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Verweigerung der Fortsetzung Kreuzfahrtreise wegen Reiseuntauglichkeit

LG Rostock – Az.: 1 O 841/20 – Urteil vom 17.05.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert beträgt 5.453,11 €.

Tatbestand

Die Klägerin macht aus eigenem und ererbten Recht reisevertragliche Ansprüche gegen die Beklagte geltend.

Die Klägerin buchte für sich und ihren mittlerweile verstorbenen im Zeitpunkt der Kreuzfahrt 83 Jahre alten Ehemann bei der Beklagten eine Schiffsreise auf der Donau. Der Reisevertrag mit seinen Reisevertragsbedingungen beschrieb folgende Eckpunkte:

  • Reiseroute: Oltenita – Tulcea – Sulina – Fetesti – Oltenita – Rousse – Belgrad – Novi Sad – Mohacs – Kaiosca – Budapest – Wien – Linz – Engelhartszell/Passau
  • Reisezeit: 11.08.2019 bis 22.08.2019
  • Reisepreis (inkl. An- und Abreisepaket: Berlin – Otopeni/Rumänien und Passau – Berlin): 2.807,00 €

Bis zum 13.08.2019 verlief die Reise ohne Komplikationen.

Am 14.08.2019 erlitt der Ehemann der Klägerin Herr A. einen Schwächeanfall. Der Bordarzt untersuchte den Ehemann der Beklagten und verabreichte eine Tropfinfusion zur Flüssigkeitstherapie. Da die Tropfinfusion nach Ansicht des Arztes keine Verbesserung zeigte und seine Untersuchung zu keiner sicheren Diagnose führte, ordnete er eine Computertomographie (CT) an, um einen Schlaganfall auszuschließen. Dazu war der Transport des Ehemannes ins Krankenhaus, zunächst in Fetesti und anschließend in Constanta, notwendig. Die Klägerin begleitete ihren Mann. Hierfür wurden die Klägerin und der Ehemann ausgeschifft. Im Krankenhaus in Constanta konnte auch nach dem CT keine sichere Diagnose gestellt werden. Schließlich wurde Herr A. gegen 22:00 Uhr im Krankenhaus in Fetesti (Rumänien) zur Beobachtung aufgenommen.

Die Kläger stellte der Beklagten keine Atteste oder Unterlagen zur Verfügung, aus denen sich der Grund des Schwächeanfalls ergeben hätte oder die Attestierung einer Reisetauglichkeit ihres Ehemannes. Die Beklagte verweigerte aufgrund dessen eine Fortsetzung der Reise.

Die Klägerin begründet ihre Klage wie folgt:

Schon der „Bordverweis“ sei zu Unrecht erfolgt, weil bei ihrem Ehemann lediglich eine Dehydrierung vorgelegen habe. Das EKG habe keine Auffälligkeiten aufgewiesen. Am Folgetag sei es ihrem Ehemann wieder gut gegangen. Er sei für reisefähig auf dem Schiff erklärt worden (Zg. Dr. V., zu laden über das Spitalul Municipa „Anghel Saligny“ Fetesti, Strada Călărași 549, Fetești Gară 925102, Rumänien). Die Bedingung zweier verschiedener Atteste in englischer Sprache sei unberechtigt gewesen und habe zudem allein wegen des fehlenden zuständigen Arztes nicht erfüllt werden können. Der Ehemann der Klägerin sei selbstverständlich reisetauglich gewesen (Zg. Herrn Dr. med. P., R.straße Berlin; Zg. Dr. med. S., S. Krankenhaus GmbH, Berlin).

Der Bordarzt habe kein Recht gehabt, dass die Reisefähigkeit des Ehemannes attestiert werde. Das Fehlverhalten des Bordarztes müsse sich die Beklagte zurechnen lassen. Die Beklagte habe die Fortsetzung der Kreuzfahrt nicht davon abhängig machen dürfen, dass ihr Ergebnisse der Untersuchungen in den örtlichen Krankenhäusern zur Verfügung gestellt würden.

Die Beklagte habe sie und ihren Ehemann nicht im gebotenen Maße unterstützt (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 12.04.2021 Seite 4f.).

