OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
Az.: 20 U 100/98
Verkündet am 08.07.1999
Vorinstanz: LG Kleve Az.: 2 O 49/98
In dem Rechtsstreit hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 1999
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 8. Juli 1998 teilweise abgeändert.
In Höhe von weiteren 16.070,12 DM nebst 5,5 % Zinsen seit dem 17.6.1997 wird die Klage abgewiesen.
Die weiteren Entscheidungen bleiben dem Schlußurteil vorbehalten.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Der Senat hält den Erlaß eines Teilurteils für angemessen (§ 301 ZPO), weil die Klage zu mehr als 90 % entscheidungsreif ist. In Höhe von 16.070,12 DM hat die zulässige Berufung schon deshalb in der Sache Erfolg, weil die Klage insoweit nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin unbegründet ist.
Unstreitig entfallen von der Urteilsforderung der Klägerin in Höhe von 17.066,15 DM nach den vorgelegten Rechnungen. 16.070,12 DM auf die Inanspruchnahme der Service‑Nummern 0190 xxx (vgl. Anl. M 1 bis M 3). Die Bezahlung dieses „Service“ O190 kann die Klägerin von der Beklagten nicht verlangen, weil die zugrundeliegenden Verträge gemäß § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig sind. Bei dem ;,Service“ ) mit den vorgenannten Service‑Nummern handelt es sich nämlich um „Telefonsex“‑Verbindungen. Das Landgericht hat diesen Gesichtspunkt in dem angefochtenen Urteil geprüft, es konnte dabei aber noch nicht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Juni 1998 berücksichtigen, nach der Telefonsex-Verträge sittenwidrig und nichtig sind (BGH NJW 98, 2895 = Anl. M 4; a.A. Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl., § 138, Rdnr. 52 m.N.). Der Senat folgt dieser Entscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit (vgl. auch § 546 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), die ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit ist (vgl. Baumbach/Hartmann, ZPO, 57. Aufl., Einl. III, Rdnr. 43). Bei Anwendung der Entscheidung auf den vorliegenden Fall ist entgegen der Berufungserwiderung von der Nichtigkeit der zugrundeliegenden Verträge auszugehen; ein Anspruch der Klägerin auf die Telefondienstentgelte für den (vorliegenden) „Service besteht nicht.
Wenn nach Ansicht des BGH (NJW 98, 2896) die Sittenwidrigkeit darin liegt, daß ein bestimmtes Sexualverhalten potentieller Kunden in verwerflicher Weise kommerziell ausgenutzt wird, dann muß eine solche Sittenwidrigkeit gerade hier angenommen werden. Denn der „Service der Klägerin ermöglicht eine Ausbeutung des Sexualverhaltens,, wie sie ohne ein solches „zentrales“, bundesweites Angebot kaum denkbar ist. Verglichen mit dem technischen Apparat, den die Klägerin und die Betreiber des „Service aufbieten, um die Kommerzialisierung der Sexualsphäre auf diesem Gebiet zu optimieren, mutet etwa die Zeitungsanzeige einer einzelnen Frau mit dem Angebot von Telefonsex seltsam unzeitgemäß und überständig an.
Das beginnt schon bei der rationellen Lösung der wichtigsten Frage, wie nämlich der Telefonsex‑Anbieter zu seinem Geld kommt. Das Geld wird ganz einfach von der Klägerin als Telefonentgelt. bzw. mit dem Telefonentgelt kassiert. Von den 2,42 DM brutto pro Minute, die der Anrufer beim „Service zahlen muß, werden 1,67 DM bzw. 1,76 DM an den privaten Anbieter abgeführt. Nur den Rest behält die Klägerin als eigentliches Telefonentgelt und als Lohn dafür, daß sie dem Anbieter die Mühen und Risiken des eigenen Inkassos erspart.
Auch die übrige Abwicklung der Dienstleistung erfolgt ähnlich rationell und zeigt sich vor allem in technischer Hinsicht auf der Höhe der Zeit. Nach dem Vorbringen der Klägerin stehen hinder den „Service Rufnummern die Nummern O190 die Firma C und die Fa. D. Das erste Unternehmen ist eine 100 %ige Tochter des A. S. Verlages, das Unternehmen DKM ist in holländischem Besitz. Beide Unternehmen betreiben die Rufnummern für Telefonunterhaltungsdienste „mit hohem Produktionsaufwand“ im „Dating- und Chat-Bereich“, beschäftigen aber selbst keine Mitarbeiterinnen, die den anrufenden Männern als Gesprächspartnerinnen zur Verfügung stehen. Die beiden Anbieter betreiben lediglich eine „technische Plattform“, die dies ermöglicht. Die „Service O190″-Rufnummern werden im sogenannten „Basisnetz realisiert`. Dabei werden stets ganze Hunderteblöcke (deshalb auf einen Primärmultiplexanschluß gelegt, der nicht anders angewählt werden kann. Erst dahinter ermöglicht es die Technik des einzelnen Anbieters, den Telefonverkehr weiter zu bearbeiten. Diese „Bearbeitung“ sieht so aus, daß der Anbieter Frauen, die die kostenlose 0130 Rufnummer wählen, mit Männern, die die „Service Rufnummern anwählen, nach „zufälligen Kriterien“ zusammenschaltet. Er vermittelt also sogenannte „1:1‑Verbindungen“, d.h. Individualgespräche. Bei solchen Gesprächen wird ‑ immer nach dem Vorbringen der Klägerin = der Gesprächsinhalt von den Gesprächsteilnehmern allein bestimmt, so daß die Klägerin nicht weiß, ob es sich um Telefonsex handelt.
