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Verkehrsunfall im Baustellenbereich – Fahrzeug zu breit für die linke Überholspur

In einem kürzlich vor dem Landgericht Hagen verhandelten Fall (Az.: 4 O 101/20) ging es um Schadensersatzansprüche, die sich aus einem Verkehrsunfall ergaben. Der Unfall ereignete sich am 27.01.2020 gegen 09:40 Uhr auf der BAB 45 in einer Engstelle. Beteiligt waren ein Porsche Cayenne, gefahren vom Zeugen X2 und gehalten von der Klägerin, und ein LKW mit Hänger/Auflieger, gefahren vom Zeugen S und versichert durch die Beklagte. Der Unfallort war durch ein Verkehrszeichen gekennzeichnet, das Fahrzeugen mit einer Breite von über 2,10 m die Durchfahrt verbot. Trotzdem fuhr der Zeuge X2 mit dem Porsche, der eine Breite von 2,12 m hatte, auf dem linken Fahrstreifen und kollidierte mit dem LKW.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 O 101/20 >>>

Das Wichtigste in Kürze


Bei einem Verkehrsunfall in einem Baustellenbereich wurde festgestellt, dass beide beteiligten Fahrzeuge zu gleichen Teilen, also jeweils 50%, für den Unfall verantwortlich waren, wobei das Klägerfahrzeug die zulässige Breite für die linke Überholspur überschritt.

  • Verkehrsunfall ereignete sich am 27.01.2020 in einer Engstelle auf der BAB 45.
  • Beteiligt waren ein Porsche Cayenne (gefahren vom Zeugen X2 und gehalten von der Klägerin) und ein LKW (gefahren vom Zeugen S und versichert durch die Beklagte).
  • Der linke Fahrstreifen war für Fahrzeuge mit einer Breite von über 2,10 m verboten. Der Porsche hatte jedoch eine Breite von 2,12 m.
  • Die Klägerin machte Schadensersatzansprüche von insgesamt 5.598,08 € geltend.
  • Das Gericht führte eine Beweisaufnahme durch, inklusive Sachverständigengutachten.
  • Das Gutachten bestätigte, dass der Porsche eine Breite von 2,194 m hatte, was die zulässige Breite überschritt.
  • Beide Parteien wurden als zu gleichen Teilen verantwortlich für den Unfall betrachtet.
  • Die Klägerin erhielt einen Schadensersatz von 2.799,04 €.

Schadensersatzforderungen und Ablehnung

Baustelle Unfall wegen Überbreite
(Symbolfoto: F Armstrong Photography /Shutterstock.com)

Die Klägerin machte Schadensersatzansprüche in Höhe von insgesamt 5.598,08 € geltend, die sich aus verschiedenen Posten zusammensetzten, darunter Reparaturkosten, Wertminderung und Sachverständigenkosten. Trotz mehrfacher Aufforderung zur Zahlung lehnte die Beklagte die Ansprüche ab, woraufhin die Klägerin Klage erhob.

Rechtliche Auseinandersetzung und Beweisaufnahme

Das rechtliche Problem lag in der Frage, wer für den Unfall verantwortlich war und in welchem Maße. Die Klägerin argumentierte, dass der LKW 15-20 cm auf den linken Fahrstreifen geraten sei, während die Beklagte behauptete, dass der LKW nur knapp an die Mittellinie herangekommen sei und der Porsche-Fahrer den linken Fahrstreifen nicht hätte befahren dürfen.

Das Gericht führte eine Beweisaufnahme durch, in der sowohl die Klägerin als auch die beiden Zeugen angehört wurden. Zudem wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt. Das Gutachten bestätigte, dass der Porsche eine Breite von 2,194 m hatte und somit die zulässige Breite überschritt. Dies hatte Auswirkungen auf den Unfall, da ein schmäleres Fahrzeug weniger oder gar nicht beschädigt worden wäre.

Gerichtsurteil und Haftungsabwägung

Das Gericht entschied, dass beide Parteien zu gleichen Teilen, also jeweils 50 %, für den Unfall verantwortlich waren. Die Klägerin erhielt daher nur einen Teil des geforderten Schadensersatzes, nämlich 2.799,04 € sowie Anwaltskosten in Höhe von 323,30 €.

Die Entscheidung basierte auf einer Abwägung der Verursachungsbeiträge beider Parteien. Während der Porsche-Fahrer gegen die Durchfahrtsbeschränkung verstoßen hatte, konnte er grundsätzlich darauf vertrauen, dass der LKW-Fahrer sich an die Fahrbahnmarkierungen hält.

