Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 14 U 27/18 – Beschluss vom 23.01.2019
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 09.02.2018, Az. 306 O 355/16, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
Das landgerichtliche Urteil ist nicht zu beanstanden.
1. Die Berufung richtet sich im Wesentlichen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts. Zusammengefasst meinen die Beklagten, die Beklagte zu 1 habe bei ihrer Anhörung den Sachverhalt geschildert, ohne dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, dass die Beklagte nicht die Wahrheit gesagt habe. Im Gegenteil würden die sachverständigen Feststellungen zu den Ampelschaltungen und Zeit-Weg-Berechnungen zu den Angaben der Beklagten zu 1 passen. Bei dieser Sachlage habe das Landgericht die Angaben der Beklagten zu 1 zugrunde legen und einen Rotlichtverstoß der Klägerin annehmen müssen.
Dem folgt der Senat nicht. Darlegungs- und beweisbelastet für ein Mitverschulden der Klägerin sind die Beklagten. Sie müssen die erforderlichen Tatsachen vortragen und ggfls. beweisen. Die Klägerin kann sich grundsätzlich auf ein Bestreiten beschränken. Dies hat die Klägerin getan. Die Beklagten werfen der Klägerin einen Rotlichtverstoß vor, die Klägerin nimmt diesen Verstoß in Abrede und muss damit wegen der Ampelschaltung schon implizit behaupten, dass es die Beklagte zu 1) gewesen sei, die bei Rot gefahren sei. Die Berufung scheint zu meinen, dieses Bestreiten sei prozessual unwirksam, weil es ins Blaue hinein erfolgt sei, ohne dass es für diese Behauptung objektive Anknüpfungstatsachen geben würde. Das ist aber nicht richtig. Bestreiten und damit die Beweislast des Gegners auslösen darf man auch dann, wenn man selbst nicht mit konkreten Anhaltspunkten unterfüttern kann, dass man zu Recht bestreitet.
Zu Recht hat das Landgericht den den Beklagten obliegenden Mitverschuldensbeweis nicht als geführt angesehen. Sieht man von einzelnen terminologischen Ungeschicklichkeiten einmal ab, war sich das Landgericht durchaus darüber im Klaren, dass auch eine bloße Parteianhörung der wesentliche Baustein einer richterlichen Überzeugungsbildung sein kann. Das Landgericht hat auch nicht verkannt, dass die Schilderung der Beklagten zu 1 inhaltlich stimmig ist, also aus sachverständiger Sicht durchaus zutreffend sein kann. Damit ist allerdings nicht schon bewiesen, dass diese Schilderung auch tatsächlich zutreffend ist. Das hat auch das Landgericht zutreffend erkannt und dargelegt, dass es auch anders gewesen sein könne, als die Beklagte zu 1 behaupte. Wenn man die eher defensive Diktion des Landgerichts zutreffend würdigt, meint das Landgericht, die Beklagte zu 1 habe neben genauen Ortskenntnissen auch bis zu ihrer erstmaligen zusammenhängenden Anhörung zu dem Unfall Zeit genug gehabt, eine Version zu entwickeln, die mit den objektiven Bedingungen in Übereinklang zu bringen sei. Es könne deshalb mit einer geringen, aber eben auch nicht auszuschließenden Wahrscheinlichkeit sein, dass sie entgegen ihren Angaben nicht als erstes Fahrzeug an der Einmündung zur Julius-Leber-Straße gestanden habe oder nicht gleich losfuhr, als sie dies durfte. Auch das weitere Fahrverhalten stünde nicht fest. Im Ergebnis hat das Landgericht der Beklagten zu 1 also nicht uneingeschränkt geglaubt. Das ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte zu 1 ist eben Partei des Rechtsstreits. Sie wird angeschuldigt, einen gravierenden Verkehrsverstoß mit schwersten Folgen für einen anderen Menschen begangen zu haben. Dass in einer solchen Situation besondere Vorsicht geboten ist, ihre Angaben zu Lasten der Gegenpartei einem Urteil zugrunde zu legen, dürfte auf der Hand liegen. Auch wenn es konkrete Anhaltspunkte nicht dafür gab, dass die Beklagte zu 1 gelogen hat, führt das nicht dazu, dass ihre Angaben als zutreffend hinzunehmen wären. Vielmehr durfte das Landgericht aus den genannten Gründen durchaus nicht überwindbare Restzweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben haben.
Die Berufung führt eine weitere Plausibilitätsüberlegung an, die belegen soll, dass die Beklagte zu 1 bei Grün gefahren sei. Sie habe nämlich die für sie maßgebliche Ampel uneingeschränkt gut aus weiter Entfernung wahrnehmen können, die Kreuzung dahinter sei befahren und ein Rotlichtverstoß deshalb sehr gefährlich und unwahrscheinlich. Diese Überlegung kann man ohne weiteres umkehren und fragen, ob denn die Klägerin als ungeschützter und damit besonders gefährdeter Verkehrsteilnehmer tatsächlich so lebensmüde gewesen sein soll, bei Rot über die Straße zu fahren, ohne zuvor jedenfalls nach rechts zu schauen. Es dürfte auch den Erfahrungen des Prozessvertreters der Beklagten entsprechen, dass im Straßenverkehr eben alles vorkommt: Bewusste und grob fahrlässige Rotlichtverstöße von Autofahrern ebenso wie Radfahrer, die bei Rot eine Straße queren. Im Ergebnis bleibt ungeklärt, ob nun die Klägerin oder die Beklagte zu 1 bei Rot gefahren ist.
2. Daneben macht die Berufung geltend, die Klägerin müsse sich, auch wenn sie bei Grün gefahren sei, einen höheren Mitverschuldensanteil als die von ihr angesetzten 30 % anrechnen lassen, weil sie jedenfalls unvorsichtig auf die Straße gefahren sei. Auch insoweit bleibt die Berufung ohne Erfolg. Grundsätzlich dürfen Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen, dass Ampelschaltungen, insbesondere rote Leuchtzeichen, respektiert werden. Sicherlich hat auch derjenige, der bei Gün eine Straße überqueren will, gleichwohl weiterhin den übrigen Verkehr zu beobachten. Diese Überlegungen führen hier aber nicht weiter. Wie sich der Unfall im Einzelnen abgespielt hat, wie lange die Ampel für die Klägerin Grün anzeigte, wann sie erkennen konnte und musste, dass die Beklagte zu 1 verbotswidrig bei Rot fahren würde, bleibt ungeklärt. Letztlich wäre aber selbst dann, wenn ein kausaler Verstoß gegen Sorgfaltspflichten angenommen würde, keine höhere Mitverschuldensquote als die von der Klägerin selbst angesetzte anzunehmen. Sie wäre dann ohne Licht nicht sorgfältig genug über die Straße gefahren, die sie wegen des grünen Lichts der Ampelanlage grundsätzlich überqueren durfte. Die Beklagte zu 1 hätte sich, anders als die Klägerin, ohnehin die Betriebsgefahr des Fahrzeugs und zusätzlich einen besonders schweren Verkehrsverstoß anrechnen lassen müssen.
3. Zu Recht hat das Landgericht auch die Beklagte zu 1 als Fahrerin verurteilt. Aus dem soeben Gesagten ergibt sich, dass das Landgericht zu Recht den Entlastungsbeweis des § 18 Absatz 1 Satz 2 StVG als nicht geführt angesehen hat.