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Verkehrsunfall mit LKW bei dessen Rückwärtsfahrt

Haftung bei LKW-Rückwärtsunfall: Gericht entscheidet über Schadensersatz

Das Landgericht Lübeck hat in seinem Urteil vom 14.11.2023 (Az.: 9 O 13/23) entschieden, dass die Beklagten als Gesamtschuldner der Klägerin Schadensersatz für einen Verkehrsunfall mit einem LKW bei dessen Rückwärtsfahrt zu leisten haben. Das Gericht hat eine Haftungsverteilung von 60 % zu Lasten der Beklagten und 40 % zu Lasten der Klägerin festgelegt. Zudem wurde eine vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils gegen Sicherheitsleistung beschlossen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 9 O 13/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Gericht verurteilt die Beklagten zur Zahlung von 8.625,76 € nebst Zinsen an die Klägerin.
  • Eine Haftungsverteilung von 60 % zu Lasten der Beklagten und 40 % zu Lasten der Klägerin wurde festgelegt.
  • Schadensersatz und vorgerichtliche Geschäftsgebühr sind vom Beklagten zu tragen.
  • Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung.
  • Die Klägerin macht zusätzlich Kosten für SachverständigengutachtenReparaturkostenMietwagennutzung und eine Unfallkostenpauschale geltend.
  • Die Beklagten argumentieren mit eingeschalteten Warnblinkern und Rundumleuchte, was vom Gericht jedoch nicht als ausreichend angesehen wurde, um eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen.
  • Ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO liegt vor, wobei der Beklagte zu 2) seine Sorgfaltspflicht beim Rückwärtsfahren verletzt hat.
  • Das Gericht berücksichtigt das Mitverschulden des Zeugen …, der das klägerische Fahrzeug geführt hat, bei der Haftungsverteilung.

Rückwärtsmanöver mit LKW: Gefahren und Haftungsfragen

Haftungsfragen bei LKW-Rückwärtsunfall
(Symbolfoto: Drazen Zigic /Shutterstock.com)

Beim Rückwärtsfahren mit einem LKW lauern zahlreiche Gefahren, die zu schweren Unfällen führen können. Dies gilt insbesondere bei komplexen Manövern, wie beispielsweise beim Rückwärtsfahren in Kurven oder beim Einparken. In solchen Situationen ist die Übersicht des Fahrers eingeschränkt und es besteht ein erhöhtes Risiko, dass andere Verkehrsteilnehmer übersehen werden.

Auch wenn das Rückwärtsfahren mit LKW in bestimmten Situationen erlaubt ist, so spricht im Falle eines Unfalls der Anscheinsbeweis gegen den Fahrer. Die Frage der Schuld und Haftung hängt jedoch immer von den individuellen Umständen des jeweiligen Falls ab. Daher ist es von großer Bedeutung, die gesetzlichen Bestimmungen und Sicherheitsmaßnahmen zu beachten, um Unfälle zu vermeiden.

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Im Zentrum des Geschehens stand ein Verkehrsunfall, der sich ereignete, als ein LKW bei einem Rückwärtsmanöver mit einem PKW kollidierte. Der Unfall führte zu umfangreichen Schadensersatzforderungen, die schließlich vor dem Landgericht Lübeck verhandelt wurden. Die Klägerin, Eigentümerin und Halterin des beschädigten Fahrzeugs, forderte von den Beklagten, dem Halter des LKWs sowie dessen Haftpflichtversicherung, eine Entschädigung für den entstandenen Sachschaden sowie für weitere entstandene Kosten.

