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Verkehrsunfall – Beweiswürdigung beim Nachweis der Verstärkung eines vorhandenen Tinnitus

OLG München – Az.: 10 U 1528/11 – Urteil vom 16.12.2011

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 11.04.2011 wird das Endurteil des LG Ingolstadt vom 01.03.2011 (Az. 21 O 1606/09) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Ingolstadt zurückverwiesen.

2. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

A.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

Entscheidungsgründe

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.

1. Das Landgericht hat nach derzeitigem Verfahrensstand zu Unrecht die vom Kläger vorgetragene unfallbedingte Verstärkung des Tinnitus als nachgewiesen erachtet. Das Erstgericht hat von der Einholung eines HNO-ärztlichen Gutachtens abgesehen, da es davon ausgegangen ist, dass keine Untersuchungsmethoden zur Feststellung der objektiven Stärke des Tinnitus und damit zur vorgetragenen Verstärkung des Tinnitus zur Verfügung stehen. Die Beklagte hat in ihrer Berufungsbegründung zu Recht gerügt, dass der Nachweis eines Ohrgeräusches und insbesondere der Nachweis, dass das Ohrgeräusch sich nach dem Unfall verschlechtert haben soll, dem Kläger obliegt. Diesen Nachweis kann der Kläger nur durch Einholung eines HNO-ärztlichen Fachgutachtens führen, gegebenenfalls müssen auf der Grundlage dieses Fachgutachtens weitere Fachgutachten eingeholt werden. Auch lassen sich – entgegen der Annahme des Erstgerichts – Ohrgeräusche nach Frequenz und Lautstärke bestimmen, ebenso, ob eine entsprechende Hörminderung an der Frequenzlokalisation des Ohrgeräusches besteht. Damit beruht die Entscheidung des Landgerichts Ingolstadt auf einer unvollständigen Tatsachenfeststellung.

2. Eine (erheblich) mangelhafte Beweiserhebung stellt einen Zurückweisungsgrund nach § 538 II 1 Nr. 1 ZPO dar (OLG Zweibrücken OLGR 2000, 221; OLG Köln NJW 2004, 521 = VersR 2003, 1587; OLG Bremen OLGR 2009, 352; Senat, Urt. v. 09.10.2009 – 10 U 2309/09 [Juris, dort Rz. 23]; v. 25.06.2010 – 10 U 1847/10 [Juris, dort Rz. 13 = NJW-Spezial 2010, 554 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann]; v. 13.05.2011 – 10 U 3951/10 [Juris, dort Rz. 28 = BeckRS 2011, 12188 m. zust. Anm. Kääb FD-StrVR 2011, 318319] und v. 22.07.2011 – 10 U 1481/11; OLG Frankfurt a. M. MDR 2011, 880 f. für Einvernahme von fünf Zeugen, darunter drei Auslandszeugen).

Die erheblich fehlerhafte Beweiswürdigung stellt einen Verfahrensverstoß dar, welcher zur Zurückverweisung gem. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO berechtigt (BGH NJW 1957, 714 = ZZP 71 [1957] 470; OLG Köln VersR 1977, 577; 1997, 712; Senat, Urt. v. 14.07.2006 – 10 U 5624/05 [Juris]; v. 01.12.2006 – 10 U 4328/06; v. 04.09.2009 – 10 U 3291/09; v. 06.11.2009 – 10 U 3254/09; v. 19.03.2010 – 10 U 3870/09 [Juris, dort Rz. 23 = VA 2010, 93 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 25.06.2010 – 10 U 1847/10 [Juris, dort Rz. 13 = NJW-Spezial 2010, 554 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann]; v. 22.07.2011 – 10 U 1481/11; OLG Bremen OLGR 2009, 352; Wieczorek/Rössler, ZPO, 2. Aufl. 1988, § 539 Anm. B III d; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 538 Rz. 28).

Die Frage der Zurückverweisung wurde auch in der mündlichen Verhandlung mit den Parteivertretern ausführlich erörtert. Beide Parteivertreter sind einer Zurückweisung nicht entgegengetreten, die Beklagtenpartei hat diese auch beantragt.

3. Die Kostenentscheidung war der Endentscheidung vorzubehalten.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf die §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232; Senat in st. Rspr., zuletzt u. a. Urt. v. 19.03.2010 – 10 U 3870/09 [Juris, dort Rz. 34 = VA 2010, 93 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann] und v. 13.05.2011 – 10 U 3951/10 [Juris, dort Rz. 32 = BeckRS 2011, 12188 m. zust. Anm. Kääb FD-StrVR 2011, 318319]), allerdings ohne Abwendungsbefugnis (Senat a.a.O. ).

5. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, daß die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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