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Verkehrssicherungspflicht Bauunternehmer – Auffräsung Fahrbahnbelag

OLG Karlsruhe – Az.: 9 U 59/19 – Urteil vom 05.10.2021

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 11.03.2019 – 14 0 137 / 17 – im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2017 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin materiellen Schadensersatz in Höhe von 2.489,19 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.184,48 € seit dem 14.06.2017, und aus weiteren 304,71 € seit dem 01.09.20217.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 € zu zahlen, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2017.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfall vom 14.09.2016 im Kreuzungsbereich F.Weg/Am W. in E. künftig entstehen, mit Ausnahmen der Ansprüche, die auf Dritte, vor allem Versicherungen oder Sozialversicherungsträger, übergehen.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen die Klägerin zu 3/10, die Beklagte zu 7/10.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Verkehrssicherungspflicht Bauunternehmer – Auffräsung Fahrbahnbelag
(Symbolfoto: maradon 333/Shutterstock.com)

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend nach einem Fahrradsturz in E. am 14.09.2016.

Am 14.09.2016 gegen 10:45 Uhr befuhr die Klägerin mit ihrem Fahrrad die bergabwärts führende Straße F.Weg in E.. An der Kreuzung mit der Straße Am W. wollte die Klägerin nach links abbiegen. Im F.Weg fanden zu dieser Zeit Straßenbauarbeiten statt; die Beklagte war als Bauunternehmen von der Stadtwerke E. GmbH beauftragt worden, Leitungen in der Straße zu verlegen und die erforderlichen Bauarbeiten durchzuführen. Im Zuge dieser Arbeiten wurde auf dem F.Weg – aus der Fahrtrichtung der Klägerin im linken Bereich – der Teer aufgefräst, ein Graben ausgehoben, Leitungen verlegt, der Graben anschließend wieder verfüllt und die Straße wieder asphaltiert. Beim Abbiegen nach links in die Straße Am W. musste die Klägerin den Bereich, in dem die Leitungen verlegt wurden, queren. In dem Bereich der Kreuzung, wo die Leitungen verlegt werden sollten, war die Asphaltdecke nicht mehr vorhanden. Während des Linksabbiegens rutschte das Hinterrad des Fahrrads der Klägerin nach rechts weg, die Klägerin stürzte und erlitt Verletzungen im Bereich des linken Ellenbogens und im Bereich des linken Handgelenks. Über den Zustand der teilweise nicht asphaltierten Straßenoberfläche im Bereich der Kreuzung und über die Rutschfestigkeit besteht zwischen den Parteien Streit.

Die Klägerin hat im Verfahren vor dem Landgericht ihre Verletzungen und die Auswirkungen der Unfallfolgen auf ihr Leben im Einzelnen dargelegt. Sie hat von der Beklagten Zahlung von Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz, insbesondere für einen Haushaltsführungsschaden, verlangt. Im Bereich der Kreuzung habe sich die Fahrbahnoberfläche nach der Entfernung der Asphaltdecke in einem gefährlichen Zustand befunden, für welchen die Beklagte als verkehrssicherungspflichtige verantwortlich sei. Es sei ihr nicht möglich gewesen, den Sturz zu verhindern.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie sei ihrer Verkehrssicherungspflicht nachgekommen. Nach dem Abfräsen des Asphaltbelags im Bereich der Unfallstelle sei die Fahrbahnoberfläche entweder mit einer Walze oder mit einem Rüttler verdichtet worden, so dass für die Beklagte keine besondere Gefahrensituation bestanden habe. Für den Sturz sei allein die Klägerin verantwortlich, da sie sich auf den für sie erkennbaren Zustand der Fahrbahnoberfläche – kein Asphaltbelag – hätte einrichten können. Fürsorglich hat die Beklagte Einwendungen zur Höhe der geltend gemachten Forderungen erhoben.

Das Landgericht hat Gutachten zu den gesundheitlichen Folgen für die Klägerin durch die Sachverständigen Prof. Dr. La. und Prof. Dr. Z. eingeholt. Außerdem hat das Landgericht mehrere Zeugen zum Unfallablauf vernommen. Mit Urteil vom 11.03.2019 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei dem Grunde nach nicht zum Schadensersatz verpflichtet, da sie keine Verkehrssicherungspflichten verletzt habe. Die Fahrbahn habe sich im Bereich der Unfallstelle in einem ordnungsgemäßen Zustand befunden, da der Belag von der Beklagten nach Angaben des Zeugen K., des verantwortlichen Mitarbeiters der Beklagten, ausreichend verdichtet worden sei. Für die Klägerin sei der Zustand der Fahrbahn erkennbar gewesen. Sie sei ortskundig gewesen, und habe den Zustand der Fahrbahn zur Zeit der Bauarbeiten gekannt. Die Klägerin sei für den Unfall und die erlittenen Verletzungen allein verantwortlich, da sie entweder zu schnell gefahren sei oder gegen das Sichtfahrgebot verstoßen habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie hält das erstinstanzliche Urteil aus rechtlichen und aus tatsächlichen Gründen für fehlerhaft. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe sich die Oberfläche der Fahrbahn im Bereich der Unfallstelle in einem sehr gefährlichen Zustand befunden, da sich in der von der Beklagten aufgefrästen Rinne lockeres Material befunden habe; die Fahrbahnoberfläche habe sich keineswegs in einem befestigten Zustand befunden. Die Gefährlichkeit der Rinne sei für sie vorher nicht erkennbar gewesen; sie habe entgegen der Annahme des Landgerichts vor der Fahrt am 14.09.2016 den Zustand der Fahrbahn im Bereich der Unfallstelle nicht gekannt.