Rückwärtsfahrt mit Folgen: Ein LKW, ein PKW und die Kollision

Die Auseinandersetzung drehte sich primär um die Frage der Haftung. Der Vorfall trug sich zu, als der LKW-Fahrer, begleitet von einem Beifahrer, versuchte, in einem Einmündungsbereich rückwärts zu fahren, um seine Fahrt in die entgegengesetzte Richtung fortzusetzen. In diesem Moment näherte sich der PKW der Klägerin von der gegenüberliegenden Seite. Trotz des Versuchs des PKW-Fahrers, den LKW zu umfahren, kam es zum Zusammenstoß, bei dem das Fahrzeug der Klägerin beschädigt wurde.

Die Beweislage: Sichtweisen, Gutachten und gerichtliche Bewertung

Die Klägerseite argumentierte, dass zum Zeitpunkt des Unfalls keine Warnsignale am LKW aktiviert waren, was den PKW-Fahrer in die missliche Lage brachte, ohne ausreichende Vorwarnung handeln zu müssen. Die Beklagten hingegen behaupteten, die Warnblinker und Rundumleuchten seien eingeschaltet gewesen, was vom Gericht kritisch hinterfragt wurde. Ein zentraler Punkt der gerichtlichen Auseinandersetzung war demnach, inwiefern die Sicherheitsvorkehrungen des LKWs eine Rolle spielten und ob der PKW-Fahrer eine Chance hatte, den Unfall zu vermeiden.

Haftungsfrage und Schadensersatz: Die gerichtliche Entscheidung

Das Landgericht Lübeck urteilte, dass die Haftung für den entstandenen Schaden zwischen den Parteien aufzuteilen sei. Dabei legte das Gericht eine Haftungsquote von 60 % zu Lasten der Beklagten und 40 % zu Lasten der Klägerin fest. Diese Entscheidung basierte auf der Bewertung, dass beide Seiten zum Unfall beigetragen hatten: Der LKW-Fahrer hatte beim Rückwärtsfahren die nötige Sorgfalt missachtet, während der PKW-Fahrer sich trotz unklarer Verkehrslage am LKW vorbeigetastet hatte.

Die finanzielle Abwicklung: Schadensersatz und Kosten

Das Gericht verurteilte die Beklagten dazu, der Klägerin insgesamt 8.625,76 € nebst Zinsen für den materiellen Schaden am Fahrzeug zu zahlen. Zusätzlich wurden die Beklagten zur Übernahme der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr in Höhe von 887,03 € verpflichtet. Die weiteren Forderungen der Klägerin, einschließlich der Kosten für ein Sachverständigengutachten, Reparaturkosten, Mietwagennutzung und einer Unfallkostenpauschale, wurden im Rahmen der Haftungsquote berücksichtigt und entsprechend zugesprochen.

Das Urteil des Landgerichts Lübeck verdeutlicht die Komplexität von Verkehrsunfällen, bei denen die Rückwärtsfahrt von Fahrzeugen involviert ist. Es unterstreicht die Bedeutung der Einhaltung von Verkehrsvorschriften und der aktiven Unfallvermeidung durch alle Beteiligten. Die Entscheidung zeigt auf, wie im Schadensfall die Haftungsanteile festgelegt werden und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.

Ein zentrales Element dieses Falles ist die Erinnerung an die Wichtigkeit, in jeder Situation im Straßenverkehr höchste Aufmerksamkeit und Sorgfalt walten zu lassen, um Unfälle zu vermeiden und die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was besagt das StVG in Bezug auf die Haftung bei Verkehrsunfällen?

Wie wird die Haftungsquote bei Verkehrsunfällen bestimmt?

Welche Rolle spielen Warnblinker bei der Beurteilung von Verkehrsunfällen?

Wie wird der Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall berechnet?

Was ist unter dem Werkstattrisiko zu verstehen?

Welche Bedeutung hat die vorläufige Vollstreckbarkeit eines Urteils?


Das vorliegende Urteil

LG Lübeck – Az.: 9 O 13/23 – Urteil vom 14.11.2023

Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 8.625,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 02.03.2023 zu zahlen.

Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin die vorgerichtliche Geschäftsgebühr in Höhe von 887,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 02.03.2023 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 40 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 60 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 14.426,07 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfallereignis.

