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Straf- bzw. Ermittlungsakten können im Zivilverfahren beigezogen werden

Bankkartenmissbrauch: BGH hebt OLG-Urteil teilweise auf

In einem Rechtsstreit um unrechtmäßige Abhebungen von einem Postbankkonto hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg teilweise aufgehoben. Der Kläger forderte von der Beklagten, seiner ehemaligen Lebensgefährtin, die Erstattung von insgesamt 46.500 Euro.

Direkt zum Urteil: Az.: III ZR 104/21 springen.

Die unrechtmäßigen Abhebungen

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe während ihrer Beziehung unberechtigt Geldbeträge von seinem Konto abgehoben und für sich behalten. Die Abhebungen fanden in einer Zeit statt, in der der Kläger aufgrund einer Verletzung eingeschränkt war und sich in medizinischer Behandlung befand.

Der Rechtsstreit und das BGH-Urteil

Das Landgericht wies die Klage ab, das Berufungsgericht sprach dem Kläger lediglich 12.000 Euro zu. Der BGH entschied nun, dass das angefochtene Urteil teilweise aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird. Der BGH kritisiert insbesondere die Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags des Klägers, der auf Akten der Staatsanwaltschaft abzielte.

Staatsanwaltschaftliche Dokumente

Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, dass die Staatsanwaltschaft nicht zur Vorlage der in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen durch das Zivilgericht aufgefordert werden könnte, findet keine Stütze im Prozessrecht. Die Beschränkung der Vorlagepflicht der nicht beweisbelasteten Partei auf die Fälle der §§ 422 f ZPO ist Folge der Beweisführungslast ihres Gegners. Diese Erwägung trifft jedoch nicht zu im Verhältnis zu Dritten, die sich im Besitz einer Urkunde befinden.

Beweisantrag und rechtliches Interesse

Die Ablehnung des Beweisantrags erweist sich als nicht richtig, da der Kläger vor Gericht zivilrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte geltend macht und somit ein rechtliches Interesse an der Erlangung der Informationen hat. Dem Grundrecht der Beklagten und ihres Sohnes auf informationelle Selbstbestimmung kann im konkreten Fall Rechnung getragen werden, indem die Einsichtnahme des Klägers in den Sonderband der Ermittlungsakte eingeschränkt wird. Das Berufungsurteil beruht auf dem Verfahrensfehler, und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei einer Beweisaufnahme entsprechend den gesetzlichen Regeln des Urkundenbeweises eine dem Kläger günstigere Entscheidung getroffen hätte.

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Das vorliegende Urteil

BGH – Az.: III ZR 104/21 – Urteil vom 16.03.2023

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2023 für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg – 15. Zivilsenat – vom 9. Juli 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung von insgesamt 46.500 EUR und die Feststellung, dass die Forderung auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO beruht. Der Kläger behauptet, die Beklagte habe an Geldautomaten von seinem Postbankkonto mit seiner Bankkarte und seiner PIN Beträge in der genannten Gesamthöhe unberechtigt abgehoben und behalten.

Die Parteien waren miteinander liiert. Im Oktober 2014 flog der Kläger für eine Motorradtour nach Indien. Dort erlitt er einen Verkehrsunfall, bei dem er sich eine schwere Beinverletzung zuzog. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland befand er sich deswegen vom 5. bis zum 25. November 2014 in einem Krankenhaus. Anschließend wohnte er – in seiner Bewegungsfähigkeit noch immer eingeschränkt – bei der Beklagten. Vom 20. April bis zum 18. Mai 2015 hielt er sich in einer Unfallklinik auf. Danach wohnte er nicht mehr bei der Beklagten.

Während seines ersten Krankenhausaufenthaltes bat der Kläger die Beklagte, für ihn von seinem Konto bei der Postbank an einem Geldautomaten Bargeld zu holen. Er händigte ihr seine Bankkarte aus und teilte ihr die PIN mit. Die Beklagte hob daraufhin am 13. und am 14. November 2014 insgesamt 1.500 EUR in drei Teilbeträgen von jeweils 500 EUR ab, welche sie dem Kläger übergab.

