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Verkehrsunfall – höhere fiktiver Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert

Schadensersatz nach Verkehrsunfall: Ein Streit um Reparaturkosten und Wiederbeschaffungswert

Der Fall, der vor dem Oberlandesgericht Saarland verhandelt wurde, dreht sich um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall. Der Kläger, der Fahrer eines Mercedes Benz C 250, kollidierte mit einem anderen Fahrzeug, das bei der Beklagten haftpflichtversichert war. Beide Parteien sind sich einig, dass die Beklagte voll haftet. Der Streitpunkt liegt in der Höhe der Schadensersatzansprüche. Der Kläger forderte auf Basis eines eigenen Gutachtens eine höhere Summe als die von der Beklagten berechnete. Er reparierte sein Auto selbst und verkaufte es innerhalb von sechs Monaten nach dem Unfall, was die Beklagte als Grund sah, die Schadensersatzansprüche zu mindern.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 U 110/21 >>>

Differenzen bei der Schadensbewertung

Verkehrsunfall - höhere fiktiver Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert
Verkehrsunfall und Schadensersatz: Ein Streit um Reparaturkosten und Wiederbeschaffungswert, der die Bedeutung der Nutzungsdauer eines Fahrzeugs nach dem Unfall hervorhebt. (Symbolfoto: Studio Peace /Shutterstock.com)

Der Kläger ließ ein Gutachten erstellen, das Reparaturkosten von etwa 15.763,52 € netto und eine Wertminderung von 1.200 € feststellte. Die Beklagte beauftragte ein eigenes Gutachten, das geringere Reparaturkosten von 13.102,37 € netto ermittelte. Der Kläger forderte daraufhin die höheren Reparaturkosten, eine Wertminderung und zusätzliche Gutachterkosten, insgesamt 18.843,14 €. Die Beklagte zahlte jedoch nur einen Teilbetrag von 4.072,12 € und argumentierte, dass der Kläger sein Auto nicht mindestens sechs Monate weiter genutzt habe, weshalb er nur den Wiederbeschaffungswert geltend machen könne.

Verkauf des Fahrzeugs als Streitpunkt

Der Kläger verkaufte sein repariertes Auto vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Unfall. Er begründete dies mit pandemiebedingten Einnahmeverlusten aus seinem Tabakwarengeschäft. Die Beklagte argumentierte, dass der Kläger deshalb nicht auf Reparaturkostenbasis, sondern nur auf Wiederbeschaffungsbasis abrechnen könne. Der Kläger hielt dagegen, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine starre 6-Monats-Frist vorsehe und sein Verkauf durch die Pandemie bedingt war.

Urteil des Landgerichts und Berufung

Das Landgericht Saarbrücken sprach dem Kläger nur einen Teil der geforderten Summe zu. Es argumentierte, dass der Kläger nicht auf Reparaturkostenbasis abrechnen könne, da er das Auto innerhalb von sechs Monaten verkauft habe. Der Kläger legte Berufung ein und argumentierte, dass das Urteil in sich widersprüchlich und rechtsfehlerhaft sei. Er kritisierte, dass das Landgericht die Darlegungs- und Beweislast verkannt habe und sein Nutzungswillen nicht ausreichend berücksichtigt wurde.

OLG Saarland: Klage abgewiesen

Das Oberlandesgericht Saarland wies die Erstberufung des Klägers zurück und änderte das Urteil des Landgerichts teilweise ab, indem es die Klage insgesamt abwies. Die Kosten des Rechtsstreits wurden dem Kläger auferlegt, und eine Revision wurde nicht zugelassen. Damit bestätigte das OLG im Wesentlichen die Sichtweise der Beklagten, dass der Kläger nur den Wiederbeschaffungswert geltend machen könne, da er das Fahrzeug nicht mindestens sechs Monate weiter genutzt habe.

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Das vorliegende Urteil

OLG Saarland – Az.: 4 U 110/21 – Urteil vom 15.09.2022

1. Die Erstberufung des Klägers gegen das am 21.07.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (15 O 61/20) wird zurückgewiesen.

2. Auf die Zweitberufung der Beklagten wird das am 21.07.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (15 O 61/20) teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

4. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 01.12.2019 vor dem Anwesen Sulzbachtalstraße 63 in Sulzbach ereignet hat. An dem Unfall beteiligt war der Kläger als Fahrer des Pkw Mercedes Benz C 250, amtliches Kennzeichen NK-xxx, sowie der frühere Beklagte zu 2 als Fahrer und Halter des Pkw, amtliches Kennzeichen SB-xxx, welches im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 1 (im Folgenden: Beklagte) haftpflichtversichert war. Die volle Einstandspflicht der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig.

Der Kläger holte ein Haftpflichtgutachten des Sachverständigenbüros W. vom 17.01.2020 (Anlagenband Kläger) ein. Nach dem zur Akte gereichten Gutachten beliefen sich die voraussichtlichen Reparaturkosten für das klägerische Fahrzeug auf 15.763,52 € netto. Der Sachverständige stellte zudem eine merkantile Wertminderung von 1.200 € fest. Die Gutachterkosten beliefen sich auf 1.859,61 €.