Die Klägerin berechnet ihren Anspruch wie folgt (Schriftsatz der Klägerin vom 27.11.2020):

  • Verweigerung der Reiseleistung für 11 Tage 2.040,96 €
  • Taxikosten für Fahrt nach Bukarest 188,55 €
  • Flugkosten für den Heimflug 496,60 €
  • Übernachtungskosten 40,00 €
  • Entschädigung wegen vertanen Urlaubs 2.807,00 €
  • abzgl. Zahlung -120,00 €
  • gesamt 5.453,11 €
Verweigerung der Fortsetzung Kreuzfahrtreise wegen Reiseuntauglichkeit
(Symbolfoto: Yevgen Belich/Shutterstock.com)

Die Klägerin beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 5.453,11 nebst Zinsen in Höhe von jährlich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.09.2019 sowie weitere EUR 571,44 an vorgerichtliche Rechtanwaltsgebühren nebst Zinsen in Höhe von jährlich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt sich gegen die Klage mit Sach- und Rechtsausführungen. Sie bestreitet die Erbenstellung der Klägerin nach ihrem Ehemann. Die Beklagte wisse nicht, welche Ergebnisse die Untersuchungen in den örtlichen Krankenhäusern erbracht hätten. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten der Beklagten keinerlei medizinische Unterlagen über die Behandlung in dem örtlichen Krankenhaus zur Verfügung gestellt. Sie habe deshalb befürchten müssen, dass der Ehemann der Klägerin erneut kollabiere. Es habe die Gefahr eines Schlaganfalls einkalkuliert werden müssen, der nicht ordnungsgemäß behandelbar sei.

Dr. P. sei vom behandelnden Klinikarzt darüber informiert worden, dass es keinen eindeutigen, radiologisch verifizierbaren Grund für die stattgehabte Synkope mit längerer Bewusstlosigkeit gegeben habe. Der Klinikarzt habe angesichts der bestehenden Behandlungsmöglichkeiten an Bord keine Kreuzfahrttauglichkeit gesehen. Die Beklagte habe eine Fortsetzung der Reise von einem ärztlichen Attest abhängig machen dürfen. Sie verweist auf den Schiffsreport (Anlage B 3 zur Klageerwiderung). Auf die Klageerwiderung vom 27.10.2020 wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien und die vorgelegten Urkunden verwiesen. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung des sachverständigen Zeugen Dr. P.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 16.04.2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Erstattung anteiliger Reisekosten

Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rückzahlung des anteiligen Reisepreises aus §§ 326 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB zu. Gem. § 326 Abs. 2 S. 1 in Verbindung mit § 275 Abs. 2 BGB ist der Anspruch der Beklagten auf den Reisepreis nicht entfallen. Der Anspruch der Klägerin auf Vergütung der infolge der Befreiung von der Leistungspflicht ersparten Aufwendungen der Beklagten (vgl. § 326 Abs. 2 S. 2 BGB) ist mit der Zahlung von 120,00 € ausgeglichen.

a.

Die sog. Reisetauglichkeit ist eine subjektive Voraussetzung für die Durchführung des Reisevertrags (vgl. § 275 Abs. 2 BGB). Es handelt sich um eine Voraussetzung aus dem Verantwortungsbereich des Reisenden. Dies verdeutlicht Ziffer 6.1 der Reisevertragsbedingungen der Beklagten:

Lässt der geistige oder körperliche Zustand eines Gastes eine Reise bzw. Weiterreise nicht zu, weil dieser den Gast reiseunfähig macht oder eine Gefahr für den Gast selbst oder jemanden sonst an Bord darstellt, kann die Beförderung verweigert oder die Urlaubsreise des Gastes jederzeit abgebrochen werden. Für eventuell entstehende Mehrkosten steht die X Flussschiff GmbH nicht ein.

Eine Reisetauglichkeit setzt voraus, dass der Gesundheitszustand des Reisenden eine komplikationslose Durchführung der Reise erwarten lässt. Hiervon kann im Allgemeinen ausgegangen werden, wenn der Reisende die gestellten Gesundheitsfragen zutreffend beantwortet und der Reiseveranstalter den Reisenden akzeptiert. Eine Reiseuntauglichkeit ist danach gegeben, wenn sich für den Reiseveranstalter unvorhersehbar vor Reiseantritt bzw. während der Reise herausstellt, dass der geistige oder körperliche Zustand des Reisenden die komplikationslose Reise bzw. Weiterreise nicht zulässt, etwa weil der Reisende mangels ausreichender Gesundheitsversorgung Gefahr läuft, vermeidbaren Schaden an Leib oder Leben zu nehmen oder weil die notwendigen und angemessenen Maßnahmen die planmäßige Durchführung der Reise gefährden oder unmöglich machen würden.

