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prothetische Versorgung misslungen – Schmerzensgeld


Oberlandesgericht Koblenz

Az: 5 U 180/06

Urteil vom 20.07.2006


Sachverhalt

Die Klägerin befand sich in der zahnärztlichen Behandlung des Beklagten, um die prothetische Versorgung ihres Oberkiefers erneuern zu lassen. Dies geschah nach einem Heil- und Kostenplan vom 7.3.2003. Die noch vorhandenen Zähne 12, 11, 21, 22 und 23 erhielten keramisch verblendete Metallkronen, die brückenförmig miteinander verblockt wurden. Zur besseren Verankerung wurden bei 12 und 23 Wurzelstifte eingesetzt. An diesen Zähnen wurden dann links- und rechtsseitige Metallgussprothesen befestigt. Die Eingliederung war am 10.4.2003 abgeschlossen.

In der Folge wurde die Klägerin noch mehrmals bei dem Beklagten vorstellig. Nach ihrem Vorbringen klagte sie dabei wiederholt über Schmerzen und litt anfänglich auch unter einer Gesichtsschwellung. Eine Röntgenaufnahme vom 15.5.2003 zeigte ein entzündliches Geschehen im Wurzelbereich 23, dem der Beklagte mit einer Antibiose zu begegnen versuchte. Nach einer erneuten Röntgenuntersuchung vom 19.9.2003 riet er zu einem chirurgischen Eingriff, dem die Klägerin jedoch nicht zustimmte.

Im Februar 2004 frakturierte der frontale Metallblock zwischen den Zähnen 12 und 11, nachdem bereits kurz zuvor ein Eckteil ausgebrochen war. Am 10.3.2004 mussten die Zähne 12, 22 und 23 entfernt werden, und am 19.5.2004 gingen auch die beiden verbliebenen Oberkieferzähne verloren.

Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin den Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung eines mit mindestens 14.000 € bezifferten Schmerzensgeldes und – im Wege der Feststellungsklage – auf materiellen Schadensersatz in Anspruch genommen.
Das LG hat einen Sachverständigen befragt und die Klage sodann abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin hatte einen Teilerfolg.


Gründe

Der Beklagte schuldet der Klägerin sowohl ein Schmerzensgeld als auch materiellen Schadensausgleich.

1. Grundlage ist dabei die Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB. Danach ist der Beklagte ersatzpflichtig, weil die am 25.2.2003 eingeleitete und am 10.4.2003 durch die Eingliederung abgeschlossene prothetische Versorgung der Klägerin nicht von deren wirksamer Einwilligung gedeckt war.

Allerdings hat die Klägerin den vom Beklagten umgesetzten prothetischen Konzept, das Gegenstand des Heil- und Kostenplans vom 7.3.2003 war, zugestimmt. Aber das war unverbindlich. Zu einer rechtsgültigen Einwilligung hätte es vorab einer weitergehenden Unterrichtung der Klägerin bedurft. Der Beklagte hätte das in dem Heil- und Kostenplan vorgestellte Konzept nicht alternativlos im Raum stehen lassen dürfen, sondern der Klägerin eine reelle Wahlmöglichkeit eröffnen müssen. Zwar braucht ein Arzt oder Zahnarzt dem Patienten im Allgemeinen nicht ungefragt zu erläutern, welche verschiedenen Behandlungsmethoden in Betracht kommen, solange er eine Therapie anwendet, die dem Standard genügt (BGH v. 22.9.1987 – VI ZR 238/86, MDR 1988, 216 = BGHZ 102, 17 [22]). Stehen aber mehrere Wege zur Verfügung, die sich in ihren Belastungen, Risiken und Erfolgschancen wesentlich unterscheiden, muss der dem Patient davon Mitteilung machen, damit dieser selbst prüfen kann, was in seiner persönlichen Situation sinnvoll ist und worauf er sich einlassen will (BGH v. 22.9.1987 – VI ZR 238/86, MDR 1988, 216 = BGHZ 102, 17 [22]; v. 24.11.1987 – VI ZR 65/87VersR 1988, 190 [191]; OLG Hamburg v. 30.12.1999 – 1 U 11/99, OLGReport Hamburg 2000, 250; OLG Köln v. 30.9.1998 – 5 U 122/97, OLGReport Köln 1999, 35 = VersR 1999, 1498 f.; OLG Naumburg VersR 2004, 1460). So war es auch hier.