Die Klägerin hält an ihren erstinstanzlichen Anträgen fest und beantragt:

1. Das Urteil des Landgerichts Freiburg, vom 11.03.2019, Aktenzeichen 14 0 137/17, wird aufgehoben und die Beklagte/Berufungsbeklagte verurteilt, an die Klägerin/Berufungsklägerin 4.445,28 €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie weitere 304,71 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2. Die Beklagte/Berufungsbeklagte wird verurteilt an die Klägerin/Berufungsklägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens aber 8.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

3. Die Beklagte/Berufungsbeklagte wird verurteilt, an die Klägerin/Berufungsklägerin einen Betrag in Höhe von 413,64 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, seit dem 10.12.2016, zu bezahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte/Berufungsbeklagte verpflichtet ist, der Klägerin/Berufungsklägerin sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfall vom 14.09.2016 im Kreuzungsbereich F.Weg/Am W. in E. künftig entstehen, mit Ausnahme der Ansprüche, die auf Dritte, vor allem Versicherungen oder Sozialversicherungsträger, übergehen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts vom 11.03.2019 zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts. Sie ergänzt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat im Berufungsverfahren ein Gutachten des Sachverständigen Dr. Lö. eingeholt zum Zustand der Fahrbahnoberfläche im Bereich der Unfallstelle und zur Gefährlichkeit des Belags für Radfahrer. Außerdem hat der Senat die Klägerin informatorisch angehört und die Zeugen P. W., K. S. und U. K. erneut vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 09.07.2021 verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist überwiegend begründet. Die Beklagte ist zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld verpflichtet aufgrund des Unfalls der Klägerin vom 14.09.2016 an der Kreuzung F.Weg/Am W. in E..

1. Die Haftung der Beklagten beruht auf § 823 Abs. 1 BGB. Die Beklagte ist für eine fahrlässige Verletzung der Gesundheit der Klägerin verantwortlich.

a) Die Beklagte war als Bauunternehmerin mit Straßenbauarbeiten im Bereich der Unfallstelle beauftragt. Als Bauunternehmerin war die Beklagte verpflichtet, für die Sicherheit des Straßenverkehrs zu sorgen, soweit Gefahren durch die Bauarbeiten verursacht wurden. Die Beklagte hatte dafür zur sorgen, dass die Bautätigkeit nicht zu vermeidbaren Gefahren für Verkehrsteilnehmer (Kfz-Fahrer, Radfahrer, Fußgänger) führte. Auf die sich aus dem Gesetz ergebende Verkehrssicherungspflicht wurde die Beklagte in Ziffer 14 der Nebenbestimmungen der verkehrsrechtlichen Anordnungen der Stadt E. vom 09.08.2016 hingewiesen (vgl. II, 59, 61).

Die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflichten eines Bauunternehmers richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. Aus der Perspektive der Beklagten war zu prüfen, welches die berechtigten Sicherheitserwartungen von Radfahrerinnen wie der Klägerin im Bereich der Unfallstelle waren. Es kommt darauf an, welche möglichen Gefahren aus der Sicht der Beklagten vorhersehbar und naheliegend waren. Zu berücksichtigen ist, was für eine Bauunternehmerin wie die Beklagte üblich, möglich und zumutbar war. Schließlich ist zu berücksichtigen, inwieweit sich die Klägerin auf eine mögliche Gefahr im Bereich der Unfallstelle einrichten konnte, beziehungsweise inwieweit damit zu rechnen war, dass eine Radfahrerin die von der Baustelle ausgehenden Gefahren möglicherweise nicht zutreffend einschätzen würde. Bei der Abwägung muss zudem der Grad der Gefährlichkeit berücksichtigt werden, der von bestimmten Baumaßnahmen der Beklagten für Verkehrsteilnehmer ausgehen konnte (vgl. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage 2021, § 823 BGB Rn. 46 ff. mit Rechtsprechungsnachweisen).

b) Die Beklagte hat ihre Verkehrssicherungspflicht in zweifacher Hinsicht verletzt.

aa) Die Fahrbahnoberfläche war im Bereich der Unfallstelle für Fahrradfahrer derart gefährlich (zu den Einzelheiten siehe unten), dass die Beklagte verpflichtet war, zu verhindern, dass Radfahrer über die nur provisorisch mit lockerem Material gefüllte Rinne fuhren. Wie der Sachverständige Dr. Lö. ausgeführt hat, wäre dies möglich gewesen, wenn die Beklagte die Arbeiten an der Unfallstelle in einem Zug durchgeführt hätte, also Auffräsen des Teers, Ausheben des Grabens, Verlegen der Leitungen, Auffüllen des Grabens, Verdichten und Aufbringen von neuem Asphalt, und zwar mit der Maßgabe, dass erst nach vollständigem Abschluss dieser Arbeiten die Fahrbahn im Kreuzungsbereich wieder zum Straßenverkehr freigegeben worden wäre. Dies hätte gewisse Anforderungen an den Organisationsablauf der Beklagten gestellt. Wenn die Beklagte – vor der Freigabe der Fahrbahn für den Straßenverkehr – zu einer solchen Arbeitsorganisation nicht in der Lage war, dann hätte die Fahrbahn im Kreuzungsbereich F.Weg/Am W. gesperrt bleiben müssen. Wenn die Beklagte aus organisatorischen Gründen nach dem Auffräsen des Teers die entstandene Rinne – vor dem Ausheben des Grabens – eine gewisse Zeit in einem vorläufigen Zustand belassen wollte, dann hätte sie dafür sorgen müssen, dass der Bereich in diesem vorläufigen Zustand für den Straßenverkehr, insbesondere für Radfahrer, bis zur Beendigung der Arbeiten, also dem Schließen des Baustellenbereichs mit einer neuen Asphaltdecke, gesperrt blieb.