In der Zeit vom 15. November 2014 bis 19. April 2015 erfolgten 49 weitere Auszahlungen vom Konto des Klägers an Geldautomaten in Höhe von jeweils 500 EUR oder 1.000 EUR mit einem Gesamtbetrag von 43.500 EUR.

Der Kläger trägt vor, die Beklagte habe diese Abhebungen vorgenommen. Sie habe jeweils ohne sein Wissen die Bankkarte für sein Postbankkonto an sich genommen, ihm das Geld nicht ausgehändigt und es auch nicht für seine Zwecke verwendet.

Am 28., 29. und 30. Mai 2015 hob die Beklagte über einen Geldautomaten jeweils 1.000 EUR vom Postbankkonto des Klägers ab. Insoweit ist – nachdem die Beklagte auf Bildern der Überwachungskamera der Bank zu erkennen war – lediglich streitig, ob die Barabhebung jeweils auf entsprechende Bitte des Klägers geschah und ob die Beklagte ihm das abgehobene Bargeld aushändigte.

Vom Kläger angestrengte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte wegen des Verdachts von Vermögensstraftaten im Zusammenhang mit Barabhebungen vom Postbankkonto des Klägers wurden sämtlich nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat dem Kläger 12.000 EUR nebst Zinsen unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zugesprochen und im Übrigen die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klage in vollem Umfang weiter.

Gründe:

Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit darin zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat – soweit in der Revisionsinstanz von Relevanz – zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Von den drei Abhebungen in der Zeit vom 28. bis zum 30. Mai 2015 und von neun weiteren im Zeitraum vom 15. November 2014 bis 19. April 2015 durch die Beklagte abgesehen vermöge es sich bei Würdigung des Prozessstoffs und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht die nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderliche Überzeugung für die Berechtigung des Anspruchs des Klägers zu bilden. Eine von diesem zur Beweisführung beantragte Anforderung des „Sonderbandes Bankauskunft“ bei der Staatsanwaltschaft Regensburg unter dem Aktenzeichen 114 Js 20466/15 sei nicht veranlasst gewesen. Die Vorlage von Bankunterlagen, die sich im Besitz der Beklagten befänden, könne nur unter den Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO angeordnet werden. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ergebe sich jedoch weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus dem sonstigen Akteninhalt. Die vorgenannten Vorschriften würden umgangen, wenn die Staatsanwaltschaft als Dritte, die auch im Besitz der Bankunterlagen der Beklagten sei, unabhängig von den Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO zur Vorlage dieser Unterlagen durch das Zivilgericht aufgefordert werden könnte. Es bedürfe folglich keiner Entscheidung mehr, ob der Senat den „Sonderband Bankauskünfte“ nach Erhalt von der Staatsanwaltschaft überhaupt dem Kläger zugänglich machen dürfte. Bei der Entscheidung hierüber müsste der Senat die Wertung des § 479 Abs. 3 Nr. 1 StPO berücksichtigen, wonach ein rechtliches Interesse des Klägers an den darin befindlichen Informationen erforderlich sei, was die Wahrnehmung formal eingeräumter Rechte durch den Kläger erfordere, und kein schutzwürdiges Interesse der Beklagten entgegenstehen dürfe.

II.

Diese Ausführungen halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Dass das Berufungsgericht den „Sonderband Bankauskunft“ bei der Staatsanwaltschaft Regensburg nicht beigezogen und verwertet hat, verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers aus Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG als grundrechtsgleiches Recht soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt – auch bei Kenntnisnahme des Vorbringens durch den Tatrichter – dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (stRspr, zB Senat, Beschluss vom 7. Juni 2018 – III ZR 210/17, WM 2018, 1252 Rn. 4; BGH, Beschlüsse vom 2. November 2021 – IX ZR 39/20, NJW-RR 2022, 69 Rn. 5 und vom 11. Januar 2022 – VIII ZR 33/20, WM 2022, 347 Rn. 13 f; jew. mwN). Das ist hier der Fall.

