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WEG-Eigentümer hat Anspruch auf Ersterrichtung des Gemeinschaftseigentums

Landgericht Koblenz ordnet Sachverständigengutachten für Wohnungseigentümergemeinschaft an

Das Landgericht Koblenz hat in seinem Urteil vom 20.11.2023 (Az.: 2 S 29/22 WEG) entschieden, dass ein Sachverständigengutachten erstellt werden muss, um die Kosten für den Abriss eines bestehenden Gebäudes und die Errichtung von Gemeinschaftseigentum in einer Wohnungseigentümergemeinschaft zu ermitteln. Dies ist Teil der Verpflichtungen zur ordnungsgemäßen Verwaltung und Nutzung des Gemeinschafts- und Sondereigentums nach dem Wohnungseigentumsgesetz.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 S 29/22 WEG >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  1. Ein Sachverständigengutachten wird angeordnet, um die Kosten für den Abriss und die Neuerstellung des Gemeinschaftseigentums zu klären.
  2. Die Wohnungseigentümergemeinschaft muss über die Vergabe und Finanzierung des Gutachtens abstimmen.
  3. Die ordnungsgemäße Verwaltung erfordert eine transparente und sachgerechte Auswahl des Sachverständigen durch die Eigentümergemeinschaft.
  4. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben, und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
  5. Das Gericht lässt die Revision zu, was die Bedeutung der Rechtsfrage unterstreicht.
  6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 232.000,00 Euro festgesetzt.

Wohnungseigentumsanlage: Zwischen Gemeinschaftsinteresse und Einzelbefugnissen

Eine Wohnungseigentumsanlage vereint Sonder- und gemeinschaftliches Eigentum unter einem Dach. Während die einzelnen Wohnungen im Sondereigentum stehen, gehören Flächen wie Treppenhäuser oder Grünanlagen zum gemeinschaftlichen Eigentum. Diese Konstellation erfordert die Abstimmung verschiedener Interessen und Befugnisse.

Das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) regelt die Rechte und Pflichten der Eigentümergemeinschaft. Es dient als Richtschnur für eine ordnungsgemäße Verwaltung des Gemeinschaftseigentums, beispielsweise bei Fragen zu Instandhaltung, Sanierung oder Neubau. Mitunter sind Sachverständigengutachten erforderlich, um die anstehenden Kosten zu bewerten.

➜ Der Fall im Detail


Grundlage und Streitpunkte im Fall des LG Koblenz

Im vorliegenden Fall vor dem Landgericht Koblenz, Az.: 2 S 29/22 WEG, geht es um die Ersterrichtung einer Wohnungseigentumsanlage. Ursprünglich hatte das Amtsgericht Koblenz die Klage der Klägerin gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft abgewiesen. Dabei standen die Notwendigkeit des Abrisses des bestehenden Gebäudes und die damit verbundenen Kosten im Fokus. Die Klägerin forderte die Erstellung eines Sachverständigengutachtens, um die Kosten für den Abriss und die Neuerstellung des Gemeinschaftseigentums zu ermitteln. Die rechtliche Herausforderung entstand durch Uneinigkeit über die Durchführung dieser Maßnahmen und die Finanzierung, was zu einer intensiven rechtlichen Auseinandersetzung führte.

Die Entscheidung des Landgerichts Koblenz

Das Landgericht Koblenz hat in seiner Entscheidung einige der ursprünglichen Urteilsfeststellungen des Amtsgerichts abgeändert. Zentral war die Anordnung, dass ein Sachverständigengutachten zur Feststellung der voraussichtlichen Kosten für Abriss und Errichtung des Gemeinschaftseigentums eingeholt wird. Die Verwalterin wurde beauftragt, Angebote für das Gutachten einzuholen und diese der Eigentümergemeinschaft zur Entscheidung vorzulegen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft muss über die Vergabe und die Finanzierung des Auftrags entscheiden, wobei die Kosten nach Miteigentumsanteilen verteilt werden sollen.