bb) Der Beklagten ist außerdem vorzuwerfen, dass sie für Verkehrsteilnehmer, die den F.Weg aus der Fahrtrichtung der Klägerin benutzten, nicht für eine Warnung vor der aufgefrästen Fahrbahn im Bereich der Kreuzung gesorgt hat. Aus den Nebenbestimmungen der Anordnungen der Stadt E. (II, 61) ergibt sich, dass die Beklagte Verkehrsteilnehmer, die aus dem F.Weg auf die Kreuzung zufuhren, mit dem Verkehrszeichen 112 StVO (unebene Fahrbahn) hätte warnen müssen. Gemäß § 40 Abs. 5 StVO hätte das Zeichen mit einem schwarzen Pfeil auf einem Zusatzzeichen verbunden werden müssen, um darauf hinzuweisen, dass die Warnung für Verkehrsteilnehmer gelten sollte, die aus der Fahrtrichtung der Klägerin nach links in die Straße Am W. einbiegen wollten. Eine entsprechende Warnung, die die Klägerin zu einer besonderen Vorsicht im Bereich der Kreuzung hätte veranlassen können, gab es nicht. Außerdem hätte die Klägerin Radfahrer vor der aufgefrästen Rinne durch ein Schild „Radfahrer absteigen“ warnen können. Auch ein solches Schild gab es nicht.

c) Die Klägerin ist im Bereich der gefährlichen Stelle, für welche die Beklagte verantwortlich war, mit dem Fahrrad gestürzt. Im Wege eines Anscheinsbeweises folgt daraus, dass die gefährliche Fahrbahnbeschaffenheit (Rinne mit lockeren Steinen) ursächlich für den Sturz der Klägerin und für ihre daraus resultierenden Verletzungen war (vgl. zum Anscheinsbeweis bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, Senat, Urteil vom 11.05.2021 – 9 U 62/19 -).

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d) Die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten beruhen auf folgenden Feststellungen des Senats zum Sachverhalt:

aa) Die aufgefräste Fahrbahn befand sich zum Zeitpunkt des Unfalls in einem Zustand, wie er auf dem erstinstanzlichen Lichtbild (I, 387), welches auf der Rückseite mit II gekennzeichnet ist, ersichtlich ist, identisch mit dem Zustand der Rinne auf dem Lichtbild I im Vordergrund, jedoch abweichend vom Zustand der Rinne auf dem Lichtbild I im Hintergrund (Unfallstelle). Die Lichtbilder wurden wenige Tage nach dem Unfall aufgenommen. Nach den Angaben der Klägerin und des vom Senat vernommenen Zeugen S. steht fest, dass der Fahrbahnbelag im Bereich der Unfallstelle (Lichtbild I im Hintergrund) zu einem Zeitpunkt kurz nach dem Unfall durch den Fortschritt der Arbeiten der Beklagten verändert wurde. Zeugen, die den Belag im Bereich der Unfallstelle abweichend wiedergegeben haben, gab es nicht; der Zeuge K. (Mitarbeiter der Beklagten) konnte nicht mehr sagen, in welchem Zustand sich die Fahrbahnoberfläche am 14.09.2016 befand.

Das bedeutet: Im Bereich der Unfallstelle, also an der Einmündung der Straße Am W., hatte die Beklagte zum Zeitpunkt des Unfalls erst den ersten Schritt ihres Arbeitsprogramms ausgeführt, nämliche die Asphaltdecke abgefräst und anschließend wieder verdichtet. Hingegen war der Bereich der Unfallstelle (anders als im Hintergrund auf dem Lichtbild I) zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht aufgegraben worden. Die Verdichtung des abgefrästen Materials hatte allerdings keine nennenswerte Wirkung. Das heißt: Die von der Klägerin beim Abbiegen nach links überfahrene Rinne war mit lediglich lockerem Material (Kies, kleine Steine und Sand) gefüllt, welches beim Überfahren durch eine Radfahrerin keinen Halt bot.

