜ Der Fall im Detail


Steinwürfe und Aufsichtspflicht: Ein juristischer Streitfall

Im Mittelpunkt des Falls steht ein Schadensersatzanspruch nach Steinwürfen auf ein Auto. Beteiligt sind der Kläger als Eigentümer eines BMW X6 und der Beklagte, dessen fast siebenjähriger Sohn zusammen mit einem gleichaltrigen Kind im Hof ihres Wohnanwesens spielte, als es zur Beschädigung des Fahrzeugs kam.

Steinwurf Kind
Aufsichtspflicht bei 7-Jährigen: LG Darmstadt urteilt zu Steinwürfen und Schadensersatz.
(Symbolfoto: Zapylaiev Kostiantyn /Shutterstock.com)

Der Vorfall ereignete sich am XX.XX.2019. Besondere Aufmerksamkeit erregt der Umstand, dass der Hof, in dem die Kinder spielten, an einen Steingarten grenzt, was die Frage der Aufsichtspflicht der Eltern in den Fokus rückt. Der Kläger fordert Schadensersatz, weil er annimmt, dass der Sohn des Beklagten für die Beschädigung verantwortlich ist. Er argumentiert, der Beklagte habe seine Aufsichtspflicht verletzt, indem er seinen Sohn unbeaufsichtigt ließ.

Die juristische Entscheidung des LG Darmstadt

Das Landgericht Darmstadt entschied unter dem Aktenzeichen 19a O 42/23 am 23.06.2023, dass bei fast siebenjährigen Kindern keine ständige Kontrollpflicht der Eltern besteht, solange die Kinder im Hof ihres Wohnhauses spielen. Diese Pflicht ergibt sich nur, wenn die Kinder in der Vergangenheit bereits auffälliges Verhalten gezeigt haben. Die Klage wurde abgewiesen, und der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass Kinder in diesem Alter ein Recht auf eine gewisse Unbeaufsichtigkeit haben, besonders in ihrem vertrauten Umfeld.

Die Argumentationslinie des Gerichts

Das Gericht führte aus, dass eine Aufsichtspflicht nach den individuellen Umständen zu beurteilen ist, insbesondere nach Alter, Charakter und Verhalten des Kindes. Im vorliegenden Fall sah das Gericht keinen Anlass für eine ständige Überwachung, da der Sohn des Beklagten zuvor kein auffälliges Verhalten gezeigt hatte. Zudem wurde festgestellt, dass der Kläger nicht nachweisen konnte, dass die Schäden am Fahrzeug konkret durch Steinwürfe des Sohnes des Beklagten verursacht wurden.

Relevanz der Entscheidung und Beweislast

Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Beweislast im Schadensersatzrecht. Der Kläger konnte nicht eindeutig belegen, dass die Handlungen des Kindes zu den Schäden am Fahrzeug führten. Des Weiteren hebt das Urteil hervor, dass die Aufsichtspflicht der Eltern nicht absolut ist und von der konkreten Situation sowie dem Entwicklungsstand des Kindes abhängt.

Die rechtlichen Grundlagen

Die Entscheidungsgründe des LG Darmstadt basieren auf den §§ 832 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB sowie den Grundsätzen zur elterlichen Aufsichtspflicht. Die Argumentation des Gerichts bezieht sich auf das Maß der gebotenen Aufsicht, das sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes bestimmt, sowie auf die Rechtsprechung des BGH zur Entwicklung der Persönlichkeit und Selbstständigkeit des Kindes.

Das Gerichtsurteil im Kontext der Rechtsprechung

Dieses Urteil fügt sich in die Rechtsprechung ein, die Eltern einen Ermessensspielraum bei der Beaufsichtigung ihrer Kinder gewährt, solange keine konkrete Gefahr erkennbar ist. Es betont, dass die Aufsichtspflicht im Kontext des Erziehungsziels steht, Kindern zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit und zu einem selbstständigen, verantwortungsbewussten Handeln zu verhelfen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Welche Kriterien bestimmen die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder?

Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder wird durch verschiedene Kriterien bestimmt, die sich an den individuellen Gegebenheiten des Kindes und der jeweiligen Situation orientieren. Zu den maßgeblichen Kriterien gehören:

  • Alter des Kindes: Je jünger das Kind, desto intensiver muss die Aufsicht sein. Mit zunehmendem Alter des Kindes kann die Aufsicht gelockert werden, da ältere Kinder in der Regel ein höheres Maß an Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein entwickeln.
  • Entwicklungsstand des Kindes: Neben dem kalendarischen Alter ist der individuelle Entwicklungsstand des Kindes entscheidend. Kinder, die in ihrer Entwicklung weiter fortgeschritten sind, können eher in der Lage sein, Gefahren zu erkennen und entsprechend zu handeln.
  • Individuelle Besonderheiten: Zu den individuellen Besonderheiten zählen beispielsweise bestimmte Verhaltensweisen oder Krankheiten des Kindes, die eine intensivere Beaufsichtigung erforderlich machen können.
  • Konkrete Situation und Umgebung: Die Aufsichtspflicht hängt auch von der jeweiligen Situation und Umgebung ab, in der sich das Kind befindet. Gefahrenquellen wie Wasser, Verkehr oder unbekannte Orte erfordern eine erhöhte Aufmerksamkeit.
  • Vereinbarungen über angemessenes Verhalten: Wenn mit dem Kind Vereinbarungen über den Umgang mit Gefahrenquellen getroffen wurden und der Umgang geübt wurde, kann dies die Aufsichtspflicht beeinflussen.
  • Verhaltensregeln und Absprachen: Klare Verhaltensregeln und Absprachen zwischen Eltern und Kindern können dazu beitragen, dass Kinder sich auch ohne permanente Überwachung sicher verhalten.
  • Einsichtsfähigkeit des Kindes: Ab einem bestimmten Alter sind Kinder in der Lage, die Folgen ihres Handelns zu verstehen. Dies kann die Aufsichtspflicht der Eltern beeinflussen, da Kinder dann für bestimmte Handlungen selbst verantwortlich gemacht werden können.
  • Gesetzliche Regelungen: Die Aufsichtspflicht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert und umfasst die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Aufsichtspflicht keine Dauerbeobachtung und ständige Verhaltenskontrolle der Kinder verlangt, sondern eine dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes angemessene Beaufsichtigung. Eltern müssen in der Lage sein, die genannten Kriterien situationsgerecht zu bewerten und ihre Aufsichtspflicht entsprechend anzupassen.

Ab welchem Alter können Kinder zeitweise unbeaufsichtigt spielen?

Die Frage, ab welchem Alter Kinder zeitweise unbeaufsichtigt spielen können, hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter das individuelle Entwicklungsstadium des Kindes, die Umgebung, in der das Spiel stattfindet, und die Art der Aktivität. Die Expertenmeinungen und rechtlichen Rahmenbedingungen bieten Orientierung, setzen jedoch voraus, dass Eltern und Erziehungsberechtigte die individuellen Fähigkeiten und die Reife ihres Kindes berücksichtigen.

Allgemeine Empfehlungen

  • Unter sieben Jahren: Kinder unter sieben Jahren sollten grundsätzlich nicht ganz unbeaufsichtigt draußen spielen. In einem geschützten und bekannten Umfeld wie dem eigenen Garten kann es jedoch akzeptabel sein, das Kind zeitweise ohne direkte Aufsicht zu lassen, wobei regelmäßige Kontrollen empfohlen werden.
  • Ab sieben Jahren: Ab dem siebten Lebensjahr beginnen Kinder, ein besseres Verständnis für Regeln und Gefahren zu entwickeln. Experten wie Dorothea Jung empfehlen, dass Kinder ab diesem Alter unter bestimmten Umständen und in sicherer Umgebung für kurze Zeiträume unbeaufsichtigt spielen können. Die Entscheidung sollte jedoch immer auf der individuellen Entwicklung und der Zuverlässigkeit des Kindes basieren.
  • Ab vier Jahren: In den eigenen vier Wänden kann es in Ordnung sein, wenn das Kind etwa 15 bis maximal 30 Minuten ohne Aufsicht bleibt, vorausgesetzt, das Kind fühlt sich wohl dabei und es wurden klare Regeln und Verhaltensweisen für Notfälle besprochen.

Faktoren zur Berücksichtigung

  • Individuelle Entwicklung und Reife des Kindes: Einige Kinder entwickeln früher als andere die Fähigkeit, Risiken einzuschätzen und verantwortungsvoll zu handeln. Eltern sollten die individuelle Entwicklung ihres Kindes berücksichtigen.
  • Umgebung und Art der Aktivität: Eine sichere, bekannte Umgebung wie der eigene Garten oder ein vertrauter Spielplatz in der Nähe kann eher geeignet sein für unbeaufsichtigtes Spielen als unbekannte oder potenziell gefährliche Orte.
  • Klare Regeln und Kommunikation: Es ist wichtig, mit dem Kind klare Regeln für das unbeaufsichtigte Spielen zu besprechen und sicherzustellen, dass es weiß, wie es sich in verschiedenen Situationen verhalten soll.