Rechtliche Bewertung des Gerichts

Das Gericht hat festgestellt, dass die Ablehnung der von der Klägerin gestellten Beschlussanträge einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht. Allerdings wurden die Anträge zu Abbruch- und Räumungsarbeiten sowie die Abdichtung der Nachbargiebel vom Gericht als nicht der ordnungsgemäßen Verwaltung entsprechend angesehen, da sie zu erheblichen finanziellen Verpflichtungen führen, die nicht allein dem Verwalter überlassen werden dürfen. Die Entscheidung des Gerichts verdeutlicht, dass die Verwaltung in solchen Fällen transparent und unter direkter Beteiligung der Wohnungseigentümergemeinschaft erfolgen muss.

Auswirkungen der gerichtlichen Entscheidung

Durch das Urteil des Landgerichts wird eine detaillierte Prüfung der Kosten notwendig, bevor weitere Entscheidungen über den Abriss und Neubau getroffen werden können. Dies stellt sicher, dass alle Eigentümer gerecht in den Prozess eingebunden sind und die finanziellen Lasten angemessen verteilt werden. Das Gericht hat auch die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils angeordnet, wobei beide Parteien die Möglichkeit haben, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden.

Revision und weitere Verfahren

Das Landgericht hat die Revision gegen sein Urteil zugelassen, was auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Verwaltung von Wohnungseigentum hinweist. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde auf 232.000,00 Euro festgesetzt, was die erhebliche finanzielle Bedeutung des Falls unterstreicht und potenziell den Weg für weitere rechtliche Bewertungen in höheren Instanzen ebnet.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was ist ein Sachverständigengutachten und wann wird es in Wohnungseigentumssachen angefordert?

Zusammengefasst lässt sich sagen:

Ein Sachverständigengutachten ist eine schriftliche Einschätzung eines Experten zu einer bestimmten fachlichen Situation. Es dient dazu, Sachverhalte aufzuklären, für die spezielles Fachwissen nötig ist, das den Beteiligten oder dem Gericht fehlt.

In Wohnungseigentumssachen wird ein Sachverständigengutachten oft angefordert, um den Zustand des gemeinschaftlichen Eigentums zu beurteilen und festzustellen, ob und welche Sanierungsmaßnahmen nötig sind. Es dient als Grundlage für spätere Beschlüsse über konkrete Sanierungen.

Typische Anlässe sind:

  • Klärung von Schadensursachen, z.B. bei Feuchtigkeitsschäden
  • Feststellung der Sanierungsbedürftigkeit und möglicher Sanierungswege
  • Ermittlung von Kosten für Bau- und Abrissarbeiten
  • Beurteilung, ob gravierende Mängel vorliegen, die die Nutzung von Wohnungen erheblich beeinträchtigen

Das Gutachten schafft eine objektive Tatsachengrundlage für Entscheidungen der Eigentümergemeinschaft über den Umfang und die Finanzierung von Maßnahmen. Es hilft, Streitigkeiten zu vermeiden und faire, sachlich fundierte Beschlüsse zu fassen.

Wie wird der Sachverständige ausgewählt und wer trägt die Kosten?

Die Auswahl des Sachverständigen wird grundsätzlich vom Prozessgericht vorgenommen. Dabei soll das Gericht auf öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige zurückgreifen. Die Parteien können vor der Ernennung gehört werden und eigene Vorschläge machen.

In Wohnungseigentumssachen sollte die Auswahl transparent und nachvollziehbar erfolgen, am besten durch Beschluss der Eigentümerversammlung. Dabei können die Eigentümer Vorschläge einbringen und über die Beauftragung abstimmen.

Die Kosten des Gutachtens trägt grundsätzlich die Wohnungseigentümergemeinschaft als Ganzes. Sie werden in der Regel nach Miteigentumsanteilen auf die einzelnen Eigentümer umgelegt, sofern die Teilungserklärung nichts anderes bestimmt.

Die Höhe der Gutachterkosten hängt vom Umfang und der Komplexität des Gutachtens ab. Für ein ausführliches Verkehrswertgutachten fallen meist Kosten zwischen 0,5% und 1% des Immobilienwerts an. Ein Kurzgutachten ist mit rund 500 Euro deutlich günstiger, enthält aber auch weniger Details.

Fazit: Die Auswahl des Gutachters sollte im Konsens der Eigentümer erfolgen. Die Kosten werden solidarisch getragen, außer es gibt abweichende Vereinbarungen. Je nach Zweck und Umfang des Gutachtens variieren die Kosten erheblich.

Was bedeutet „ordnungsmäßige Verwaltung“ in Bezug auf Wohnungseigentum?