Der vom LG befragte Sachverständige Dr. W. hat sich zu der Frage mehrfach geäußert. Er hat im Ausgangspunkt festgestellt, dass die Indikation für eine umfangreiche Neuversorgung des Oberkiefers bestand und eine bloße Teilerneuerung nicht angezeigt war. Dafür, wie das Ziel zu erreichen war, gab es jedoch keine feste Vorgabe. Dr. W. hat dabei nicht einmal sicher sagen können, ob die vom Beklagten entwickelte Lösung überhaupt zweckmäßig war. Er selbst hätte sie jedenfalls nicht bevorzugt. Insgesamt hat er verschiedene Optionen gesehen und das in seinem schriftlichen Gutachten vom 12.6.2005 wie folgt beschrieben:

Es sind zahlreiche Alternativen denkbar, so wäre z.B. auch die Entfernung der wurzelbehandelten Zähne und damit die Reduktion auf drei Restzähne und eine ausgedehntere Teilprothese eine Möglichkeit gewesen. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Befestigung der Prothese über Klammern oder weniger stabile, weniger starre Geschiebe und damit eine geringere Hebelwirkung bei etwas lockerem Sitz der Prothese. Auch außerhalb des vertragszahnärztlichen Gebührenrahmens lassen sich noch zahlreiche weitere Möglichkeiten, von einer durch Teleskopkronen getragenen Teilprothese bis zu implantatgestützten Brücken zu sehr unterschiedlichen Kosten finden.

Im Rahmen seiner Anhörung vom 16.12.2005 hat Dr. W. bemerkt:

Es gibt für jede Situation verschiedene Möglichkeiten mit unterschiedlichen Risiken aus unterschiedlichen Bereichen… Es gibt Vorteile, aber es gibt bei der anderen Konstruktion natürlich auch Nachteile.

Diese Optionen waren im vorliegenden Fall nicht etwa deshalb eingeschränkt, weil Dr. W. in seinem Gutachten vom 12.6.2005 gemeint hatte, bei der Klägerin sei „eindeutig belegt, dass sie zeitweise extreme Kaubelastungen durch Muskelhyperaktivität im Sinne von Zähneknirschen und Pressen ausgeübt“ habe. Insoweit hat er nämlich erläutert:

Auf die Frage, ob die gewählte Konstruktion in einem Bereich mit Zähneknirschen angezeigt ist:
Grundsätzlich ist sie, wenn sie entsprechend stabil durchgeführt wird, möglich. Sie enthält gewisse Risiken… Die (von dem Beklagten) gewählte Versorgung ist zum damaligen Zeitpunkt eine Leistung gewesen, die von den Krankenkassen im Wesentlichen übernommen wurde. Die von mir favorisierte Lösung wäre nicht entsprechend bezuschusst worden. Die von mir bevorzugte Lösung wäre aus optischen Gründen im Frontzahnbereich problematischer gewesen, aber in dem Fall eines Zahnverlustes sehr leicht reparabel gewesen. Das ist der entscheidende Unterschied. Es gibt da noch andere Varianten.

Im Hinblick darauf hätte der Beklagte prothetische Alternativen mit der Klägerin erörtern müssen; er durfte nicht einfach unterstellen, die Klägerin wünsche in jedem Fall die von ihn in Anlehnung an deren alte Prothese entwickelte Lösung. Dass die gebotene Aufklärung erfolgt wäre, lässt sich indessen nicht erkennen. Der Beklagte hat sich dazu erstmals in der Berufungsinstanz geäußert. Sein Vorbringen ist jedoch ohne Substanz und verliert sich in einer allgemeinen Schilderung, aus der nicht zu entnehmen ist, dass er die von dem Sachverständigen Dr. W. aufgezeigten Behandlungsmöglichkeiten konkret zur Sprache gebracht hätte. Unabhängig davon kommt der Vortrag auch zu spät und ist deshalb schon nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO unbeachtlich.

Da die nötige Aufklärung unterblieb, fehlt die Legitimation für die Behandlung, so dass der Klägerin deshalb ein Schmerzensgeld und die grundsätzliche Berechtigung auf materiellen Schadensersatz zuzubilligen sind (OLG Naumburg VersR 2004, 1460 [1461]).

Das Schmerzensgeld dient dem Ausgleich der Beschwernisse, die für die Klägerin mit der Eingliederung der Prothese und deren anschließender, von Entzündungsprozessen begleiteten Benutzung verbunden waren. Dazu gehören auch deren Beschädigung mit der daraus resultierenden Notwendigkeit einer Neuversorgung und der Verlust sämtlicher Oberkieferzähne. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. W. erklärt sich der Verlust aus einer apikalen Ostitis an Zahn 23, die von dem dort eingebrachten Wurzelstift ausging und sich auf den Zahn 22 ausdehnte, und durch die wegen der Prothesenfraktur eingetretene Lockerung des Zahns 12; danach waren auch die Zähne 11 und 21 nicht mehr zu halten. Im Hinblick darauf ist das Schmerzensgeld mit 6.000 € zu bemessen (vgl. Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 24. Aufl., Nr. 1246, 1253, 1294, 1329, 1364, 1366, 1407, 1479, 1490, 1629, 1637, 1692, 1757).