Die Beklagte gab nach Übersendung einer ersten Version des Gutachtens, welche noch höhere Reparaturkosten ausgewiesen hatte, ihrerseits ein Gutachten des Sachverständigenbüros E. vom 09.01.2020 (Anlage B1, Anlagenband Beklagte) in Auftrag. Hiernach beliefen sich die Reparaturkosten auf lediglich 13.102,37 € netto bei einem Restwert des Fahrzeugs von 18.810 € brutto.

Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 21.01.2020 auf, Reparaturkosten von 15.763,53 €, eine Wertminderung von 1.200 €, Gutachterkosten von 1.859,61 € und eine Auslagenpauschale von 20 €, insgesamt 18.843,14 €, zu regulieren. Er reparierte sein Fahrzeug in Eigenregie und verkaufte es anschließend noch vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Unfall.

Die Beklagte zahlte die Gutachterkosten unmittelbar an den Sachverständigen und leistete an den Kläger eine Zahlung von 4.072,12 € inkl. einer Kostenpauschale von 25 €. Gemäß ihrem Abrechnungsschreiben vom 05.02.2020 (Anlagenband Beklagte) legte sie der Regulierung einen Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs von 22.857,14 € zugrunde, von dem sie einen Restwert von 18.810 € in Abzug brachte.

Mit dem Klageantrag zu 1 hat der Kläger Zahlung eines weiteren Betrags von 12.801,53 €, der sich nach seiner Berechnung nach Abzug der geleisteten Zahlungen ergebe, begehrt. Mit dem Klageantrag zu 2 hat er vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.100,51 €, die er aus einem Gegenstandswert von 18.863,13 € berechnet hat, unter Abzug der gezahlten 571,44 € erstattet verlangt. Nachdem die Klageschrift dem Beklagten zu 2 nicht zugestellt werden konnte, nahm der Kläger die Klage gegen diesen am 09.12.2020 zurück (Blatt 28).

Der Kläger hat behauptet, er habe das Fahrzeug am 04.04.2020 selbst zusammen mit einem Bekannten nach Maßgabe des Gutachtens W. fachgerecht repariert und am 22.05.2020 (Blatt 33) bzw. am 20.05.2020 (Blatt 38) an einen Händler aus xxx für 15.200 € auf der Grundlage eines mündlich geschlossenen Kaufvertrags weiterveräußert.

Der Kläger hat gemeint, es sei auf Reparaturkostenbasis abzurechnen auf der Grundlage der von dem Sachverständigen W. festgestellten voraussichtlichen Reparaturkosten, weil die nach der Rechtsprechung des BGH maßgebliche Grenze von 130 % nicht überschritten sei. Er hat die insoweit von dem Gutachten W. abweichenden Berechnungen der E. einschließlich der darin enthaltenen Restwertangebote bestritten.

Der Kläger hat die Veräußerung des Fahrzeugs noch vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Unfall damit begründet, dass ihm pandemiebedingt die Einnahmemöglichkeit aus dem von ihm betriebenen Tabakwarengeschäft weggefallen sei. Er hat behauptet, anderenfalls hätte er das Fahrzeug repariert und selbst behalten, und gemeint, er habe sein für die Abrechnung auf Reparaturkostenbasis erforderliches Integritätsinteresse hinreichend zum Ausdruck gebracht.

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Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1. an den Kläger 12.801,53 € nebst 5 % Zinspunkte über Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 zu zahlen,

2. an den Kläger 529,07 € nebst 5 % Zinspunkte über Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat Einwände gegen die Schadensberechnung des Klägers erhoben. Sie haben gemeint, der Kläger könne nur, und zwar auf der Grundlage des Gutachtens der E., auf Wiederbeschaffungsbasis abrechnen, weil er – unstreitig – sein Fahrzeug nicht mindestens sechs Monate weiter genutzt habe. Es komme daher nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob die von dem Büro W. oder die von der E. ermittelten Reparaturkosten zutreffend seien.

Die Beklagte hat in Abrede gestellt, dass das Fahrzeug unter den vom Kläger behaupteten Umständen, insbesondere nach den Vorgaben des Gutachtens W., repariert worden sei.

Das Landgericht hat die Beklagte mit dem am 21.07.2021 verkündeten Urteil (Blatt 58) verurteilt, an den Kläger 1.200 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 157,79 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.2.2020, zu zahlen; die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des Urteils Bezug.

Der Kläger hat Berufung eingelegt, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge im Umfang der Klageabweisung weiterverfolgt. Er rügt, das Landgericht habe das Urteil gefällt, obwohl der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif gewesen sei. Die Entscheidungsgründe seien in sich widersprüchlich, weil eingangs festgestellt sei, dass die Klage „größtenteils begründet“ sei, in der Folge jedoch die Klage ganz überwiegend abgewiesen worden sei.

Rechtsfehlerhaft sei das Landgericht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht auf Reparaturkostenbasis abrechnen, sondern lediglich den Wiederbeschaffungsaufwand verlangen könne, weil er nach eigenen Angaben das Fahrzeug am 22.05.2020, mithin etwa fünfeinhalb Monate nach dem Unfallereignis vom 01.12.2019, in repariertem Zustand verkauft habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei jedoch nicht von einer starren 6-Monats-Frist auszugehen, sondern es müsse eine Gesamtwürdigung der Umstände erfolgen. Der Kläger habe ausreichend dargelegt, dass er nach coronabedingtem Einnahmeverlust gezwungen gewesen sei, durch die Veräußerung des Fahrzeugs den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu sichern. Das Landgericht habe insoweit die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Der Kläger habe seinen Nutzungswillen schon dadurch dokumentiert, dass er das Fahrzeug angemeldet gelassen habe und auf entsprechende Mittel aus der Coronahilfe habe hoffen dürfen, um diese entsprechend einsetzen zu können.