Der Begriff „ordnungsmäßige Verwaltung“ ist im Wohnungseigentumsgesetz (WEG) nicht exakt definiert. Grundsätzlich versteht man darunter aber eine Verwaltung, die den Vereinbarungen und Beschlüssen der Wohnungseigentümer entspricht und dem Interesse der Gesamtheit nach billigem Ermessen dient.

Zu einer ordnungsmäßigen Verwaltung gehören insbesondere:

  • Aufstellung einer Hausordnung
  • Ordnungsgemäße Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums
  • Abschluss angemessener Gebäude- und Haftpflichtversicherungen
  • Ansammlung einer angemessenen Instandhaltungsrücklage
  • Aufstellung eines Wirtschaftsplans und Abrechnung der Einnahmen und Ausgaben
  • Durchsetzung von Ansprüchen der Gemeinschaft

Jeder einzelne Wohnungseigentümer hat einen einklagbaren Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung gegenüber der Gemeinschaft. Eine mangelhafte Verwaltung kann sich negativ auf den Wert der Immobilien auswirken. Daher ist die ordnungsmäßige Verwaltung im Interesse aller Eigentümer.

Die konkreten Aufgaben des WEG-Verwalters ergeben sich aus dem Gesetz, der Gemeinschaftsordnung und den Beschlüssen der Eigentümerversammlung. Sie umfassen kaufmännische, technische und rechtliche Aspekte der Immobilienverwaltung.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 18 Abs. 2 WEG (Wohnungseigentumsgesetz): Dieser Paragraph regelt die Rechte eines Wohnungseigentümers, von der Gemeinschaft eine ordnungsmäßige Verwaltung und Benutzung des gemeinschaftlichen und des Sondereigentums zu fordern. Im vorliegenden Fall ist er zentral, da er die Grundlage für die Ansprüche der Klägerin auf eine Beschlussersetzung bildet.
  • § 22 WEG: Dieser Paragraph behandelt die Wiederherstellung und Modernisierung von Gemeinschaftseigentum, allerdings schließt er die Ersterrichtung im Sinne eines vollständigen Neubaus aus, was relevant ist, da im vorliegenden Fall die Wohnungseigentumsanlage noch nicht zur Hälfte errichtet war.
  • § 27 Abs. 1 Satz 1 WEG: Bestimmt die Befugnisse des Verwalters und dessen Pflicht, Maßnahmen ordnungsmäßiger Verwaltung zu treffen, die keine erheblichen Verpflichtungen für die Gemeinschaft nach sich ziehen. Im Kontext des Falles ist dies bedeutend, da die Entscheidungsbefugnis des Verwalters angefochten wird.
  • § 242 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Dieser allgemeine Grundsatz des Treu und Glaubens wird angewandt, um zu bestimmen, ob eine Ersterrichtung des Gemeinschaftseigentums unzumutbar ist. Er ist entscheidend für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Baumaßnahmen unter veränderten wirtschaftlichen Bedingungen.
  • § 16 Abs. 2 WEG: Regelt die Verteilung der Lasten und Kosten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Diese Bestimmung ist wichtig, da sie die finanzielle Verantwortlichkeit und die Verteilung der Kosten für die Gutachten und Bauarbeiten klärt.
  • § 546 ZPO (Zivilprozessordnung): Betrifft die grundsätzliche Überprüfung von Gerichtsentscheidungen auf Rechtsfehler. Der Paragraph ist im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Revision relevant, was auf die Bedeutung der rechtlichen Fragen und deren mögliche Überprüfung durch höhere Gerichte hinweist.


Das vorliegende Urteil

LG Koblenz – Az.: 2 S 29/22 WEG – Urteil vom 20.11.2023

1. Unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 18.05.2022, Az. 133 C 1875/21 WEG, teilweise abgeändert und unter Abweisung der weitergehenden Klage wie folgt neu gefasst:

Es gilt als beschlossen, dass ein Sachverständigengutachten zur Feststellung der voraussichtlichen Kosten für den Abriss des Bestandsgebäudes und die Errichtung des Gemeinschaftseigentums der Wohnungseigentümergemeinschaft eingeholt wird.

Hierfür wird die Verwalterin beauftragt, unverzüglich Angebote für die Erstellung des Sachverständigengutachtens einzuholen und diese der Wohnungseigentümergemeinschaft zur Wahl zu stellen.