Für eine Rechtfertigung des Vorgehens des Beklagten durch eine hypothetische Einwilligung der Klägerin ist nichts Greifbares dargetan. Genauso wenig ist der Einwand eines rechtmäßigen Alternativverhaltens erhoben und vorgetragen, dass sich die Klägerin im Fall einer hinreichenden Aufklärung jedenfalls für eine Art der Behandlung entschieden hätte, in deren Folge es zu vergleichbaren Beeinträchtigungen gekommen wäre.

2. Soweit die Klägerin die Rückzahlung des von ihr auf die Rechnung des Beklagten geleisteten Eigenbetrages von 1.500 € und die Feststellung erstrebt, „dass der Beklagte keinen Anspruch auf Nachbesserung hat“, dringt die Klage nicht durch, so dass das Rechtsmittel hier scheitert. Das Verlangen der Klägerin knüpft insoweit nämlich nicht an den nicht von ihrer Einwilligung gedeckten rechtswidrigen körperlichen Eingriff an, der in der Zahnbehandlung lag, sondern hebt auf die vertraglichen Beziehungen zum Beklagten ab. Dabei ist zu sehen:

Fehler in der handwerklichen Leistung des Beklagten als solcher sind nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils, das sich insoweit auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. stützen kann, nicht greifbar. Diese Sicht hat die Klägerin in der Berufungsbegründungsschrift nicht beanstandet. Wenn sie neuerlich zu einer abweichenden Bewertung gelangt und dabei vorbringt, den Bruch der Prothese ihrerseits nicht begünstigt zu haben, weil sie nicht dazu geneigt habe, die Zähne gegeneinander zu pressen (anders freilich noch ihr Vortrag im Schriftsatz vom 4.7.2005, S. 1 f. = Bl. 113 f. GA), gibt das keine Veranlassung zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, zumal dadurch die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde (§ 530, 296 Abs. 1 ZPO).

Aus dem Versäumnis des Beklagten, die Klägerin nicht über die zu Gebote stehenden Behandlungsalternativen aufgeklärt zu haben, kann die Klägerin unter dem Gesichtspunkt einer vertraglichen Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) nur dann Rechte herleiten, wenn sie substantiiert darlegt und ggf. beweist, dass sich in dessen Folge für sie rechtliche und wirtschaftliche Nachteile ergeben haben, die andernfalls ausgeblieben wären. Das ist nicht geschehen. Die Klägerin hat nicht nachvollziehbar vorgetragen, welchen Gang die Dinge genommen hätten, wenn sie von dem Beklagten hinreichend informiert worden wäre. So ist offen, zu welcher vertraglichen Gestaltung es dann gekommen wäre und welche finanziellen Belastungen für sie entstanden wären.

Damit ist nicht zu ersehen, dass sich die Klägerin im Fall der gebotenen Aufklärung in einer anderen Lage befände, als dies gegenwärtig zutrifft, und sie deshalb unter schadensersatzrechtlichen Gesichtspunkten einen Anspruch darauf hätte, sich aus ihren Vertragspflichten ggü. dem Beklagten zu lösen. Insofern wirkt sich die bestehende Unsicherheit hier – anders als bei der deliktischen Inanspruchnahme des Beklagten – zu Ungunsten der Klägerin aus.

Von daher kann dahinstehen, ob der Feststellungsantrag der Klägerin, „dass der Beklagte keinen Anspruch auf Nachbesserung hat“, überhaupt zulässig wäre. Er ist, da das Vertragsverhältnis der Parteien seiner Natur nach allein eine Nachbesserungspflicht, nicht aber auch einen Nachbesserungsanspruch des Beklagten vorsieht (§ 634 Nr. 1 BGB), offensichtlich nicht wörtlich zu verstehen, sondern scheint darauf abzuzielen, dass der Klägerin die Befugnis attestiert werden soll, Rechte nach § 634 Nr. 2, 3 oder 4 BGB auszuüben. Dabei handelt es sich indessen um bloße Vorfragen einer Anspruchsberechtigung, die nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein können (Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 256 Rz. 3).


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