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Haftung für Umfallen eines auf dem Gehweg abgestellten E-Scooters

Haftung für E-Scooter-Unfälle auf Gehwegen: Rechtliche Bewertung und Ansprüche

In Berlin-Mitte hat das Amtsgericht ein Urteil gefällt, das für alle Besitzer und Nutzer von E-Scootern von Bedeutung sein könnte. Im Mittelpunkt des Falles stand ein E-Scooter, der auf einem Gehweg abgestellt wurde und später umfiel, wodurch ein parkendes Auto beschädigt wurde. Der Autobesitzer forderte Schadensersatz, wobei er sich auf die Haftungsvorschriften des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) berief.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 151 C 60/22 V  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Gericht hat entschieden, dass im Falle des Umfallens eines E-Scooters nicht automatisch von einem unsachgemäßen Abstellen oder einem sonstigen Verschulden des Abstellenden ausgegangen werden kann.

  • Ein E-Scooter, der umfiel, verursachte Schäden an einem parkenden Auto.
  • Der Kläger forderte Schadensersatz und berief sich auf das Straßenverkehrsgesetz (StVG).
  • Das Gericht entschied, dass das StVG nicht auf E-Scooter anwendbar ist.
  • Elektrokleinstfahrzeuge (E-Scooter) mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 20 km/h fallen nicht unter das StVG.
  • Es gibt keinen Beweis des ersten Anscheins, dass ein umgefallener E-Scooter unsachgemäß abgestellt wurde.
  • Andere Faktoren, wie das absichtliche Umstoßen durch Dritte oder Wettereinflüsse, könnten ebenfalls Gründe für das Umfallen sein.
  • Das Abstellen eines E-Scooters auf dem Gehweg ist nicht pflichtwidrig.
  • Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz oder Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der Vorfall: E-Scooter trifft Auto

Am 21. Oktober 2021 stellte die Beklagte ihren E-Scooter auf dem Gehweg der Emser Straße in Berlin-Wilmersdorf ab. Einige Stunden später kollidierte der umgefallene E-Scooter mit dem Auto des Klägers, was zu Schäden führte. Der Kläger argumentierte, dass die Beklagte den E-Scooter unsachgemäß abgestellt habe und daher haftbar sei. Er berief sich dabei auf die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung und die Haftung für vermutetes Verschulden nach dem StVG.

Gerichtliche Entscheidung: Haftungsvorschriften nicht anwendbar

Umgefallener e Scooter HAftung
(Symbolfoto: Vlad Kazhan /Shutterstock.com)

Das Gericht entschied jedoch, dass diese Haftungsvorschriften nicht auf E-Scooter anwendbar sind. Es stellte fest, dass E-Scooter, die gemäß der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) zugelassen sind, nicht unter die Regelungen des StVG fallen, da sie eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h nicht überschreiten. Das Gericht wies auch den Ansatz des Klägers zurück, dass der Gesetzgeber die Anwendung dieser Vorschriften auf E-Scooter versehentlich übersehen habe.

Beweisführung und mögliche Ursachen

Zudem konnte der Kläger nicht nachweisen, dass die Beklagte den E-Scooter unsachgemäß abgestellt hatte. Die Zeugenaussagen und die informatorische Anhörung der Beklagten ergaben keine klaren Beweise für ein Verschulden. Das Gericht betonte auch, dass das bloße Umfallen eines E-Scooters nicht zwangsläufig auf ein unsachgemäßes Abstellen hindeutet. Andere Faktoren, wie das absichtliche Umstoßen durch Dritte oder Wettereinflüsse, könnten ebenso die Ursache sein.

Auswirkungen des Urteils auf die E-Scooter-Nutzung

Das Urteil hat weitreichende Auswirkungen, da es klärt, wie die Haftungsvorschriften des StVG auf E-Scooter angewendet werden. Es stellt klar, dass E-Scooter-Besitzer nicht automatisch haftbar sind, wenn ihr Fahrzeug umfällt und Schaden verursacht. Dies könnte die Art und Weise beeinflussen, wie E-Scooter in städtischen Gebieten genutzt und abgestellt werden, und könnte auch Auswirkungen auf die Versicherungspolicen für diese Fahrzeuge haben.