Die Wohnungseigentümergemeinschaft wird verpflichtet, über die Vergabe des Auftrags an eine Sachverständige oder einen Sachverständigen sowie dessen Finanzierung nach Miteigentumsanteilen einen Beschluss herbeizuführen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin einerseits und die Beklagte andererseits darf die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckbaren Betrags oder durch dessen Hinterlegung abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 232.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um die Ersterrichtung einer Wohnungseigentumsanlage.

Das Amtsgericht hat mit dem der Klägerin am 19.05.2022 zugestelltem Urteil vom 18.05.2022, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Die Abweisung der Beschlussanfechtungsklage zu den gefassten Negativbeschlüssen hat es damit begründet, dass nicht feststehe, welche Maßnahmen für den Abriss – auch zum Schutz der Nachbargebäude – erforderlich seien. Außerdem sei der Ausgang der Rechtsstreitigkeiten gegen den ausführenden Bauunternehmer abzuwarten. Ein Anspruch auf Ersterrichtung bestehe in analoger Anwendung von § 22 Abs. 4 WEG in der bis zum 30.11.2020 geltenden Fassung nicht, da das Gebäude noch nicht mindestens zur Hälfte errichtet worden sei. Die Abweisung der Beschlussersetzungsklage hat es mit den nicht konkret genug gefassten Anträgen begründet.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 16.06.2022 eingelegten Berufung, die sie mit einem innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist am 15.08.2022 eingegangenem Schriftsatz begründet hat.

Sie verfolgt ihr erstinstanzliches Ziel vollumfänglich weiter.

Unstreitig ist der ausführende Bauunternehmer nunmehr insolvent.

Die Klägerin trägt vor, dass mit der Modernisierung des Wohnungseigentumsrechts ein Anspruch auf Ersterrichtung bestehe. Die Wohnungseigentümergemeinschaft sei unauflöslich. Der Anspruch auf Ersterrichtung folge aus dem Grundsatz der ordnungsmäßigen Verwaltung. In Bezug auf die Beschlussersetzung reiche es aus, wenn ein Kläger sein Begehren grundsätzlich skizziere. Das Gericht müsse dann den Beschluss erlassen, der ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts Koblenz vom 18.05.2022 (Az.: 133 C 1875/21 WEG) wird entsprechend der in der mündlichen Verhandlung erster Instanz gestellten Anträge wie folgt erkannt:

1. Der Beschluss der Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 16.09.2021 zu Top 1 a unter der Überschrift „Eigentümeranträge Frau C. B.“ mit dem Wortlaut

„Der Verwalter wird beauftragt innerhalb von drei Wochen ab heute (16.09.2021) Angebote für die restlichen Abbruch- und Räumungsarbeiten einzuholen und diese Arbeiten dann innerhalb von weiteren zwei Wochen zu vergeben und kurzfristig durchzuführen unter Beachtung aller von der Stadt K. erlassenen Ordnungsverfügungen.“

Ja 290 MEA Nein 810 MEA Enthaltungen 0 MEA wird aufgehoben und im Wege der Beschlussersetzung durch das Gericht wie folgt gefasst:

„Der Verwalter wird beauftragt innerhalb von drei Wochen Angebote für die restlichen Abbruch- und Räumungsarbeiten einzuholen und diese Arbeiten dann innerhalb von weiteren zwei Wochen zu vergeben und kurzfristig durchzuführen unter Beachtung aller von der Stadt K. erlassenen Ordnungsverfügungen.“

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hilfsweise wird beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die zur Erfüllung der Auflagen der Bauaufsichtsbehörde in K. erforderlichen Maßnahmen zur Herstellung eines bauordnungsrechtlich ordnungsgemäßen Zustandes ausführen zu lassen.

2. Der Beschluss der Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 16.09.2021 zu Top 1 b unter der Überschrift „Eigentümeranträge Frau C. B.“ mit dem Wortlaut

„Der Verwalter wird beauftragt, unverzüglich Angebote für die Abdichtung der Nachbargiebel einzuholen und diese Leistung kurzfristig zu vergeben und durchführen zu lassen und zu überwachen, dass dies fachgerecht geschieht.“

Ja 290 MEA Nein 810 MEA Enthaltungen 0 MEA

wird aufgehoben und im Wege der Beschlussersetzung durch das Gericht wie folgt gefasst:

„Der Verwalter wird beauftragt, unverzüglich Angebote für die Abdichtung der Nachbargiebel einzuholen und diese Leistung kurzfristig zu vergeben und durchführen zu lassen und zu überwachen, dass dies fachgerecht geschieht.“

hilfsweise wird beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, die zur Abdichtung der Nachbargiebel erforderlichen Maßnahmen nach Angebotserstellung unverzüglich durchzuführen.