Schlussfolgerung und Bedeutung des Urteils

Abschließend lässt sich feststellen, dass in solchen Fällen eine genaue Untersuchung der Umstände und eine sorgfältige Abwägung der Verantwortlichkeiten erforderlich sind. Das Urteil zeigt, dass nicht immer nur eine Partei für einen Unfall verantwortlich ist und dass die genauen Umstände und Beweise entscheidend sind. Es unterstreicht auch die Bedeutung von Sachverständigengutachten bei der Klärung solcher Fragen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


  • Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG: Die Haftungsabwägung ist ein rechtlicher Prozess, der in § 17 Abs. 1 und 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) festgelegt ist. Bei Verkehrsunfällen bewertet das Gericht die Verursachungsbeiträge der beteiligten Parteien, um zu bestimmen, in welchem Ausmaß jede Partei für den entstandenen Schaden verantwortlich ist. Dieser Prozess kann zur Festlegung der Haftungsquoten führen. In einigen Fällen kann das Gericht entscheiden, dass beide Parteien zu gleichen Teilen haften, abhängig von den spezifischen Umständen des Unfalls.
  • Unabwendbarkeit gemäß § 17 Abs. 3 StVG: Dieser Begriff bezieht sich auf einen spezifischen Abschnitt des Straßenverkehrsgesetzes, § 17 Abs. 3. Dieser Abschnitt regelt die Fälle, in denen ein Unfall als unvermeidbar angesehen wird. Wenn ein Unfall als unvermeidbar eingestuft wird, führt dies in der Regel nicht zu einer Haftung für den Schaden. In dem spezifischen Fall, auf den Sie sich beziehen, haben keine der Parteien behauptet, dass der Unfall unvermeidbar war.
  • Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO: Dieser Begriff bezieht sich auf einen möglichen Verstoß gegen § 5 Absatz 4 Satz 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO). Diese spezifische Regelung begrenzt die zulässige Seitenbreite von Fahrzeugen. In dem spezifischen Fall, auf den Sie sich beziehen, wurde festgestellt, dass der Fahrer des Klägerfahrzeugs nicht wegen eines Verstoßes gegen diese Vorschrift haftbar gemacht werden kann. Es wurde festgestellt, dass diese Regelung keine direkten oder indirekten Auswirkungen auf ein Überholverbot hat.

§ Relevante Rechtsbereiche für dieses Urteil:


  • Verkehrsrecht: In diesem Fall geht es um einen Verkehrsunfall und die daraus resultierenden Schadensersatzansprüche. Das Verkehrsrecht regelt die Rechte und Pflichten der Verkehrsteilnehmer und die Haftung bei Unfällen.
  • Schadensersatzrecht (§ 249 BGB): Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche geltend. Das Schadensersatzrecht regelt, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Schadensersatz zu leisten ist.
  • Straßenverkehrsgesetz (StVG, insbesondere § 7 und § 17): Es werden spezifische Paragraphen des StVG zitiert, die die Haftung bei Verkehrsunfällen und die Abwägung der Verursachungsbeiträge regeln.
  • Zivilprozessordnung (ZPO, insbesondere § 286): Es geht um die Beweisführung im Rechtsstreit und die Feststellung von Tatsachen durch das Gericht. Der § 286 ZPO regelt die freie Beweiswürdigung durch das Gericht.

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Das vorliegende Urteil

Landgericht Hagen – Az.: 4 O 101/20 – Urteil vom 22.03.2022

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin aber nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Im Übrigen wird der Klägerin nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckbaren Betrages leistet.

In dem Rechtsstreit hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Hagen auf die mündliche Verhandlung vom 22.03.2022 für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.799,04 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.03.2020 sowie weitere 323,30 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.03.2020 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin aber nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Im Übrigen wird der Klägerin nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckbaren Betrages leistet.

Tatbestand

Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 27.01.2020 gegen 09:40 Uhr in einer Engstelle auf der BAB 45 geltend.

Der Klägerin ist Halterin des am Unfalltag vom Zeugen X2 gefahrenen PKW, Porsche Cayenne mit dem amtlichen Kennzeichen X-X-. Die Beklagte ist Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten LKW, Hänger/Auflieger mit dem amtlichen Kennzeichen X-X, das vom Zeugen S gefahren wurde.