Zusammenfassend hat das Amtsgericht Berlin-Mitte entschieden, dass die Haftungsvorschriften des StVG nicht auf E-Scooter anwendbar sind und dass das bloße Umfallen eines E-Scooters nicht zwangsläufig auf ein unsachgemäßes Abstellen hindeutet. Dieses Urteil bietet wichtige rechtliche Klarheit in einem Bereich, der in den letzten Jahren immer relevanter geworden ist.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


  • Elektrokleinstfahrzeuge (E-Scooter): Elektrokleinstfahrzeuge, oft als E-Scooter bezeichnet, sind kleine, elektrisch betriebene Fahrzeuge. In Deutschland sind sie seit Juni 2019 erlaubt und müssen bestimmte technische Anforderungen erfüllen, wie z. B. eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h und eine Betriebserlaubnis.
  • Gefährdungshaftung (§ 7 StVG): Die Gefährdungshaftung nach § 7 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) besagt, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs für Schäden haftet, die durch den Betrieb des Fahrzeugs entstehen, unabhängig davon, ob ihm ein Verschulden zur Last gelegt werden kann Das bedeutet, dass der Halter für Unfallschäden haftet, auch wenn er nicht selbst gefahren ist oder kein Verschulden vorliegt.
  • Verschulden und Haftung (§ 18 StVG): Im Gegensatz zur Gefährdungshaftung, setzt die Haftung nach § 18 StVG ein Verschulden des Fahrzeugführers voraus. Wenn also durch das Verschulden des Fahrzeugführers ein Schaden entsteht, haftet dieser nach § 18 StVG.
  • Anspruch auf Schadensersatz: Ein Anspruch auf Schadensersatz entsteht, wenn eine Person durch das rechtswidrige und schuldhafte Handeln einer anderen Person einen Schaden erleidet. Der Geschädigte kann dann vom Schädiger Ersatz des entstandenen Schadens verlangen.
  • Anscheinsbeweis: Der Anscheinsbeweis ist eine Beweisregel im Zivilprozess. Er besagt, dass bei Vorliegen bestimmter Tatsachen (sogenannter Indizien) das Gericht eine Vermutung für eine bestimmte Tatsache anstellen kann, es sei denn, der Gegenbeweis wird erbracht [[5]]. In Ihrem Beispiel könnte ein umgestürzter E-Scooter, der zu einem Unfall geführt hat, den Anscheinsbeweis für ein unsachgemäßes Abstellen des E-Scooters erbringen.

§ Relevante Rechtsbereiche für dieses Urteil:


  • Straßenverkehrsrecht (StVG): In diesem Fall geht es um einen E-Scooter-Unfall, der im Straßenverkehr stattgefunden hat. Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) regelt die Haftung bei Verkehrsunfällen. Insbesondere die §§ 7, 18 und 8 Nr. 1 StVG werden erwähnt, die sich mit der Haftung bei Verkehrsunfällen und der Anwendbarkeit dieser Vorschriften auf E-Scooter befassen.
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – Deliktsrecht: Der § 823 Abs. 1 BGB wird genannt, welcher die Schadensersatzpflicht bei rechtswidriger und schuldhafter Verletzung eines Rechtsguts eines anderen regelt. In diesem Fall wurde geprüft, ob die Beklagte zu 1) eine Sorgfaltspflicht verletzt hat, indem sie den E-Scooter unsachgemäß abgestellt hat.
  • Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV): Diese Verordnung regelt den Betrieb von Elektrokleinstfahrzeugen, zu denen auch E-Scooter gehören. Der § 11 Abs. 5 eKFV wird erwähnt, welcher besagt, dass für das Abstellen von Elektrokleinstfahrzeugen die für Fahrräder geltenden Parkvorschriften entsprechend gelten.
  • Zivilprozessordnung (ZPO): Die ZPO regelt das Verfahren in Zivilsachen vor den Gerichten. Der § 91 ZPO, der die Kostenentscheidung betrifft, wird in diesem Urteil genannt. Es geht hierbei um die Frage, wer die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.

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Das vorliegende Urteil

AG Berlin-Mitte – Az.: 151 C 60/22 V – Urteil vom 09.05.2023

Leitsatz

1. Weder die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des § 7 StVG, noch die Haftung für vermutetes Verschulden nach § 18 StVG sind auf Elektrokleinstfahrzeuge i.S.d. § 1 eKFV (sog. E-Scooter) anwendbar; auch eine analoge Anwendung scheidet aus.

2. Im Falle des Umfallens eine E-Scooters kann nicht im Wege eines Anscheinsbeweises der Rückschluss auf ein unsachgemäßes Abstellen oder sonstiges Verschulden des Abstellenden geschlossen werden.

3. Es besteht keine allgemeine Verkehrssicherungspflicht dahingehend, dass E-Scooter stets so abzustellen bzw. zu sichern sind, dass auch bei einem Umstoßen durch Dritte keinerlei Schäden entstehen können.