Die Klägerin ist Eigentümerin und Halterin des unfallbeschädigten Fahrzeugs … Kombi mit dem amtlichen Kennzeichen … . Das Fahrzeug wurde zum Unfallzeitpunkt von dem zeugen … geführt. Der Beklagte zu 1) ist Halter des Lkws mit dem amtlichen Kennzeichen …, welcher bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist. Der Beklagte zu 2) fuhr den Lkw zum Unfallzeitpunkt.

Am 03.05.2022 befuhr der Beklagte zu 2) zusammen mit einem Beifahrer den … Weg in Richtung … . Der Zeuge … befuhr die Straße in entgegengesetzter Richtung. In seinem Fahrzeug befand sich auch der Zeuge … als Beifahrer. Bevor der Zeuge … nach rechts in die Straße „…“ einbiegen wollte, fuhr der Beklagte zu 2) seinerseits in den Einmündungsbereich der Straße und kam zunächst leicht schräg zum stehen. Als der Lkw im Mündungsbereich stand, fuhr der Zeuge … ein Stück um den stehenden Lkw auf dessen Beifahrerseite herum. Der Lkw fuhr dann jedoch rückwärts, wodurch es zu einem Zusammenstoß der Fahrzeuge kam. Dabei wurde das klägerische Fahrzeug beschädigt. Der weitere konkrete Ablauf ist zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin ließ das Fahrzeug von dem Sachverständigen … begutachten und forderte die Beklagte zu 3) zunächst selbst und später durch ihren Anwalt schriftlich – jedoch erfolglos – auf, in die Regulierung einzutreten. Für das Gutachten fielen Kosten in Höhe von 1.311,38 € an. Im März 2023 ließ die Klägerin das Fahrzeug für einen Preis in Höhe von 11.923,61 € reparieren. Der Sachverständige führte aufgrund höherer Reparaturkosten eine Nachbesichtigung durch und fertigte hierzu ein Nachtragsgutachten, wodurch weitere Kosten in Höhe von 267,75 € anfielen. Die Klägerin nutzte in der Zeit der Reparatur für die Dauer von 17 Tagen einen Mietwagen für einen Preis in Höhe von 898,33 €. Der Mietwagen wies die gleiche Mietwagengruppe auf, wie das klägerische Fahrzeug. Die Klägerin macht ebenfalls eine Unfallkostenpauschale in Höhe von 25,00 € geltend.

Die Klägerin behauptet, dass an dem Lkw keine Warnblinker, Blinker oder Rundumleuchten eingeschaltet waren, als dieser sich in dem Einmündungsbereich stellte und dort kurzzeitig stehen blieb. Der Beklagte zu 2) sei ohne erkennbare Anzeichen rückwärtsgefahren, sodass der Zeuge …, der zu dem Zeitpunkt gestanden habe, nicht mehr habe ausweichen können.

Die Klägerin hat ursprünglich unter dem Antrag zu 1. beantragt, die Beklagten zu einer Zahlung von 10.302,93 € zu verurteilen. Mit Schreiben vom 05.06.2023 hat sie die Klage erweitert.

Sie beantragt nunmehr,

1. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 14.426,07 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin die vorgerichtliche Geschäftsgebühr in Höhe von 1.054,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 2) habe die Warnblinker und die Rundumleuchte an dem Lkw während des gesamten Manövers eingeschaltet. Auch sei der Schaden geringer als von der Klägerseite angegeben. Sie sind ferner der Auffassung, dass der Zeuge … den Unfall selbst verursacht und allein zu verantworten habe. Die Klägerin sei darüber hinaus ihrer Schadensminderungspflicht nicht nachgekommen, da sie die Reparatur nicht sorgfältig vorbereitet habe, um die Mietwagendauer so kurz wie möglich zu halten.

