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Beratungspflichten des Reisevermittlers – getrennte Buchung von Kreuzfahrt und Hin- und Rückflug

LG Kiel – Az.: 1 S 77/11 – Urteil vom 16.12.2011

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18. März 2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Norderstedt abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, an die Beklagte 3.305,90 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Juli 2010 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithelferin hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte oder die Streithelferin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht einen Schadensersatzanspruch wegen Beratungsverschuldens aus einem Reisevermittlungsvertrag geltend.

Der Kläger buchte am 23. August 2008 (Bl. 44 d. A.) über die Beklagte für seine Ehefrau und sich eine von der Streithelferin veranstaltete Karibik-Kreuzfahrt, die im April 2010 stattfinden sollte. Am 27. Mai 2009 buchte er über die Beklagte Hin- und Rückflüge mit der Lufthansa, die bei Buchung der Kreuzfahrt noch nicht buchbar waren. Darüber hinaus buchte er über die Beklagte noch weitere Leistungen, die mit der Reise im Zusammenhang standen.

Wegen des im April 2010 aufgrund der Aschewolke angeordneten Flugverbots konnte der Kläger das Schiff nicht erreichen und kündigte den Vertrag über die Kreuzfahrt mit Schreiben vom 18. April 2010, dem Tag vor dem Beginn der Kreuzfahrt, wegen höherer Gewalt (Anlage K 2, Bl. 7 d. A.). Dadurch fielen Stornogebühren in Höhe von 90 % des Reisepreises an.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte hätte die Reiseleistungen als Pauschalreise buchen oder ihn darüber aufklären müssen, dass er wegen der Einzelbuchungen – anders als bei einer Pauschalreise – das Risiko, des Schiff rechtzeitig zu erreichen, selbst tragen müsse. Dann hätte er die Reiseleistungen nicht gebucht. Er verlangt mit der Klage die Rückzahlung seiner Anzahlung und hat darüber zunächst die Freihaltung von der Forderung der Streithelferin hinsichtlich der Stornokosten verlangt. Da die Beklagte diesen Betrag gezahlt und insoweit Widerklage erhoben hat, hat der Kläger den Antrag zunächst in einen negativen Feststellungsantrag geändert und diesen sodann einseitig für erledigt erklärt.

Die Beklagte trägt vor, der Kläger habe keine Pauschalreise buchen wollen, sondern sich die einzelnen Bausteine bewusst individuell zusammengestellt.

Beratungspflichten des Reisevermittlers - getrennte Buchung von Kreuzfahrt und Hin- und Rückflug
Symbolfoto: Von Friends Stock/Shutterstock.com

Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Kläger auf die rechtlichen Risiken hinzuweisen, die daraus resultierten, dass die Reise nicht als Pauschalreise gebucht werden könne. Dabei handele es sich um eine nach § 5 RDG erlaubte Rechtsdienstleistung, die der Kläger aufgrund der möglichen wirtschaftlichen Folgen erwarten könne. Diese Risiken lägen im Fehlen einer Kündigungsmöglichkeit nach § 651 j BGB im Falle höherer Gewalt. Der Kläger hätte die Reise dann entweder als Pauschalreise oder überhaupt nicht gebucht.

Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, eine Verpflichtung zur Rechtsberatung über die Risiken einer Individualreise habe nicht bestanden. Im übrigen sei sie vom Zeitpunkt der Buchung an als Erfüllungsgehilfin der Streithelferin tätig gewesen, so dass allenfalls letztere wegen eines Beratungsverschuldens haften könne. Im übrigen habe sie bestritten, dass der Kläger bei entsprechender Information von der Buchung Abstand genommen hätte und dass für den hier maßgeblichen Zeitpunkt Flüge über die Streithelferin hätten gebucht werden können.

Die Beklagte beantragt, wie erkannt.

Die Streithelferin schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Die Beklagte hat keine Pflichten aus dem Reisevermittlungsvertrag mit dem Beklagten verletzt.

Eine Pflicht zur Buchung der Reiseleistungen als Pauschalreise bestand nicht. Denn die Beklagte hat unbestritten vorgetragen, dass die Buchung der Flüge zusammen mit der Kreuzfahrt im August 2008 noch gar nicht möglich war. Zudem sollten später auch noch weitere Teile der Reise gebucht werden. So ist es dann auch geschehen.