Rechtliche Rahmenbedingungen

In Deutschland gibt es keine explizite gesetzliche Regelung, die festlegt, ab welchem Alter Kinder allein zu Hause bleiben dürfen. Die Aufsichtspflicht der Eltern variiert mit dem Alter des Kindes und orientiert sich an der Entwicklung des Kindes. Bis zum 18. Geburtstag tragen Erziehungsberechtigte die Aufsichtspflicht, die jedoch mit zunehmendem Alter des Kindes weniger eng ausgelegt wird.

Es gibt keine pauschale Antwort auf die Frage, ab welchem Alter Kinder zeitweise unbeaufsichtigt spielen können. Die Entscheidung hängt von der individuellen Entwicklung des Kindes, der spezifischen Situation und der Umgebung ab. Eltern sollten eine Balance zwischen der Förderung der Selbstständigkeit ihres Kindes und der Gewährleistung seiner Sicherheit finden.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 832 BGB – Haftung des Aufsichtspflichtigen
    Dieser Paragraph regelt die Haftung derjenigen, die für die Beaufsichtigung einer Person verantwortlich sind, insbesondere von Eltern für ihre Kinder. Im vorliegenden Fall ist er zentral, da es um die Frage geht, ob die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt haben, indem sie ihre fast siebenjährigen Kinder unbeaufsichtigt spielen ließen.
  • §§ 1626, 1631 BGB – Elterliche Sorge und Erziehung
    Diese Vorschriften konkretisieren die Pflichten der Eltern hinsichtlich der Sorge und Erziehung ihrer Kinder. Sie bilden die Grundlage für die Beurteilung, inwiefern Eltern ihre Kinder beaufsichtigen müssen und welche Freiräume sie ihnen gewähren dürfen.
  • ZPO (Zivilprozessordnung) §§ 91, 708 Nr. 11 – Kostenentscheidung und vorläufige Vollstreckbarkeit
    Diese Paragraphen der ZPO sind relevant für die Kostenentscheidung des Gerichts und die Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit eines Urteils. Im konkreten Fall betrifft dies die Entscheidung, dass der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat und das Urteil vorläufig vollstreckbar ist.
  • § 840 BGB – Gesamtschuldner
    Obwohl dieser Paragraph im konkreten Fall nicht zur Anwendung kam, ist er im Kontext der Haftung und Schadensersatzansprüche bei Beteiligung mehrerer Schädiger grundsätzlich von Bedeutung. Er regelt, dass bei mehreren Schädigern jeder für den gesamten Schaden haftbar gemacht werden kann.
  • Allgemeines Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB)
    Das allgemeine Deliktsrecht ist von Bedeutung für die Beurteilung von Schadensersatzansprüchen, die aus unerlaubten Handlungen resultieren. Im vorliegenden Fall spielt es eine Rolle bei der Frage, ob und inwieweit die Eltern für die durch ihre Kinder verursachten Schäden haften.
  • Rechtsprinzipien zur Beweislast
    Die Frage, wer die Beweislast für die Verletzung der Aufsichtspflicht oder die Verursachung eines Schadens trägt, ist essenziell für die gerichtliche Entscheidungsfindung. Im Kontext des Falles wird deutlich, dass der Kläger die Beweislast für die Schadensverursachung durch das Kind des Beklagten nicht erfüllen konnte.


Das vorliegende Urteil

LG Darmstadt – Az.: 19a O 42/23 – Urteil vom 23.06.2023

Leitsatz

Bei Kindern, die beinahe sieben Jahre alt sind, besteht keine Pflicht zu einer ständigen Kontrolle, wenn diese im Hof des Hauses spielen, in dem sie wohnen. Eine Kontrollpflicht kann nur dann angenommen werden, wenn die Kinder in der Vergangenheit bereits ein auffälliges Verhalten im Hinblick auf den verfolgten Anspruch zeigten. Allein der Umstand, dass im Hof ein Steingarten ist, führt nicht zu einer erhöhten Aufsichtspflicht. Kinder finden immer und überall Steine oder sonstige Dinge, die Schäden verursachen können. Es ist nicht Aufgabe der Eltern, ihre Kinder oder Dritte vor jeglicher Gefahr zu bewahren, die von den Kindern ausgeht oder für diese besteht. Wenn ein solches Verhalten beobachtet wird, ist es zwar zu unterbinden. Ein Kind ist aber nicht auf Schritt und Tritt zu überwachen, nur weil abstrakt ein Schaden von ihm verursacht werden könnte.