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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung der Zeugen …, …, …und … . Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.08.2023 (Bl. 100ff. d. A.) Bezug genommen. Die Klage wurde den Beklagten zu 1) und 2) am 01.03.2023 und der Beklagte zu 3) am 02.03.2023 zugestellt.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 8.625,76 € gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 17 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG.

a) Der Unfall ereignete sich bei dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs. Er wurde auch nicht durch höhere Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG verursacht.

b) Bei der Abwägung der Verschuldensbeiträge nach § 17 StVG war von einer Haftung der Beklagtenseite in Höhe von 60 % und der Klägerseite in Höhe von 40 % auszugehen.

Für die Beurteilung der Verursachungsbeiträge ist nach § 17 Abs. 1 StVG auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles abzustellen. Bei der Abwägung sind lediglich unstreitige, zugestandene oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei grundsätzlich die Umstände zu beweisen, welche dem anderen zum Verschulden reichen und aus denen er für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (OLG Schleswig, Beschluss v. 30.01.2020 – 7 U 210/19, NJW-RR 2020, 800).

aa) Auf Seiten der Beklagten liegt ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO vor. Hiernach muss sich der Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Erforderlichenfalls muss sich der Fahrzeugführer von einer anderen Person einweisen lassen. Für einen solchen Verstoß spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins. Dieser ist gegeben, wenn es in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren zu einem Zusammenstoß kommt (BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 9 StVO, Rn. 55).

Vorliegend kam es unmittelbar bei dem Rückwärtsfahren zu einem Zusammenstoß, sodass der Beweis des ersten Anscheins vorliegt.

Dieser konnte durch die Beklagtenseite auch nicht erschüttert werden. Dies wäre nur der Fall, wenn bewiesene Tatsachen vorliegen würden, die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als den nach der allgemeinen Erfahrung typischen ergeben können (vgl. BGH, Urt. v. 24.06.1969 – VI ZR 40/68).

Der Beklagte zu 2) trägt zwar vor, dass er die Warnblinkleuchten angeschaltet hatte und somit erkennbar war, dass er rangieren wollte. Jedoch besteht trotz dessen die Anforderung, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies kann nicht allein durch angeschaltete Warnblinkleuchten garantiert werden. Nur ein vom Fahrer aus sichtbarer oder mindestens von einer Hilfsperson beobachteter und dem Fahrer mitgeteilter, also mit Gewissheit freier Raum, darf rückwärts befahren werden (OLG Oldenburg, Urt. v. 09.06.2000 – 6 U 55/00). Es wäre somit erforderlich gewesen, den vorbeifahrenden Verkehr so ausgiebig zu beobachten, dass ausgeschlossen ist, dass sich ein Fahrzeug in den rückwärts zu befahrenden Bereich befindet. Dies hat der Beklagte zu 2) jedoch nicht getan. Er nahm das klägerische Fahrzeug zwar wahr, ging dann aber, als er dieses nicht mehr sehen konnte, davon aus, dass das Fahrzeugs wohl an ihm vorbeigefahren sei. Er hätte sich vergewissern müssen, dass sich kein Hindernis im toten Winkel seines Fahrzeugs befindet (OLG Oldenburg, Urt. v. 09.06.2000 – 6 U 55/00).

bb) Dem Zeugen …, der das klägerische Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt gefahren ist, ist jedoch vorzuwerfen, dass er sich trotz unklarer Verkehrssituation an dem Lkw vorbeigetastet hat und daher zumindest gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht nach § 1 StVO verstoßen hat. Nach dieser Vorschrift hat sich ein Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht zwar nicht ausreichend davon überzeugt, dass an dem Lkw Warnblinker und Rundumleuchten angeschaltet waren, für das Gericht steht jedoch zur Überzeugung fest, dass der Zeuge … nicht die hinreichende Sorgfalt beachtet hat, als er um den Lkw gefahren ist.

