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Verkehrssicherungspflicht – Sturz einer Fahrradfahrerin auf Fahrradweg

LG Bonn – Az.: 1 O 174/17 – Urteil vom 08.12.2017

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Beklagte richtete im Zuge einer Baumaßnahme für die X GmbH neben der Wegefläche des Radweges am Ortsausgang M ein Baustofflager ein. Der Radweg ist Bestandteil des Radweges Sieg, der als Teil des Radverkehrsnetzes NRW beschildert ist.

Verkehrssicherungspflicht - Sturz einer Fahrradfahrerin auf Fahrradweg
(Symbolfoto: connel/Shutterstock.com)

Die Klägerin behauptet, sie sei am 15.09.2016 auf diesem von ihr in Richtung F mit ihrem E-Bike befahrenen Radweg auf einem zur Baustelle beziehungsweise Materiallager des Beklagten führenden Weg gestürzt. Sie habe den am Ortsausgang M am Abzweig des Fahrradweges Richtung Siegaue/F leicht abschüssigen Weg sehr vorsichtig mit circa 15 km/h befahren. An diesem Abzweig sei der Asphaltbelag des Radweges mit einer festen Schotterdecke verdichtet, werde aber am Ende wieder als asphaltierter Weg weitergeführt. An der späteren Unfallstelle aber sei das Schotterbett nicht befestigt gewesen (Lichtbilder Anlage K1 = Bl…. – … d.A. und Anlage K14 = Bl…. d.A.). Es sei auch nicht erkennbar gewesen, dass man in dieses Schotterbett mindestens 7 cm einsacken könne und ein Fahrrad damit nicht mehr lenkbar sei. Als sie – die Klägerin – mit ihrem Rad auf das lose Kiesbett geraten sei, sei das Rad nicht nur stark abgebremst, sondern der Lenker herumgerissen worden, und sie – die Klägerin – über den Lenker gestürzt. Der den Weg zusammen mit ihr befahrende Ehemann und Zeuge Q habe einen Sturz mit seinem Rad aufgrund seiner größeren Kraft in den Armen gerade noch so vermeiden können.

Die Klägerin behauptet, sie habe infolge des Sturzes eine distale Radiusfraktur mit Gelenksbeteiligung links erlitten, aufgrund derer eine operative Krankenhausbehandlung erforderlich geworden sei (Arztbericht vom 23.09.2016, Anlage K3 = Bl…. – … d.A.). Die Heilbehandlung sei noch nicht beendet und Dauerschäden zu befürchten, auch In Form von Einschränkungen in der Haushaltsführung sowie wegen vermehrter Bedürfnisse. Für die unfallbedingte Heilbehandlung seien ihr Zuzahlungen in Höhe von 60,42 EUR, Kosten für die Überprüfung des Fahrrades von 36,00 EUR sowie – lediglich der Höhe nach streitige – 148,20 EUR Fahrtkosten nebst – unstreitiger – 5,00 EUR für eine Fahrgeldbescheinigung entstanden.

Die Klägerin vertritt ferner die Rechtsansicht, dass ihr gegen den Beklagten ein Anspruch auf ein mit mindestens 4.000,00 EUR anzusetzendes Schmerzensgeld zustünde.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr den materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr durch den Sturz am 15.09.2016 auf dem Radweg Ortsausgang M in Richtung Siegaue/F entstanden ist und noch entstehen wird;

2. den Beklagten zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 249,62 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;

3. den Beklagten zu verurteilen, sie von außergerichtlichen Anwaltskosten gegenüber der Kanzlei W & A, L-Straße. …-…, … T in Höhe von 571,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung frei zu stellen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bestreitet den behaupteten Unfallhergang, insbesondere dessen Ursache, sowie die behaupteten Unfallfolgen mit Nichtwissen. Er nimmt Bezug auf die unstreitig am 27.07.2016 erfolgte Bauabnahme mit dem Auftraggeber (vgl. Protokoll nebst Mängelliste, Anlagen BLD2 und 3 = Bl…. und … d.A.) und behauptet, das als Anlage BLD4 (Bl…. d.A.) eingereichte Lichtbild zeige den Zustand der streitgegenständlichen Unfallstelle am 27.07.2016.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, auf die zu den Akten gereichten Unterlagen und Lichtbilder sowie auf das Vorbringen der Parteien in der mündlichen Verhandlung (Sitzungsprotokoll vom 27.10.2017 = Bl….f. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die in Anbetracht der behaupteten unfallbedingten Verletzungen der Klägerin nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch hinsichtlich des Feststellungsantrages gemäß § 256 Abs.1 ZPO zulässige Klage (vgl. BGH NJW-RR 2016, 759; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2017, § 256 Rd.7a und Rd.9 jeweils m.w.N.) ist nicht begründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten schon dem Grunde nach keinen Anspruch auf Ersatz ihr möglicherweise entstandener oder künftig entstehender materieller und immaterieller Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis vom 15.09.2016 aus den §§ 823 Abs.1, 249, 253 Abs.2 BGB, da es an einer schuldhaften und rechtswidrigen Verursachung der Verletzungen der Klägerin durch den Beklagten fehlt.

Eine hier allein wegen der Verletzung einer ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht in Betracht kommende Haftung des Beklagten besteht nicht. Es fehlt an den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für einen derartigen Anspruchstatbestand.