bb) Die Beurteilung der Rutschgefahr im Bereich der Unfallstelle steht nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Lö. fest. Dieser hat nachvollziehbar erläutert, dass ein Verdichten des zunächst aufgefrästen Asphaltbelags keine nennenswerte Wirkung hat; das Material, insbesondere die kleinen Steine bleiben beweglich. Dementsprechend wurden nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten regelmäßig kleine Steine aus der Rinne von Fahrzeugen auf die angrenzenden Flächen der Fahrbahn geschleudert. Bei einem Überfahren der Rinne in einer Linkskurve vom F.Weg in die Straße Am W. hat der Sachverständige, auch bei einer eher langsamen Geschwindigkeit, die Sturzgefahr für Radfahrer mit 80 % abgeschätzt, also von fünf Radfahrern wird voraussichtlich nur einer die Rinne normal durchfahren können, während die vier anderen voraussichtlich entweder stürzen oder zumindest ins Wanken kommen. Diese Einschätzung entspricht den Angaben der Zeugen P. W. und K. S., die in der fraglichen Zeit andere Radfahrer beobachtet haben, die an der Unfallstelle entweder gestürzt sind oder sich nur mit knapper Mühe auf dem Fahrrad halten konnten.

cc) Aufgrund ihrer Fachkunde waren die Mitarbeiter der Beklagten in der Lage, die Gefährlichkeit der Unfallstelle für Radfahrer zu erkennen. Daraus ergibt sich die Verpflichtung der Beklagten, dafür zu sorgen, dass Radfahrer die von der Beklagten geschaffene provisorische Rinne nicht in diesem Zustand überfahren konnten.

dd) Nach den glaubwürdigen Angaben der Klägerin steht fest, dass sie vor der Gefahr im Kreuzungsbereich nicht durch ein Verkehrszeichen gewarnt wurde. Ob aus der Fahrtrichtung der Klägerin ein Schild „Baustelle“ (Zeichen 123) stand, kann dahinstehen. Denn aus einem Hinweis auf die Baustelle, die über einen längeren Verlauf im F.Weg ohnehin erkennbar war, ergibt sich kein Hinweis auf die Gefahr für Radfahrer beim Linksabbiegen in die Straße Am W.. Dass auf dem F.Weg an einer bestimmten Stelle ein Hinweis „Unebene Fahrbahn“ mit einem Pfeil nach links gestanden hätte, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Auch der Mitarbeiter der Beklagten, der Zeuge K., hat dies nicht behauptet. Ebenso ist außer Streit, dass es keinen Hinweis „Radfahrer absteigen“ gab.

e) Es war für die Beklagte möglich und zumutbar, für eine Sperrung der Einfahrt in die Straße Am W. zu sorgen, solange sich die Fahrbahnoberfläche im Bereich der Rinne im geschilderten provisorischen Zustand befand.

aa) Der Sachverständige Dr. Lö. hat in seinem Gutachten ausgeführt, es gebe keine feste Praxis zu den Anforderungen, die Straßenverkehrsbehörden an die provisorische Schließung einer Aufgrabung bei Arbeiten im Bereich öffentlicher Straßen stellen. Das heißt: Es gibt Behörden, die vom Bauunternehmen in derartigen Fällen verlangen, dass eine provisorische Freigabe nach einer Aufgrabung für den Straßenverkehr nur in Betracht kommen darf, wenn – anders als vorliegend – der Bereich mit einer Asphaltdecke versehen ist, oder, wenn fixierte Stahlplatten zur Überfahrt eingesetzt werden. Es gibt jedoch auch Behörden, die von sich aus keine festen Regeln an das im Straßenbereich tätige Bauunternehmen vorgeben.

bb) Der Sachverständige Dr. Lö. hat in seinem Gutachten ausgeführt, es sei grundsätzlich organisatorisch denkbar – wenn auch mit einem gewissem höheren Aufwand verbunden – im Bereich einer Kreuzung die gesamte Baumaßnahme in einem Zug durchzuführen, so dass nach dem Abfräsen des Asphalts, dem Aufgraben und Verlegen der Leitungen noch am selben Tag nach der Verfüllung eine Asphaltdecke aufgebracht werden könnte. Es kann für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen, ob und inwieweit dies für die Beklagte als Bauunternehmen arbeitsorganisatorisch zumutbar war.

cc) Wenn die Beklagte die Arbeiten im Kreuzungsbereich nicht in einem Zug durchführen konnte, dann war sie jedenfalls verpflichtet, die Fahrbahn im Kreuzungsbereich so lange nicht für den Straßenverkehr freizugeben, wie das Provisorium (lockeres Gemisch aus Sand und Steinen) im Bereich der geschaffenen Rinne bestehen blieb. Ob – alternativ – auch eine bessere Verfestigung der Fahrbahnoberfläche durch Beifügung von Erde vor dem Verdichten ausreichend gewesen wäre (vgl. dazu den Belag auf dem Lichtbild I im Hintergrund I, 387) ausreichend gewesen wäre, kann dahinstehen. Denn von dieser Möglichkeit hatte die Beklagte zum Unfallzeitpunkt keinen Gebrauch gemacht (siehe oben d) aa)).