So ergibt sich bereits aus dem klägerischen Vortrag, dass der Zeuge … um den LKW herumgefahren war. Der Zeuge … bekundete dazu, dass sich der LKW zunächst quer gestellt habe. Es sei nicht ersichtlich gewesen, was der LKW machen wollte. Als dann irgendwann ersichtlich wurde, dass der LKW rückwärts in die Straße fahren wollte, sei es schon zu spät gewesen. Warnblinklichter habe er nicht wahrgenommen.

Diese Angaben wurden bestätigt durch die Bekundungen des Zeugen …, welcher angab, dass der Zeuge … den LKW umfahren wollte. Als er an dem LKW vorbeigefahren sei, habe er zunächst angehalten, dann sei es zur Kollision gekommen. Diese habe sich im Einmündungsbereich der Straßen befunden. Passend zu diesen Angaben fertigte der Zeuge ebenfalls eine Skizze an, auf der zu sehen ist, dass das klägerische Fahrzeug bereits ein Stück an dem LKW vorbeigefahren war. Ein Warnblinklicht sei nicht angeschaltet gewesen.

Die Zeugin … bekundete darüber hinaus, dass der LKW eher schräg auf der Straße stand und sie sich noch gefragt habe, ob der LKW sich verfahren habe. Es sei ihr nicht aufgefallen, dass an dem Beklagtenfahrzeug Warnblinklichter oder ähnliches geleuchtet hätten. Die Zeugin gab an, dass ihr diese aus ihrer Sicht hätten auffallen müssen. Die Angaben der Zeugen sind sämtlich widerspruchsfrei und nachvollziehbar und daher glaubhaft. Anhaltspunkte, welche an der Glaubwürdigkeit der Zeugen zweifeln ließen liegen – auch wenn es sich bei dem Zeugen … um den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs handelte – nicht vor.

Der Zeuge … bekundete zwar, dass nach seiner Erinnerung der Lkw das Warnblinklicht eingeschaltet hatte. Diese Aussage ist zwar widerspruchsfrei und nachvollziehbar, war jedoch nicht geeignet, das Gericht entgegen der Angaben der anderen Zeugen davon zu überzeugen, dass das Warnblinklicht tatsächlich angeschaltet war. Darüber hinaus hat der Zeuge die tatsächliche Kollision nicht wahrgenommen.

Aus den Angaben ergibt sich, dass der Zeuge … zum einen um den LKW herumgefahren ist, obwohl er selbst angab, dass zunächst nicht absehbar war, was der LKW vorhatte. Darüber hinaus ergibt sich aus den Zeugenaussagen auch, dass der Zeuge … nicht normal in die Straße „…“ auf der rechten Fahrspur einbiegen wollte, sondern den LKW zunächst umfahren und somit in die Straße „…“ zunächst auf der Gegenfahrbahn einbiegen zu wollen. Dies ergibt sich insbesondere auch aus der Skizze des Zeugen …, der die Position des klägerischen Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Kollision einzeichnete. Dies deckt sich auch mit der Skizze, welche der Beklagte zu 2) angefertigt hat (Anlagen zum Protokoll der mündlichen Verhandlung).

cc) Nach der nach § 17 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsbeiträge hält das Gericht eine Haftungsverteilung von 60 % zu Lasten der Beklagten und zu 40 % zu Lasten der Klägerin für gerechtfertigt. Nach § 17 StVG hat sich die Klägerin das Mitverschulden des Zeugen … entgegenhalten zu lassen. Durch ein unfallursächliches Mitverschulden eines Fahrers erhöht sich die Betriebsgefahr des Fahrzeugs. Da es hierbei auch nicht darauf ankommt, ob der Fahrer selbst der Halter ist, erfolgt auf diese Weise eine Zurechnung des Verschuldens des Fahrers auf den Halter, die insoweit eine Haftungseinheit bilden (Burmann/Heß/Jagow, Straßenverkehrsrecht, § 17, Rn. 5). Die Ursache für die Kollision wurde hier sowohl von der Beklagtenseite, als auch von dem Zeugen … gesetzt. Dem Lkw-Fahrer fällt ein Verstoß gegen § 9 StVO zur Last, welcher etwas schwerer wiegt als der Verstoß des Zeugen … gegen die allgemeine Vorsichts- und Rücksichtnahmepflicht. Bei der Haftungsverteilung war auch zu berücksichtigen, dass es sich bei einem LKW aufgrund dessen Unübersichtlichkeit um ein Fahrzeug handelt, welchem eine höhere Betriebsgefahr als dem Pkw auf Klägerseite zuzuschreiben ist.