Im Bereich des Kilometers 38,000 (Gemeinde I) fuhr der Zeuge X2 in einem Baustellen-/Engstellenbereich auf dem linken Fahrstreifen, auf dem durch Zeichen 264 nach Anlage 2 zu § 41 StVO ein Verbot für Fahrzeuge mit einer Fahrzeugbreite von über 2,10 m bestand. Der Zeuge selbst ging dabei von einer Fahrzeugbreite des Klägerfahrzeuges von 2,12 m aus. Rechts neben ihm fuhr der Zeuge S mit dem LKW nebst Hänger/Auflieger.

Zwischen den Fahrzeugen kam es dann zur Kollision zwischen der rechten Seite des Klägerfahrzeuges und der linken Seite des LKW.

Die Klägerin macht folgende, unstreitige Schäden geltend:

  • Netto-Reparaturkosten 4.020,58 €
  • Wertminderung 800,00 €
  • Netto-Sachverständigenkosten 752,50 €
  • Kostenpauschale 25,00 €

5.598,08 €

Die Klägerin forderte die Beklagte zu 1) mit anwaltlichem Schreiben vom 31.01.2020 unter Fristsetzung zum 13.02.2020 zur Zahlung der Kostenpauschale auf. Ferner verlangte sie mit Schreiben vom 06.02.2020 unter Fristsetzung zum 20.02.2020 Ersatz gutachterlich ermittelter Reparaturkosten in Höhe von 3.805,76 €, der Wertminderung und der angefallenen Sachverständigenkosten. Mit Schreiben vom 18.02.2020 verlangte sie unter Fristsetzung zum 28.02.2020 Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 509,70 €. Mit Schreiben vom 10.03.2020 verlangte sie nach durchgeführter Reparatur weitere 214,82 € an tatsächlich angefallenen Reparaturkosten unter Fristsetzung zum 23.03.2020.

Mit Schreiben vom 27.03.2020 lehnte die Beklagte die Ansprüche ab.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin die genannten Schäden  ersetzt sowie ferner die Erstattung von Anwaltskosten aus einem Gegenstandswert von 5.571,08 €.

Die Klage wurde der Beklagten am 28.04.2020 zugestellt.

Die Klägerin behauptet, sie sei Eigentümerin des Fahrzeuges. Der unfallgegnerische LKW sei 15-20 cm auf den linken Fahrstreifen geraten.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.598,08 € nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 25,00 € seit dem 14.02.2020, aus weiteren 5.358,26 € seit dem 21.02.2020 und aus weiteren 214,82 € seit dem 24.03.2020, sowie Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 522,20 € nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 509,70 € seit dem 29.02.2020 sowie aus weiteren 12,50 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der bei ihr versicherte LKW sei nur knapp an die Mittellinie herangekommen, nicht über sie hinweg gefahren. Der Zeuge X2 habe die linke Spur mit der – unstreitig über 2,10 Meter übersteigenden – Fahrzeugbreite seines Fahrzeuges nicht befahren und mangels ausreichenden Abstandes den LKW auch nicht überholen dürfen. Ferner bestreitet die Beklagte die Aktivlegitimation der Klägerin und stellt Leasing in den Raum. Verzug sei nicht innerhalb der gesetzten Frist eingetreten, weil die Regulierungsfrist vier bis sechs Wochen dauere.

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Das Gericht hat die Klägerin persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen X2 und S sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) T. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 22.09.2021 (Bl. 197 ff. der Akte) und auf die Sitzungsniederschriften vom 16.03.2021 (Bl. 108 ff. der Akte) und vom 22.03.2022 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet; im Übrigen ist sie unbegründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch aus § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG i.V.m. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG in Höhe von 2.799,04 € sowie auf Erstattung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 323,30 € zu.

In diesem Umfang haftet der Halter des unfallgegnerischen und bei der Beklagten haftpflichtversicherten LKW.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Fahrzeuges und als solche aktivlegitimiert. Dies hat die Beklagte zuletzt nicht mehr – jedenfalls nicht substantiiert – bestritten. Nachdem die Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung angegeben hatte, sie habe das Fahrzeug gekauft, und sie hierzu im Termin vom 16.03.2021 die auf die Firma „I2 für Analytik, Auf´m L 9“ lautende Auftragsbestätigung des Porschezentrums E (Bl. 116 ff. der Akte) vorgelegt hatte, hatte die Beklagte zwar noch zunächst bestritten, dass die Klägerin Inhaberin dieser Firma ist (Bl. 114 der Akte). Nachdem die Klägerin sodann aber eine Bestätigung ihres Steuerberaters hierüber vorgelegt hat (Bl. 155 der Akte), wurde dies vom Beklagten allerdings nicht weiter bestritten, so dass die Firmeninhaberschaft und letztlich auch die Eigentümerstellung der Klägerin als zugestanden gilt. Ungeachtet dessen bestehen auch aufgrund der erwähnten – als solche ohnehin unstreitigen – Belege und in der Zusammenschau mit der vorgelegten Gewerbeanmeldung (Bl. 105 der Akte) unter der Wohnanschrift der Klägerin auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Klägerin Inhaberin der Firma I2 für Analytik ist, welche das Fahrzeug gekauft und in der weiteren Folge zu Eigentum erworben hat. Für das von der Beklagten in den Raum gestellte Leasing findet sich kein Anhaltspunkt.

