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Verkehrsunfallhaftung für psychische Folgeschäden

OLG Dresden – Az.: 4 U 137/20 – Beschluss vom 20.04.2020

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15.05.2020 wird aufgehoben.

Gründe

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

1. Das Landgericht hat den auf Feststellung einer Ersatzpflicht für vergangene und zukünftige immaterielle Schäden gerichteten Antrag zu Recht zurückgewiesen, da dem Kläger wegen der geltend gemachten unfallbedingten Verletzungen über die bereits geleistete Zahlung von 1.500,- EUR hinaus kein weiterer Schmerzensgeldanspruch zusteht.

Der Schmerzensgeldbetrag ist in der Gesamtschau hinsichtlich sämtlicher vom Kläger geltend gemachter unfallbedingter Beeinträchtigungen angemessen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der eingetretenen körperlichen und nichtkörperlichen Verletzungen, als auch hinsichtlich der darauf beruhenden Schmerzen und des Heilungsverlaufs.

Im Falle strittiger Haftung für Körper- und Gesundheitsschäden unterliegt der dem Kläger als Anspruchsteller obliegende Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität – so auch der einer durch den Unfall unmittelbar herbeigeführten Primärverletzung – den Beweisanforderungen nach § 286 ZPO. Es ist daher die volle Überzeugung des Gerichts erforderlich, dass der Anspruchsteller die behaupteten Verletzungen bei dem Unfall erlitten hat. Hierfür genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. BGH, NJW 2003, 1116). Für behauptete weitere Unfallschäden gilt sodann die Beweiserleichterung des § 287 ZPO. Die Haftung erstreckt sich darüber hinaus grundsätzlich auch auf die aus einer Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung resultierenden Folgeschäden, ohne dass erforderlich ist, dass die Auswirkungen eine organische Ursache haben. Es genügt, wenn die Beeinträchtigungen psychisch vermittelt sind (vgl. BGH, NJW 1996, 2425; Saarländisches OLG, OLG-Report Saarbrücken 2006, 761; KG Berlin, Urteil vom 04.06.2007 – 12 U 173/12). Dabei kommt es stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. In jedem Fall kann die Mitverursachung einer Verschlechterung im Befinden ausreichen, um die volle Haftung auszulösen. Auf eine schon vor dem schädigenden Ereignis bestehende konstitutionelle Schwäche oder gesundheitliche Vorschäden kommt es nicht an (vgl. BGH, NJW 1996, 2425; KG Berlin, Urteil vom 04.06.2007 – 12 U 173/12).

Verkehrsunfallhaftung für psychische Folgeschäden
(Symbolfoto: Von Alexey Rotanov/Shutterstock.com)

a) Nach diesen Grundsätzen geht der Senat aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme davon aus, dass der Kläger durch den Verkehrsunfall vom 22.12.2015 einen körperlichen Primärschaden erlitt – und zwar in Form der von dem Sachverständigen Dr. P… bejahten Zerrung im Bereich der gesamten Wirbelsäule und einer Zerrung der muscoligamentären Strukturen im Bereich des Schulterblattes mit rein (muskel-)funktionellen Einschränkungen und einem regelrechten Heilungsverlauf ohne besonderen Behandlungsbedarf. Nach dem Unfall stellte sich der Kläger bei seinem Hausarzt wegen Schmerzen am Thorax, am Nasenbein, an den Schultern und an der Wirbelsäule vor (vgl. Anlage K1). Zur Abklärung, ob es sich um Unfallfolgen handelt, wurden am 23.12.2015 Röntgenuntersuchungen am Thorax, HWS, BWS, LWS, beider Schultern und des Nasenbeins durchgeführt (vgl. Anlage K1, Karteieintrag Hausarzt), die dem im Beweissicherungsverfahren beauftragten Sachverständigen Dr. P… zufolge keinen Anhalt für knöcherne Verletzungen ergaben, so dass der Sachverständige von unfallbedingt eingetretenen Weichteilschädigungen in Form von Prellungen an den genannten Körperteilen und insbesondere Zerrungen der Wirbelsäule und des Muskel- und Bänderapparates ausgeht.