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1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten sich um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit Steinwürfen durch Kinder auf das Auto des Klägers.

Der Kläger ist Eigentümer eines BMW X6 mit dem amtlichen Kennzeichen […] (im Folgenden das „Fahrzeug“).

Am XX.XX.2019 spielten der am XX.XX.2012 geborene Sohn A des Beklagten sowie die damals ebenfalls 6 Jahre alte B (die Tochter der Streitverkündeten) im Hof des Anwesens …straße … in [Ort], in dem der Beklagte seinerzeit – bereits seit April 2019 – wohnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger sein Fahrzeug im Hof seines gegenüberliegenden Anwesens …straße … in [Ort] abgestellt. Der Sohn des Beklagten besuchte damals die zweite Klasse der Grundschule. Die Streitverkündete ist die Cousine des Beklagten.

In dem an die Straße unmittelbar angrenzenden Hof des Anwesens …straße … in [Ort] befindet sich ein Steingarten mit ca. 3 bis 4 cm großen Steinen.

Im zeitlichen Zusammenhang mit dem Aufenthalt der Kinder auf dem Hof des Anwesens …straße … in [Ort] kam es zu einer Beschädigung des Fahrzeugs durch Steine. Der am Fahrzeug des Klägers verursachte Schaden wurde mit Gutachten des TÜV Nord vom 30.10.2019 dokumentiert (Anlage K3, Bl. 7 ff. d. A.). Die Reparaturkosten belaufen sich auf netto EUR 5.011,51. Ferner wurde eine merkantile Wertminderung des Fahrzeuges in Höhe von EUR 900,00 gutachterlich festgestellt. Ferner sind durch die Begutachtung Kosten entstanden in Höhe von EUR 919,04, Rechnung in Anlage K4.

Der Beklagte meldete den Schaden seiner Haftpflichtversicherung, der V Versicherung AG. Mit Schreiben vom 11.12.2019 lehnte die Haftpflichtversicherung gegenüber dem Kläger eine Eintrittspflicht bereits dem Grunde nach ab. Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 15.01.2020 wurde die Haftpflichtversicherung des Beklagten unter Fristsetzung zum 31.01.2020 zur Regulierung der vorbezeichneten Schäden aufgefordert.

Der Kläger behauptet, dass auch der Sohn des Beklagten Steine geworfen habe. Durch die von dem Sohn des Beklagten geworfenen Steine sei sein Fahrzeug beschädigt worden. Es seien mindestens 30 bis 40 Steine auf das Grundstück des Klägers geworfen worden. Diese seien teilweise unter dem Auto und teils auch im hinteren Teil des Grundstücks des Klägers gelandet.

Der Kläger ist der Auffassung, der Beklagte habe seine Aufsichtspflicht verletzt, indem er seinen Sohn unbeaufsichtigt habe spielen lassen. Die Aufsichtspflicht sei dadurch gesteigert worden, dass sich auf dem Hof des Anwesens …straße … in [Ort] ein Steingarten befunden habe.

Der Kläger behauptet, die Kinder hätten nicht nur auf dem Hof gespielt (wie es noch in der Klageschrift dargestellt worden war), sondern hätten sich auch zumindest auf dem Gehweg oder gar auf der Straße aufgehalten. Andernfalls sei es den Kindern gar nicht möglich gewesen, die Steine bis auf das Grundstück des Klägers zu werfen.

Der Kläger beantragt,

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 6.830,55 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.02.2020 zu zahlen.

2. Der Beklagte wird weiter verurteilt, dem Kläger dessen vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von € 650,34 zu erstatten.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Nachdem der Beklagte zunächst unstreitig gestellt hatte, dass die Schäden an dem Fahrzeug durch Steinwürfe seines Sohnes herbeigeführt wurden, bestreitet er dies nunmehr.