Die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten im konkreten Fall ergeben sich aus dem geschaffenen Gefahrenpotential. Der Sachverständige (siehe oben) hat die Gefahrensituation so eingeschätzt, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % bei einem nach links abbiegenden Radfahrer mit einem Sturz – oder zumindest mit einem Ins-Wanken-Kommen – zu rechnen war, da das lockere Material keinen Halt bot, um ein Wegrutschen des Hinterrades in der Kurvenfahrt zu verhindern. Da bei jedem Sturz eines Radfahrers mit erheblichen Verletzungen, insbesondere auch mit der Möglichkeit von Dauerschäden – wie im vorliegenden Fall -, zu rechnen ist, ist die Gefahr als schwerwiegend einzuschätzen. In dem Wohngebiet, in dem die Straßenkreuzung liegt, musste die Beklagte generell mit Radfahrern auf den Straßen rechnen. Hinzu kam, dass Radfahrer, die aus dem F.Weg kamen, bergab fuhren (nach Angaben des Sachverständigen mit einem Gefälle von 13 %), so dass mit einer gewissen Geschwindigkeit der Radfahrer zu rechnen war. Die Geradeausfahrt im F.Weg war zum Unfallzeitpunkt gesperrt (vgl. das auch später noch an der Kreuzung vorhandene Verkehrsschild auf dem Lichtbild I), so dass viele Radfahrer gezwungen waren, an der Unfallstelle nach links in die Straße Am W. abzubiegen. Die Beklagte musste bei ihren Maßnahmen die Erwartung der Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr, auch von Radfahrern, berücksichtigen. Auf geteerten Straßen in Wohngebieten erwarten Radfahrer, dass sie – anders als auf Wald- oder Wiesenwegen – normalerweise ohne besondere Aufmerksamkeit ihre Fahrt auf einer geteerten glatten Straße fortsetzen können. (Vgl. zu den Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht in einem ähnlichen Fall OLG Brandenburg, Versicherungsrecht 1996, 517; vgl. auch zur Verkehrssicherungspflicht im Baustellenbereich gegenüber einem Motorradfahrer OLG Jena, NZV 2006, 248). Die Situation im vorliegenden Fall ist nicht vergleichbar mit dem Befahren eines Waldweges oder eines unebenen Radweges, auf welchem ein Radfahrer von vornherein dem Boden des Weges mehr Aufmerksamkeit schenken muss (vgl. zu einem solchen Fall OLG Celle, NJW-RR 2005, 754). Vielmehr handelte es sich im öffentlichen Straßenverkehr, wie der Sachverständige Dr. Lö. ausgeführt hat, um eine äußerst kritische Stelle.

dd) Aus den Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten im Hinblick auf das erhebliche Gefahrenpotential (siehe oben) ergibt sich gleichzeitig, dass das Verschulden der Beklagten, beziehungsweise ihrer Mitarbeiter, als erheblich zu bewerten ist. Es ist zu erwarten, dass die fachkundigen Mitarbeiter der Beklagten das Gefahrenpotential der aufgefrästen Rinne für Radfahrer ohne Schwierigkeiten erkennen konnten.

2. Die Haftung der Beklagten wird nicht durch ein Mitverschulden der Klägerin (§ 254 Abs. 1 BGB) gemindert.

a) Die tatsächlichen Voraussetzungen eines Mitverschuldens sind von der Schuldnerin zu beweisen. Die Beklagte hat jedenfalls keine Umstände bewiesen, die gemäß § 254 Abs. 1 BGB zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen wären.

b) Der Klägerin war die Gefahrenstelle nicht bekannt, bevor sie den Bereich der Kreuzung erreichte und über die Rinne fuhr. Für die abweichende Auffassung des Landgerichts – der Beklagten sei die Gefahrenstelle bekannt gewesen – gibt es keine Grundlage.

c) Die Klägerin hat ihre Geschwindigkeit unmittelbar vor Erreichen der Rinne mit etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit abgeschätzt. Der Sachverständige Dr. Lö. ist auf Grund des Unfallablaufs zu einer Abschätzung der Geschwindigkeit zwischen 10 und 13 km/h gekommen. Eine Fahrt mit etwa 10 km/h lässt sich der Klägerin, die vor der Unfallstelle nicht durch ein Verkehrszeichen auf die besondere Gefährlichkeit der Stelle hingewiesen wurde, nicht vorwerfen.

d) Ein Fahrfehler der Klägerin lässt sich nicht feststellen. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Sachverständige – im Hinblick auf den festgestellten Zustand der Fahrbahnoberfläche – die Wahrscheinlichkeit, dass Radfahrer ins Wanken geraten oder stürzen mit 80 % abgeschätzt hat.

e) Die Klägerin hätte den Sturz vermeiden können, wenn sie vor dem Überfahren der Rinne vom Rad abgestiegen wäre. Das Landgericht hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass für die Klägerin erkennbar war, dass im Bereich der Unfallstelle die Asphaltdecke abgefräst war. Aus dem Umstand, dass die Klägerin den Grad der Gefährlichkeit der Rinne, die sie überfuhr, nicht zutreffend eingeschätzt hat, lässt sich – wenn überhaupt – allenfalls nur ein sehr geringer Vorwurf herleiten. Ein eventuelles geringes Verschulden der Klägerin tritt gegenüber dem erheblichen Verschulden der Beklagten, bzw. ihrer Mitarbeiter (siehe oben), jedoch vollständig zurück, so dass es bei einer vollen Haftung der Beklagten verbleibt. Entscheidend ist dabei, dass unter den gegebenen Umständen von der Klägerin nicht ohne weiteres erwartet werden konnte, sich bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt rechtzeitig auf das Gefahrenpotential des abgefrästen Fahrbahnbelags einzustellen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt OLG Stuttgart, Urteil vom 10.07.2013 – 4 U 26/13 -, Rn. 114, zitiert nach Juris).

