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Verkehrsunfall – streitige Vorfahrtsverletzung – Wartepflicht

LG Leipzig – Az.: 6 S 355/09 – Urteil vom 15.03.2011

1. Das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 10.06.2009 (102 C 2368/08) wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Dem Kläger werden die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen auferlegt

3. Die Entscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar

Streitwert: 946,00 €

Gründe

I.

Die Parteien streiten über ein Unfallereignis vom 26.05.2006 in Leipzig im Bereich … Straße / … Straße. Hierbei befuhr der Kläger mit dem von ihm gesteuerten Pkw Renault die …straße in der Absicht, nach rechts in die  … Straße einzubiegen und hatte nach der dortigen Verkehrsregelung dem Verkehr auf der Straße die Vorfahrt einzuräumen. Der Beklagte zu 1.) befuhr mit einem Mercedes Benz Transporter die A. Straße, aus Sicht des Klägers von rechts kommend. Im Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang des Klägers kam es zu einem Zusammenstoß beider Fahrzeuge.

Der Kläger vertritt die Auffassung, der Beklagte zu 1.) sowie sein Haftpflichtversicherer, die Beklagte zu 2.), seien für den ihm aus dem Unfall entstandenen Schaden einstandspflichtig, da das vom Beklagten zu 1.) gesteuerte Fahrzeug „von der Spur abgekommen sei“ und darüber hinaus mit erhöhter Geschwindigkeit gefahren sei und deshalb den Unfall verursacht habe. Er hat in I. Instanz unter Anrechnung einer bereits geleisteten Zahlung der Beklagten zu 2.) einen Schadensersatzanspruch in Höhe von noch 946 € nebst vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 155,30 € eingeklagt. Die Beklagten haben eingewandt, der Kläger sei als wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer für den Unfall verantwortlich, der sich im direkten Kreuzungsbereich ereignet habe.

Verkehrsunfall - streitige Vorfahrtsverletzung - Wartepflicht
(Symbolfoto: Von Gorgev/Shutterstock.com)

Wegen des weiteren Sachverhalts und der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens durch Urteil vom 10.06.2009 der Klage stattgegeben und dies u.a. damit begründet, dass der Unfall außerhalb des direkten Kreuzungsbereichs auf der Fahrbahnseite des Klägers stattgefunden habe und der Beklagte zu 1.) darüber hinaus mit erhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Die Beklagten haben gegen das ihnen am 22.006.2009 zugestellte Urteil am 21.07.2009 Berufung eingelegt und diese am 25.08.2009 begründet.

Im Berufungsverfahren verfolgen beide Parteien weiterhin ihre bereits erstinstanzlich vorgebrachten Argumente.

Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens des bereits erstinstanzlich tätigen Dipl.-Ing(FH) … . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf dessen Gutachten vom 29.07.2010 Bezug genommen.

II.

Auf die zulässige und begründete Berufung der Beklagten wird die Klage unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Der Kläger hat keinen Schadensersatzanspruch, da er den Unfall selbst durch eine Vorfahrtspflichtverletzung verursacht hat. Es liegt hierfür ein Anscheinsbeweis vor, den der Kläger zu entkräften hat (KG, 12 U 4324/00, Urteil vom 24.01.2002, zitiert nach juris). Dies ist ihm nicht gelungen.

Entgegen der Auffassung der Klägerseite hatte der Beklagte zu 1.) sein Vorfahrtsrecht auch noch nicht „verbraucht“, da sich der streitgegenständliche Unfall entgegen der Auffassung des Amtsgerichts im Einmündungsbereich befunden zugetragen hat. Es ergibt sich aus diesem Grund ein Anscheinsbeweis dafür, dass der wartepflichtige Kläger den Unfall verursacht hat. Diesen Anscheinsbeweis hat er nicht entkräften können.