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b) Das Berufungsgericht hat es mit Recht als erheblich angesehen, ob und in welchem Umfang beziehungsweise wie oft die Beklagte unberechtigte Barabhebungen vom Postbankkonto des Klägers an Geldautomaten vornahm, wofür der Kläger die Darlegungs- und Beweislast zu tragen hat. Es hat jedoch den den formalen Anforderungen der §§ 430, 432 ZPO genügenden Beweisantrag des Klägers vom 26. Juni 2020 (GA 231), den „Sonderband Bankauskunft“ der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft beizuziehen, in dem sich Auszüge der Konten der Beklagten und ihres Sohnes für den Zeitraum von November 2014 bis Mai 2015 befinden, mit einer Begründung abgelehnt, die im Prozessrecht keine Stütze mehr findet.

aa) Gemäß § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4 Sätzeund 3 StPO steht einer Partei grundsätzlich die Möglichkeit zur Verfügung, in einem anhängigen Zivilprozess (Teile von) Ermittlungsbeziehungsweise Strafakten beiziehen zu lassen (vgl. BVerfG, [Kammer-]Beschluss vom 12. November 2021 – 1 BvR 576/19, Rn. 9). Die Beiziehung der Akten ist zulässig, wenn und soweit sich eine Partei unter Angabe der erheblichen Aktenteile auf diese Akten bezogen hat (vgl. BVerfG, NJW 2014, 1581 Rn. 22; BGH, Urteil vom 12. November 2003 – XII ZR 109/01, NJW 2004, 1324, 1325). § 474 Abs. 1 StPO legt die Gewährung von Akteneinsicht an Gerichte als Regelfall fest; nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Regierungsentwurf des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999, BT-Drucks. 14/1484, S. 26) ist den Gerichten grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren (vgl. OLG Hamm, BB 2014, 526, 527 und 529). Grundrechte der anderen Partei oder Dritter, insbesondere deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, stehen der Aktenbeiziehung und der Einsichtnahme in die beigezogene Akte durch die Gerichte in aller Regel nicht entgegen. Diesen Grundrechten kann vielmehr dadurch Rechnung getragen werden, dass im konkreten Fall das Gericht nach Erhalt der angeforderten Ermittlungs- oder Strafakte unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der anderen Partei und gegebenenfalls Dritter abwägt und so prüft, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Informationen aus ihr im Zivilverfahren verwertet werden können (vgl. BVerfG aaO Rn. 24 ff und 29); der Zugang zu den Informationen aus der beigezogenen Akte ist gegebenenfalls angemessen zu beschränken (vgl. BVerfG, NJW 2007, 1052).

bb) Ausgeschlossen ist ein Beweisantritt nach § 432 Abs. 1 ZPO nach Absatzder Vorschrift, wenn der Beweisführer die Urkunde nach den gesetzlichen Vorschriften ohne Mitwirkung des Gerichts zu beschaffen imstande ist. Dieser Ausschlusstatbestand ist jedoch nicht erfüllt. Der Kläger hatte einen Antrag auf Einsichtnahme in den Sonderband „Bankauskunft“ der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Regensburg gestellt, der von dieser zurückgewiesen wurde. Hiergegen stellte der Kläger Antrag auf gerichtliche Entscheidung zum Amtsgericht Regensburg, den dieses mit der (Haupt-)Begründung zurückwies, die Einsicht in den Sonderband sei zur Durchsetzung der Interessen des Klägers nicht erforderlich.

Dahinstehen kann, ob sich auch aus Absatzder Vorschrift ein Ausschlusstatbestand ergeben kann (dafür zB Feskorn in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 432 Rn. 2; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 432 Rn. 4; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl., § 432 Rn. 1; Krafka in BeckOK-ZPO [1. Dezember 2022], § 432 Rn. 3; Förster in Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl., § 432 Rn. 2; dagegen zB Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 432 Rn. 2; Preuß in Prütting/ Gehrlein, ZPO, 14. Aufl., § 432 Rn. 2). Denn dass ein materiell-rechtlicher Vorlegungsanspruch „gegen die Behörde“ besteht, wie es nach § 432 Abs. 3 ZPO erforderlich ist (Förster aaO; Ahrens aaO), ist nicht auszumachen, und zudem hat der Kläger eine Verpflichtung zur Vorlegung nicht auf § 422 ZPO gestützt.

cc) Somit bestehen grundsätzlich keine Hindernisse für eine Aktenbeiziehung nach § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4 Sätzeund 3 StPO; der vorstehend unter Buchstaben aa beschriebene Anwendungsbereich dieser Vorschriften ist eröffnet. Dass die Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO im Verhältnis zur Beklagten nicht vorliegen, ist ohne Belang.