Der Unfall ereignete sich auch bei dem Betrieb des unfallgegnerischen LKW, § 7 Abs. 1 StVG, und es lag kein Fall der höheren Gewalt vor. Auch hat keine der Parteien behauptet, dass Unabwendbarkeit gem. § 17 Abs. 3 StVG vorgelegen hat. Dass der Unfall nicht unabwendbar war, folgt zudem aus festgestellten Sorgfaltspflichtverletzungen (s.u.).

Nach der mithin gem. §§ 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 3 StVG vorzunehmenden Haftungsabwägung haften der Halter des unfallgegnerischen LKW und die Klägerin als Halterin des klägerischen Fahrzeuges mit einem Haftungsanteil von jeweils 50 %.

Nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG hängen die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (st Rspr. vgl. nur BGH, NJW 2012, 1953).

Auf Seiten des Klägerfahrzeuges ist dem Zeugen X2 als Fahrer des Fahrzeuges eine Missachtung der Beschränkung der Durchfahrtsbreite nach § 41 Abs. 2 i.V.m. Zeichen 264 StVO anzulasten, welche sich auf den Unfall ausgewirkt hat.

Insoweit hat das eingeholte Sachverständigengutachten ergeben, dass Klägerfahrzeug nicht nur – wie der Zeuge annahm – geringfügig, nämlich 2 cm breiter als die zugelassene Fahrzeugbreite von 2,10 m war, sondern dass das Fahrzeug eine Breite von 2,194 m aufwies (S. 14 des Gutachtens und Anlage 6, Bl. 210, 239 der Akte). Unter der – aus Sicht des Sachverständigen sehr wahrscheinlichen und zur Überzeugung des Gerichts zugrunde zulegenden – Annahme, dass ein Fahrzeug mit geringerer Breite einschließlich Außenspiegeln (2,10 m statt 2,194 m) auch eine geringere Karosseriebreite aufgewiesen hätte, wären nach den Ausführungen des Sachverständigen im Falle eines lediglich 2,10 m breiten Klägerfahrzeuges Beschädigungen am Klägerfahrzeug in geringerem Umfang entstanden, möglicherweise sogar entlang der Karosseriefläche gänzlich ausgeblieben, woraus folgt, dass sich der Verstoß gegen die an der Unfallstelle vorgegebene Durchfahrtsbreite von maximal 2,10 m auch auf den Unfall ausgewirkt hat. Das Gericht schließt sich den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, an dessen Sachkunde keine Zweifel bestehen, an. Das Gutachten ist überzeugend. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen sind nachvollziehbar und schlüssig. Insbesondere hat der Gutachter die zutreffenden Tatsachen zugrunde gelegt und die daraus gezogenen Schlussfolgerungerungen logisch und widerspruchsfrei dargestellt. Gegen die diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen haben auch die Parteien innerhalb gesetzter Frist keine Einwände erhoben.

Mithin steht ein der Klägerin als Halterin zurechenbarer Sorgfaltspflichtverstoß des Fahrers ihres Fahrzeuges fest, wobei dieser hinsichtlich der Überschreitung der zugelassenen Breite als solcher vorsätzlich war, weil der Zeuge davon ausging, dass das Fahrzeug eine Breite von 2,12 m habe, aber eine Durchfahrt auf 2,10 m begrenzt war. Mithin ging er davon aus, dass das Fahrzeug 2 cm – also etwas weniger als 1 % des Erlaubten – zu breit war. Allerdings erstreckt sich der Vorsatz insoweit nicht auf die Überschreitung der zulässigen Breite um 9,4 cm. Insoweit kann dem Zeugen lediglich Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, wobei auch grobe Fahrlässigkeit nicht festzustellen ist, selbst wenn berücksichtigt wird, dass der LKW vor der Kollision sich erkennbar nach links bewegte. Denn grundsätzlich konnte der Zeuge X2 darauf vertrauen, dass sich der Zeuge S an die für ihn vorgegebenen Fahrbahnmarkierungen hält, wenn sich ein Fahrzeug neben ihm befindet.