Der Beklagte behauptet, die Kinder hätten ausschließlich innerhalb der eigenen Einfriedung des Grundstücks gespielt, wie sie dieses regelmäßig auch bereits vorher getan hätten. Sie seien dabei von der Streitverkündeten beaufsichtigt worden. Der Beklagte selbst habe in einem Intervall von ca. 20 bis 40 Minuten ebenfalls nach den Kindern geschaut.

Es habe aufgrund der guten Erfahrungen in der Vergangenheit auch keine Veranlassung gegeben, die Kinder engmaschiger zu hätten oder aber lückenlos zu beaufsichtigen. Die Kinder seien normal entwickelt und haben in der Vergangenheit keine Verhaltensweisen aufgezeigt, die dies erforderlich gemacht hätte. Insbesondere sei es bis dahin noch nicht vorgekommen, dass die Kinder Steine aus dem Steingarten genommen und mit diesen gespielt oder aber geworfen hätten.

Der Beklagte ist der Auffassung, es habe bereits keine Pflicht zur lückenlosen Aufsicht bestanden. Denn der Sohn des Beklagten habe bereits damals einen Reife- und Entwicklungsstand erreicht gehabt, in dem ihm ein entsprechender Freiraum zur Entwicklung ihrer Selbständigkeit zuzubilligen gewesen sei.

In dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05.05.2021 wurden der Kläger und der Beklagte informatorisch angehört. Zum Ergebnis wird verwiesen auf das Protokoll bei Bl. 102 ff. d. A.

Es wurde Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C, D und E (der späteren Streitverkündeten) in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 02.03.2022. Zum Ergebnis wird verwiesen auf das Protokoll bei Bl. 153 ff. d. A.

Weiter wurde Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin F in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.05.2023. Zum Ergebnis wird verwiesen auf das Protokoll bei Bl. 204 ff. d. A.

Mit Schriftsatz vom 19.04.2021 (Bl. 53 ff. d. A.) hat der Beklagte Frau E den Streit verkündet. Der Schriftsatz ist ihr am 29.05.2021 zugestellt worden (Bl. 123 d. A.). Ein Beitritt ist nicht erfolgt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Beklagte haftet schon dem Grunde nach nicht aus § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB, da er seiner Aufsichtspflicht genügt hat, § 832 Abs. 1 Satz 2 a.E. BGB.

Die Aufsichtspflicht aus §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB ist eine Konkretisierung des allgemein deliktischen Sorgfaltsgebotes. Das Maß der im Einzelfall gebotenen Aufsicht ist nach den Grundsätzen, die für Umfang und Intensität der Sorgfaltspflichten generell maßgebend sind, zu bestimmen. Je schwerwiegender der drohende Schaden und je höher die Wahrscheinlichkeit des Eintritts sind, desto mehr Mühen sind den Eltern zumutbar. (Wagner in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 832, Rn. 26). Das Maß der gebotenen Aufsicht für Minderjährige bestimmt sich nach Alter, Eigenart, und Charakter des Kindes. (Wagner in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 832, Rn. 27). Bei der Beurteilung der Aufsichtspflicht gilt es das angestrebte Erziehungsziel, dem Kind zur Entwicklung seiner Persönlichkeit zu verhelfen und ihm ein selbstständiges verantwortungsbewusstes Handeln einzuüben (BGH, Urteil vom 27.11.1979 – VI ZR 98/78, NJW 1980, 1044, 1045). Ein fast siebenjähriges Kind wie der Sohn des Beklagten hat ein Recht dazu, auch eine gewisse Zeitlang unbeaufsichtigt spielen zu können. Dies insbesondere, solange er sich im Hof des Beklagten aufhält. Ein Kind dieses Alters muss nicht mehr in den engmaschigen Abständen kontrolliert werden, wie man es beispielsweise bei einem fünfeinhalbjährigen Kind noch tun sollte (vgl. Wellenhofer in: beck-online.Großkommentar BGB, Stand 01.04.2023, § 832, Rn. 121)

Etwas Anderes würde natürlich dann gelten, wenn das betreffende Kind in der Vergangenheit ein Verhalten an den Tag gelegt hätte, das eine besondere Beaufsichtigung nahelegen würde. Dafür aber ist nichts vorgetragen. Unbestritten hat der Beklagte gar vorgetragen, dass sein Sohn zuvor noch nie alleine weggegangen sei. Den Vortrag des Klägers für wahr unterstellt, dass ein Steinwurf aus dem Hof auf das Fahrzeug des Klägers durch ein Kind unmöglich sei, war der Kläger vor dem streitgegenständlichen Vorfall nicht zu einer besonderen Überwachung seines Sohnes veranlasst.

