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2. Welle Corona-Pandemie – Schließung von Geschäften des Einzelhandels

Oberverwaltungsgericht Thüringen – Az.: 3 EN 851/20 – Beschluss vom 07.01.2021

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Außervollzugsetzung der Dritten Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung, soweit danach grundsätzlich Geschäfte des Einzelhandels zu schließen sind.

Die Antragstellerin betreibt außerhalb der Ortschaft O in Thüringen aufgeteilt auf drei Gebäude einen Möbelhandel mit insgesamt einer Fläche von 3.000 qm.

Die Thüringer Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie sowie mit deren Einverständnis der Thüringer Minister für Bildung, Jugend und Sport erließen am 14. Dezember 2020 die Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2, die im Wege einer Notveröffentlichung nach § 9 Thüringer Verkündungsgesetz noch am selben Tag auf der Internetseite des Ministeriums und am 18. Dezember 2020 im Thüringer Gesetzes- und Verordnungsblatt (S. 631 ff.) veröffentlicht wurde. Art. 1 dieser Mantelverordnung enthält in Ablösung der Zweiten Thüringer SARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO vom 29. November 2020 (GVBl. S. 583) die Dritte Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Dritte Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung – 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO). Die Rechtsverordnung, soweit im vorliegenden Streit erheblich, hat folgenden Wortlaut:

§ 1 Anwendungsvorrang

(1) Ergänzend zu den Bestimmungen der Zweiten Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Grundverordnung (2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO) vom 7. Juli 2020 (GVBl. S. 349) in der jeweils geltenden Fassung und den Bestimmungen der Thüringer Verordnung über die Infektionsschutzregeln zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in Kindertageseinrichtungen, der weiteren Jugendhilfe, Schulen und für den Sportbetrieb (ThürSARS-CoV-2-KiJuSSp-VO) vom 19. August 2020 (GVBl. S. 430) in der jeweils geltenden Fassung gelten jeweils die Bestimmungen dieser Verordnung.

(2) Bei Abweichungen haben die Bestimmungen dieser Verordnung Vorrang; insoweit treten die Bestimmungen der Zweiten Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Grundverordnung sowie der Thüringer Verordnung über die Infektionsschutzregeln zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in Kindertageseinrichtungen, der weiteren Jugendhilfe, Schulen und für den Sportbetrieb zurück.

(3) Weitergehende Anordnungen und Maßnahmen nach § 13 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO bleiben unberührt.

§ 2 Grundsatz

Jede Person ist angehalten, die physisch-sozialen Kontakte zu anderen Personen außer zu den Angehörigen des eigenen Haushalts und Personen, für die ein Sorge- oder Umgangsrecht besteht, auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren.

§ 8 Geschäfte und Dienstleistungen

(1) Körpernahe Dienstleistungen wie solche in Friseur-, Nagel-, Kosmetik-, Tätowier-, Piercing- und Massagestudios mit Ausnahme medizinisch notwendiger Dienstleistungen sind mit Ablauf des 15. Dezember 2020 untersagt.

(2) Mit Ablauf des 15. Dezember 2020 sind die Geschäfte des Einzelhandels einschließlich Fabrikläden und Hersteller-Direktverkaufsstellen für den Publikumsverkehr mit Ausnahme Telefon- und Onlineangebote ausschließlich zum Versand oder zur Lieferung zu schließen und geschlossen zu halten. Von der Schließung nach Satz 1 sind ausgenommen:

1. der Lebensmittelhandel einschließlich Bäckereien und Fleischereien, Getränke-, Wochen- und Supermärkte sowie Hofläden,

2. Reformhäuser,

3. Verkaufsstellen für Weihnachtsbäume,

4. Drogerien,

5. Sanitätshäuser,

6. Optiker und Hörgeräteakustiker,

7. Banken und Sparkassen,

8. Apotheken,

9. Filialen der Deutschen Post AG und Paketstellen von Logistikunternehmen,

10. Wäschereien und Reinigungen,

11. Tankstellen, Kfz-Handel, Kfz-Teile- und Fahrradverkaufsläden,

12. Tabak- und Zeitungsverkaufsstellen,

13. Tierbedarf,

14. Babyfachmärkte,

15. Buchhandelsgeschäfte mit der Einschränkung auf kontaktlose Weitergabe elektronisch oder telefonisch bestellter Ware außerhalb der Geschäftsräume sowie

16. der Fernabsatzhandel und der Großhandel.