Ein darüber hinausgehender Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO ist dem Fahrer des Klägerfahrzeuges nicht anzulasten. Die Begrenzung der Seitenbreite auf 2,10 Meter begründet weder direkt, noch indirekt ein Überholverbot. Im Gegenteil soll sie gerade ermöglichen, dass zwei Fahrzeuge – auch mit geringfügig unterschiedlicher Geschwindigkeit – nebeneinander fahren können. Dabei mag die Überschreitung der zulässigen Fahrzeugbreite auch zu einer Unterschreitung des nach § 5 Abs. 4 S. 2 StVO vorgegebenen ausreichenden Seitenabstandes führen. Ein eigenständiger – doppelt zu gewichtender – Sorgfaltsverstoß ist darin allerdings nicht zu sehen.

Auf Seiten des Beklagtenfahrzeuges ist dem Zeugen S als Fahrer ein Verstoß gegen §§ 1, 7 anzulasten, der sich auch auf den Unfall ausgewirkt hat. Insoweit steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass dieser mit dem LKW über die Begrenzung des – 15 cm breiten – Fahrstreifens hinaus gefahren und in den linken Fahrstreifen mit etwa 10 cm Breite seines LKW eingefahren ist (S. 12 bis 19 des Gutachtens, Bl. 208 ff. der Akte), wobei für seinen LKW rechts von ihm noch 70 cm – mithin auskömmlich – Raum zur rechten Fahrstreifenbegrenzung vorhanden war (S. 18 und Anlage 5 des Gutachtens, Bl. 214, 238 der Akte). Auch insoweit schließt sich das Gericht den aus seiner Sicht überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an, gegen welche die Parteien keine Einwände erhoben haben. Soweit der Zeuge X2 demgegenüber von einem Einfahren in seinen Fahrstreifen von 30-50 cm berichtet hat, hat sich diese ohnehin nicht plausible Darstellung durch das Gutachten nicht bestätigt und gibt es auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung des Zeugen zutreffend sein könnte, weshalb das Gericht der Aussage nicht zu folgen vermag.

Mithin liegt auf Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens ein Sorgfaltspflichtverstoß des Zeugen S vor, welcher sich auch auf den Unfall ausgewirkt hat. Letzteres folgt schon daraus, dass der Sachverständige ausgeführt hat, dass von einem geringeren Schaden – möglicherweise ohne Karosserieschaden – auszugehen sei, wenn das Fahrzeug der Klägerin lediglich 2,10 cm breit gewesen, also 9 cm schmaler gewesen wäre. Diese Erwägung gilt – erst recht – entsprechend, wenn der Zeuge S sich nicht 10 cm in die linke Fahrspur begeben hätte. Der Sorgfaltspflichtverstoß des Zeugen S2 geschah dabei zwar nicht vorsätzlich, aber doch in erheblicher Weise fahrlässig. Denn der Zeuge S2 hatte nach rechts noch 70 cm Platz und wusste nach seinen eigenen Angaben als Zeuge, dass sich neben ihm Fahrzeug befanden. Er hätte daher in besonderer Weise darauf achten müssen, die Mittelinie der Fahrstreifen nicht zu überfahren und sich – wie ihm ohne Weiteres räumlich möglich gewesen wäre – mehr rechts zu halten. Sofern er bei der von ihm gefahrenen – indes nicht feststellbaren – Geschwindigkeit den LKW nicht in seiner Spur halten konnte, hätte es ihm oblegen, seine Geschwindigkeit den Verhältnissen anzupassen und so weit zu reduzieren, dass er die Engstelle ohne eigene Sorgfaltspflichtverletzungen passieren kann.

Unter Berücksichtigung der wechselseitigen Pflichtverletzungen und Verursachungsbeiträge erscheint es dem Gericht – ausgehend von einer für beide unfallbeteiligte Fahrzeuge an sich gleichen Betriebsgefahr, weil sich eine ggf. höhere Betriebsgefahr des LKW nicht ausgewirkt hat  – angemessen, von einer Haftungsquote beider Unfallbeteiligter von 50 % auszugehen.