Dabei bedarf die Frage, in welchem Zustand sich die streitgegenständliche Unfallstelle am 15.09.2016 befand, keiner abschließenden Beantwortung. Denn selbst dann, wenn dieser Zustand dem auf den von der Klägerin als Anlagen K1 und K4 zu den Akten gereichten Lichtbildern entsprechen sollte, fehlt es an einer für die Begründung der Haftung des Beklagten erforderlichen Gefahrenstelle, die eine Verkehrssicherungspflicht auslösen könnte.

Dies folgt daraus, dass sich öffentliche Verkehrsflächen – insbesondere ihr Belag – zwar in einem Zustand befinden müssen, der den regelmäßigen Verkehrsbedürfnissen genügt und eine möglichst gefahrlose Nutzung der Verkehrsflächen ermöglicht. Dabei müssen Straßen und Wege aber nicht völlig frei von Gefahren gehalten werden, da ein solcher Zustand sich mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln nicht erreichen lässt. Der Benutzer einer Verkehrsfläche muss sein Verhalten vielmehr grundsätzlich den Verhältnissen anpassen und die Verkehrsfläche so annehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Die Abwendung von Schäden bei der Benutzung von Straßen und Wegen ist deshalb in erster Linie Aufgabe des Verkehrsteilnehmers selbst. Eine Verkehrssicherungspflicht entsteht nach alledem erst dann, wenn eine Gefahrenlage besteht oder gar geschaffen worden ist, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar ist und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (BGHZ 108, 273, 275; OLG Stuttgart, Urteil vom 10.07.2013 – 4 U 26/13 = juris Rd.81ff. betreffend Fahrbahnunebenheiten bei einem Radfahrer; OLG Hamm, Urteil vom 25.02.2002 – 9 U 62/01 = NZV 2002, 506, 507 betreffend einen Sturz eines Radfahrers über eine Rohrleitung; Palandt/Sprau, BGB, 76.Aufl. 2017, § 823 Rd.221 jeweils m.w.N.). Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn im Rahmen der Amtshaftung verkehrssicherungspflichtiger Körperschaften des öffentlichen Rechts (vgl. etwa in Bezug auf geschädigte Fahrradfahrer: Urteil vom 25.10.2017 – 1 O 226/17; Urteil vom 13.08.2014 – 1 O 59/14).

In Anwendung dieser Grundsätze besteht für eine Haftung des Beklagten kein Raum. Denn die auf den klägerseits vorgelegten Lichtbildern abgebildete Aufbringung eines splitt- oder kiesbettartigen graufarbigen Belages auf dem Radweg beinhaltete keine Gefahrenstelle im haftungsrechtlichen Sinne, weil dieser Belagwechsel für jeden aufmerksamen Fahrradfahrer deutlich erkennbar war. Gleiches gilt für die sich daraus ergebende Aufforderung an einen verständigen Nutzer dieses Radweges, seine Geschwindigkeit entsprechend den Anforderungen an eine eingeschränkte Befahrbarkeit der Unfallstelle und entsprechend seinen eigenen subjektiven Fähigkeiten herabzusetzen. Denn der aufgebrachte splitt- oder kiesbettartige Belag weist nach den allgemein bekannten physikalischen Gegebenheiten regelmäßig eine gegenüber einem Asphaltbelag geringere Festigkeit auf, wie sich dies auch aus den Spurrillen der (Vor-) Benutzer dieses Weges auf den klägerseits eingereichten Lichtbildern deutlich ergibt. Dass die Klägerin nicht nur den Wechsel des Belages des Radweges wahrgenommen hat, sondern auch die an der Unfallstelle vorhandenen Abdruckspuren der anderen Fahrradfahrer, liegt in Anbetracht der eingereichten Fotos auf der Hand und wurde von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage bestätigt. Bei Einhaltung einer den Fähigkeiten der Klägerin an die sichere Führung ihres Fahrrades angepassten Geschwindigkeit (arg. § 3 Abs.1 Satz 1 und Satz 2 StVO; vgl. auch OLG Stuttgart, aaO., juris Rd.117f.), die mit den behaupteten circa 15 km/h an der Unfallstelle augenscheinlich zu hoch gewesen ist, wäre der Sturz vermieden worden. Derartige, vor sich selbst warnende „Gefahren“ stellen deshalb keine verkehrssicherungspflichtige Gefahrenstelle im haftungsrechtlichen Sinne dar.

Im Übrigen begründen die eingangs aufgezeigten Umstände ein ganz überwiegendes Mitverschulden der Klägerin an dem Sturzereignis (§ 254 Abs.1 BGB; vgl. auch OLG Hamm, aaO., NZV 2002, 508 unter4.), hinter dem ein etwaiges schuldhaftes Unterlassen von Sicherungs- oder Kontrollmaßnahmen des Beklagten vollständig zurücktreten würde.

Auch ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen (nicht der außergerichtlichen) Anwaltskosten der Klägerin besteht aus den vorstehenden Erwägungen nicht. Es fehlt an einer Hauptforderung, die Grundlage eines Verzugsschadensersatzanspruches aus den §§ 286 Abs.1, 249 Abs.1, 251 BGB sein könnte.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Ziffer 11., 711 ZPO.

Streitwert: bis 6.000,00 EUR.

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