(3) Geschäfte nach Absatz 2 Satz 1 mit gemischtem Sortiment dürfen für den Publikumsverkehr geöffnet bleiben, wenn und soweit

1. die angebotenen Waren dem regelmäßigen Sortiment entsprechen und

2. die Waren den Schwerpunkt des Sortiments bilden.

Geschäfte im Sinne des Satzes 1 sind solche, die neben den in Satz 1 genannten auch Waren aus nach Absatz 2 Satz 1 untersagten Geschäftsbereichen, für die keine Ausnahme nach Absatz 2 Satz 2 vorliegt, enthalten. Den Geschäften bleibt unbenommen, durch abgegrenzte Teilschließungen den Schwerpunkt in nach Absatz 2 Satz 2 zulässigen Sortimenten nach Satz 1 Nr. 2 zu gewährleisten.

(4) Soweit Dienstleistungsbetriebe und Geschäfte nicht nach den Absätzen 1 und 2 zu schließen oder geschlossen zu halten sind, hat die jeweils verantwortliche Person nach § 5 Abs. 2 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO neben den Maßnahmen nach § 3 Abs. 1 bis 3 sowie den §§ 4 und 5 Abs. 1 bis 4 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO sicherzustellen, dass sich in den Geschäfts- und Betriebsräumen nicht mehr als ein Kunde pro 10 m² Verkaufsfläche aufhält.

(5) Abweichend von Absatz 4 gilt für die Verkaufsfläche ab 801 m² eine Obergrenze von einem Kunden pro 20 m². Die Werte nach Absatz 4 und Satz 1 sind entsprechend zu verrechnen. Für Einkaufszentren ist zur Berechnung der nach Absatz 4 und Satz 1 maßgeblichen Verkaufsfläche die Summe aller Verkaufsflächen in der Einrichtung zugrunde zu legen.

§ 17 Außerkrafttreten

Diese Verordnung tritt mit Ablauf des 10. Januar 2021 außer Kraft.

Nach Art. 4 der Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 trat die Verordnung am 15. Dezember 2020 in Kraft.

2. Welle Corona-Pandemie - Schließung von Geschäften des Einzelhandels
(Symbolfoto: Von DesignRage/Shutterstock.com)

Die Antragstellerin hat am 22. Dezember 2020 beim Thüringer Oberverwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auf die Außervollzugsetzung der Dritten Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung beantragt, soweit danach Geschäfte des Einzelhandels einschließlich Fabrikläden und Hersteller-Direktverkaufsstellen für den Publikumsverkehr zu schließen und geschlossen zu halten sind.

Zur Begründung trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, dass die Schließung ihres Möbelgeschäftes Art. 3 GG verletze, da der KFZ-Handel, KFZ-Teile- und Fahrradverkaufsläden nach § 8 Abs. 2 Nr. 11 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO (offensichtlich irrtümlich von ihr als § 7 Abs. 2 Nr. 11 bezeichnet) weiterhin geöffnet haben dürften. Diese unterschiedliche Regelung sei sachlich nicht gerechtfertigt, unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft. ihre Verkaufsräume wiesen eine größere Fläche als die Geschäftsräume des KFZ-Handels auf; es stünde den Kunden auch ein größerer Parkplatz zur Verfügung. Ebenso könnte in Ihren Räumen durch Abstandsmarkierungen und Plexiglastrennscheiben ebenso wie im bevorzugten KFZ-Handel bei einer nicht größeren Kundenfrequenz die Einhaltung der notwendigen Hygienekonzepte gewährleistet werden. Zu berücksichtigen sei auch, dass sie außerhalb des innerörtlichen Zentrums ihr Geschäft betreibe.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, im Wege der einstweiligen Anordnung § 8 Abs. 2 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO vom 14. Dezember 2020 vorläufig außer Vollzug zu setzen, soweit danach die Geschäfte des Einzelhandels einschließlich Fabrikläden und Hersteller-Direktverkaufsstellen für den Publikumsverkehr zu schließen und geschlossen zu halten sind.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Er trägt vor, dass weder die Ermächtigungsgrundlage der Verordnung, noch diese selbst formell- oder materiellrechtlich zu beanstanden sei. Die Privilegierung des KFZ-Handels sei gerechtfertigt, da dessen Öffnung der essentiell notwendigen Mobilität in der Bevölkerung diene und er lediglich ein „Beiwerk“ des notwendigerweise zu öffnenden Kraftfahrzeugteilehandels und des KFZ-Reperatur- und Instandsetzungsbetriebs sei. Im Übrigen sei das Infektionsrisiko aufgrund unterschiedlichen Kundenverhaltens in Möbelkaufhäusern und im KFZ-Handel nicht vergleichbar.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