Eine anteilig höhere Haftung des bei der Beklagten versicherten LKW, etwa von 60 %, wie das Amtsgericht Brandenburg eine solche in einem ähnlichen Fall in seinem Urteil vom 13.1.2017 – 31 C 71/16 = DAR 2017, 322 angenommen hat (s.a. Grüneberg Haftungsquoten, A. Unfälle zwischen Kfz und Kfz Rn. 179, beck-online), erschien demgegenüber für den vorliegenden Fall nicht angemessen. Denn die zulässige Fahrzeugbreite wurde im vorliegenden Fall  deutlich mehr überschritten und der Fahrer des Klägerfahrzeuges hatte von der Überschreitung der zulässigen Fahrzeugbreite als solcher, wenn auch nur in der Annahme von 2 cm Überschreitung, Kenntnis. Dies steht erst Recht der Annahme entgegen, einen Haftungsanteil des Beklagtenfahrzeuges von mehr als 60 % anzunehmen.

Auf der anderen Seite erscheint aber auch ein über 50 % liegender Haftungsanteil des Klägerfahrzeuges nicht angemessen. Denn auch dem Fahrer des Beklagtenfahrzeuges ist aus den genannten Gründen ein erheblicher Sorgfaltspflichtverstoß und nicht nur leichteste Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.

Mithin erscheint eine gleiche Haftungsquote von jeweils 50 % angemessen.

Auf dieser Grundlage ergibt sich der Höhe nach – ausgehend von einem unstreitigen Schaden von 5.598,08 € und einer hälftigen Haftung – ein Anspruch in Höhe von 2.799,04 €.

Die Klägerin kann zudem aus einem Gegenstandswert der berechtigten Forderung von 2.799,04 € auch die ihr angefallenen vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr, mithin 261,30 €, zzgl. Post- und Telekommunikationspauschale von 20,00 €, in der Summe 281,30 € netto erstattet verlangen, wobei auch die von ihrem Anwalt abgerechneten Auslagen in Höhe von 27,00 € und 15,00 €, mithin 42,00 €, unstreitig angefallen sind und hinzukommen. Mithin ergeben sich zu ersetzende vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 323,30 €.

Der Klägerin steht im tenoriertem Umfang auch ein Anspruch auf Zinsen gem. §§ 286 Abs. 1, 288 BGB ab dem Folgetag des 27.03.2020, mithin ab dem 28.03.2020 zu. Insoweit wurde die Zahlung der geltend gemachten Schäden zwar durch die anwaltlichen Schreiben der Klägerin gemahnt. Jedoch tritt Verzug erst mit Ablauf einer der Beklagten als Versicherung zuzubilligenden Regulierungsfrist ein (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Wimber, 27. Aufl. 2022, BGB § 249 Rn. 441b-442), welche hier erst mit der tatsächlich erfolgten Ablehnung der Ansprüche am 27.03.2020 ablief. Die Prüffrist beginnt dabei mit Zugang eines spezifizieren Anspruchsschreibens (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Wimber, 27. Aufl. 2022, BGB § 249 Rn. 447) und beträgt in Fällen durchschnittlicher Art ein Zeitraum zwischen vier und sechs Wochen, wobei die Prüfungs- und Bearbeitungsfrist nicht dadurch abgekürzt werden, dass die verschiedenen Schadenspositionen sukzessive geltend gemacht oder möglichst frühzeitig Vorschusszahlungen eingefordert werden. Wird im Laufe der Prüfungsfrist die Basis der Berechnung der Ausgleichsforderung (zB von Gutachten auf Reparaturrechnung) gewechselt, kann die Versicherung weitere Prüfungszeit in Anspruch nehmen.

So liegt der Fall hier. Denn die Klägerin hat hier durch eine Stafette von Anspruchsschreiben einzelne Schadenspositionen geltend gemacht und damit die Arbeitsabläufe der Beklagten selbst beeinträchtigt. Zudem hat sie erst mit Schreiben vom 10.03.2020 von einer fiktiven Abrechnung der Reparaturkosten auf eine Abrechnung tatsächlich – höher – angefallener Kosten gewechselt, so dass die Regulierungsfrist für die Beklagte nicht kürzer lief, als ihre abschließende Antwort am 27.03.2020 erfolgte. Mithin trat Verzug erst zum 28.03.2020 ein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht für die Klägerin auf 709 S. 1 und S. 2 ZPO und für die Beklagte auf § 708 Nr. 11, 2. Fall, 711 ZPO.

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