Das Urteil beruhe zudem auf einem Verstoß gegen § 139 ZPO, weil das Landgericht nicht darauf hingewiesen habe, dass es das Beweisangebot zum Nachweis der fach- und sachgerechten Reparatur auf der Grundlage des vorgelegten Gutachtens nicht für ausreichend erachte. Schließlich beruhe das Urteil ausweislich der Entscheidungsgründe auf Seite 8 des Urteils auf der durch nichts belegten Unterstellung, dass der Kläger das nicht verkehrssichere Fahrzeug nach dem Unfall gegebenenfalls benutzt habe, es dann ohne eigenen Nutzungswillen repariert und sodann schnellstmöglich verkauft habe.

Der Kläger beantragt mit seiner Erstberufung,

unter Abänderung des am 21.07.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken, Az. 15 O 61/20, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger

1. weitere 11.401,53 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 und

2. restliche vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 361,28 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Erstberufung des Klägers zurückzuweisen.

Mit ihrer Zweitberufung beantragt sie, das am 21.07.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken, Az. 15 O 61/20, teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Zweitberufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, soweit das Landgericht von einem Anspruch des Klägers auf Abrechnung nach Totalschadenbasis ausgegangen ist. Der Kläger begehre zu Unrecht die höheren fiktiven, zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert liegenden Reparaturkosten. Dem stehe die Veräußerung des Fahrzeugs vor Ablauf von sechs Monaten entgegen, wobei der Kläger das ausweislich seines eigenen Haftpflichtgutachtens nicht verkehrssichere Fahrzeug erst im April repariert habe, um es sodann im Mai zu einem angeblichen Kaufpreis von 15.200 € an einen Käufer, dessen Namen er nicht nennen könne, verkauft zu haben.

Die Beklagte weist darauf hin, dass der Kläger Reparaturnachweise in Form von Rechnungen oder Zahlungsnachweisen für Ersatzteile trotz Aufforderung nicht vorgelegt habe. Sie hält den Nachweis eines Integritätsinteresses nach dem widersprüchlichen Vortrag des Klägers für nicht geführt. Die zur Akte gereichten Lichtbilder, die nach dem bestrittenen Vortrag des Klägers den Zustand des Fahrzeugs nach Reparatur zeigen sollten, datierten nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf den 04.04.2020, während im nachfolgenden Schriftsatz eine Fertigstellung im Mai 2020 behauptet worden sei. Auf der Grundlage dieses Sachvortrags habe der Kläger den Nachweis einer verkehrssicheren Reparatur nicht erbracht, weshalb es auch keines weiteren Hinweises durch das Landgericht mehr bedurft hätte.

Mit ihrer Zweitberufung rügt die Beklagte, das Landgericht habe fehlerhaft einen Anspruch des Klägers auf Erstattung der merkantilen Wertminderung zuerkannt. Dieser falle jedoch im Totalschadenfall nicht an, sondern nur dann, wenn festgestellt sei, dass die Reparatur als solche fachgerecht durchgeführt worden sei und dann ein Minderwert auf den Verkaufserlös entstanden wäre. Eine solche fachgerechte Reparatur sei jedoch nicht festgestellt.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 09.12.2020 (Blatt 27-29) und 30.06.2021 (Blatt 54-56) sowie auf das Urteil des Landgerichts vom 21.07.2021 (Blatt 58-66) und die Sitzungsniederschrift des Senats vom 28.07.2022 (Blatt 144f.) Bezug genommen.

II.

Sowohl die Erstberufung des Klägers und die Zweitberufung der Beklagten zu 1 sind zulässig, nämlich nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

1.

Wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, verfolgt er im Rahmen seiner Erstberufung mit Blick auf die bereits in erster Instanz erfolgte Klagerücknahme gegenüber dem früheren Beklagten zu 2 seine erstinstanzlichen Klageanträge im Umfang der Klageabweisung nur noch gegenüber der Beklagten (frühere Beklagte zu 1) weiter.

2.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung seinerseits klargestellt, dass auch die Zweitberufung mit Blick auf die erstinstanzlich erfolgte Klagerücknahme gegen den Beklagten zu 2 nur für die Beklagte zu 1 eingelegt worden sei.

III.

Die Erstberufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Diesem stehen über die bereits vorgerichtlich von der Beklagten gezahlten Beträge keine weiteren Zahlungsansprüche aus dem streitgegenständlichen Unfall zu.

1.

Die Einstandspflicht der Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 VVG für die dem Kläger bei dem Verkehrsunfall vom 01.12.2019 entstandenen Schäden steht dem Grunde nach außer Streit.

2.

Dem Kläger steht aufgrund des streitgegenständlichen Unfallereignisses ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 4.072,14 € zu, den die Beklagte jedoch bereits vor Klageerhebung in vollem Umfang erfüllt hat, so dass die auf Leistung weiteren Schadensersatzes gerichtete Klage insgesamt der Abweisung unterliegt.

a.