Die Reisetauglichkeit steht nicht zur Disposition des Reisenden. Er kann sich nicht – wie die Klägerin meint – „auf eigene Gefahr“ für reisetauglich erklären. Denn das Risiko, dass sich während der Reise eine Reiseuntauglichkeit herausstellt mit all den möglichen Folgen (Notfallversorgung, Ausschiffung, Letalität, Nichteinhalten des Reiseterminplans etc.) kann die vom Reiseveranstalter gegenüber den Mitreisenden geschuldete komplikationslose Durchführung der Reise beeinträchtigen und damit auch ganz wesentlich die Belange des Reiseveranstalters.

Ob eine Reisetauglichkeit bzw. -untauglichkeit gegeben ist, bedarf einer Risikoprognose. Hierbei ist ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum gegeben. Die Prognoseentscheidung unterliegt bei einer Kreuzfahrt der Einschätzung des Kapitäns bzw. der insoweit beauftragten Hotelmanagerin beraten durch den Bordarzt; eine etwaige Fehleinschätzung des Bordarztes geht zu Lasten des Reiseveranstalters (§ 278 BGB), weil er insoweit in eigener Angelegenheit tätig wird (anders als bei einer ärztlichen Behandlung eines Reisenden durch den Bordarzt). Maßgeblich ist die Sicht ex ante. Zu bedenken ist hierbei, dass im Allgemeinen nur eine beschränkte Tatsachengrundlage und Diagnostik zur Verfügung steht. Allerdings müssen die möglichen Befundtatsachen abgeklärt sein, soweit dies zumutbar ist und angesichts der Reiseverhältnisse vertretbar. Der Reiseveranstalter kann bei gegebenem Anlass verlangen, dass die für eine Risikoprognose erforderlichen Unterlagen, Befunde etc., auf die er keinen Zugriff hat, vom Reisenden beigebracht werden. Je größer das Risiko für den Reisenden und die ordnungsgemäße Durchführung der Reise ist bei einer Fortsetzung der Reise und einer Realisierung des anzunehmenden Gesundheitsrisikos, desto größer müssen die Anforderungen für die Entscheidung einer Fortsetzung der Reise sein und desto eher kann bei einer verbleibenden Ungewissheit die Annahme einer Reiseuntauglichkeit mit der Konsequenz eines angeordneten Reiseabbruchs als ultima ratio in Betracht kommen (vgl. auch LG Rostock Urt. v. 11.10.2019 – 1 O 27/18, BeckRS 2019, 26264 Rn. 17, beck-online).

b.

Die Reisetauglichkeit im vorgenannten Sinne fällt in die Verantwortlichkeit des Reisenden im Sinne von § 326 Abs. 2 S. 1 BGB.

Gesetzliche Bestimmungen darüber, was der Gläubiger gem. § 326 Abs. 2 BGB zu verantworten hat, fehlen. Eine unmittelbare Anwendung der §§ 276 ff. BGB kommt nur insoweit in Betracht, als es um die schuldhafte Verletzung eigener Haupt- oder Nebenpflichten geht, der Gläubiger also zugleich Schuldner ist (BeckOK BGB/H. Schmidt, 57. Ed. 1.2.2021, BGB § 326 Rn. 14). Eine Verantwortlichkeit des Gläubigers besteht aber auch dann, wenn er vertraglich das Risiko dafür übernommen hat, dass ein bestimmtes Leistungshindernis nicht eintritt (Beckmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 326 BGB (Stand: 01.02.2020), Rn. 17).

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Die Reisetauglichkeit ist nach der Konzeption des gegebenen Reisevertrags ein Umstand, der zum Risikobereich des Reisenden gehört. Er hat vertraglich das Risiko dafür übernommen, dass er reisetauglich ist und während der Reise bleibt. Die durch eine Reiseuntauglichkeit bedingte Vertragsstörung geht deshalb zu seinen Lasten.

c.

