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Verkehrssicherungspflicht: aufgrund Absenkung einer Betonplatte gestolpert

Landgericht Bonn

Az: 1 O 297/03

Urteil vom 18.02.2004


Das LG Bonn hat auf die mündliche Verhandlung vom XX für Recht erkannt:

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

T a t b e s t a n d:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen einer angeblichen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht im Zusammenhang mit einem behaupteten Sturz, der sich am 01.05.2003 um 01.30 Uhr nachts auf dem Abgang von der Mehrzweckhalle im S zugetragen haben soll. Nach dem Verlassen einer Veranstaltung in der Mehrzweckhalle soll der Kläger über den besagten Abgang gegangen sein, der den Ausgang der Halle in schräger Richtung mit der an dieser vorbeiführenden, tiefer liegenden Straße „M Weg“ verbindet. Der Abgang besteht neben ansonsten ebenem Weg aus drei Abstufungen, welche ihrerseits aus zwei Stufen bestehen und untereinander durch Podeste abgegrenzt sind. Sowohl die Podeste als auch die Zuwegung auf dem Niveau der Mehrzweckhalle sind mit in drei Reihen nebeneinander verlegten Betonplatten versehen, während die einzelnen Stufen aus Waschbetonelementen bestehen. Die Abwegung besitzt weder Handläufe noch Geländer. Aus Richtung der Mehrzweckhalle gesehen ist die Betonplatte am linken Rand der an die oberste Stufe angrenzenden Plattenreihe nach links außen neigend abgesenkt. Hierdurch liegt im Verhältnis zu dieser Platte und der nachfolgenden Stufe eine Höhendifferenz zwischen 1,5 cm (Richtung Gehwegmitte) und 2 cm (Richtung Gehwegrand) vor.

Die Beklagte trifft die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich dieses Fußweges.

Der Kläger behauptet, er habe nach dem Verlassen der Veranstaltung am 01.05.2003 den fraglichen Abgang linksseitig begangen, während seine Ehefrau rechts von ihm gegangen sei. Er sei hierbei über die sich aus der Absenkung der Betonplatte ergebende Kante gestolpert und sodann nach vorne gestürzt. Er beziffert den unfallbedingten Schaden wie folgt:

Beschädigung seiner Brille 306,50 EUR,

Gebühren für ärztliche Bescheinigungen 37,43 EUR,

Beschädigung seiner Hose 50,00 EUR,

Zudem begehrt er die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 600,00 EUR sowie den Ersatz künftiger materieller und immaterieller Schäden mit der Begründung, durch das Sturzereignis seien alle oberen Schneidezähne gebrochen und gelockert, was auch in Zukunft umfangreiche zahnmedizinische und kieferorthopädische Behandlungen erfordere. Wegen der Einzelheiten der geltend gemachten Schadenspositionen wird auf die Klageschrift (insofern Bl. 5 d.A.) sowie den Klageerweiterungsschriftsatz (insofern Bl. 79 ff. d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger meint, die Beklagte habe die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie auf dem besagten Abgang die Kante im Plattenbelag nicht behoben habe. Bereits ab einem Plattenüberstand von 1 cm Höhe sei von einer entsprechenden Pflichtverletzung auszugehen. Dies gelte jedenfalls bei einem stärker frequentierten Gehweg wie dem hier gegenständlichen. Bei der fraglichen Abwegung handele es sich im Übrigen um eine Treppenanlage im Sinne von § 36 BauO NW bzw. der Richtlinien des Rheinischen Gemeindeunfallversicherungsverbands GUV-I 561, so dass sie, um die sich hieraus ergebenden Anforderungen an die Verkehrssicherungspflichten zu erfüllen, mit einem Geländer hatte ausgestattet sein müssen.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 393,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen,

2. an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens 600,00 EUR, nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei Klageerhebung zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche materiellen Schäden, die aus dem Vorfall vom 01.05.2003 auf der Zuwegung zur Mehrzweckhalle S künftig entstehen, zu ersetzen, soweit die nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm jeden weiteren immateriellen Schaden aus dem Vorfall vom 01.05.2003, welcher sich auf der Zuwegung zur Mehrzweckhalle S ereignete, zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Höhendifferenz im Plattenbelag der Abwegung von der Mehrzweckhalle stelle keinen Umstand dar, der eine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht auslöse. Da der Abgang zur Straße durch Podeste unterbrochen sei, seien die für Treppenläufe geltenden Anforderungen im Hinblick auf das Anbringen von Handläufen oder Geländern nicht einschlägig. Auch finde eine starke Ablenkung derjenigen, die den fraglichen Weg benützten, nicht statt, so dass dem jeweiligen Benutzer zuzumuten sei, auf den Plattenbelag zu achten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, insbesondere die Lichtbilder der Örtlichkeit (Bl. 8 ff., 30 ff. d.A.), Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus § 823 BGB wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu.