§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB berechtigt den Geschädigten grundsätzlich, als Schadensersatz den zur Herstellung des früheren Zustandes erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Im Rahmen der ihm zustehenden Dispositionsfreiheit kann er Art und Mittel der Schadensbehebung grundsätzlich selbst bestimmen (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2003 – VI ZR 393/02, VersR 2003, 918; Urteil vom 09.06.2009 – VI ZR 110/08, NJW 2009, 3022; Senat, Urteil vom 14.09.2017 – 4 U 82/16, RuS 2018, 329; Beschluss vom 02.03.2021 – 4 U 65/20). Er kann also insbesondere wählen, ob er das Fahrzeug reparieren lässt oder veräußert und an Stelle des beschädigten Fahrzeugs ein Ersatzfahrzeug anschafft, und er ist in der Folge auch nicht an die einmal gewählte Art der Entschädigung gebunden (BGH, Urteil vom 17.10.2006 – VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263). Auf eine Entschädigung in Geld für den erlittenen Wertverlust muss sich der Geschädigte nur dann verweisen lassen, wenn und soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung nicht genügend ist (§ 251 Abs. 1 BGB) oder unverhältnismäßige Aufwendungen erfordert (§ 251 Abs. 2 Satz 1 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2005 – VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161).

Als „erforderlich“ im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist bei mehreren in Betracht kommenden Restitutionsmöglichkeiten grundsätzlich derjenige Geldbetrag anzusehen, der den geringeren finanziellen Aufwand bedeutet. Jedoch ist im Rahmen der diesbezüglichen Betrachtung dann, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt, zu berücksichtigen, dass er an dem ihm vertrauten Fahrzeug ein Integritätsinteresse hat, das durch die Reparatur des Fahrzeugs regelmäßig in stärkerem Maße befriedigt wird als durch eine Ersatzbeschaffung. Der Geschädigte kann daher die (höhere Kosten verursachende) Reparatur als Restitutionsform grundsätzlich selbst dann wählen, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert um bis zu 30 Prozent übersteigen; dann hat sein Integritätsinteresse Vorrang vor dem Wirtschaftlichkeitsgebot (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2005 – VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161; Senat, Urteil vom 14.09.2017 – 4 U 82/16, RuS 2018, 329). Vergleichsmaßstab dieser Berechnung sind die Bruttoreparaturkosten einschließlich der Mehrwertsteuer (BGH, Urteil vom 03.03.2009 – VI ZR 100/08, VersR 2009, 654). Der Geschädigte, der den Integritätszuschlag in Anspruch nehmen will, um eine Abrechnung auf Totalschadensbasis zu vermeiden, muss also sein Integritätsinteresse dartun. Dies gilt nicht nur für den Instandsetzungsaufwand, der den Wiederbeschaffungswert bis zu 30% übersteigt, sondern auch für denjenigen, der zwar unter dem Wiederbeschaffungswert, aber über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegt. Die Anforderungen an den Nachweis des Integritätsinteresses variieren, je nachdem, ob der Geschädigte konkret oder fiktiv abrechnet. Nach dem vom Bundesgerichtshof hierzu entwickelten 4-Stufen-Modell errechnet sich der ersatzfähige Betrag unter Berücksichtigung von Reparaturaufwand (Reparaturkosten zuzüglich Minderwert), Wiederbeschaffungswert und Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) wie folgt, wobei in der Regel jeweils der Bruttobetrag maßgeblich ist (BGH, Urteil vom 03.03.2009 – VI ZR 100/08 -, juris Rn. 11; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB (Stand: 19.07.2022) Rn. 119 ff.; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 249 Rn. 24; MüKoStVR/Almeroth, 1. Aufl. 2017, BGB § 249 Rn. 244 ff.; Lemcke/Buller/Figgener, NJW-Spezial 2019, 457, jew. m.w.N.):

(1)

Ist der Reparaturaufwand geringer als der Wiederbeschaffungsaufwand, kann der Geschädigte stets die (fiktiven oder konkreten) Reparaturkosten verlangen.

(2)

Liegt der Reparaturaufwand zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert, sind die Bruttoreparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes ohne Abzug des Restwertes zu ersetzen, wenn die Reparatur tatsächlich und fachgerecht ausgeführt wird. Dagegen setzt eine fiktive Abrechnung auf Netto-Reparaturkostenbasis voraus, dass der Geschädigte das Kfz sechs Monate weiterbenutzt, und es zu diesem Zweck – falls erforderlich – verkehrssicher (teil-)reparieren lässt, wobei die 6-Monats-Frist nicht starr anzuwenden ist (BGH Urteil vom 13.11.2007 – VI ZR 89/07 -, juris Rn. 9; Urteil vom 23.11.2010 – VI ZR 35/10 -, juris Rn. 7). In anderen Fällen ist der Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand begrenzt.

(3)

Liegt der Reparaturaufwand zwischen Wiederbeschaffungswert und weiteren 30 % (130%-Bereich, Integritätszuschlag), hat der Geschädigte einen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten nur in Form einer konkreten Schadensabrechnung der Reparaturkosten. Der Anspruch auf den Integritätszuschlag besteht nur, wenn die Reparatur fachgerecht und in dem Umfang durchgeführt wird, die Grundlage der Schätzung des Sachverständigen war. Ein Integritätszuschlag ist nicht anzuerkennen, wenn der Geschädigte den Schaden fiktiv berechnet oder das Kfz nicht sechs Monate weiterbenutzt.