1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

4. Der Streitwert wird auf 2.236,22 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung von Schadensersatz nach dem Umsturz eines Elektrokleinstfahrzeugs (sog. E-Scooter) am 21.10.2021 auf der Emser Straße in Berlin.

Der Kläger ist Halter eines Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen […]. Die Beklagte zu 1) war am Unfalltag Fahrerin eines E-Scooters mit dem Versicherungskennzeichen […], welcher bei der Beklagten zu 2) zu diesem Zeitpunkt haftpflichtversichert war.

Am 21.10.2021 um 16:40 Uhr stellte die Beklagte zu 1) einen E-Scooter der Marke […] auf dem Gehweg der Emser Straße, 10719 Berlin-Wilmersdorf, etwa auf Höhe der Hausnummer 3, ab. Unter im Einzelnen zwischen den Parteien streitigen Umständen kam es gegen 19:30 Uhr durch den Umsturz eines E-Scooters zu einer Kollision mit dem Klägerfahrzeug.

Das bis heute nicht reparierte klägerische Fahrzeug wurde bei dem Unfall im Bereich der Front beschädigt. Der vom Kläger zur Schadensermittlung beauftragte Gutachter ermittelte Reparaturkosten in Höhe von 1.592,37 Euro (brutto). Für die Einzelheiten wird auf das Privatgutachten des Klägers vom 23.11.2021, eingereicht als Anlage K1 (Bl. 6 ff. d.A.), verwiesen. Der Kfz-Sachverständige stellte dem Kläger 541,85 Euro für die Begutachtung in Rechnung.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.12.2021 machte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die vorgenannten Schadenspositionen nebst Nutzungsausfall in Höhe von 72,00 Euro, einer Unkostenpauschale in Höhe von 30,00 Euro und den Kosten seiner vorgerichtlichen Tätigkeit in Höhe von 437,92 Euro gegenüber der Beklagten zu 2) mit Fristsetzung bis zum 02.12.2021 geltend.

Der Kläger behauptet, durch den Umsturz des von der Beklagten zu 1) unsachgemäß abgestellten E-Scooter sei es zu Beschädigungen seines Fahrzeugs gekommen, was die Beklagte zu 1) gegenüber der Zeugin […] auch eingeräumt habe. Dieses Fahrzeug stehe in seinem Eigentum. Ferner ist er der Ansicht, die Beklagten treffe bereits eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung. Die §§ 7, 18 StVG seien auf Elektrokleinstfahrzeuge jedenfalls entsprechend anzuwenden, da der Gesetzgeber ihre Erfassung offensichtlich vergessen habe. Anderenfalls liefe die Haftung von Versicherungen für die bei ihnen versicherten Elektrokleinstfahrzeugen faktisch ins Leere.

Der Kläger beantragt,

1.) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 2.236,22 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 17.12.2021 zu zahlen, und

2.) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 437,92 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 17.12.2021 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Beklagte zu 1) habe den E-Scooter ordnungsgemäß am Rand des Gehwegs abgestellt, sodass weder Fußgänger noch andere Verkehrsteilnehmer durch den E-Scooter behindert oder gefährdet worden seien. Zudem bestreiten sie, dass es sich bei dem umgestürzten E-Scooter um den von der Beklagten zu 1) abgestellten handelt. Die Beklagten sind ferner der Ansicht, die §§ 7, 18 StVG seien aufgrund der Regelung des § 8 Nr. 1 StVG nicht anwendbar, sodass der Kläger ein Verschulden der Beklagten zu 1) positiv darlegen und beweisen müsse. Dieser Nachweis sei dem Kläger nicht gelungen. Schließlich komme eine Erstattung von Umsatzsteuer und Nutzungsausfall angesichts der fiktiven Abrechnung auf Gutachtenbasis nicht in Betracht und auch die geltend gemachte Unkostenpauschale sei ebenso wie die vom Prozessbevollmächtigten angesetzte Geschäftsgebühr überhöht.

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Das Gericht hat Beweis erhoben über die Frage des Hergangs des Verkehrsunfallgeschehens durch Vernehmung der Zeugin […]. Des Weiteren hat das Gericht die Beklagte zu 1) informatorisch angehört. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme und der informatorischen Anhörung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlungen vom 21.04.2023 (Bl. 145 ff. d.A.) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

1.) Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2 und 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG. Ein solcher Anspruch scheitert im vorliegenden Falle bereits an der fehlenden Anwendbarkeit der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung nach § 7 StVG.