Das Vorhandensein eines Steingartens erhöht die Aufsichtspflicht nicht. Kinder finden immer und überall Steine oder sonstige Dinge, die Schäden verursachen können (vgl. etwa LG Wuppertal, Urteil vom 07.11.2013 – 17 O 169/12). Es ist nicht Aufgabe der Eltern, ihre Kinder oder Dritte vor jeglicher Gefahr zu bewahren, die von den Kindern ausgeht oder für diese besteht. Wenn ein solches Verhalten beobachtet wird, ist es zwar zu unterbinden. Ein Kind ist aber nicht auf Schritt und Tritt zu überwachen, nur weil abstrakt ein Schaden von ihm verursacht werden könnte.

Dessen unbeschadet konnte der Beklagte auch nicht den Beweis führen, dass sein Fahrzeug gerade durch die von dem Sohn des Beklagten geworfenen Steine beschädigt wurde. Um die (nach Ansicht der Kammer schon nicht bestehende) Haftung auszufüllen, hätte es an dem Kläger gelegen, die Kausalität zwischen Steinwürfen gerade des Sohns des Klägers (denn für eine Aufsichtspflicht hinsichtlich der Tochter der Streitverkündeten ist nichts vorgetragen) und den Schäden am Fahrzeug zu beweisen. Das ist ihm indes nicht gelungen. Keiner der Zeugen hat Steinwürfe des Sohns des Beklagten gesehen. Allein aus dem Umstand, dass der Sohn des Beklagten sich zu einem Zeitpunkt, als das Auto durch Steine getroffen worden sei, draußen war, genügt noch nicht, um den Beweis zu führen, dass das Fahrzeug gerade von den vom Sohn des Beklagten geworfenen Steinen beschädigt wurde. Das Fahrzeug wurde von ca. 5 Steinen getroffen (genauere Angaben macht der Kläger nicht und solche sind auch weder aus dem Gutachten noch aus den diesem beigefügten Fotos zu entnehmen). Um das Fahrzeug herum lagen indes Dutzende Steine, nach den Angaben des Klägers auch auf der Straße. Selbst wenn der Sohn des Beklagten einen oder mehrere dieser Steine geworfen haben sollte – schon das hat der Kläger nicht beweisen können – stünde doch nicht fest, dass die vom Sohn des Beklagten geworfenen Steine das Fahrzeug getroffen und beschädigt haben.

Auch der Umstand, dass die Aussagen der Zeugin E und die Angaben des Beklagten in seiner informatorischen Anhörung sehr ungenau und schwankend waren, führt nicht dazu, dass das Gericht zu der Überzeugung gelangen, würde, dass der Kläger den ihm obliegenden Beweis erbracht hätte. Die entsprechenden Ausführungen sind zwar dazu geeignet, Zweifel zu wecken, ob die Version des Beklagten im letzten Detail stimmt. Es oblag aber dem beweisbelasteten Kläger, seine Version des Geschehens zu beweisen. Das ist ihm nicht gelungen.

Auch das von dem Kläger bemühte Indiz, dass die Kinder sich ja entschuldigt hätten, führt nicht zu einer Überzeugung des Gerichts von den schädigenden Handlungen durch den Sohn des Beklagten. Ein Kind nämlich entschuldigt sich keinesfalls nur für etwas, was es getan hat, sondern auch allein aus dem Grund, Ruhe vor den es mit Vorwürfen plagenden Erwachsenen zu haben. Ob die behauptete Entschuldigung nun aus dem einen oder dem anderen Grund erfolgte, vermag das Gericht nicht zu beurteilen, da es an Anknüpfungstatsachen fehlt und der Sohn des Beklagten auch nicht als Zeuge benannt wurde.

Der Verweis des Klägers auf § 840 BGB in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 25.05.2023 (Bl. 217 f. d. A.) hilft dem Kläger auch nicht weiter. Denn die Norm erlaubt es nur dem Geschädigten, einen von mehreren Schädigern auf den vollen Schadensersatz zu verklagen, ohne dass er sich den jeweiligen Mitverschuldensanteil eines anderen Schädigers entgegenhalten lassen muss. Die Norm hilft aber ebensowenig wie § 832 BGB darüber hinweg, dass den Geschädigten die Beweislast hinsichtlich der (haftungsausfüllenden) Kausalität eines schädigenden Verhaltens trifft.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11 ZPO.

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