(4)

Liegt der Reparaturaufwand oberhalb der 130%-Grenze, ist § 251 Abs. 2 BGB entsprechend anwendbar. Die Ersatzpflicht richtet sich dann nach dem Wiederbeschaffungswert (abzüglich Restwert) und nicht nach den höheren Reparaturkosten.

b.

Nach dieser Maßgabe kann der Kläger seinen Sachschaden nicht auf der Grundlage der sich aus dem von ihm eingeholten Haftpflichtgutachten ergebenden voraussichtlichen Reparaturkosten geltend machen, sondern er ist auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt:

(1)

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass sich der Wiederbeschaffungswert für das beschädigte Fahrzeug auf 27.200 € brutto belief.

(2)

Bezüglich des Restwertes ist das Landgericht zutreffend nicht von dem behaupteten konkreten Veräußerungserlös von 15.200 € ausgegangen, sondern von dem Betrag von 18.810 € brutto auf der Grundlage der im Rahmen des Gutachtens der E. (Anlagenband Beklagte) eingeholten Restwertangebote auf dem Portal AUTO-online. Ein verbindliches Kaufangebot in dieser Höhe wurde im Januar 2020 von der Firma Kfz-Handel „D.“ C. e.K. in xxx abgegeben, verbindlich bis zum 30.01.2020 und bei kostenfreier Abholung vom jetzigen Standort. Zwar darf der Geschädigte ausgehend von der subjektbezogenen Schadensbetrachtung und der damit verbundenen Rücksicht auf die individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten im Regelfall das verunfallte Kfz zu dem Restwert veräußern oder in Zahlung geben, den ein von ihm beauftragter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Ihn trifft deshalb grundsätzlich keine Verpflichtung, auf einen überregionalen Markt auszuweichen oder einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen (BGH, Urteil vom 25.06.2019 – VI ZR 358/18 -, juris Rn. 10). Vorliegend konnte jedoch nach den vom Kläger insoweit nicht angegriffenen Feststellungen im Gutachten der E. für das Fahrzeug kein regional realisierbarer Restwert im Umkreis von 100 km ermittelt werden. Der Kläger hat in erster Instanz auch nicht bestritten, die von der E. ermittelten Restwertangebote erhalten zu haben, sondern lediglich „rein vorsorglich die mitgeteilten Kaufangebote bestritten“ (Blatt 18). Das Landgericht hat dieses Bestreiten in der angefochtenen Entscheidung zutreffend für nicht ausreichend erachtet (Blatt 65). Dies hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung auch nicht mehr infrage gestellt.

(3)

Damit ist letztlich von einem Wiederbeschaffungsaufwand von 4.047,14 € (22.857,14 € abzgl. 18.810 €) auszugehen. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner näheren Aufklärung, ob die voraussichtlichen Reparaturkosten sich – wie der Kläger unter Bezugnahme auf sein vorgerichtlich eingeholtes Haftpflichtgutachten vorbringt – auf 15.763,52 € netto, oder – wie die Beklagten ihrerseits unter Bezugnahme auf das von ihnen eingeholte Gutachten des Sachverständigenbüros E. behaupten – auf lediglich 13.102,37 € netto belaufen. Denn in beiden Fällen liegen die voraussichtlichen Reparaturkosten in dem Bereich zwischen Wiederbeschaffungswert (22.857,14 €) und Wiederbeschaffungsaufwand (4.047,14 €). Somit liegt ein Fall vor, in dem eine fiktive Abrechnung auf Netto-Reparaturkostenbasis voraussetzt, dass der Geschädigte das – verkehrssichere – Fahrzeug mindestens sechs Monate (repariert oder unrepariert) weiterbenutzt (Stufe 2). Diese Voraussetzungen hat der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger jedoch nicht nachgewiesen:

(a)

Es fehlt bereits an einem Nachweis, dass sich das Fahrzeug während der Weiternutzung in einem verkehrssicheren Zustand befand. Ausweislich des vom Kläger eingeholten Sachverständigengutachtens W. befand sich dieses nach dem Unfall in einem fahrbereiten, jedoch nicht verkehrssicheren Zustand (Seite 3 des Gutachtens vom 17.01.2020, Anlagenband Kläger). Der Kläger hat in seiner informatorischen Anhörung vor dem Landgericht angegeben, das Auto sei fahrbereit gewesen (Blatt 55). Ob er es in diesem Zustand auch tatsächlich genutzt hat, ist nach seinem erstinstanzlichen Vorbringen offengeblieben. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil aus der fehlenden Verkehrssicherheit geschlossen, dass das Fahrzeug ab dem Unfall tatsächlich nicht genutzt worden sei. In der Berufungsbegründung wird nichts Gegenteiliges vorgebracht. Der Kläger weist lediglich darauf hin, er habe seinen Nutzungswillen schon dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er das Fahrzeug angemeldet gelassen habe und auf entsprechende Mittel aus der Coronahilfe gewartet habe. Das bloße Behalten des unfallbeschädigten, nicht verkehrssicheren Fahrzeugs genügt jedoch nicht, um das Integritätsinteresse des Geschädigten ausreichend zu dokumentieren.