3. Der Beschluss der Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 16.09.2021 zu Top 1 c unter der Überschrift „Eigentümeranträge Frau C. B.“ mit dem Wortlaut

„Der Verwalter wird beauftragt, ab sofort Architekten-Angebote für die Erstellung der Ausführungspläne des Objektes einzuholen und diese Leistung dann an den günstigsten Anbieter zu vergeben.“

Ja 290 MEG Nein 810 MEA Enthaltungen 0 MEA

wird aufgehoben und im Wege der Beschlussersetzung durch das Gericht wir folgt gefasst:

„Der Verwalter wird beauftragt, ab sofort Architekten-Angebote für die Erstellung der Ausführungspläne des Objektes einzuholen und diese Leistung dann an den günstigsten Anbieter zu vergeben.“

hilfsweise wird beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, die zur Herstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes erforderlichen Arbeiten zu ermitteln und zu vergeben.

4. Der Beschluss der Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 26.09.2021 zu Top 1 d unter der Überschrift „Eigentümeranträge Frau C. B.“ mit dem Wortlaut

„Die Eigentümer beschließen, zur Sicherung der Liquidität eine Sonderumlage in Höhe von 50.000,00 Euro.

Die Sonderumlage ist zum 1. November 2021 fällig und von den Eigentümern auf das Konto der Eigentümergemeinschaft IBAN … bei der D., BIC …, einzubezahlen. Die Verteilung der Kosten erfolgt nach Wohneinheiten. Für jede Wohneinheit ist somit ein Betrag von 4.545,45 Euro zum Stichtag fällig.“

Ja 290 MEA Nein 810 MEA Enthaltungen 0 MEA

wird aufgehoben und im Wege der Beschlussersetzung durch das Gericht wie folgt gefasst:

„Die Eigentümer beschließen, zur Sicherung der Liquidität eine Sonderumlage in Höhe von 50.000,00 Euro.

Die Sonderumlage ist zum 1. November 2021 fällig und von den Eigentümern auf das Konto der Eigentümergemeinschaft IBAN … bei der D., BIC …, einzubezahlen. Die Verteilung der Kosten erfolgt nach Wohneinheiten. Für jede Wohneinheit ist somit ein Betrag von 4.545,45 Euro zum Stichtag fällig.“

hilfsweise wird beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die zur Sicherstellung der zu erwartenden Kosten erforderliche Sonderumlage zu beschließen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, dass die Ersterrichtung des Gebäudes unzumutbar sei. Es seien schon Schäden entstanden und da die Kreditkosten deutlich gestiegen seien, lohne sich die Erstellung nicht mehr. Die Wohnungseigentümergemeinschaft sei gescheitert. Die Sparkasse K. habe im Übrigen Interesse am Grundstück gezeigt und wolle dieses für 800.000,00 Euro erwerben.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und Protokolle Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Das Urteil beruht teilweise auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ungültigerklärung der von der Wohnungseigentümergemeinschaft am 16.09.2021 unter Top 1 a-d gefassten Negativbeschlüsse. Sie hat jedoch einen Anspruch auf Beschlussersetzung aus § 18 Abs. 2 WEG.

Nach § 18 Abs. 2 WEG kann jeder Wohnungseigentümer von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums sowie eine Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums und des Sondereigentums verlangen, die dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen (ordnungsmäßige Verwaltung und Benutzung) und, soweit solche bestehen, den gesetzlichen Regelungen, Vereinbarungen und Beschlüssen entsprechen.

Die Ablehnung der von der Klägerin in der Wohnungseigentümerversammlung vom 16.09.2021 gestellten vier Beschlussanträge entspricht ordnungsmäßiger Verwaltung in diesem Sinne.