Die Beklagte hat ärztlich beraten eine Reiseuntauglichkeit des Ehemannes der Klägerin annehmen und seine Weiterreise auch von der Vorlage eines aussagekräftigen Attests abhängig machen dürfen.

Der sachverständige Zeuge Dr. S. P. hat geschildert, wie sich der Zusammenbruch des Ehemannes der Klägerin am 14.08.2019 dargestellt hat. Er habe „fast keinen messbaren Blutdruck mehr gehabt“. Zwar sei sein Blutzuckerspiegel unauffällig gewesen wie auch sein EKG. Jedoch sei sein neurologischer Zustand dramatisch gewesen. Er habe einen hochroten Kopf gehabt und seine Pupillen seien stecknadelgroß gewesen. Seine oberen Extremitäten hätten gezittert. Eine Infusion gegen die besorgte Dehydrierung habe keine nachhaltige Besserung gezeigt. Nach seiner Erfahrung habe der Verdacht auf einen Schlaganfall bestanden; er habe eine Transitorische Ischämische Attacke besorgt, die wiederkehren könne. Sein Konsil mit dem Klinikarzt, der den Ehemann der Klägerin behandelt habe, habe nicht ergeben, dass dieser ihn für hinreichend stabilisiert erachte, die Reise fortzusetzen.

Diese Aussage erachtet die Kammer für glaubhaft. Sie deckt sich mit den protokollierten Angaben im Schiffsreport. Der Zeuge hat einen durchweg glaubwürdigen Eindruck gemacht. Dass er sich der Ereignisse erinnert hat, ist verständlich angesichts der Dramatik des Vorfalls und auch der von der Klägerin gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Die Versuche der Klägerin, seine Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage in Zweifel zu ziehen, sind ersichtlich vergeblich gewesen. Der Umstand, dass die Ärzte im rumänischen Krankenhaus eine Flugtauglichkeit des Ehemannes der Klägerin für eine Heimreise attestiert hätten, ist für die Frage einer Reisetauglichkeit ohne entscheidende Relevanz. Die Belastung durch einen Heimflug mit einer Dauer von wenigen Stunden mit einer gesicherten zeitnahen Notfallversorgung lässt sich mit der Belastung mit einer noch nahezu 1 Woche dauernden Kreuzfahrt ohne die Möglichkeit einer ggf. erforderlichen zeitnahen Notfallbehandlung eines Schlaganfallpatienten nicht vergleichen.

Die mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vorgebrachten Einwände der Klägerin gegen die Verwertung der Aussage des Zeugen Dr. P. sind nicht durchgreifend. Es mag sein, dass der Zeuge die mündliche Verhandlung über den Videostream von Beginn an hat nachverfolgen können. Dass seine danach erfolgende Aussage deshalb nicht verwertbar sein soll, wird durch keinen Rechtssatz belegt. Dass dieser Umstand die Glaubhaftigkeit seiner Aussage beeinflusst hat, kann die Kammer nicht erkennen. Das von ihm gezeichnete Bild fügt sich nahtlos in das urkundlich belegte und unstreitige Geschehen ein und ergibt ein in sich stimmiges Gesamtbild. In diesem Zusammenhang misst die Kammer auch dem vergleichsweise hohen Alter des Ehemannes der Klägerin vor Reiseantritt Bedeutung bei und dem Umstand, dass er nicht den Eindruck vermittelt hat, von außergewöhnlich robuster und widerstandsfähiger Verfassung zu sein; die Beklagte hat eine Letalität schlechterdings nicht mit einem hinreichenden Grad von Sicherheit ausschließen können. Der Einwand der Klägerin, die Glaubwürdigkeit des Zeugen sei dadurch beeinträchtigt, dass der Zeuge ein etwaiges rumänisches Attest einem Dritten ohne Einwilligung des Ehemannes der Klägerin zur Übersetzung vorgelegt hätte, ist eine unbelegte Mutmaßung.

