LG Itzehoe, Az.: 2 O 54/14
Urteil vom 12.11.2014
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien sind direkte Grundstücksnachbarn in einer Reihenhausanlage. Die Kläger begehren von den Beklagen die Beseitigung einer Terrassenüberdachung.
Mit an die Beklagten gerichtetem Schreiben vom 12. August 2013 baten die Beklagten die Kläger um Zustimmung zu einer geplanten Terrassenüberdachung. Mit Schreiben vom 24. August 2013 verweigerten die Beklagten die Zustimmung.
In der Folgezeit errichteten die Beklagten die geplante Terrassenüberdachung in Form eines Alu-Gestelles mit Glasdach. Dabei weist die Überdachung keine Seitenwände auf. Wegen der Einzelheiten der Konstruktion wird auf die Fotos auf Blatt 34 ff. d.A., Blatt 44 ff. d.A. sowie Blatt 113 d.A. Bezug genommen. Unstreitig beträgt der Abstand der Terrassenüberdachung zum klägerischen Grundstück 0,70 m.
Auf Antrag des Beklagten zu 1.) hat das Schiedsamt einen Termin zur Schlichtungsverhandlung auf den 16. Oktober 2013 bestimmt. Da die Kläger sich zu diesem Zeitpunkt auf einer Urlaubsreise befanden, hat das Amtsgericht Pinneberg mit Beschluss vom 19. Dezember 2013 einen zuvor gegen die Kläger erlassenen Ordnungsgeldbeschluss aufgehoben. Dem Beklagten zu 1.) ist auf seinen Antrag hin am 16. Oktober 2013 eine Erfolglosigkeitsbescheinigung ausgestellt worden. Wegen des Inhalts der Bescheinigung wird auf Blatt 108, 109 d.A. Bezug genommen.
Auf Antrag der Beklagten hat der Kreis Pinneberg die Terrassenüberdachung mit Bescheid vom 9. Mai 2014 nachträglich genehmigt. Hiergegen haben die Kläger Widerspruch eingelegt, über den bisher nicht entschieden worden ist.
Die Kläger meinen, die vorherige Durchführung eines Schlichtungsverfahrens sei nicht Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage, da es hier nicht um Streitigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 1 Ziff. 2 e) gehe, sondern um einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB.
Die Kläger sind der Ansicht, die Beklagten seien verpflichtet, die streitgegenständliche Terrassenüberdachung insoweit zu beseitigen, als sie sich innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsfläche von 3 m gemäß § 6 LBO befinde.
Die Kläger beantragen,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, auf eigene Kosten die auf dem Beklagtengrundstück () befindliche Terrassenüberdachung (Alu-Gestell mit Glasdach) insoweit zu entfernen oder zurückzubauen, dass diese innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsfläche i.S.d. Landesbauordnung für das Land Schleswig-Holstein bleibt, mithin einen Abstand zur katastermäßig festgelegten gemeinsamen Grundstücksgrenze von mindestens 3 m einhält,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, es unter Androhung eines Ordnungsgeldes für den jeweiligen Fall der Zuwiderhandlung in Höhe von 250.000,00 € oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, die gesetzlich vorgeschriebene Abstandsfläche i.S.d. Landesbauordnung durch die Errichtung etwaiger Gebäudeteile, insbesondere eine Terrassenüberdachung o.ä., zu überbauen,
3. hilfsweise die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, für die Duldung der streitgegenständlichen Terrassenüberdachung, soweit deren Beseitigung oder Versetzung ausgeschlossen sein sollte, einen Ausgleichsbetrag in der Höhe an die Kläger zu zahlen, die der während des Vorhandenseins der Beeinträchtigung durch die streitgegenständliche Terrassenüberdachung eintretende Wertminderung des streitgegenständlichen Grundstücks der Kläger entspricht.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten halten die Klage für unzulässig, da es an der Durchführung eines Schlichtungsverfahrens fehle.
Die Beklagten meinen, bei der vorgenommenen Terrassenüberdachung handele es sich um einen überdachten Freisitz nach § 6 Abs. 8 LBO Schleswig-Holstein, der nicht den Grenzabsatzbestimmungen unterliege. Damit liege kein Verstoß gegen drittschützende Abstandsflächenvorschriften vor.