Das Amtsgericht hat unzutreffend angenommen, aus dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten ergebe sich „nachvollziehbar und widerspruchsfrei“, das sich der Unfall unmittelbar hinter dem Einmündungsbereich eignete. Dieser Rückschluss lässt sich aus dem Gutachten nicht ziehen. Auch das Amtsgericht führt im direkten Zusammenhang mit der o.g. Feststellung („hinter dem Einmündungsbereich“) aus, dass sich der Unfall „zwar im Einmündungsbereich … „ befinde. Die Stellung der Fahrzeuge zueinander, auf die das Amtsgericht bei der Beurteilung der Frage nach der Begrenzung des „Einmündungsbereichs“ abstellt, bietet zwar einen Hinweis auf das Fahrverhalten der beiden Fahrzeuge, ist jedoch bei der rechtlichen Einschätzung zum Ende des „Einmündungsbereichs“ und dem damit verbundenen Ende des Vorfahrtsrechts bzw. der Wartepflicht lediglich ein Aspekt unter mehreren Möglichkeiten. Nach der von der Beklagtenseite zitierten Entscheidung des KG Berlin vom 24.01.2002,12 U 4324/00 (zitiert nach juris) ist vielmehr auf das Fahrverhalten des vorfahrtspflichtigen Fahrzeugs abzustellen. Danach ist anzunehmen, dass sich das Fahrzeug noch im Einmündungsbereich befindet, wenn es die auf der Vorfahrtsstraße allgemein eingehaltene Geschwindigkeit noch nicht erreicht hat. Nach dem vom Amtsgericht eingeholten Gutachten ergab sich für das Klägerfahrzeug (nur) eine Geschwindigkeit von 15 km/h zum Zeitpunkt des Zusammenstosses , d.h. nur die Hälfte der dort zulässigen Höchstgeschwindigkeit, so dass davon auszugehen ist, dass der Kläger die auf der Vorfahrtsstraße übliche Geschwindigkeit noch nicht erreicht hatte.

Der Einwand des Klägervertreters, die Entscheidung des KG Berlin (a.a.O.) sowie die dort angegebene Entscheidung des OLG München (NZV 1989,438) seien im vorliegenden Fall kein tauglicher Anhaltspunkt für die Beurteilung der Reichweite des Einmündungsbereichs, weil sie von einer gänzlich anderen Verkehrssituation ausgingen, ist nicht zutreffend. Er argumentiert dabei mit der Annahme, die genannten Gerichte hätten ihre Feststellungen mit einer „Gefährdungsbeurteilung“ begründet, m.a.W. sie hätten den Kreuzungsbereich quasi als „gefährlichen Bereich“ betrachtet und seien damit zu dem Schluss gekommen, ein besonders langsames, abbiegendes Fahrzeug biete höheres Gefährdungspotential als ein schnelleres Fahrzeug. Dies sei den jeweiligen Unfallsituationen zu entnehmen, die Gegenstand der genannten Entscheidungen waren. Das Gericht folgt dieser Auffassung nicht. Es ist nicht ersichtlich dass bei der Festlegung des Einmündungsbereichs von einer „Gefährdungsbetrachtung“ auszugehen ist. Dies würde dazu führen, dass der betroffene Bereich je nach Verkehrssituation anders zu bewerten wäre. Dies kann jedoch nicht richtig sein. Es wäre nicht nachvollziehbar, dass an ein und derselben Stelle der Einmündungsbereich örtlich verschieden festgelegt werden soll. Die Anknüpfung der Rechtsprechung an die Geschwindigkeit des wartepflichtigen Fahrzeugs in Relation zur üblichen Geschwindigkeit auf der Vorfahrtsstraße erlaubt vielmehr die Feststellung eines örtlich abzugrenzenden Bereichs.

Der Einwand des Klägers, der Beklagte zu 1.) sei habe sich entgegen des Rechtsfahrgebots zum Unfallzeitpunkt auf der linken Fahrbahnseite befunden, ist rechtlich unerheblich, da ein Vorfahrtsberechtigter – hier der Beklagte zu 1.) – sein Vorfahrtsrecht nicht dadurch verliert; dieses bezieht sich auf die gesamte Straßenbreite (vgl. BGH, Urteil vom 15.07.1986, 4 StR 192/86, zitiert nach juris, dort Rn. 9).

Seinen Vorwurf, der Beklagte habe den Unfall wegen überhöhter Geschwindigkeit verursacht, hat er nicht bewiesen, denn der Sachverständige hat in dem vom Amtsgericht eingeholten Gutachten festgestellt, dass die Fahrzeuge zum Zeitpunkt des Zusammenstosses weitgehend parallel zueinander standen. Bei einer solchen Unfallkonstellation kann die Geschwindigkeit beider Fahrzeuge keine entscheidende Rolle spielen. Im Übrigen führt auch eine überhöhte Geschwindigkeit nicht zum Verlust des Vorfahrtsrechts (BGH a.a.O.)

Den letztlich im Berufungsverfahren im Wesentlichen vorgebrachten Einwand des Klägers, der Beklagte zu 1.) habe kurz vor dem Unfall plötzlich und für den Kläger unerwartet die Fahrbahnseite gewechselt, hat er nicht bewiesen. Das vom Berufungsgericht hierzu eingeholte Ergänzungsgutachten konnte hierzu keine Aussagen treffen. Gegen die ergänzenden Feststellungen des Sachverständigen haben die Parteien keine Einwendungen erhoben.

Nach alledem bleibt es bei einer alleinigen Unfallverursachung durch den Kläger, so dass ihm ein Schadensersatzanspruch nicht zusteht.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 709 ZPO.

 

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