Ob der Kläger davon ausgegangen ist, dass es sich um eine Pauschalreise handele, kann offen bleiben. Selbst wenn das der Fall war, konnte die Beklagte mit einem solchen Verständnis nicht rechnen. Denn für einen objektiven Dritten in der Lage des Klägers musste sich aufdrängen, dass die sukzessive Buchung von Kreuzfahrt, Flügen und weiteren Leistungen wie Hotelübernachtungen und Mietwagen keine Pauschalreise darstellt.

Die Beklagte hat auch nicht ihre Beratungspflichten verletzt. Sie war nicht verpflichtet, den Kläger darauf hinzuweisen, dass er das Risiko der Anreise trug und im Falle eines Flugausfalles wegen höherer Gewalt den Vertrag über die Kreuzfahrt nicht kostenfrei würde kündigen können. Ein solcher Hinweis über den Anwendungsbereich des § 651 j BGB würde über die Beratungspflichten des Reisevermittlers hinausgehen.

Der Reisevermittler ist grundsätzlich zur Beratung bei der Auswahl einer den Wünschen und Möglichkeiten des Reisenden entsprechenden Pauschalreise oder geeigneter Einzelreiseleistungen verpflichtet und muss dabei ungefragt diejenigen Umstände offen legen, von denen die Kunden erfahrungsgemäß ihre Entscheidung abhängig machen oder – weitergehend – auf die es dem betreffenden Kunden aufgrund seiner speziellen persönlichen Situation erkennbar ankommt (BGH NJW 2006, 3137; BGH NJW 2006, 2321). Dazu gehören etwa Informationen über allgemeine Gefahrenlagen am Urlaubsort, über Risiken bei luftverkehrsrechtlich bedenklichen Billig-Flugtickets und über eine dem Reisevermittler bekannt gewordene drohende Insolvenz des Reiseveranstalters (Staudinger, 2011, § 651 a Rn. 65 f.; MüKo-Tonner, BGB, 5. Aufl. 2009, § 651 a Rn. 52).

Eine umfassende Auskunftspflicht hinsichtlich sämtlicher Einzelheiten folgt daraus aber nicht. So besteht für den Reisevermittler – anders als gem. § 5 Nr. 1 BGB-InfoV für den Reiseveranstalter – etwa keine Verpflichtung, ungefragt über Pass- und Visa-Erfordernisse Auskunft zu erteilen (BGH NJW 2006, 2321; MüKo a. a. O. Rn. 51). Das gleiche gilt für Auskünfte über die AGB der befördernden Fluggesellschaft (Staudinger a. a. O. Rn. 65). Ohne konkrete Nachfrage muss der Reisevermittler auch nicht die billigste Reisealternative nennen (Staudinger a. a. O. Rn. 66; MüKo a. a. O. Rn. 55). Auch eine Reiseabbruchversicherung – anders als eine Reiserücktrittsversicherung – muss das Reisebüro nicht ansprechen (BGH NJW 2006, 3137).

Im allgemeinen ist nicht zu erwarten, dass ein Kunde von der Buchung einer geplanten Reise Abstand nimmt, wenn er das Risiko der Anreise trägt. Er wird stattdessen genügend Zeit einplanen, um mögliche und durchaus vorkommende Verzögerungen bei der Anreise auszugleichen. Ebenso wenig wird er von der Buchung Abstand nehmen, wenn er den Vertrag nicht wegen höherer Gewalt kündigen kann. Höhere Gewalt liegt bei unerwartetem Eintreten außergewöhnlicher Umstände vor (MüKo-Tonner, § 651 j Rn. 1), tritt also eher selten ein. Daher würde es die Anforderungen an die Beratungspflichten des Reisevermittlers überspannen, wenn er bei Buchung einer Individualreise auf die von einer Pauschalreise abweichende Rechtsfolge für einen solchen Ausnahmefall hinweisen müsste. Dann müsste man konsequenterweise nämlich auch eine Aufklärung über andere rechtliche Unterschiede zwischen Individual- und Pauschalreise verlangen. Das wäre jedoch eine umfassende Rechtsberatung, die von Reisevermittlern nicht erwartet werden kann.

Hat die Beklagte ihre Hinweispflichten damit nicht verletzt, so ist sie nicht zur Rückzahlung der Anzahlung verpflichtet und kann die Erstattung der von ihr verauslagten Stornokosten verlangen.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 21. Juni 2010 (Anlage K 3, Bl. 8 d. A.) die Zahlung bis zum 5. Juli 2010 angemahnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 101 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Kammer hat die Revision zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO), weil die Reichweite der Hinweispflichten des Reisevermittlers höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärt ist.

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