Wegen der Einzelheiten der Parteivorträge wird auf folgende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen:
Klage vom 24. Februar 2014 (Bl. 1 ff. d.A.), Schriftsatz vom 14. April 2014 (Bl. 26 ff. d.A.), Schriftsatz vom 7. Mai 2014 (Bl. 36 ff. d.A.), Schriftsatz vom 23. Mai 2014 (Bl. 39 ff. d.A.), Schriftsatz vom 19. Juni 2014 (Bl. 70 ff. d.A.), Schriftsatz vom 22. Oktober 2014 (Bl. 114 a ff. d.A.) und Schriftsatz vom 23. Oktober 2014 (Bl. 118 ff. d.A.).
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die gegen die Beklagte zu 2.) gerichtete Klage ist unzulässig.
Gemäß § 1 Abs. 1 Ziffer 2 e) LSchliG ist die Erhebung der Klage erst zulässig, nachdem von einer Gütestelle nach § 3 versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Das gilt unter anderem für Streitigkeiten über Ansprüche wegen der im Nachbarrechtsgesetz für das Land Schleswig-Holstein geregelten Nachbarrechte, sofern es sich nicht um Einwirkungen von einem gewerblichen Betrieb handelt.
Um derartige Nachbarrechte streiten die Parteien vorliegend.
Gemäß § 42 Abs. 1 NachbG Schl.-H. ist mit der Außenwand eines Gebäudes und vorspringenden Gebäudeteilen mindestens der in öffentlich-rechtlichen Vorschriften bestimmte Abstand zum Nachbargrundstück einzuhalten und, wenn in einer Baugenehmigung ein anderer Abstand vorgeschrieben oder genehmigt worden ist, mindestens dieser Abstand einzuhalten. Wird der genannte Abstand nicht eingehalten, kann der Eigentümer des Nachbargrundstücks gemäß § 42 Abs. 2 NachbG Schl.-H. die Beseitigung eines Gebäudes oder Gebäudeteiles verlangen. Als entsprechende öffentlich-rechtliche Vorschrift regelt § 6 LBO Schleswig-Holstein die einzuhaltenden Abstandflächen und Abstände.
Zwar ist in § 42 Abs. 1 NachbG Schl.-H. nur von der Außenwand eines Gebäudes und vorspringenden Gebäudeteilen die Rede. Nach Sinn und Zweck des Landesschlichtungsgesetzes hat das vorgeschriebene Schlichtungsverfahren jedoch auch im Hinblick auf die übrigen nachbarschützenden Abstandsregelungen des § 6 LBO zu gelten. Das in Ausführung des § 15 a) EG ZPO geschaffene Landesschlichtungsgesetz soll neben einer Entlastung der Zivilgerichte durch die Einführung eines obligatorischen außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens die konsensuale Streitbeilegung im Interesse der Parteien fördern. Dabei gehören nachbarrechtliche Streitigkeiten deshalb in den Anwendungsbereich des § 15 a EG ZPO, weil diese sich besonders für eine einvernehmliche Streitbeilegung eignen und die Wiederherstellung des Rechtsfriedens im persönlichen Verhältnis im Mittelpunkt der konsensualen Lösung des Streits liegen soll. Ausgehend von diesem Gesetzeszweck gibt es keinen vernünftigen Grund, ein Schlichtungsverfahren nur für Abstände von Außenwänden eines Gebäudes und vorspringenden Gebäudeteilen vorzuschreiben und die übrigen in § 6 LBO genannten Abstandflächen hiervon auszunehmen.
Die Voraussetzung der Vorschaltung eines Schlichtungsverfahrens gilt auch für die übrigen Klageanträge. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob auch diese grundsätzlich der obligatorischen Streitschlichtung unterliegen. Denn trifft ein schlichtungsbedürftiger Anspruch im Wege der Klagehäufung mit einem nichtschlichtungsbedürftigen zusammen, entfällt die Schlichtungspflicht nicht (vergl. Zöller-Hessler, 29. Auflage, 3 15 a EG ZPO, Rdziff. 2).