Die demgegenüber vom Berufungsgericht – und soweit ersichtlich von niemandem sonst – vertretene Auffassung, die Vorschriften der §§ 422 f ZPO würden umgangen, wenn die Staatsanwaltschaft unabhängig von den Voraussetzungen dieser Bestimmungen zur Vorlage der in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen durch das Zivilgericht aufgefordert werden könnte, weswegen die beantragte Anforderung des „Sonderbandes Bankauskunft“ abzulehnen sei, findet im Prozessrecht keine Stütze. Die Beschränkung der Vorlagepflicht der nicht beweisbelasteten Partei auf die Fälle der §§ 422 f ZPO ist Folge der Beweisführungslast ihres Gegners. Wäre die diese Last nicht tragende Partei gezwungen, ohne die besonderen Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO in ihrem Besitz befindliche Urkunden vorzulegen, würde die Beweisführungslast zu ihrem Nachteil verkehrt, denn es besteht der Grundsatz, dass keine Partei gehalten ist, dem beweis(führungs) belasteten Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt (vgl. BGH, Urteile vom 11. Juni 1990 – II ZR 159/89, VersR 1990, 1254, 1255 und vom 17. Oktober 1996 – IX ZR 293/95, NJW 1997, 128, 129; siehe auch Schreiber in MüKo-ZPO, 6. Aufl., § 422 Rn. 1). Diese Erwägung trifft jedoch nicht zu im Verhältnis zu Dritten, die sich im Besitz einer Urkunde befinden. Maßgeblich für die Vorlagepflicht Dritter gemäß § 429 Satz 1 Halbsatz 1, § 432 Abs. 3 ZPO ist deshalb allein, ob die beweisführungsbelastete Partei im Verhältnis zu ihnen einen Vorlegungsanspruch hat. Ob die Gegenpartei in Ermangelung der Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO nicht zur Vorlage einer Urkunde verpflichtet ist, ist demgegenüber in Bezug auf Dritte nicht von Bedeutung.

c) Die (einschränkungslose) Ablehnung des Beweisantrags (GA 231) erweist sich auch nicht als richtig, weil ihm mangels durchgreifenden rechtlichen Interesses des Klägers keine Folge zu leisten wäre.

Da der Kläger vor Gericht zivilrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte geltend macht, hat er grundsätzlich ein rechtliches Interesse an der Erlangung der mit der Aktenbeiziehung hierfür verfolgten Informationen (vgl. LG Kassel, NZV 2003, 437). Dem Grundrecht der Beklagten und ihres Sohnes auf informationelle Selbstbestimmung kann im konkreten Fall etwa dadurch Rechnung getragen werden, dass die Einsichtnahme des Klägers in den Sonderband der Ermittlungsakte nach Maßgabe der obigen Ausführungen zu Buchstaben b aa auf (etwaige) zwischen dem 15. November 2014 und dem 31. Mai 2015 vorgenommene Einzahlungen auf die im Beweisantrag (GA 231) genannten Konten beschränkt und die Ermittlungsakte nur in diesem Umfang im vorliegenden Zivilverfahren verwertet wird.

Das rechtliche Interesse des Klägers kann nicht damit in Abrede gestellt werden, dass bloße Ausforschung betrieben würde beziehungsweise eine von vornherein aussichtslose Klage vorläge (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2015 – KVR 55/14, NJW 2015, 3648 Rn. 32). Denn das Berufungsgericht hat es bereits nach dem seinerzeitigen Sach- und Streitstand schon „für nicht unwahrscheinlich“ gehalten, „dass die Beklagte in der Zeit vom 15.11.2014 bis 19.04.2015 mehr Barabhebungen vom Postbankkonto des Klägers vorgenommen hat, als sie im Zivilverfahren zugibt“.