(b)

Ungeachtet dessen ist im vorliegenden Fall die in der Rechtsprechung anerkannte 6-Monats-Frist nicht eingehalten worden. Der Unfall ereignete sich am 01.12.2019 und der Kläger veräußerte das Fahrzeug – insoweit unstreitig – spätestens am 22.05.2020, also – wenn auch kurz – vor Ablauf der am 01.06.2020 endenden Frist (im Schriftsatz vom 24.02.2021 heißt es dagegen, der Verkauf habe bereits am 20.05.2020 stattgefunden, Blatt 38).

Zwar weist der Kläger im Grundsatz zutreffend darauf hin, dass es sich hierbei um keine starre Frist handele, sondern dass bei der Beurteilung des Integritätsinteresses des Geschädigten stets die Umstände des Einzelfalles zu betrachten sind. Veräußert der Geschädigte das Fahrzeug jedoch vor Ablauf von sechs Monaten, muss er sein Integritätsinteresse durch andere Umstände dokumentieren. Dies ist dem Kläger im vorliegenden Fall nicht gelungen. Auf der Grundlage seines schriftsätzlichen Vortrags und seiner informatorischen Befragung vor dem Landgericht konnte lediglich festgestellt werden, dass der Kläger nach dem Unfall das beschädigte Fahrzeug angemeldet ließ, aber zunächst weder reparierte noch nutzte. Unstreitig ist sodann lediglich, dass der Kläger, der selbst Kfz-Mechaniker ist, nach mehreren Monaten (nach seinen Angaben im April 2020, also erst vier Monate nach dem Unfall) selbst reparierte. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist bereits der genaue Zeitpunkt der Reparatur offengeblieben, weil der Kläger insoweit widersprüchlich vorgetragen hat: In der am 08.04.2020 gefertigten Klageschrift hat er darauf hingewiesen, zum Zeitpunkt seines vorgerichtlichen Aufforderungsschreibens vom 21.01.2020 sei „die Reparatur noch nicht durchgeführt worden“ (Blatt 2). Zu einer etwaigen späteren Reparatur hat er keine Angaben gemacht. Demgegenüber hat er im Schriftsatz vom 11.01.2021 (wörtlich, vgl. Blatt 33) vorgetragen: „Das Fahrzeug wurde am 04.04.2020 von dem Kläger, der selbst Kfz-Mechaniker ist, zusammen mit dem Zeugen S.K. nach Maßgabe des vorliegenden Gutachtens des Sachverständigen W. fachgerecht repariert und am Mai 2020 repariert.“ Bei Durchführung der Reparatur am 04.04.2020 wäre indes zu erwarten gewesen, dass sich entsprechende Ausführungen schon in der zeitlich danach datierenden Klageschrift gefunden hätten. Auch bei seiner persönlichen Anhörung hat der Kläger keine dezidierten Angaben zum Zeitpunkt der Reparatur gemacht. Im Termin vom 09.12.2020 hat er auf Frage, ob das Fahrzeug repariert worden sei, erklärt, er habe Fotos vom 04.04.2020 dabei (Blatt 28 sowie Lichtbilder im Anlagenband Kläger). Bei seiner zweiten Anhörung im Termin vom 30.06.2021 hat er weiter angegeben, dass reparierte Fahrzeug sei im Mai dem Gutachter vorgestellt worden (Blatt 55). Er habe gedacht, es gäbe mehr Geld von der Versicherung, wenn ein Reparaturnachweis vorliege. Warum er dann aber einen solchen Nachweis nicht an den Versicherer geschickt habe, konnte der Kläger nicht beantworten. Er habe auch keine Rechnungen mehr über Ersatzteile (Blatt 56). Der Kläger hat ferner trotz der entsprechenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil auch im Berufungsverfahren keine Nachweise über den Erwerb von Ersatzteilen oder alternativ einen Reparaturnachweis eines Sachverständigen vorgelegt. Damit sind sowohl der Zeitpunkt der Reparatur als auch der genaue Umfang der Instandsetzungsarbeiten offengeblieben. Für seine Behauptung, die Reparatur sei nach Maßgabe des Haftpflichtgutachtens W. durchgeführt worden, ist der Kläger somit beweisfällig geblieben. Der Kläger hat überhaupt keine Angaben dazu gemacht, welche Ersatzteile in welchem Wert er für die Reparatur zunächst angeschafft und verwendet haben will. Es bestehen daher erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger das Fahrzeug überhaupt repariert hat. Deshalb würde es unter den Umständen des Streitfalles gegen das Bereicherungsverbot verstoßen, wenn der Kläger, hätte er – wenn überhaupt – wertmäßig in geringerem Umfang eine Teilreparatur durchführen lassen, (fiktiv) die Kosten einer – tatsächlich nicht durchgeführten – vollständigen und fachgerechten Reparatur abrechnen könnte. Es ist gerade nicht festgestellt, dass der Kläger im Streitfall wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der dem vom Sachverständigen in seinem Gutachten geschätzten Reparaturaufwand entspricht.