Die Beweisantritte der Klägerin für ihre Behauptung, ihr Ehemann sei reisetauglich gewesen, erachtet die Kammer für untauglich. Seine Ärzte in Berlin können über den Zustand des Ehemannes der Klägerin vor Ort keine Erkenntnis haben. Soweit sie den Arzt Dr. V. als Zeugen dafür benannt hat, der Ehemann der Klägerin sei „reisetauglich“ gewesen, fehlt es an jeglichem Vortrag zu den Tatsachen, die der Zeuge bekunden soll. Der Begriff der „Reisetauglichkeit“ ist kein feststehender Begriff mit einem eindeutigen Tatsachenkern. Die vorgelegten ärztlichen Dokumente sind nicht verständlich; die Klägerin hat auch mit keinem Wort dargetan, welchen Inhalt sie haben sollen, weshalb von einem diesbezüglichen Vortrag ins Blaue hinein auszugehen ist.

Dass die lediglich von der Beklagten benannte Zeugin Ö. nicht gehört worden ist, hat darauf beruht, dass sie sich in der Türkei aufgehalten hat. Der Klägervertreter, der sie nicht benannt hat, hat auf ihrer Vernehmung nicht bestanden im Rahmen der abschließenden Erörterung des Ergebnisses der Beweisaufnahme.

Zutreffend ist, dass die Zeugin Ö. zu Beginn der Vernehmung des Zeugen Dr. P. per Videostream – von der Kammer unbemerkt – zugeschaltet gewesen ist. Diese Zuschaltung ist jedoch sodann unterbrochen worden, nachdem der Zeuge Dr. P. mit der Beantwortung des Beweisthemas begonnen hat. Ein kurzzeitiger Verstoß gegen das Gebot gem. §§ 394 Abs. 1, 414 ZPO ist zudem für die Würdigung der Aussage des Zeugen Dr. P. ohne Relevanz.

Weshalb die Kammer die Klägerin hätte anhören sollen, erschließt sich nicht. Die Tatsachen, auf denen die Einschätzung des sachverständigen Zeugen Dr. P. beruht, sind von der anwesenden Klägerin mit keinem Wort in Abrede gestellt worden. Die Klägerin selbst ist ersichtlich fachlich nicht in der Lage, eine medizinische Einschätzung abzugeben. Entscheidend kommt es auch nicht auf ihre Einschätzung an, sondern darauf, wie sich das Gesamtbild für die Beklagte dargestellt hat.

d.

Ausgehend von der Schilderung des sachverständigen Zeugen Dr. S. P. hat die Beklagte begründete Zweifel an der Reisetauglichkeit haben dürfen und müssen.

Aus ihrer Sicht und ärztlich beraten hat sie nicht ausschließen können, dass der immerhin 83 jährige Ehemann der Klägerin einen Schlaganfall erlitten hat und dass sich dieser – trotz zwischenzeitlicher Besserung seines Zustands – wiederholt. Sie hat eine gegebene Letalität des Ehemannes der Klägerin annehmen dürfen und sogar müssen. Sie hat mit vertretbarem und verhältnismäßigem Aufwand eine ggf. erforderliche Notfallversorgung an Bord nicht sicher stellen können. Bei einem erneuten Zusammenbruch wären schwerwiegende Reisestörungen zu besorgen gewesen.

Angesichts dieser nicht auszuschließenden sehr großen Gefahr erachtet die Kammer es nicht nur für selbstverständlich, sondern für geradezu geboten, einen belastbaren Nachweis für die Reisetauglichkeit des Ehemannes der Klägerin zu verlangen. Diesen hat die Klägerin bzw. ihr Ehemann nicht beigebracht, obwohl die Beklagte ihr hierzu ausreichend Zeit gegeben hat. Unstreitig hätte die Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann noch eine Wiedereinschiffung am 17.08.2019 ermöglicht.

e.

Gem. § § 326 Abs. 2 S. 2 BGB muss sich die Beklagte dasjenige anrechnen lassen, was sie infolge der Befreiung von der Leistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen hat.

Abgesehen davon, dass die Klägerin solche Einsparungen nicht geltend macht, erachtet die Kammer einen entsprechenden Anspruch, der über die gezahlten 120,00 € hinausgeht, für nicht gegeben. Dass die Beklagte Personalkosten hat einsparen können, ist nicht ersichtlich. Einsparungen in Bezug auf Kosten für die Ernährung und den Transport der Klägerin und ihres Ehemannes schätzt die Kammer auf rund 5 % des anteiligen Tagespreises, was einen Betrag von weniger als 120,00 € ergeben würde.