Die Beschlussanträge der Klägerin zu TOP 1 a-c entsprechen nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, weil sie nach ihrem Wortlaut jeweils dem Verwalter die Entscheidung über die Auswahl des Vertragspartners überlassen.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 WEG ist der Verwalter gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer berechtigt und verpflichtet, die Maßnahmen ordnungsmäßiger Verwaltung zu treffen, die untergeordnete Bedeutung haben und nicht zu erheblichen Verpflichtungen führen. Die Vergabe von Aufträgen an Bauunternehmen und Architekten, um Abbruch- und Abdichtungsarbeiten durchführen sowie Ausführungspläne erstellen zu lassen, ist keine Maßnahme von untergeordneter Bedeutung und führt zu erheblichen finanziellen Verpflichtungen der Gemeinschaft. Daher muss die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durch Auswahl eines speziellen Angebots selbst entscheiden.

Der Antrag zu TOP 1 d entspricht nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, weil nach v. g. Ergebnis Beschlüsse über die Durchführung der begehren Maßnahmen zu TOP 1 a-c nicht gefasst wurden. Zudem besteht kein Anspruch auf Finanzierung der Sonderumlage nach Wohneinheiten. Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG sind die Kosten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nach Miteigentumsanteilen zu tragen. Das gilt auch für eine zu erbringende Sonderumlage. Eine nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG abweichende Regelung ist der Gemeinschaftsordnung unter Ziffer 5 und 9 nicht zu entnehmen.

Im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung ist eine Beschlussersetzung durchzuführen.

Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass ein Wohnungseigentümer grundsätzlich einen Anspruch auf Ersterrichtung des Gemeinschaftseigentums hat. Die Grenze bildet allerdings die Unzumutbarkeit im Sinne von § 242 BGB.

Dabei folgt die Kammer insoweit der neueren Literaturmeinung. Nach dieser besteht grundsätzlich ein Anspruch eines Wohnungseigentümers auf Ersterrichtung der Wohnungseigentumsanlage. Dies folgt aus der Unauflöslichkeit der Gemeinschaft nach § 11 Abs. 1 WEG. Eine analoge Anwendung von § 22 WEG (Wiederaufbau) ist für den sogenannten steckengebliebenen Bau nicht angezeigt. Es handelt sich um eine nicht analogiefähige Ausnahmevorschrift. Ordnungsmäßiger Verwaltung (§§ 18 Abs. 2, 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG) entspricht, zumindest das Gemeinschaftseigentum zu errichten. Für die Errichtung der Sondereigentume sind die Wohnungseigentümer anschließend selbst verantwortlich. Grundsätzlich kann eine Ausnahme von der Pflicht zur Ersterrichtung bestehen, wenn die Erstellung unzumutbar im Sinne von § 242 BGB ist (für die Anwendung von § 242 als Grenze: Dötsch in Bärmann, WEG, 15. Aufl. 2023, § 22, Rn. 40 – 45; zitiert nach beck-online; ebenfalls eine Analogie zu § 22 Abs. 4 WEG a. F. ablehnend: Lehmann-Richter in Staudinger, BGB, Stand 2018, WEG, § 22, Rn. 147; offen lassend: Hogenschurz in Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2022, III. Stecken gebliebener Bau, Rn. 12).

Nach anderer Auffassung kommt in analoger Anwendung von § 22 WEG ein Anspruch auf Ersterrichtung nur in Betracht, wenn die Wohnungseigentumsanlage bereits mindestens zur Hälfte errichtet ist (für die Bildung einer Analogie zu § 22 WEG: Rechtsprechung zu § 22 WEG a. F., z. B. OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.03.1991, Az. 20 W 114/90, Rn. 4; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 22, Rn. 16; zitiert nach beck-online).

Nach Ansicht der Kammer lässt die grundsätzliche Annahme eines Anspruchs auf Ersterrichtung mit der Begrenzung durch das Kriterium der Unzumutbarkeit nach § 242 BGB mehr Spielraum bei der Beurteilung des Einzelfalls. Im vorliegenden Fall ist der Bau bereits beim Abriss des Altgebäudes stecken geblieben.

Nennenswerte Investitionen, die es in seinem Bestand zu schützen gilt, wie es dem Zweck von § 22 WEG entspricht, können noch nicht aufgebracht worden sein. Dann muss es nach diesseitiger Ansicht aber eine Einzelfallentscheidung bleiben, ob die Ersterrichtung der Wohnungseigentumsanlage durch die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch zumutbar ist oder nicht. Diese Grenze kann durch die Anwendung von § 242 BGB im Einzelfall bestimmt werden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung in Ziffer 7 der Gemeinschaftsordnung, da sich diese ebenfalls nur zu einem Wiederaufbau, aber nicht zur Ersterrichtung verhält und ebenfalls eine Ausnahmevorschrift darstellt.