1. Der Antrag ist zulässig.

Die Statthaftigkeit des Antrags insgesamt ergibt sich aus § 47 Abs. 6 VwGO in Verbindung mit § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 4 ThürAGVwGO. Danach entscheidet das Oberverwaltungsgericht auch außerhalb des Anwendungsbereiches des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO über die Gültigkeit von – wie hier – im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften.

Die Antragstellerin ist als Betreiberin eines Möbelhandels antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Durch die mit der streitgegenständlichen Verordnung bewirkte Schließung ihres Möbelmarktes ist sie in ihren Grundrechten aus Art. 14 GG und jedenfalls auch aus Art. 12 GG betroffen.

Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin bislang in der Hauptsache noch keinen Normenkontrollantrag anhängig gemacht hat, da er in Anlehnung an die für den vorläufigen Rechtsschutz geltenden Vorschriften nach §§ 80, 123 VwGO auch bereits zuvor gestellt werden kann (Beschluss des Senats vom 20. April 2016 – 3 EN 222/16 – juris).

2. Der Antrag ist aber unbegründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

Ob dies der Fall ist, beurteilt sich in Anlehnung an die Regelung in § 32 BVerfGG (vgl. auch § 26 ThürVerfGHG). An die vorläufige Aussetzung einer bereits in Kraft gesetzten Norm, an deren Vollzug ein erhebliches Allgemeininteresse besteht, ist deshalb ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Insoweit sind die Folgen, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, ein Normenkontrollantrag (§ 47 VwGO) aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die aufträten, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO nur dann als Bestandteil der Folgenabwägung in die Bewertung einzubeziehen, wenn sich schon bei summarischer Prüfung im Anordnungsverfahren mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ergibt, dass ein Normenkontrollantrag unzulässig, offensichtlich unbegründet oder offensichtlich begründet ist (st. Rspr. des Senats: vgl. nur Beschluss vom 23. August 2011 – 3 EN 77/11 – LKV 2011, 472 m. w. N.).

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Die begehrte einstweilige Anordnung ist – selbst bei unterstellter Offenheit der Erfolgsaussichten der Normenkontrolle in der Hauptsache – jedenfalls nicht auf Grund der nach den genannten Maßgaben erforderlichen Folgenabwägung geboten.

a. Ein Erfolg eines Normenkontrollantrags ist – allenfalls – offen.

Wie der Senat wiederholt betont hat, wirft der aktuelle Erlass infektionsschutzrechtlicher Regelungen angesichts der dynamischen Entwicklung der Corona-Pandemie und damit einhergehender Gefährdungen existentieller Rechtsgüter wie Leib und Leben sowie der vom Antragsgegner intendierten Abwendung erheblicher Risiken für den Einzelnen und die Gesellschaft einerseits und den damit verbundenen gravierenden Beschränkungen grundrechtlich geschützter Freiheitsräume bis hin zu deren vorübergehender Außerkraftsetzung andererseits schwierigste Rechts- und Tatsachenfragen auf, die in der fachjuristischen Diskussion kontrovers diskutiert werden. Diese Rechtsfragen sind einer abschließenden Klärung in einem Eilverfahren nicht zugänglich. Dies muss dem Hauptsacheverfahren und gegebenenfalls abschließender verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung nach notwendiger umfassender tatsächlicher und rechtlicher Erörterung vorbehalten sein.