(c)

Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang auch nicht versäumt, weiteren Beweis über den Umfang der behaupteten Reparatur zu erheben: Auf den vorgelegten fünf Lichtbildern des Fahrzeuges ist nicht ersichtlich, wann diese angefertigt wurden; der Kläger hat hierzu auch keine konkreten Angaben gemacht. Soweit er Zeugenbeweis dafür angeboten hat, dass diese Lichtbilder (jedenfalls) nach der Reparatur und vor dem Verkauf des Fahrzeugs angefertigt worden seien, hat er damit nicht ordnungsgemäß unter Beweis gestellt, wann und in welchem Umfang die Reparatur durchgeführt wurde. Auch das weitere Beweisangebot, den Sachverständigen W. als Zeugen für eine gemäß den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur zu vernehmen, entbehrt eines hinreichend substanziierten Tatsachenvortrags. Der Kläger hat trotz Aufforderung keine näheren Angaben zu den weiteren Umständen der behaupteten Reparatur gemacht. Dass der Sachverständige bei der Reparatur zugegen gewesen wäre, behauptet der Kläger selbst nicht. Die behauptete bloße Inaugenscheinnahme des Fahrzeugs durch den Sachverständigen nach Durchführung der Reparatur ist nicht geeignet nachzuweisen, dass der Kläger das Fahrzeug tatsächlich in Eigenleistung nach Maßgabe des Gutachtens instandgesetzt hat.

(d)

Zweifel an dem klägerischen Vortrag sind auch deshalb angebracht, weil dieser das von ihm zuvor reparierte Fahrzeug im Mai 2020 zu einem Kaufpreis von 15.200 € verkauft haben will, obwohl sich der Restwert in unrepariertem Zustand auf 18.810 € belaufen und die Beklagte zu 1 dem Kläger im Januar 2020 ein verbindliches Angebot über diesen Preis zugeleitet hatte. Der Kläger hat zudem höchst widersprüchliche Angaben zu den Umständen des Verkaufs gemacht und konnte trotz Aufforderung weder den Namen des Käufers benennen noch einen schriftlichen Kaufvertrag vorlegen. Während er im Schriftsatz vom 11.01.2020 noch vortragen ließ, er habe das Fahrzeug an einen Händler aus xxx verkauft (Blatt 33), hat er im Termin vom 30.06.2021 angegeben, der Käufer habe ihm gesagt, er kaufe für seinen Bruder; er selbst wisse nicht, ob es ein Händler gewesen sei; er meine, der Käufer sei aus dem … Raum gekommen (Blatt 56). Die Tatsache, dass das Fahrzeug überhaupt veräußert wurde, hat der Kläger erstmals bei seiner Anhörung am 09.12.2020 erwähnt (Blatt 28), während er dies zuvor schriftsätzlich nicht vorgebracht hatte. Im Schriftsatz vom 11.01.2021 hat er dann vortragen lassen, das Fahrzeug sei am 22.05.2020 an einen Händler aus xxx verkauft worden (Blatt 33), im Schriftsatz vom 24.02.2021 wurde als Verkaufsdatum wiederum der 20.05.2020 genannt (Blatt 38).

(e)

Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen zugunsten des Klägers unterstellen wollte, dass er das Fahrzeug nach den Vorgaben des Haftpflichtgutachtens repariert hätte, liegen keine besonderen Umstände vor, die es rechtfertigen, sein Integritätsinteresse ausnahmsweise trotz Veräußerung des Fahrzeugs vor Ablauf der 6-Monats-Frist zu bejahen.

Zwar erscheint es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass der Kläger, wie von ihm vorgetragen, wegen des pandemiebedingten Lockdowns im Frühjahr (März) 2021 plötzlich keine Einnahmen mehr aus dem in N. betriebenen Gewerbebetrieb (Handel mit Tabakwaren ua) erzielen konnte und deshalb gezwungen war, das Fahrzeug zu verkaufen, um den Lebensunterhalt für seine Familie zu decken. Auf der Grundlage des Sachvortrags des Klägers lässt sich jedoch eine derartige Zwangslage nicht nachvollziehbar feststellen. Der Kläger hat behauptet, er habe noch bis März gearbeitet, dann sei das Geschäft zwei Monate geschlossen gewesen. Ohne diesen Einnahmeverlust hätte er das Auto nicht verkauft. Deshalb habe er das Fahrzeug im April 2021 nach Maßgabe des Sachverständigengutachtens in Eigenregie repariert und im Mai an einen Händler aus dem Raum … deutlich unterhalb des ihm im Januar zugeleiteten Restwertangebots für das Fahrzeug in unrepariertem Zustand verkauft. Das Landgericht hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass offengeblieben ist, wie der Kläger die notwendigen Reparaturkosten aufbringen konnte, insbesondere die dazu erforderlichen Ersatzteile anschaffen konnte. Wenn er, wie behauptet, die Reparatur nach Maßgabe des Haftpflichtgutachtens W. ausgeführt hätte, hätte er für Ersatzteile einen Betrag von 6.417,32 € netto bzw. 7.636,6 € brutto (ohne Lackierkosten) aufwenden müssen. Der Kläger hat angegeben, er habe von dem Geld, welches er von der Beklagten erhalten habe, Ersatzteile gekauft und sich auch Geld von Freunden geliehen (Blatt 55). Der von der Beklagte im Februar 2020 gezahlte Betrag von 4.072,14 € hätte indes alleine für die erforderlichen Ersatzteile nicht ausgereicht. Es ist auch offengeblieben, in welcher Höhe der Kläger sich weitere Beträge von Freunden geliehen haben will. Er konnte, wie bereits ausgeführt, weder Rechnungen noch sonstige schriftliche Nachweise vorlegen, die seine Behauptungen belegen könnten. Auch in seiner Berufungsbegründung versucht der Kläger nicht, die näheren Umstände darzulegen, sondern rügt lediglich, das Landgericht hätte auf der Grundlage des erstinstanzlichen Sachvortrags sein Integritätsinteresse bejahen müssen. Dieses Darlegungsdefizit geht zulasten des Klägers, der für die Höhe des von ihm geltend gemachten Sachschadens darlegungs- und beweisbelastet ist. Unter diesen Umständen hat er sein Interesse an einer fachgerechten Reparatur nicht nachgewiesen, sodass sein Schadensersatzanspruch im Ergebnis auf den Wiederbeschaffungsaufwand begrenzt ist.