Die gegen den Beklagten zu 1.) gerichtete Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Zwar haben die Kläger entgegen § 1 Abs. 1 LSG mit der Klage keine von der Gütestelle ausgestellte Bescheinigung über einen erfolglosen Einigungsversuch eingereicht. Unstreitig ist dem Beklagten zu 1.) aber eine Erfolglosigkeitsbescheinigung ausgestellt worden, die das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2014 auch zur Akte genommen hat. Unter Beachtung des Grundsatzes, dass die Erfolglosigkeitsbescheinigung, anders als der Schlichtungsversuch, bis zur letzten mündlichen Verhandlung nachgereicht werden kann (vergl. BGH, BGHZ 161, S. 145) stellte es eine reine Förmelei dar, wollte man als Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage die Einreichung einer Erfolglosigkeitsbescheinigung auch von Klägerseite fordern, obwohl die Erfolglosigkeit der Schlichtung unstreitig ist.
Die Kläger haben gegen den Beklagten zu 1.) keinen Anspruch auf Entfernung oder Rückbau der streitgegenständlichen Terrassenüberdachung aus §§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB.
Zwar stellt die Nichteinhaltung der nach den Vorschriften des Nachbarrechtsgesetzes Schleswig-Holstein vorgeschriebenen Grenzabstände eine Eigentumsstörung im Sinne von § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB dar (vergl. BGH NJW 1973, 703). Den Beklagten ist jedoch eine Nichteinhaltung vorgeschriebener Grenzabstände nicht vorzuwerfen. Vielmehr handelt es sich bei der von den Beklagten erstellten überdachten Terrasse um einen abstandsflächenrechtlich privilegierten Freisitz im Sinne des § 6 Abs. 8 LBO.
Nach dieser Bestimmung sind unter anderem Terrassen, Pergolen und Überdachungen von Freisitzen in den Abstandflächen sowie ohne eigene Abstandflächen zulässig.
Ein Freisitz ist eine Fläche, die außerhalb geschlossener Räume liegt und ein „freies“ Sitzen ermöglicht; darunter fällt auch eine überdachte Terrasse (vergl. OVG Schleswig Urteil vom 15.03.2007, Az. 1 LB 20/06; Beschluss des OVG Schleswig vom 1.2.2011, Az. 1 LA 1/11).
Ein gemäß § 6 Abs. 8 LBO abstandsflächenrechtlich privilegierter Freisitz erfordert die Möglichkeit, „freien“ Sitzens ohne Begrenzung durch Seitenwände, die eine gebäudegleiche Wirkung entfalten. Eine Überdachung, die sich an eine Wand des Wohnhauses anlehnt, beeinträchtigt das „freie“ Sitzen nicht. Ein „freies Sitzen“ ist (erst) dann nicht mehr gegeben, wenn die Sitzfläche an mehreren Seiten durch Seitenwände in einer Weise umgeben ist, dass gebäudegleiche Wirkungen entstehen, wie dies etwa bei geschlossenen, nur durch Fensteröffnungen unterbrochenen Wände oder bei geschlossenen Holzkonstruktionen der Fall ist (vergl. OVG Schleswig, Urteil vom 15.3.2007).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die überdachte Terrasse der Beklagten, die unstreitig keine seitlichen Begrenzungswände aufweist, als überdachter Freisitz anzusehen und damit ohne Einhaltung vorgeschriebener Abstände errichtbar.
Die Kläger haben gegen die Beklagten auch keinen Beseitigungsanspruch nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes haben die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn insbesondere durch die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Auch auf sie ist allerdings der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB anzuwenden. Daraus folgt für die Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall man unter dem Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammenfasst. Eine solche Pflicht aber ist mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kann die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig werden (vergl. BGH NJW – RR 2003, Seite 1313 ff.).
Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus den Argumenten der Kläger, negative Folgen der Terrassenüberdachung seien für sie eine erhöhte Geräuschkulisse, Zigaretten-/Grillrauchbelästigung und Beeinträchtigungen durch die künstliche Beleuchtung des Terrassenbereichs. Derartige Beeinträchtigungen hätten die Kläger, wie in einer Reihenhauszeile nicht anders zu erwarten, auch hinzunehmen, wenn die Terrasse unbedacht bliebe oder ein zur Abdeckung der Terrasse ausreichend dimensionierter Sonnenschirm Verwendung fände. Dass die Beklagten statt dessen eine – abstandsrechtlich privilegierte – Terrassenüberdachung gewählt haben, kann ihnen nicht vorgeworfen werden. Denn aus § 903 BGB folgt nun einmal das Recht der Beklagten, im Rahmen der §§ 905 ff. BGB und des Nachbarrechtsgesetzes Schleswig-Holstein, die in ihrem Eigentum stehende Grundfläche dergestalt zu verplanen und zu nutzen, wie sie es sich vorstellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.