aa) Auf einer normalen asphaltierten Straße in einem Wohngebiet rechnen Verkehrsteilnehmer normalerweise nicht damit, dass der Fahrbahnbelag – ohne einen Warnhinweis – plötzlich fehlt, und dass die Fahrbahn innerhalb einer Rinne nur mit lockerem Material bedeckt ist, welches einem Radfahrer keinen seitlichen Halt gewährt. Es bestand für die Klägerin – anders als auf einem unebenen Wald- oder Wiesenweg – kein Anlass, dem Boden, den sie befuhr, besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.

bb) Die Klägerin hat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass sie die Besonderheiten der Fahrbahnoberfläche im Bereich der Unfallstelle erst unmittelbar vorher erkennen konnte. Zum einen gab es auf der linken Seite des F.Wegs, den die Klägerin befuhr, Baustellenabsperrungen, die von weitem einem Blick auf die Fahrbahn im Bereich der Einmündung der Straße Am W. entgegenstanden. Zum anderen musste die Klägerin im Bereich der Kreuzung ihre Aufmerksamkeit vor allem nach rechts richten, um bevorrechtigten Fahrzeugen von rechts den Vorrang zu gewähren. Aufgrund der Örtlichkeit – normale asphaltierte Straße in einem Wohngebiet – ist es auch nicht zu beanstanden, wenn die Klägerin zunächst annahm, der Belag innerhalb der ausgefrästen Rinne sei so befestigt, dass sie die Rinne mit dem Fahrrad bei langsamer Geschwindigkeit queren könnte (ebenso die nicht zutreffende Einschätzung des Gefahrenpotentials der Unfallstelle im erstinstanzlichen Urteil). Es war nicht zu erwarten, dass die Klägerin ohne weiteres den Grad des Gefahrenpotentials, der sich für den Senat aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Lö. ergibt, in kürzester Zeit bei der Annäherung an die Rinne abschätzen konnte.

cc) Bei der Frage eines möglichen Mitverschuldens ist zudem zu prüfen, wie sich die Klägerin alternativ hätte verhalten können, um einen Sturz mit dem Fahrrad zu vermeiden.

aaa) Die Klägerin konnte der Gefahrenstelle nicht ausweichen. Da die Fortsetzung der Fahrt im F.Weg zum Unfallzeitpunkt gesperrt war (vgl. das Lichtbild I, I, 387), musste die Klägerin, um mit dem Fahrrad in die Innenstadt von E. zu gelangen, an der betreffenden Kreuzung nach links abbiegen.

bbb) Der Sachverständige Dr. Lö. hat nachvollziehbar erläutert, dass die Klägerin einen Sturz hätte vermeiden können, wenn sie nicht versucht hätte, in einer Kurvenfahrt nach links abzubiegen. Ein Wegrutschen des Hinterrads beim Abbiegen wäre vermeidbar gewesen, wenn die Klägerin exakt rechtswinklig abgebogen wäre, also die Rinne in einer reinen Geradeausfahrt gequert hätte. Dies erscheint zwar im Nachhinein physikalisch ohne weiteres einleuchtend; ein zu Lasten der Klägerin berücksichtigungsfähiger Vorwurf lässt sich daraus jedoch nicht herleiten. Es ist nicht zu erwarten, dass eine normale Radfahrerin in der kurzen Zeitspanne zwischen dem Erkennen des Bodenbelags in der Rinne und dem Überfahren der Rinne eine solche eher anspruchsvolle physikalische Überlegung anstellt.

ccc) Die Klägerin hätte den Sturz nach alledem nur vermeiden können, indem sie vor dem Überfahren der Rinne abgebremst hätte und vom Fahrrad abgestiegen wäre. In diesem Unterlassen liegt nach Auffassung des Senats allerdings – wenn überhaupt – allenfalls ein sehr geringes Verschulden, welches gegenüber dem erheblichen Verschulden der Beklagten (siehe oben) gänzlich zurücktritt. Denn die Klägerin musste, wie ausgeführt, weder mit der Gefahrenstelle als solcher noch mit dem Ausmaß der Gefährlichkeit des lockeren Belags rechnen; zudem hatte sie keine nennenswerte Zeit vor dem Sturz, um über den Grad der Gefährlichkeit und über eine mögliche Vorsichtsmaßnahme nachzudenken. Dass der Klägerin der Zustand der Unfallörtlichkeit vorher bekannt war, lässt sich nicht feststellen (siehe oben).

3. Die Beklagte schuldet der Klägerin im Rahmen ihrer vollen Haftung gemäß § 253 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.500,00 €. Der Senat hält den von der Klägerin in ihrer Klage angesetzten Betrag von 8.500,00 € für angemessen. Der Senat hat dabei die Verletzungen der Klägerin, die gesundheitlichen Auswirkungen und die Auswirkungen auf ihre Lebensführung berücksichtigt. Die Feststellungen des Senats beruhen auf dem erstinstanzlich eingeholten schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Z. nebst dessen mündlicher Erläuterung vor dem Landgericht im Termin vom 20.09.2018, auf den vorgelegten Attesten und Arztberichten und auf den ergänzenden glaubwürdigen Angaben der Klägerin im Senatstermin.