dd) Ein vollständiges zurücktreten des Verstoßes des Klägers war nicht nach § 17 Abs. 3 StVG anzunehmen, da der Unfall für ihn – selbst bei der Unterstellung, dass das Fahrzeug des Klägers zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hat – vermeidbar war. Als unabwendbar gilt ein Ereignis nach § 17 Abs. 3 S. 2 StVG nur dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Kraftfahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Gemäß den obigen Ausführungen hat der Zeuge … aber gerade nicht die gebotene Sorgfalt beachtet, sich demnach nicht wie ein Idealfahrer verhalten. Hierbei kommt es allerdings nicht nur darauf an, wie ein „Idealfahrer“ in der konkreten Gefahrensituation reagiert hätte, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß StVG § 17 Rn. 8). Ein Idealfahrer hätte in einer solchen Situation entweder vor dem Einmündungsbereich der Straße mit angeschaltetem Blinker gewartet, bis der LKW aus dem Einmündungsbereich weggefahren wäre oder hätte Kontakt zu dem LKW- Fahrer aufgenommen, um sicherzugehen, ob der LKW dort stehen bleibt. Beides ist hier nicht passiert.

c) Der Klägerin ist durch den Unfall auch ein Schaden entstanden.

aa) Die Reparaturkosten belaufen sich auf 11.923,61 €. Die Klägerin hat – bevor sie den Wagen hat reparieren lassen – ein Sachverständigengutachten eingeholt. Die erhöhten Reparaturkosten wurden sodann in dem Nachtragsgutachten des Sachverständigen bestätigt. Gegen die Reparaturrechnung ist die Beklagtenseite nicht konkret vorgetragen. Sofern sie zuvor einzelne Positionen – wie beispielsweise die Lackierung – angegriffen hat, wären diese jedenfalls durch das sog. Werkstattrisiko gedeckt. Solange dem Geschädigten nicht ausnahmsweise bezüglich des beauftragten Sachverständigen oder der beauftragten Werkstatt ein Auswahlverschulden zur Last fällt, sind ihm die Kosten zu erstatten, die er aufgrund des Gutachtens als notwendig ansehen darf und von denen er nach erfolgter Reparatur aufgrund der gestellten Werkstattrechnung annehmen darf, dass er sie als Auftraggeber schuldet. Keinesfalls soll der Geschädigte verpflichtet sein, den zu viel gezahlten Betrag auf eigenes Risiko gegenüber der Werkstatt geltend zu machen. Stattdessen soll der Schädiger das Werkstattrisiko tragen; es geht zu seinen Lasten (BGHZ 63, 182, 185; BGH NJW 1992, 302, 303). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt wurden (OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, Az. 9 U 168/94; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2004, Az. 17 U 107/04). Unter Berücksichtigung der Haftungsquote haben die Beklagten hiervon 7.154,17 € zu erstatten.

bb) Dem Kläger ist daneben ebenfalls ein Schaden in Form von den Sachverständigenkosten in Höhe von 1.311,38 € und 267,75 € entstanden. Unter Berücksichtigung der Haftungsquote haben die Beklagten hiervon 947,48 € zu erstatten.