d) Das Berufungsurteil beruht auf dem Verfahrensfehler. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei einer Beweisaufnahme entsprechend den gesetzlichen Regeln des Urkundenbeweises eine dem Kläger günstigere Entscheidung getroffen hätte (vgl. BVerfG, [Kammer-]Beschluss vom 9. Juli 1993 – 2 BvR 859/92). Denn wenn ein zeitlicher und größenordnungsmäßiger Zusammenhang zwischen den vom Postbankkonto des Klägers erfolgten Barabhebungen und Einzahlungen auf Konten der Beklagten oder deren Sohnes besteht, kann dies ein Indiz für die unrechtmäßige Abhebung und Verwendung der entsprechenden Beträge durch die Beklagte darstellen. Das gilt auch bezüglich der Frage, ob die vom Kläger geltend gemachte Forderung (auch) auf deliktische, Vorsatz voraussetzende Anspruchsgrundlagen gestützt werden kann – und bejahendenfalls auszusprechen ist, dass jene auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO beruht.

Unbeachtlich ist indessen, dass die Staatsanwaltschaft Regensburg die betreffenden Unterlagen nicht für ausreichend gehalten hat, um den hinreichenden Tatverdacht gegen die Beklagte zu begründen, und dass das dortige Amtsgericht in seinem abschlägigen Beschluss betreffend die Gewährung der Einsicht in den „Sonderband Bankauskunft“ durch den Kläger ausgeführt hat, die erteilten Bankauskünfte der Sparkasse der Beklagten seien so rudimentär, dass sich keine weiteren Erkenntnisse erzielen ließen. Ob die in dem Sonderband enthaltenen Unterlagen ergiebig für das Beweisthema sind, unterliegt der eigenständigen Würdigung durch das Zivilgericht.

2. Das angefochtene Urteil kann daher nicht aufrechterhalten werden. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, muss sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). In dem neuen Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht eine umfassende neue Beweiswürdigung vorzunehmen haben. Dabei besteht auch Gelegenheit, sich mit den weiteren Rügen der Revision zu befassen, auf die einzugehen der Senat zum derzeitigen Verfahrensstand keine Veranlassung hat.

Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant


  • §§ 422 f Zivilprozessordnung (ZPO): Diese Rechtsnormen betreffen die Vorlagepflicht von Urkunden im Zivilprozess. Im vorliegenden Fall kritisiert der BGH die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Staatsanwaltschaft nicht zur Vorlage der in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen durch das Zivilgericht aufgefordert werden könnte. Die Beschränkung der Vorlagepflicht der nicht beweisbelasteten Partei auf die Fälle der §§ 422 f ZPO ist Folge der Beweisführungslast ihres Gegners. Der BGH stellt klar, dass diese Erwägung nicht zutrifft, wenn es um Dritte geht, die im Besitz einer Urkunde sind.
  • Urkundenbeweis (§ 415 ZPO): Der BGH hebt hervor, dass das Berufungsgericht bei einer Beweisaufnahme entsprechend den gesetzlichen Regeln des Urkundenbeweises möglicherweise eine dem Kläger günstigere Entscheidung getroffen hätte. Der Urkundenbeweis ist ein Beweismittel im Zivilprozess, bei dem schriftliche Dokumente als Beweis für behauptete Tatsachen dienen.
  • Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz): Der BGH stellt fest, dass dem Grundrecht der Beklagten und ihres Sohnes auf informationelle Selbstbestimmung im konkreten Fall Rechnung getragen werden kann, indem die Einsichtnahme des Klägers in den Sonderband der Ermittlungsakte eingeschränkt wird. Dieses Grundrecht schützt das Recht der Betroffenen, selbst über die Preisgabe und Verwendung ihrer persönlichen Daten zu bestimmen.
  • Zivilrechtliche Ansprüche (§§ 985, 812 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)): Der Kläger macht vor Gericht zivilrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte geltend, insbesondere die Herausgabe der unrechtmäßig abgehobenen Geldbeträge (§ 985 BGB) und die Rückforderung von ungerechtfertigten Bereicherungen (§ 812 BGB).
  • Verfahrensfehler: Der BGH hebt das Urteil des Berufungsgerichts teilweise auf, da das Berufungsurteil auf einem Verfahrensfehler beruht – nämlich der Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags des Klägers. Der BGH entscheidet, dass der Fall zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird.

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