b) Ob über diese Primärverletzung hinaus der Unfall auch für die weiteren vom Kläger behaupteten Beschwerden ursächlich ist, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, die sich gemäß § 287 ZPO beurteilt. Auch nach diesem Beweismaßstab hat der Kläger indes die mit seiner Berufung geltend gemachten weitergehenden Körper- und Gesundheitsschäden nicht beweisen können. Denn es ist aus Sicht des Senates nach dem Gesamtergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger bei dem Verkehrsunfall vom 22.12.2015 zusätzlich zu der erlittenen Wirbelsäulenzerrung darauf beruhende Folgebeschwerden wie ein lumbales Wurzelreizsyndrom, ein chronisches Schmerzsyndrom, ein Radikuläres Syndrom sowie Schulterbeschwerden mit korrespondierender Verspannung der Nackenmuskulatur und anhaltende Schmerzen in der Hüfte mit Schmerzausstrahlung in die Beine erlitten hat, die eine andauernde medikamentöse Heilbehandlung erfordern. Die von dem Kläger beklagten Schmerzen im Wirbelsäulenbereich, an Hüfte und Beinen sowie Schulter- und Nackenbeschwerden sind nach dem Sachverständigengutachten sämtlich auf ein vorbestehendes chronisches Wirbelsäulenleiden auf degenerativer Basis und nicht sicher auf das Unfallgeschehen zurückzuführen. Dies bezieht auch die Diagnose einer Schulterprellung ein, die der Sachverständige ebenso wenig sicher auf den Unfall beruhend beurteilt wie die nach Behauptung des Klägers noch andauernde Schmerzproblematik. Entgegen der Ansicht der Berufung waren entsprechend den sachverständigen Feststellungen die beim Kläger bestehenden degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule vor dem Unfall auch nicht beschwerdefrei, so dass sie nicht erst durch den Unfall symptomatisch wurden. Aus diesem Grund hat der Sachverständige nicht mit hinreichender überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen können, dass die vorbestehende Schmerzsymptomatik erst durch den Unfall dauerhaft aktiviert wurde (vgl. S. 4 des Protokolls vom 24.05.2019, Az 11 OH 83/16). Der Sachverständige hat eine unfallbedingte Heilbehandlungsbedürftigkeit von sechs Monaten ebenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bestätigen können, denn das Fortbestehen der vom Kläger geschilderten Beschwerden sei nach seiner Ansicht eher dem degenerativen Prozess zuzuschreiben. Da nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. P… von einem regulären Heilungsverlauf auszugehen ist und keine dauerhafte, sondern nur eine vorübergehende Schmerzverstärkung vorgelegen habe, die spätestens nach acht Wochen ausgeheilt war, ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger den Nachweis eines unfallbedingten Dauerschadens nicht geführt hat. Wegen des fehlenden Nachweises einer andauernden Behandlungsbedürftigkeit der unfallbedingt eingetretenen Beschwerden ist zu seinen Gunsten auch die fortbestehende Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung bei der Schmerzensgeldbemessung nicht zu berücksichtigen. Selbst wenn zugunsten des Klägers eine unfallbedingte Schmerzverstärkung über sechs Monate und ein verlängerter Heilungsverlauf angenommen würde, wäre dies als vorübergehende Beeinträchtigung durch den vorprozessual gezahlten Schmerzensgeldbetrag mit abgegolten. Dies gilt auch, soweit der Kläger mit der Berufung rügt, dass aufgrund der unfallbedingten Beschwerden für 14 Tage eine Krankschreibung erforderlich gewesen sei.

c) Schließlich ist eine weitere Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages auch nicht vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass der psychologische Sachverständige Dr. L… eine schmerzmodulierende und schlaffördernde Medikation empfohlen habe, denn das Landgericht hat dies bereits angemessen und mit zutreffenden Erwägungen berücksichtigt, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Da der Sachverständige darauf verweist, dass der Kläger als Grund für die Schlafstörungen auch anhaltende Schmerzen und eine Grübelneigung wegen des darauf beruhenden Wegfalls der beruflichen Perspektive angegeben hat, kann entgegen der Ansicht der Berufung nicht von einer nachgewiesenen unfallbedingten Beeinträchtigungsdauer von zwei Jahren ausgegangen werden.