Die Klägerin hat durch den Sturz im linken Ellenbogen eine Radiusköpfchentrümmerfraktur links erlitten, einen Abriss des Processus coronoideus links, eine Thoraxcontusion links und eine Daumensattelgelenkscontusion links. Außerdem gab es eine Absprengung eines Ossikels im linken Handgelenk. Im linken Ellenbogen hat die Klägerin durch eine Operation eine Prothese erhalten. Sie wurde zwei Wochen stationär im Krankenhaus behandelt und war bis zum 20.10.2016 arbeitsunfähig.

Die Klägerin leidet weiterhin – dauerhaft – immer wieder unter gewissen Schmerzen, beispielsweise wenn sie nachts auf dem Arm liegt, oder bei einem Wetterumschwung. Sie hat dauerhaft im linken Arm nicht mehr die gleichen Kräfte wie früher, und kann viele Bewegungen und Tätigkeiten nicht mehr so ausführen wie früher, das Ellenbogengelenk ist weniger belastbar. Die Klägerin ist vor allem dauerhaft im privaten Bereich eingeschränkt insofern, als sie bestimmten Freizeitbeschäftigungen, insbesondere dem Reiten, nicht mehr in gleicher Weise nachgehen kann wie früher. Sie muss sich wegen des Schadens im linken Ellenbogen anders und vorsichtiger bewegen als früher. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat der Senat die veröffentlichten Entscheidungen anderer Gerichte in ähnlichen Fällen mit berücksichtigt.

4. Der Klägerin steht zudem ein materieller Schadensersatzanspruch in Höhe von 2.489,19 € zu. Dieser Betrag setzt sich aus folgenden Einzelpositionen zusammen:

  • Fahrtkosten: 168,48 €
  • Fahrradumbau: 304,71 €
  • Haushaltsführungsschaden:   2.016,00 €
  • Summe: 2.489,19 €

a) Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz ihrer Fahrtkosten zu den wahrgenommenen Terminen zur Physiotherapie nach dem Unfall. Die durch die Verletzungen erforderlichen physiotherapeutischen Behandlungen sind durch die vorgelegten Unterlagen K 6 belegt. Gegen die Höhe der von der Klägerin errechneten Fahrtkosten bestehen keine Bedenken. Dafür, dass die Fahrtkosten der Klägerin – wie die Beklagte zunächst eingewandt hat – von der Beihilfe ersetzt worden wären, ist nichts ersichtlich.

b) Die Klägerin ließ den Lenker ihres Fahrrads nach dem Unfall umbauen. Dafür sind ihr entsprechend der vorgelegten Anlage K 9 Unkosten in Höhe von 304,71 € entstanden. Der Umbau des Lenkers war erforderlich, um die Beeinträchtigungen durch den geschädigten Ellenbogen beim Radfahren zu berücksichtigen. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. Z. bestätigt.

c) Der von der Klägerin geltend gemachte Haushaltsführungsschaden ist der Höhe nach nur zum Teil berechtigt, nämlich in Höhe von 2.016,00 €.

aa) Die Klägerin war nach dem Unfall vom 14.09.2016 jedenfalls bis zum 20.12.2016 aufgrund der erlittenen Verletzungen nicht in der Lage, den Haushalt in gleicher Weise zu führen wie vorher. Haushaltstätigkeiten wurden daher in dieser Zeit – anders als vorher – in erheblichem Umfang vom Ehemann der Klägerin und von erwachsenen Kinder der Klägerin ausgeführt. Der Anspruch auf Ersatz des – vom Senat zu schätzenden – Haushaltsführungsschadens ergibt sich in einem derartigen Fall aus § 843 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, NJW 1997, 256; BGH, NJW 2009, 2060).

bb) Die tatsächlichen Feststellungen zu den Grundlagen des Haushaltsführungsschadens der Klägerin beruhen auf den glaubwürdigen Angaben der Klägerin, den Angaben ihres als Zeugen vernommenen Ehemannes und den mit den geschilderten Beeinträchtigungen korrespondierenden medizinischen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Z…

cc) Die Beeinträchtigungen der Klägerin zur Führung des Haushalts setzt der Senat mit einer Minderungsquote von 100 % für die Zeit vom 14.09.2016 bis 27.09.2016 an, 80 % vom 28.09.2016 bis zum 20.10.2016 und 30 % vom 21.10.2016 bis zum 20.12.2016. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass sich die Klägerin bis zum 27.09.2016 stationär im Krankenhaus befand und bis zum 20.10.2016 vollständig arbeitsunfähig krankgeschrieben war. Nach dem 20.10.2016 haben sich die körperlichen Möglichkeiten der Klägerin verbessert, so dass der Senat ab diesem Zeitpunkt die Beeinträchtigung nur noch mit 30 % ansetzt (vgl. dazu die Tabelle bei Pardey, Der Haushaltsführungsschaden, 9. Auflage 2018 Tabelle 7 mit Behinderungsquoten bei Ellenbogenversteifungen). Soweit die Klägerin ihre Beeinträchtigung für die Zeit vom 21.10.2016 bis zum 20.11.2016 mit 60 % angibt, fehlt dem Senat eine ausreichende Grundlage, um diese Schätzung nachvollziehen zu können. Im Übrigen entsprechen die angesetzten Prozentsätze den von der Klägerin vorgetragenen Schätzungen.

dd) Soweit Tätigkeiten im Haushalt vom Ehemann oder erwachsenen Kinder der Klägerin ausgeführt werden mussten, berücksichtigt der Senat einen geschätzten Stundensatz vom 10,00 € (vgl. zum Stundensatz OLG Karlsruhe – 7. Zivilsenat -, Urteil vom 28.03.2012 – 7 U 104/11 -, zitiert nach Juris).