Diese ‑weitgehende Automatisierung der Dienstleistung ermöglicht es aber nicht nur der Klägerin, über den konkreten Inhalt der vermittelten Gespräche im Dunkeln zu bleiben. Die beteiligte Gesprächspartnerin, die nach Ansicht des BGH (a.a.0.) für den Kunden ohnehin nur eine „Gesprächsnummer“ darstellt, kann dadurch in einem Umfang „zur Ware“ (BGH) gemacht werden, der dieses Geschäft für alle Beteiligten lohnend macht. Es darf allerdings vermutet werden, daß ‑ wie häufig in solchen Fällen ‑ bei der Gesprächspartnerin des Anrufers als der eigentlichen Erbringerin der nachgesuchten Dienstleistung nur der geringste Teil der vom Anrufer an die Klägerin gezahlten Vergütung „ankommt“. Wenn das Verdikt der Sittenwidrigkeit gerechtfertigt ist, dann hier.
Die Klägerin hat in der Berufung nicht in Abrede gestellt, von Telefonsex beschäftigen („im Dating‑ und Chat‑Bereich“). Sie hat zwar vorgetragen, daß im Service UM auch Wetterdienst und andere Informationsdienste angeboten würden, sie hat aber nicht bestritten, daß die beiden Inhaber der hier angewählten Service‑Rufnummern jedenfalls Telefonsex vermittelten. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, daß die beiden Anbieter die Funktion eines „technischen Vermittlers für Individualgespräche“ ausübten, wobei die O14b‑Rufnummernangebote im „Dating‑ und Chat‑Bereich“ mit „erotischer Tendenz“ beworben würden. Entsprechende Gesprächsthemen würden immerhin durch die Werbung „angeregt“, wenn auch nicht vorgegeben oder direkt gesteuert. Bei solcher Lage ist es ersichtlich ohne jeden Belang, ob die weiblichen Anrufer, die über die „technische Plattform“ der beiden Dienstleistungsanbieter (erwartungsgemäß) mit männlichen Anrufern zusammengeschaltet werden, bei diesen Dienstleistern beschäftigt sind, oder aber bei denjenigen, auf deren Anschlüsse die O1%‑Anrufe aufgeschaltet werden. Selbst wenn die Gesprächspartnerinnen der Anrufer selbständig tätig, änderte das an der Sittenwidrigkeit im Sinne der Rechtsprechung des BGH nichts. Der hohe technische „Produktionsaufwand“ und die betriebswirtschaftliche Optimierung führen nicht etwa an der Sittenwidrigkeit vorbei, sondern sind im Gegenteil ein Argument, § 138 Abs. 1 BGB gerade hier anzuwenden.
Damit ist auch schon ‑gesagt, daß die von der Klägerin beschriebene „arbeitsteilige“ Erbringung der Telefonsex Leistung auch nicht den weiteren Zweck erfüllen kann, die Klägerin über die Art der über den „Service 0190“ jedenfalls im vorliegenden Fall betriebenen Geschäfte im Dunkeln zu lassen. In der Literatur wird die Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände gar nicht für erforderlich gehalten. Ein Rechtsgeschäft, dessen Wirksamkeit deshalb verneint werden müsse, weil sein Inhalt unerträglich sei, werde durch einen Irrtum der Beteiligten nicht erträglicher (Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 7. Aufl., Rdnr. 690). Die Rechtsprechung verlangt zwar, daß der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt, stellt dem aber den Fall gleich, daß sich jemand bewußt oder grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen verschließt (BGH NJW‑RR 98, 590, 591). Zumindest das ist bei den Anbietern der „technischen Plattform“, aber auch bei der Klägerin der Fall. Die Klägerin hat nicht der wiederholten Behauptung der Beklagten widersprochen, hinter den (angeblich) angewählten Rufnummern stünden Telefonsex‑Anbieter, und offensichtlich ist ihr auch bekannt, daß die Rufnummern im „Dating und Chat‑Bereich“ mit „erotischer Tendenz beworben“ werden. Sie hat ihre Kritik immer nur an der Behauptung der Beklagten festgemacht, alle unter den von der Beklagten genannten Nummern verzeichneten Telefongespräche hätten Telefonsex zum Inhalt gehabt. Diese Behauptung sei unsubstantiiert und beweislos; außerdem könne sie den Inhalt jedes einzelnen Gesprächs nicht kennen. Das ist ersichtlich unerheblich, wenn sie weiß, zu welchem Zweck die beiden Anbieter ihre „technische Plattform“ vermarkten, und wie für die Rufnummern geworben wird. Auf die konkrete Kenntnis vom Inhalt des jeweils geführten „1:1‑Gesprächs“ kann es in keinem Falle ankommen. Es mag zwar sein, daß die einschlägig beworbenen Rufnummern gleichwohl im Einzelfall nicht für Telefonsex benutzt werden, wie kürzlich aus einem Strafprozeß gegen einen ehemaligen bayerischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde. An der Zielrichtung, mit der diese „0180‑Dienste“ vermarktet werden, ändert das nichts. Wenn die Klägerin nicht weiß, womit sie hier ihr Ge schäft macht, dann muß sie sich der entsprechenden Erkenntnis bewußt oder grob fahrlässig verschlossen haben. Demgemäß hat die Klägerin auch der ausdrücklichen Behauptung der Beklagten nicht widersprochen, es sei ihr jedenfalls in ihrem Bereich ohne weiteres möglich, „schwarze Schafe“ herauszufinden und herauszusortieren, würde sie nur regelmäßig die einschlägigen Angebote in Funk, Fernsehen und Zeitschriften‑zur Kenntnis nehmen und überprüfen. Ganz, unerheblich ist, ob andere Telefonnetzbetreiber ebenfalls Service 0141‑Rufnummern anbieten; vorliegend geht es darum, daß die Klägerin Entgelte für diesen Service einziehen will.
Schon der Vortrag der Klägerin in der Berufungserwiderung ergibt entgegen ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, daß sie das Angebot von Telefonsex über von ihr vergebene Rufnummern durchaus unterbinden könnte. So hat die Klägerin behauptet, niemand bekomme von ihr einen Vertrag über.eine Service‑O14100‑Rufnummer, wenn sich ergebe, daß sein Gewerbe auf „Telefon‑Erotik“ angemeldet sei. Nach Ziff. 3 b) in Verbindung mit Ziff. II des Verhaltenskodex der AGB für den Service O190 sei es den Dienstanbietern vertraglich untersagt, Informationsangebote mit rechts‑ oder sittenwidrigen Inhalten zu machen. Der Senat enthält sich einer Stellungnahme dazu, welche Funktion dieser Bestimmung angesichts der unstreitigen Realität der Werbung für 01.0‑Rufnummern zukommt. Auch die Klägerin trägt vor, sie habe sich im Rahmen der freiwilligen Selbstkontrolle seit Jahren „nachhaltig bemüht`, sittenwidrige Informationsangebote im Service zu unterbinden. Ein bloßes „Bemühen“ bedeutet nach bekannter Lesart nicht, daß das Bemühen auch von Erfolg gekrönt war.
Da der Vertrag mit dem Anbieter des Telefonsex ‑ wer immer es auch sei ‑nichtig ist, kann auch die Klägerin das Entgelt dafür nicht einziehen. Das gleiche gilt aber auch für den Anteil an dem verlangten Entgelt, den die Klägerin für die Benutzung ihres Telefonnetzes und die beiden Anbieter der „technischen Plattform“ für ihre Dienstleistung fördern (wobei die Größe der Anteile im einzelnen dahingestellt bleiben kann). Der bloß „technische“ Charakter der Leistung kann entgegen der Vorstellung der Klägerin nicht bewirken, daß das Rechtsgeschäft darüber wertneutral ist. Im Gegenteil werden die Bereitstellung der Telefonleitungen und der „technischen Plattform“ unmittelbar von dem rechtlichen Unwerturteil erfaßt (vgl. BGH NJW 98, 2896), weil die technischen Einrichtungen zum Zwecke des Telefonsex zur Verfügung gestellt werden.
Obwohl die zugrundeliegenden Rechtsgeschäfte nichtig sind, steht der Klägerin auch kein Anspruch aus Bereicherungsrecht zu. Ein solcher Anspruch ist durch § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob nur der Klägerin (und nicht zugleich der Beklagten) ein Sittenverstoß zur Last fällt. Außerdem ist anerkannt, daß § 817 Satz 2 BGB nicht nur die Rückforderung nach § 817 Satz 1 BGB, sondern auch nach § 812 BGB ausschließt. (Medicus, Bürgerliches Recht, 18. Aufl., Rdnr. 696; Palandt/Thomas a.a.0. § 817, Rdnr. 1). Ein Sonderfall wie bei der Rückforderung von Darlehenskapital liegt hier nicht vor (vgl. BGH a.a.0. und Medicus a.a.0. Rdnr. 699).
Dieses Teilurteil entscheidet über die Bezahlung von Telefongesprächen, die nach dem unstreitigen Sachverhalt nicht geschuldet ist. Im übrigen wird auf den gleichzeitig verkündeten Beschluß verwiesen.