d) Der Senat erachtet in der Gesamtschau der nachgewiesenen unfallbedingten Beeinträchtigungen und Beschwerden des Klägers den vorgerichtlich gezahlten Betrag von 1.500,- EUR als angemessen. Eine weitere Erhöhung ist auch im Hinblick auf die vom Kläger auf S. 7 der Berufungsbegründung zitierten Entscheidungen nicht geboten. Es handelt sich um einen im Hinblick auf die körperlichen und nicht körperlichen Schäden sowie der nachgewiesenen, nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit von 14 Tagen durchschnittlichen Fall, der den unter Nr. 1771, 1781, 1783, 1786 angeführten Entscheidung (vgl. Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2020) entspricht.

e) Der Schmerzensgeldbetrag war auch nicht wegen einer unangemessenen Regulierungspraxis der Beklagten zu erhöhen. Zögerliches oder kleinliches Regulierungsverhalten wirkt schmerzensgelderhöhend, wenn dies auf vorwerfbaren oder jedenfalls nicht nachvollziehbaren Verhalten beruht, das sich in unangemessen niedrigen vorprozessualen Leistungen mit anschließenden verfahrensverzögernden Einwendungen gegen die Schmerzensgeldhöhe, unverständlich verzögerter Regulierung oder unvertretbarem vorprozessualen Verhalten, das über die verständliche Rechtsverteidigung hinausgeht, niederschlägt (so eingehend: OLG München, Urteil vom 21. März 2014,10 U 1750/13, Rn. 32 – 35, – juris). Da die Beklagte den mit Schreiben vom 05.02.2016 angeforderten Schmerzensgeldvorschuss von 1.000,- EUR rund zwei Monate später (am 12.04.2016) bezahlt und den angesichts der nachgewiesenen unfallbedingten Beschwerden des Klägers zu Recht als angemessen erachteten Restbetrag von 500,- EUR weitere vier Monate später überwiesen habt, liegen die Voraussetzungen für eine Erhöhung nicht vor.

2. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht auch den auf Ersatz von materiellen Schäden gerichteten Feststellungsantrag verneint.

a) Der Kläger hat einen unfallkausalen Erwerbsschaden nicht schlüssig belegt. Nach seinem eigenen Vortrag hat er schon vor dem Unfallgeschehen im Hinblick auf die beabsichtigte Tätigkeit im Zusammenhang mit der Renovierung seines Hauses seine Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt. Soweit er die Renovierung seines Hauses unfallbedingt nicht ausüben konnte, fehlt es an der Darlegung eines Schadenseintritts, wie das Landgericht mit zutreffender Begründung festgestellt hat.

b) Zu der auch im Rahmen eines Feststellungsantrages gebotenen Darlegung eines Haushaltsführungsschadens genügt es materiell nicht, lediglich abstrakt auf eine entsprechende Einschränkung der Haushaltsführungstätigkeit hinzuweisen. Vielmehr ist die konkrete Lebenssituation darzustellen, um gemäß § 287 ZPO ermitteln zu können, nach welchen wesentlichen Auswirkungen auf die Hausarbeit sich der Haushaltsschaden berechnen lässt (vgl. Senat, Beschluss vom 03. Januar 2018 – 4 W 1152/17 –, Rn. 2, m.w.N., – juris). Es bedarf auch unter Berücksichtigung der durch § 287 ZPO herabgesetzten Anforderungen eines hinreichend substantiierten Vortrags (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen BGH VersR 1992, 618; OLG Koblenz OLGR 2003, 356 = NZV 2004, 33; OLG Düsseldorf OLGR 2003, 383; OLG Hamm, NZV 2002, 570; OLG München, Urteil vom 01. Juli 2005 – 10 U 2544/05 -, Rn. 15, juris). Da der Feststellungsantrag nur bei der hinreichend konkretisierten Möglichkeit eines vergangenen oder zukünftigen Schadenseintritts begründet ist, die der Kläger hier aber nicht aufgezeigt hat, hat das Landgericht zu Recht den Klageantrag abgewiesen.

Der Senat rät daher zur Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.

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