3.

Damit steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Erstattung weiterer vorgerichtlicher Anwaltskosten zu, die die Beklagte zu 1 bereits unstreitig auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 5.931,73 € (4.072,12 € Sachschaden + Gutachterkosten von 1.859,61 €) in Höhe von 571,44 € reguliert hat. Der Höhe nach ist der Betrag nicht zu beanstanden. Die 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung beträgt laut Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG 460,20 €, so dass sich zuzüglich der Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen in Höhe von 20 € (Nr. 7002 Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) und gesetzlicher Umsatzsteuer (Nr. 7008 Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) ein Gesamtbetrag von 571,44 € ergibt.

IV.

Die Zweitberufung der Beklagten zu 1, mit der sie sich gegen die Zuerkennung eines merkantilen Minderwerts von 1.200 € durch das Landgericht wendet, hat dagegen Erfolg.

1.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich beim merkantilen Minderwert um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeuges allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht. Diese Wertdifferenz stellt einen unmittelbaren Sachschaden dar (BGH, Urteil vom 23. 11.2004 – VI ZR 357/03 -, BGHZ 161, 151-161, juris Rn. 16). Zwar kann der merkantile Minderwert nicht nur bei konkreter, sondern auch fiktiver Schadensabrechnung des Geschädigten erstattungsfähig sein. Bestandteil des „Reparaturaufwands“ ist neben den Instandsetzungskosten auch der Ausgleich von Wertminderungen, die nach der Reparatur verbleiben. Während ein technischer Minderwert nach ordnungsgemäß durchgeführter Reparatur praktisch ausgeschlossen werden kann, kommt dem „merkantilen Minderwert“ hohe praktische Bedeutung zu. Denn die fehlende Unfallfreiheit eines Fahrzeugs kann auf dem Markt mit einem nicht unerheblichen Preisabschlag verbunden sein, auch wenn das Fahrzeug vollständig und ordnungsgemäß wiederinstandgesetzt worden ist. Dem liegt zugrunde, dass auf dem Gebrauchtwagenmarkt Unfallfahrzeuge oft einen geringeren Preis erzielen als unfallfreie, weil verborgene technische Mängel nicht auszuschließen sind und das Risiko höherer Schadensanfälligkeit infolge nicht fachgerechter Reparatur trotz aller Fortschritte der Reparaturtechnik nach wie vor besteht, zumal die technische Entwicklung im Fahrzeugbau insoweit auch höhere Anforderungen stellt. Die dadurch entstehende Differenz zwischen dem erzielbaren Verkaufserlös vor dem Unfall und dem nach der Reparatur hat der Schädiger zusätzlich zum Herstellungsaufwand zu ersetzen, und dies unabhängig davon, ob der Geschädigte konkret oder fiktiv abrechnet (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB (Stand: 19.07.2022) Rn. 168 m.w.N.).

2.

Das Landgericht hat jedoch nicht beachtet, dass der Kläger vorliegend gerade keine Abrechnung auf Basis der voraussichtlichen Reparaturkosten („fiktiv“) vornehmen, sondern lediglich den Wiederbeschaffungsaufwand auf Totalschadensbasis ersetzt verlangen kann. Wie im Rahmen der Erstberufung bereits ausgeführt, kann im vorliegenden Fall gerade nicht festgestellt werden, ob und in welchem Umfang der Kläger eine Reparatur in Eigenregie durchgeführt hat, sodass dieser nicht den im Haftpflichtgutachten ausgewiesenen Minderwert von 1.200 € ersetzt verlangen kann.

3.

Damit stehen dem Kläger auch nicht die in Ziffer 2 des Tenors vom Landgericht zugesprochenen weiteren Anwaltskosten von 157,79 € zu. Der Gegenstandswert für die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren bestimmt sich, wie bereits im Rahmen der Erstberufung ausgeführt, nach den letztlich begründeten Ansprüchen des Klägers, also lediglich nach dem Wiederbeschaffungsaufwand und bereits vorgerichtlich regulierten Sachverständigenkosten ohne Berücksichtigung des zu Unrecht geltend gemachten merkantilen Minderwerts. Auch insoweit war das landgerichtliche Urteil zu korrigieren und die Klage somit insgesamt abzuweisen.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

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