Gemäß § 8 Nr. 1 StVG gilt die Vorschrift des § 7 StVG nicht, wenn der Unfall durch ein Kraftfahrzeug verursacht wurde, das auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20 km/h fahren kann. Der an dem Unfall beteiligte E-Scooter verfügte aber unstreitig über eine Zulassung nach der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV). Gemäß § 1 eKFV sind Elektrokleinstfahrzeuge Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h. Dass der am Unfall beteiligte E-Scooter entgegen seiner Zulassung (etwa aufgrund sog. Tunings) schneller als 20 km/h fahren konnte ist von der Klägerseite weder dargelegt, noch bewiesen. Entsprechend findet § 7 StVG auf den am Unfall beteiligten E-Scooter keine Anwendung (ebenso LG Münster, Urt. v. 09.03.2020 – 8 O 272/19; AG Frankfurt, Urt. v. 22.04.2021 – 29 C 2811/20; Höke in Buschbell/Höke, MAH Straßenverkehrsrecht, 5. Aufl., 2020, § 59, Rn. 10).

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt auch keine analoge Anwendung des § 7 StVG in Betracht (im Ergebnis ebenso AG Frankfurt, a.a.O., Rn. 19, zitiert nach juris). Nach allgemeiner Ansicht wäre hierfür das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage Voraussetzung. Dies scheitert nach der Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Falle aber bereits an der Planwidrigkeit einer etwaigen Regelungslücke. Denn die entscheidungserhebliche Reglung in § 8 Nr. 1 StVG wurde durch den Gesetzgeber zuletzt durch das Gesetz zur Haftung bei Unfällen mit Anhängern und Gespannen im Straßenverkehr vom 10.07.2020 (BGBl. I S. 1653) sowie das Gesetz zum autonomen Fahren vom 12.07.2021 (BGBl. I S. 3108) geändert. Die eKFV dagegen wurde bereits am 06.06.2019 (BGBl. I S. 756) erlassen und trat am 15.06.2019 in Kraft. Dem Gesetzgeber waren die mit dem Betrieb von E-Scootern einhergehenden besonderen Gefahren und deren Auswirkungen in Praxis also durchaus bewusst. Dennoch hat er es – anders als etwa im Bereich des autonomen Fahrens – nicht für erforderlich erachtet, vom der Regelung des § 8 Nr. 1 StVG zugrunde liegenden Gedankens einer geringeren Betriebsgefahr bei langsamen Kraftfahrzeugen (BT-Drucks. 14/7752, S. 31) für den Fall von Elektrokleinstfahrzeugen abzuweichen. Die Frage, ob dieser Gedanke insgesamt überholt ist oder nicht (vgl. zur Kritik m.w.N. etwa Walter in BeckOGK BGB, 2022, § 8 StVG, Rn. 2 ff.), obliegt dagegen der Beurteilung durch den Gesetzgeber und nicht der Gerichte.

Schließlich hat der Kläger auch keinen Anspruch gemäß § 18 Abs. 1 StVG gegen die Beklagte zu 1) als Fahrerin des E-Scooters. Auch insoweit steht § 8 Nr. 1 StVG einer Haftung entgegen (vgl. BGH, Urt. v. 17.06.1997 – VI ZR 156/96).

2.) Dem Kläger steht auch kein deliktischer Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB zu.

Ihm ist es nicht gelungen den ihn obliegenden Beweis für eine mindestens fahrlässige Verletzung von Sorgfaltspflichten, die die Beklagte zu 1) in der konkreten Situation getroffen hätten, zu führen. Insbesondere die Vernehmung der vom Kläger angebotenen Zeugin […] blieb im Ergebnis unergiebig. Sie gab an den Umsturz des E-Scooters selbst nicht wahrgenommen, sondern diesen bereits auf bzw. an dem Klägerfahrzeug liegend aufgefunden zu haben. Auch ihre Schilderung eines Gesprächs mit der erst nachträglich eingetroffenen Beklagten zu 1) gibt für ein etwaiges Schuldanerkenntnis keine Anhaltspunkte. Die Beklagte zu 1) soll gegenüber der Zeugin lediglich angegeben haben, den E-Scooter an dieser Stelle abgestellt zu haben. Die Möglichkeit, dass es sich bei dem am Unfall beteiligten E-Scooter um denselben handeln könnte, den die Beklagte zu 1) zuvor auf dem Gehweg abgestellt hatte, räumte auch die Beklagte zu 1) in ihrer informatorischen Anhörung ein. Sie schilderte aber glaubhaft, zumindest von einem ordnungsgemäßen Abstellen ausgegangen zu sein; der Ständer sei sicher eingerastet.

Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht des Klägers, spricht für ein Verschulden der Beklagten zu 1) auch nicht der Beweis des ersten Anscheins. Voraussetzung hierfür wäre ein sog. typischer Geschehensablauf, also ein sich aus der Lebenserfahrung bestätigender gleichförmiger Vorgang, durch dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten historischen Geschehens nachzuweisen (unter vielen BGH, Urt. v. 10.04.2014 – VII ZR 254/13, juris, Rn. 9; BGH, Urt. v. 26.03.2013 – VI ZR 109/12, juris, Rn. 26 ff.; m.w.N. auch Prütting in MünchKomm ZPO, 6. Aufl., 2020, § 286, Rn. 50; Sanger in Saenger, ZPO, 9. Aufl., 2021, § 286, Rn. 41 ff.; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl., 2023, § 286, Rn. 23 ff.). Erforderlich ist indes, dass die Typizität gerade so wahrscheinlich ist, dass sie die (volle) richterliche Überzeugung i.S.d. § 286 ZPO tragen kann (vgl. etwa BGH, Urt. v. 107.06.1997 – X ZR 119/94, juris, Rn. 12); dass von mehreren alternativen Ursachen eine wahrscheinlicher ist, reicht für die Annahme eines Anscheinsbeweises nicht aus (BGH, Urt. V. 17.02.1988 – IV a ZR 277/86 = NJW-RR 88, 789).

Gemessen an diesen Grundsätzen kann im Falle des Umfallens eine E-Scooters nicht im Wege eines Anscheinsbeweises der Rückschluss auf ein unsachgemäßes Abstellen oder sonstiges Verschulden des Abstellenden geschlossen werden (ebenso LG München, Beschluss v. 19.07.2021 – 17 S 14062/20, juris, Rn. 6). Sofern ein solcher Anscheinsbeweis im vorliegenden Falle nicht ohnehin schon allein durch die Standzeit bis zum Eintreffen des Klägerfahrzeugs widerlegt sein sollte, scheidet seine Annahme jedenfalls aus dem Grunde aus, dass das Umfallen eines E-Scooters – insbesondere in Großstädten – nach der Lebenserfahrung gerade nicht zwingend auf ein unsachgemäßes Abstellen hinweist. Vielmehr kommen aus Sicht des Gerichts mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit auch das fahrlässige oder vorsätzliche Umstoßen durch Dritte sowie der Einfluss starker Witterungsverhältnisse in Betracht. Hierbei hält das Gericht im Übrigen auch die zum ungeklärten Umkippen von ordnungsgemäß abgestellten Motorrädern ergangene und eine Haftung überwiegend ablehnende Rechtsprechung für übertragbar.

Schließlich stellt auch das Abstellen eines E-Scooters auf dem Gehweg an sich keinen Verstoß gegen eine Verkehrssicherungspflicht dar. Unabhängig davon, dass ein Parkverbot auf dem Gehweg ohnehin nicht den parkenden Verkehr, sondern den ungehinderten Fußgängerverkehr auf dem Gehweg schützt (m.w.N. LG München, a.a.O., Rn. 5), gelten für das Abstellen von Elektrokleinstfahrzeugen gemäß § 11 Abs. 5 eKFV die für Fahrräder geltenden Parkvorschriften entsprechend. Das Abstellen des E-Scooters auf dem Gehweg ist damit für sich betrachtet nicht pflichtwidrig. Darüber hinaus kann aber auch keine allgemeine Verkehrssicherungspflicht dahingehend angenommen werden, E-Scooter stets so abzustellen bzw. zu sichern, dass auch bei einem Umstoßen durch Dritte keinerlei Schäden entstehen können. Denn dann bestünden im innerstädtischen Raum nahezu keine Abstellmöglichkeiten mehr, da selbst beim Abstellen direkt an einer Hauswand natürlich Schäden an der Fassade nicht ausgeschlossen werden können (AG München, Urt. v. 09.10.2020 – 345 C 4693/20, juris, Rn. 37). Insbesondere bestand für die Beklagte zu 1) im hiesigen Fall gerade keine Pflicht, neben der Prüfung des ordnungsgemäßen Einrastens ihres Ständers, auch eine Prüfung aller nur denkbaren Fallradien vorzunehmen, um so eventuelle Schäden an erst künftig neben dem abgestellten E-Scooter geparkten Fahrzeugen sicher auszuschließen.

3.) Mangels Schadensersatzanspruch steht dem Kläger entsprechend auch kein Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Nebenforderung zu.

II.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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