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Verkehrssicherungspflicht in Corona-Impfzentrum

LG Freiburg – Az.: 6 O 196/21 – Urteil vom 04.02.2022

In dem Rechtsstreit hat das Landgericht Freiburg im Breisgau – 6. Zivilkammer – aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2022 für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreites.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Verkehrssicherungspflicht in Corona-Impfzentrum
(Symbolfoto: luchschenF/Shutterstock.com)

Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht für zukünftige Schäden aus einem Unfallereignis vom 02.05.2021 in der Messehalle in Lörrach-Haagen wegen der vermeintlichen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte.

Die Klägerin, Jahrgang 1933, begab sich am 02.05.2021 in das Kreisimpfzentrum in Lörrach. Dieses befindet sich in der Messehalle in Lörrach-Haagen.

Die Beklagte ist der Landkreis Lörrach. Sie betrieb dort das Kreisimpfzentrum.

Als die Klägerin nach dem Impfen und Abwarten der 15 minütigen Wartezeit die Damentoilette im Kreisimpfzentrum aufsuchte und dazu die Türe zur Damentoilette an dem Türgriff öffnete, stürzte die Klägerin und fiel auf den Hinterkopf; zudem fiel der Türgriff zu Boden.

Durch den Sturz erlitt sie eine Beule am Hinterkopf, sowie Schmerzen im Nackenbereich und Bluthochdruck. Die Schmerzen im Nackenbereich hielten ca. 10 bis 14 Tage. Die Klägerin behandelte diese mit Schmerzmitteln.

Die Klägerin behauptet, es habe sich bei der fehlenden/herunter gefallenen Türklinke nicht um einen singulären Vorfall gehandelt. Vielmehr sei am selben Tag bereits um 14:50 Uhr die Türklinke weg gewesen und sei kurz darauf von der Putzfrau wieder auf die Türgriffachse gesteckt worden,

Auch zuvor habe es schon Stürze gegeben.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklage habe die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, das in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 5.000 Euro nicht unterschreiten soll, zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen unfallbedingten materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 02.05.2021 in der Messehalle Hagen in Lörrach zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet: Es werde bestritten, dass bereits vor dem Sturz der Klägerin die Klinke gelockert gewesen sei.

Vielmehr sei es so, dass sich die Klinke erst durch den Sturz der Klägerin gelöst habe.

Es werde bestritten, dass die Türklinke bereits um 14:50 Uhr sich gelöst gehabt habe und von der Putzfrau nur auf die Türfallenachse gesteckt worden sei.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass sie keine Verkehrssicherungspflichtverletzung begangen habe.

Die Beklagte ist ferner der Auffassung, dass das geltend gemachte Schmerzensgeld überhöht sei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2022 Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen Zeugenaussage des Zeugen …… und Vernehmung der Zeugen …… dem Termin der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2022.

Hinsichtlich des Beweisergebnisses wird auf die schriftliche Stellungnahme des Zeugen NM und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

A.

Die Klage ist zulässig.

Die alleinige Entscheidungszuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit ergibt sich aus Art. 34 S. 1 GG in Verbindung mit § 17 Abs. 2 S. 2 GVG. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts ist Streitwert unabhängig und folgt aus §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 2 Nr. 1 GVG; die örtliche aus § 18 ZPO da die Stadt Lörrach im Bezirk des Landgerichts Freiburg im Breisgau liegt.

B.

Die Klage ist unbegründet.

I.

Der Klägerin steht kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Beklagte aus § 839 BGB i. V. m. mit Art. 34 GG, § 823 Abs. 1 BGB zu.

Zwar ist davon auszugehen, dass die Klägerin am 02.05.2021 an der Türe zur Damentoilette im Kreisimpfzentrum Lörrach in der Messehalle Lörrach-Haagen zu Fall kam und sich bei diesem Sturz die Türklinke zur Damentoilette löste und abfiel, der Klägerin gelang aber nicht der Nachweis, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt hat und sie in Folge dieser Verkehrssicherungspflichtverletzung stürzte.

1. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin am 02.05.2021 im Bereich der Türe der Damentoilette stürzte und bei diesem Sturz auch die Türklinke abfiel.

2. Der Klägerin gelang aber nicht der Nachweis, dass die Beklagte bezüglich dieser Türklinke ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht genügt hat.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gilt: Derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art, etwa durch Verkehrseröffnung – schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger dieser (Berufs-)Gruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind; Voraussetzung für eine Verkehrssicherungspflicht ist, dass sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen. Er hat ein „Unglück“ erlitten und kann dem Schädiger kein „Unrecht“ vorhalten (vgl.; Geige! Haftpflichtprozess/Haag, 28. Aufl. 2020, Kap. 14 Rn. 28, m. w. N.)

b) Gemessen hieran gelang der Klägerin nicht der Nachweis, dass diese Voraussetzung vorliegend erfüllt sind.

Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass sich für die Beklagte angesichts der konkreten Situation die naheliegende Möglichkeit der Gefährlichkeit des Türgriffes und damit die Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung ergeben hat.

aa) Zwar behauptet die Klägerin, es habe sich nicht um einen singulären Vorgang gehandelt, bereits zuvor sei diese Türklinke abgefallen und Personen seien im Bereich der Toilette gestürzt.

Allerdings gelangte das Gericht auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme nicht zu der Überzeugung, dass bereits zuvor die Türklinke abgefallen war, die Beklagte hiervon Kenntnis hatte und die abgefallene Türklinke für Stürze verantwortlich waren. Im Einzelnen:

Die Mitarbeiter der Klägerin bzw. das von ihr beauftragte Sicherheitspersonal gaben im Rahmen der Zeugenvernehmung an, vor dem Sturz der Klägerin am 02.05.2021 sei ihnen nicht bekannt gewesen, dass die Türklinke locker gewesen oder schon einmal abgefallen gewesen sei.

Dies hat zunächst der Zeuge …… in seiner schriftlichen Erklärung so ausgeführt.

Auch der …… konnte von solchen Wahrnehmungen nicht berichten. Zudem gab er an, nicht von Kollegen mitbekommen zu haben, dass diese solche Vorgänge wahrgenommen hätten.

Der Leiter des Kreisimpfzentrums, ……, gab ebenfalls an, er habe vor dem Ereignis vom 02.05.2018 mit der Klägerin nicht Kenntnis davon erlangt, dass sich die Türklinke schon einmal gelöst habe. Nach dem Unfall habe er mit Mitarbeitern gesprochen und auch den Hausmeister entsprechend instruiert.

Soweit der Zeuge …… angibt, er habe am selben Tag bereits um 14:50 Uhr bemerkt, dass eine Dame dort in der Damentoilette auf dem Boden lag, die Türklinke gefehlt habe und die Putzfrau die Türklinke wieder angesteckt habe, ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass sich dies so zugetragen hatte. Der Zeuge VW hat diesen Umstand in seiner ersten, sehr zeitnah nach dem Sturzereignis verfassten Mail an die Landrätin des Landkreises Lörrach, nicht erwähnt. Erst im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung mit dem Landkreis hat er diese Besonderheit geschildert, obwohl er in dieser ersten Mail bereits auch jenseits des konkreten Sturzereignisses von ihm wahrgenommene Komplikationen, wie beispielsweise einen wackeligen Stuhl mitteilte.

Der Klägerin gelang daher nicht der Nachweis, dass bereits vor ihrem Sturz die Türklinke gelockert war und dies der Beklagten bekannt war oder hätte bekannt sein müssen.

bb) Bei einer nicht offensichtlich locker sitzenden Türklinke handelt es sich um eine besondere Situation, bei der ohne weitere Anhaltspunkte nicht die naheliegende Möglichkeit einer Gefährdung anderer vorhergesehen werden kann. Türklinken sind anders als beispielsweise die Zustände von Fußböden, die regelmäßig überprüft werden müssen, oder Höhenunterschiede, die gegebenenfalls farblich zu kennzeichnen sind, nicht ohne Anlass in zeitlich engen Intervallen regelmäßig zu untersuchen und zu überprüfen.

Nicht nachgewiesen ist nach dem Vorstehenden, dass es Anhaltspunkte für eine solche Lockerung gab. Daher war für die Beklagte auch nicht erkennbar, dass die naheliegende Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung diesbezüglich bestand.

cc) Soweit von der Klägerin vorgetragen wird, auch andere Personen seien gestürzt, ergibt sich daraus nicht der Nachweis, dass dies aufgrund einer Verkehrssicherungspflichtverletzung die Türklinke betreffend geschah.

Der Zeuge …… hat zwar geschildert, er habe gesagt, nicht schon wieder, weil zuvor schon eine Person gestürzt sei, dies betraf aber die ursprünglich noch nicht gekennzeichnete Schwelle zur Toilette.

Der Grund anderer Stürze, wie sie vom Zeugen …… geschildert werden, bleibt ebenfalls unklar.

3. Unabhängig davon wäre – selbst wenn man eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht unterstellen wollte – von der Klägerin nicht der Nachweis erbracht, dass eine solche für den Sturz ursächlich geworden ist.

Zwar kam es im Zusammenhang mit dem Sturz zum Abfallen der Türklinke, es ist aber unklar, ob die Klägerin nicht ohnehin aufgrund ihrer Gangschwierigkeiten zum Fall kam und nur beim Fallen die Türgriffklinke abriss, ohne dass hierdurch sich am Unfallereignis etwas verändert hätte.

Dies kann insbesondere deswegen nicht ausgeschlossen werden, da nach den Angaben des Zeugen …… die Klägerin bereits beim ersten Besuch im März im Kreisimpfzentrum ebenfalls an der Schwelle zur Toilette beinah gestürzt wäre.

Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass eben andere Ursachen zu diesen Stürzen geführt haben.

4. Nach den obigen Ausführungen hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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