ee) Bei der Schätzung des erforderlichen Zeitaufwands für die Haushaltsführung folgt der Senat im Wesentlichen der nachvollziehbaren schriftsätzlichen Darstellung der Klägerin, in der die einzelnen Teiltätigkeiten im Haushalt aufgeführt sind. Die von der Klägerin angegebene durchschnittliche wöchentliche Stundenzahl für die Haushaltsführung vor dem Unfall von 30 Stunden hat der Senat im Rahmen der Schätzung auf 28 Stunden abgerundet. Daraus ergibt sich ein durchschnittlicher täglicher Aufwand für die Haushaltsführung vor dem Unfall von 4 Stunden. Der Senat hat berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem Ehemann in einem Zwei-Personen-Haushalt zusammen wohnt, und zwar in einem Einfamilienhaus mit 153 m² und einem Garten. Zeitaufwand für die Betreuung von Kindern hat die Klägerin – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht geltend gemacht und spielt für die Schätzung des Senats keine Rolle. Aus den Angaben der Klägerin und ihres als Zeugen vernommenen Ehemannes ergibt sich, dass der Haushalt – abgesehen von geringen Ausnahmen – vor dem Unfall von der Klägerin allein versorgt wurde, was auch im Hinblick darauf nachvollziehbar erscheint, dass die Klägerin neben der Haushaltsführung lediglich eine Teilzeittätigkeit in Selbstständigkeit von etwa 50 % ausgeführt hat. Die geschätzten 28 Stunden pro Woche – bzw. 4 Stunden pro Tag – bewegen sich unter diesen Umständen auch im Rahmen der Tabellen bei Pardey, a. a. O., Seite 63 ff. (vgl. auch die ähnliche Schätzung bei OLG Karlsruhe – 7. Zivilsenat – a. a. O.).

ff) Nach der Anhörung der Klägerin und der Vernehmung des Ehemannes als Zeugen steht fest, dass diejenigen Tätigkeiten, die die Klägerin nach dem Unfall nicht mehr ausführen konnte, von ihrem Ehemann ausgeführt wurden und von erwachsenen Kindern, die nicht mehr im Haushalt der Klägerin leben, jedoch zur Hilfe und Unterstützung nach dem Unfall angereist sind.

gg) Danach ergibt sich unter Berücksichtigung der Beeinträchtigungen der Klägerin die folgende Abrechnung für den Haushaltsführungsschaden:

  • 14.09.2016 bis 27.09.2016: 4 Stunden x 14 Tage x 10,00 € = 560,00 €
  • 28.09.2016 bis 20.10.2016: 4 Stunden x 23 Tage x 10,00 € x 80 % = 736,00 €
  • 21.10.2016 bis 20.12.2016: 4 Stunden x 60 Tage x 10,00 € x 30 % =  720,00 €
  • Summe: 2.016,00 €

5. Die Klägerin kann von der Beklagten außerdem Erstattung ihrer vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 413,66 € verlangen. Gegen die Berechnung der Gebühren bestehen keine Bedenken. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten werden von der Beklagten gemäß § 249 Abs. 1 BGB geschuldet, da die Klägerin zur Schadensregulierung auf die Hilfe eines Anwalts angewiesen war.

6. Auch der Feststellungsantrag ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin auch zukünftige materielle und immaterielle Schäden zu ersetzen. Zukünftige Schäden, die derzeit noch nicht absehbar sind, kommen in zweifacher Hinsicht in Betracht. Zum einen ist es nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Z. möglich, dass in der Zukunft eine neue Operation des Ellenbogengelenks, insbesondere eventuell ein Ersatz der Prothese, notwendig werden kann. Außerdem lässt sich die Entwicklung von Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im linken Arm nicht absehen. Soweit der Klägerin zusätzliche Aufwendungen entstehen, die nicht von Dritten (insbesondere Versicherungsträgern) ersetzt werden, ist die Beklagte einstandspflichtig. Für das Schmerzensgeld ist davon auszugehen, dass mit dem ausgeurteilten Betrag von 8.500,00 € auch für die Zukunft sämtliche immateriellen Beeinträchtigungen ausgeglichen sind, soweit keine wesentlichen – derzeit nach dem Gutachten des Sachverständigen noch nicht absehbaren – nachteiligen Veränderungen eintreten. Das bedeutet, dass ein zusätzlicher immaterieller Schadensersatz dann in Betracht kommt, wenn neue Operationen notwendig werden, insbesondere wenn die Prothese erneuert werden muss. Außerdem kommt eine – bisher nicht mit abgegoltene – zusätzliche Entschädigung in Betracht, wenn Schmerzen und Bewegungseinschränkungen in der Zukunft erheblich zunehmen sollten, beispielsweise bei einem deutlichen Fortschritt von Veränderungen durch Arthrose.

7. Die geltend gemachten Zinsen stehen der Klägerin jeweils ab Rechtshängigkeit zu. Dabei sind in der Entscheidung des Senats die jeweiligen Zeitpunkte (Zeitpunkt der Klagezustellung und Zeitpunkt der Klageerweiterung im Verfahren vor dem Landgericht) entsprechend berücksichtigt.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.

9. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Rechtsfragen sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt.

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