Der Umfang der dem Verantwortlichen obliegenden Verkehrssicherungspflicht wird von Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seiner Bedeutung maßgebend bestimmt. Die Verkehrssicherungspflicht umfasst die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Benutzer hinreichend sicheren Zustandes der Verkehrswege. Der Verkehrssicherungspflichtige hat jedoch nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eine Schadenseintrittsvorsorge zu treffen, vielmehr sind nur diejenigen Maßnahmen vorzunehmen, die nach den Sicherungserwartungen des jeweiligen Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich zumutbaren geeignet sind, Gefahren von Dritten abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer Benutzung drohen. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (BGH VersR 1979, 1055). Grundsätzlich muss sich der Benutzer allerdings den gegebenen Verhältnissen anpassen und den Verkehrsweg so hinnehmen, wie er sich ihm erkennbar darbietet. Eine vollkommene Verkehrssicherheit, die jeden Unfall ausschließt, lässt sich jedenfalls mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen nicht erreichen.

Dementsprechend hat ein Fußgänger geringe Höhenunterschiede im Plattenbelag eines Gehweges hinzunehmen. Bei scharfkantig gegeneinander angesetzten Niveauunterschieden von mehr als 2 cm beginnt in belebten städtischen und auch ländlichen Geschäftsstraßen der Bereich der Unebenheiten, der nicht mehr hingenommen werden kann, da an diesen Stellen nicht zu erwarten ist, dass die Aufmerksamkeit völlig auf den vor dem Fußgänger liegenden Bereich konzentriert ist. Hingegen stellen in weniger frequentieren Bereichen auch größere Niveauunterschiede noch keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar. Auch ist eine Haftung des Sicherungspflichtigen zu verneinen, wenn sich das Vorhandensein von Unebenheiten im Bereich von über 2 cm nach dem Gesamtbild des Gehwegbereichs aufdrängt (vgl. Bergmann/Schumacher, Die Kommunalhaftung, 2. Aufl., Rn. 141 ff. m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe lässt sich eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bereits nach dem Vorbringen des Klägers nicht feststellen.

Dabei kommt der Tatsache, dass es sich bei der Abwegung von der Mehrzweckhalle teilweise um einen treppenähnlichen Abgang handelt, grundsätzlich keine besondere Bedeutung zu. Denn die fragliche Höhendifferenz befand sich noch im Bereich des horizontal verlaufenden Weges und nicht etwa im Bereich der Stufen. Die vorbeschriebenen Anforderungen an die vom Benutzer zu erwartende Aufmerksamkeit gelten mithin hierfür gleichermaßen, so dass die sich lediglich im Randbereich des Weges befindliche, zwischen 1,5 und 2 cm betragende Höhendifferenz hinzunehmen ist. Selbst wenn, wie es der Kläger vorträgt, wegen in der Mehrzweckhalle regelmäßig stattfindender Veranstaltungen von einer erhöhten Benutzungsfrequenz des Weges auszugehen ist, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Dass im Rahmen dieser Benutzung auch eine besonders starke Ablenkung der Fußgänger – wie auf belebten Geschäftsstraßen etwa durch Schaufenster – anzunehmen sein sollte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Etwas anderes gilt auch nicht in Anbetracht dessen, dass sich an den horizontal verlaufenden Gehweg im Bereich der Absenkung der Gehwegplatte die erste, zweifache Stufenfolge anschließt. Zwar besteht für den hinab Gehenden im Falle eines Sturzes deswegen ein potenziell größeres Verletzungsrisiko – dies soll nach dem klägerischen Vortrag auch zu dem Entstehen der gravierenden Verletzungen seiner Schneidezähne beigetragen haben. Andererseits verlangt aber die Annäherung an einen mit Stufen versehenen Bereich von dem jeweiligen Benutzer des Gehwegs stets eine höhere Aufmerksamkeit ab, als dies bei durchgehender Benutzung eines horizontal verlaufendes Weges der Fall ist. Der Kläger hätte sich, sollte sich wie von ihm behauptet zugetragen haben, deswegen in besonderem Maße vorsehen müssen.

Nach dem Vorstehenden kommt es ferner nicht darauf an, ob an den der abgesenkten Gehwegplatte nachfolgenden Treppenstufen Handläufe oder Geländer angebracht sind. Bereits nach den vom Kläger herangezogenen Regelwerken der BauO NW bzw. den Richtlinien GUV-I 561 sind diese Stufen in ihrer baulichen Ausgestaltung nicht als Treppe (mind. 5 Stufen) bzw. als Treppenlauf (mind. 3 Stufen) zu qualifizieren. Aber auch auf Grund der Örtlichkeit im Übrigen ergeben sich Anhaltspunkte für das Erfordernis eines solchen Geländers o.ä. nicht. Die Abwegung ist weder besonderes schmal, noch beschreibt sie eine Kurve oder Wendung. Es findet sich auch links- oder rechtsseitig kein Gefälle. Die Anbringung eines Geländers o.ä. würde also allenfalls das Herauf- oder Hinabgehen der Stufen erleichtern, zum Schutz vor besonderen Sturzgefahren ist sie nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: zu 1. 393,93 EUR

zu 2. 600,00 EUR

zu 3. 3.000,00 EUR

zu 4. 1.000,00 EUR

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