Vorliegend kann diese Entscheidung ohne eine weitere Tatsachengrundlage nicht getroffen werden. Um eine sachgerechte Entscheidung zu der Frage der Unzumutbarkeit treffen zu können, müssen zunächst die Kosten ermittelt werden, die nunmehr für den fachgerechten Abriss des Bestandsgebäudes und die Errichtung des Gemeinschaftseigentums voraussichtlich anfallen werden. Diese Kosten sind durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln.

Da eine Beschlussersetzung das Selbstorganisationsrecht der Wohnungseigentümer beschneidet, darf sie stets nur soweit gehen wie dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes unbedingt notwendig ist (Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 44, Rn. 208; zitiert nach beck-online; BGH, Urteil vom 20.11.2015 – V ZR 284/14 -). Der zunächst anstehende Beschluss ist daher die Einholung eines Gutachtens zu den voraussichtlichen Kosten, damit die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in der Folge sachgerecht darüber entscheiden kann, ob es bei der Pflicht zur Errichtung der Wohnungseigentumsanlage (Gemeinschaftseigentum) verbleibt oder eine Ausnahme wegen Unzumutbarkeit gegeben ist. Im Wege der Beschlussersetzung ist die Verwalterin zur Einholung von Angeboten zu verpflichten. Die Beklagte hat nach Einholung von Angeboten über die Einholung des Gutachtens zu beschließen sowie über die Höhe der erforderlichen Sonderumlage für die Deckung der Kosten.

Soweit die Klägerin mit ihrem Antrag auf Beschlussersetzung (Antrag und Hilfsantrag zu Ziffer 1.) die Verpflichtung der Beklagten begehrt, die zur Erfüllung der bauaufsichtlichen Maßnahmen zur Herstellung eines bauordnungsrechtlich ordnungsgemäßen Zustands ausführen zu lassen, hat sie darauf keinen Anspruch. Auf die Anfrage der Kammer, ob die als Anlage K4 bis K7 vorgelegten bauordnungsrechtlichen Verfügungen überhaupt noch relevant sind oder sich durch Maßnahmen bzw. Ersatzvornahme durch die Behörden erledigt haben, hat keine Partei weiter vorgetragen. Daher steht für die Kammer nicht fest, dass überhaupt noch bauaufsichtliche Verfügungen bestehen, die ein Handeln der Gemeinschaft erfordern.

Für eine Beschlussersetzung dahingehend, dass die Gemeinschaft verpflichtet wird, die Nachbargiebel abzudichten (Antrag und Hilfsantrag zu Ziffer 2.), besteht keine Rechtsgrundlage. Es würde sich um einen Eingriff in fremdes Eigentum handeln. Eine solche Beschlussfassung entspricht nicht ordnungsmäßiger Verwaltung.

Eine Beschlussersetzung zur Einholung von Architekten-Angeboten (Antrag und Hilfsantrag zu Ziffer 3.) ist vor der Entscheidung der Frage, ob eine Pflicht zur Ersterrichtung besteht oder diese unzumutbar ist, noch nicht angezeigt. Derzeit entspricht ein solcher Ersetzungsbeschluss nicht ordnungsmäßiger Verwaltung.

Die Entscheidung zu den Kosten beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Voraussetzung für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO liegt vor. Nach dieser Vorschrift ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Diese liegt darin, dass bislang seitens der Rechtsprechung nach der jüngsten WEG-Reform nicht höchstrichterlich geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen ein Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Ersterrichtung des Gemeinschaftseigentums einer Wohnungseigentumsanlage hat. Nach Mitteilung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung häufen sich derzeit die Fälle, in denen aufgrund der wirtschaftlichen Situation mit gestiegenen Zinsen und Baupreisen Wohnungseigentumsanlagen durch den ursprünglichen Bauträger nicht mehr errichtet werden. Daraus folgt, dass die Klärung der Rechtsfrage für eine Vielzahl von Fällen in Zukunft relevant wird.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 49 GKG.

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