2. Schadensersatz wegen zusätzlicher Reisekosten

Ein entsprechender Anspruch aus §§ 651i Abs. 3 Nr. 7, 651n Abs. 1 BGB bzw. aus §§ 280, 249 BGB ist nicht gegeben.

Ob die unberechtigte Weigerung, eine Kreuzfahrtreise fortzusetzen, einen Reisemangel darstellt und einen Schadensersatzanspruch gem. § 651n Abs. 1 BGB eröffnet, oder eine Nebenpflichtverletzung mit der Folge eines Schadensersatzanspruchs gem. §§ 280 Abs. 1, 249 BGB (zur Abgrenzung vgl. MüKoBGB/Tonner, 8. Aufl. 2020, BGB § 651n Rn. 5), kann dahinstehen. Denn die Beklagte hat sich – wie dargelegt – nicht vertragswidrig verhalten.

3. Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude

Ein solcher Anspruch kann nicht zugesprochen werden, weil die Voraussetzungen des § 651n Abs. 2 BGB – der insoweit einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage – nicht erfüllt sind.

Zwar ist die Voraussetzung des § 651n Abs. 2 BGB in Gestalt einer Vereitelung der Reise erfüllt, indem die Beklagte dem Ehemann der Kläger keine bedingungslose Weiterreise erlaubt hat. § 651n Abs. 2 BGB verlangt darüber hinaus aber auch, dass diese Vereitelung vertragswidrig erfolgt ist. Das ist – wie dargelegt – nicht der Fall.

4. Schadensersatzansprüche wegen unzureichender Beistandsleistung

§ 651q BGB schreibt eine Beistandsverpflichtung des Reiseveranstalters vor. Eine Verletzung dieser Pflicht kann Schadensersatzansprüche begründen. Voraussetzung ist stets, dass der Reisende dem Reiseveranstalter Gelegenheit zur Abhilfe gegeben hat (vgl. § 651k BGB). Der Schadensersatzanspruch erfasst nur die Schäden, die bei ordnungsgemäßer Beistandsleistung vermieden worden wären. Die durch eine Reiseuntauglichkeit bedingten Kosten, die ohnedies entstanden wären, werden vom ggf. zu ersetzenden Schaden nicht umfasst. Dies stellt Ziffer 6.1 der Reisevertragsbedingungen nochmals klar.

Die Klägerin hat weder vorgetragen, dass sie die Beklagte um Beistand gebeten hat, noch hat sie dargelegt, welche Kosten ihr und ihrem Ehemann erspart geblieben wären, wenn die Beklagte sich ordnungsgemäß verhalten hätte. Im Schriftsatz vom 12.04.2021 hat sie der Beklagten folgendes vorgeworfen:

  • Der Bordarzt hätte den RTW-Fahrer anweisen müssen, dass er die Klägerin und den Ehemann nach Bukarest zu einem Krankenhaus fährt, in dem ein CT angefertigt werden kann.
  • Es ist von der Beklagten nicht veranlasst worden, wo die Klägerin dann in Bukarest eine Unterkunft findet, während ihr Mann, wie vom Bordarzt angenommen, mindestens eine Woche im Krankenhaus hätte verbleiben müssen.
  • Auch ist der Klägerin kein Dolmetscher zur Seite gestellt worden, um mit den Ärzten sprechen zu können, die weder Deutsch noch Englisch gesprochen haben, mit Ausnahme des Neurologen in Fetesti. Dieser sprach fließend Englisch.
  • Nachdem die Weiterreise mit dem Schiff von zwei Attesten abhängig gemacht und somit die Weiterreise unrechtmäßig verweigert worden war, hätte sich die Beklagte um die Rückflüge von ihren Kunden kümmern müssen. Schließlich hatten die Klägerin und ihr Ehemann eine Pauschalreise gebucht.

Die zusätzlich zum Reisepreis angefallenen Übernachtungs-, Taxi- und gesonderten Rückreisekosten wären unabhängig von einer ordnungsgemäßen Betreuung angefallen.

II.

Mangels Hauptforderung steht der Klägerin kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 ZPO.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz vom 11.05.2021 gibt keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.

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