cc) Die Klägerin kann darüber hinaus auch Kosten für die Mietwagennutzung für die 17 Tage geltend machen. Sie hat unter Vorlage des Reparaturablaufplans (Anlage K 16) plausibel dargelegt, aus welchen Gründen die erforderliche Mietwagendauer der Reparaturdauer, welche im Gutachten ausgewiesen war, überstieg. Die Beklagten tragen das Werkstattrisiko Bei einer konkreten Schadensabrechnung sind grundsätzlich Mietwagenkosten für die gesamte erforderliche Ausfallzeit zu leisten (vgl. u.a. BGH, Urteil v. 05.02.2013, VI ZR 363/11 Rn.6). Verzögerungen bei der Reparatur des unfallbeschädigten Fahrzeugs etwa aufgrund von Verzögerungen bei der Ersatzteilbeschaffung gehen grundsätzlich zulasten des Schädigers. Es besteht kein Sachgrund, dem Schädiger dieses Werkstattrisiko abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 Abs. 1 BGB überlassen würde (BGH, Urteil v. 29.10.1974 – VI ZR 42/73). Da die Werkstatt bei der Reparatur des Unfallschadens nicht im Pflichtenkreis des Geschädigten, sondern des Schädigers tätig wird, ist sie Erfüllungsgehilfe des Schädigers und nicht des Geschädigten. Der Umstand, dass das Fahrzeug länger als im Gutachten vorgesehen zur Reparatur in der Werkstatt verbleibt, und dadurch höhere Kosten für ein zum Ersatz angemietetes Fahrzeug entstehen, ist nicht dem Geschädigten anzulasten. Selbst, wenn wegen der verzögerten Reparatur eine Pflichtverletzung der Werkstatt vorläge, wäre dies dem Geschädigten nicht zuzurechnen (LG Aschaffenburg Endurteil v. 28.9.2022 – 12 O 44/22, BeckRS 2022, 49720).

Von den Mietwagenkosten war jedoch zunächst ein Abzug von 5 % vorzunehmen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass sich das Fahrzeug der Klägerin und das angemietete Ersatzfahrzeug innerhalb derselben Mietwagenklasse befinden. Unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung muss sich die Klägerin diejenigen Aufwendungen anrechnen lassen, die sie erspart hat, weil sein Fahrzeug nicht benutzt wird, während er über den Mietwagen verfügte. Dies ist je nach Fahrzeugtyp, Alter und Kilometerleistung des Wagens unterschiedlich (MüKoStVR/Almeroth BGB § 249 Rn. 280-284). Wie hoch der Abzug ausfällt, wird unterschiedlich beurteilt, insgesamt wird ein pauschaler Abzug in Höhe von 3% – 10 % für angemessen erachtet (MüKoStVR/Almeroth BGB § 249 Rn. 281). Die Klägerin hat hier ein im wesentliches gleiches Fahrzeug angemietet. Die Reparatur- und damit Mietwagennutzungsdauer war nicht als deutlich lang zu beurteilen, sodass hier ein Abzug von 5 % als angemessen erachtet wurde. Von den Mietwagenkosten verblieben dann noch 853,52 €. Unter Berücksichtigung der gegebenen Haftungsquote kann die Beklagte hiervon noch 512,11 € verlangen.

dd) Die Unfallkostenpauschale kann die Klägerin grundsätzlich nur in Höhe von 20,00 € verlangen. Unter Berücksichtigung der Haftungsquote verblieb ein ersatzfähiger Betrag in Höhe von 12,00 €.

2. Die Klägerin kann ferner Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € von den Beklagten verlangen. Die Kosten richteten sich nach der berechtigten Forderung der Klägerin.

Die Anwaltskosten waren anhand der berechtigten Forderung zu berechnen (725,40 € (1,3 Gebühr) + 20,00 € Unkostenpauschale + 19 % MwSt).

3. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 ZPO.

II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711, 709 ZPO.

 

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