Im Einzelnen gilt hier:

aa. Rechtsgrundlage für die streitige Verordnungsbestimmung ist § 32 Satz 1 und 2 i. V. m. §§ 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397). Nach § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können gemäß § 32 Satz 2 IfSG die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Satz 1 der Vorschrift durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Nach § 7 der Thüringer Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten und zur Übertragung von Ermächtigungen nach dem Infektionsschutzgesetz vom 2. März 2016 (GVBl. S. 155), zuletzt geändert durch Verordnung vom 9. Juni 2020 (GVBl. S. 269) wurde diese Verordnungsermächtigung differenziert nach Regelungsbereichen auf das für das Gesundheitswesen bzw. das für Bildung zuständige Ministerium übertragen.

bb. Durchgreifende evidente Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage werden weder von der Antragstellerin geltend gemacht, noch drängen sich solche auf. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf seine bisherige Rechtsprechung (Beschlüsse des Senats zuletzt vom 25. November 2020 – 3 EN 746/20 -, juris Rn. 40, 17. November 2020 – 3 EN 764/20 – juris, vom 13. November 2020 – 3 EN 729/20 – juris Rn. 95 ff., vom 12. November 2020 – 3 EN 747/20 – Rn. 67, vom 8. November 2020 – 3 EN 725/20 – juris Rn. 93 ff., zuvor bereits vom 10. April 2020 – 3 EN 248/20 – juris Rn. 34 ff., vom 9. April 2020 – 3 EN 238/20 – juris Rn. 43 ff. und vom 8. April 2020 – 3 EN 245/20 – juris Rn. 36 ff.).

cc. Es bestehen gegen den Erlass der Rechtsverordnung auch keine durchgreifenden formellen Bedenken. Die streitige Rechtsverordnung wurde zunächst im Wege der Notveröffentlichung nach § 9 des Thüringer Verkündungsgesetzes (ThürVerkG) publiziert und mittlerweile im Thüringer Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht (GVBl. 2020 S. 631).

dd. Auch bestehen nach einer angesichts des tatsächlichen Umfangs und der rechtlichen Schwierigkeiten der Angelegenheit nur möglichen vorläufigen Einschätzung jedenfalls keine solchen Bedenken gegen die erlassene Verordnung, die eine materielle Rechtswidrigkeit zwingend nahelegen.

Weder der Vortrag der Antragstellerin – der hierzu schweigt – noch sonstige Erwägungen lassen Zweifel daran zu, dass der Anwendungsbereich der genannten Rechtsgrundlage eröffnet ist und deren besonderen Tatbestandvoraussetzungen vorliegen. Es wird von der Antragstellerin nicht in Frage gestellt, dass infolge der Corona-Pandemie, der vom Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite und des derzeit erheblichen Infektionsgeschehens grundsätzlich der Antragsgegner verpflichtet ist, infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, die auch grundsätzlich Maßnahmen der Untersagung und Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- und Großhandel umfassen können (§ 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG).

Die allein von der Antragstellerin vorgetragenen rechtlichen Erwägungen zu einer grundrechtswidrigen Ungleichbehandlung (und daraus nach ihrer Ansicht zu folgernder Unverhältnismäßigkeit und Ermessenfehlerhaftigkeit) führen nicht notwendig auf eine Annahme der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme.

Hierbei ist schon zweifelhaft, ob und inwieweit der Vorwurf gleichheitswidriger Behandlung zu den Bereichen des Handels, in denen weiterhin wirtschaftliche Betätigung möglich ist, überhaupt im Eilverfahren auf eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Bestimmungen führen muss (Bayerischer VGH, Beschluss vom 27. April 2020 – 20 NE 20.793 – juris). Allein ein solcher Rechtsverstoß unterstellt, eröffnet dem Verordnungsgeber – soweit nicht andere rechtserhebliche Gesichtspunkte Anderes (wie die Erweiterung der bestehenden Regelung) gebieten (vgl. z. B. Beschluss des Senats vom 22. Mai 2020 – 3 EN 341/20 – juris) – erneut einen Entscheidungsspielraum, diesen Gleichheitsverstoß zu beseitigen. Dies schließt vorliegend nicht aus, im Interesse des Infektionsschutzes und der Vermeidung weiterer Infektionen Kontaktbeschränkungen gegebenenfalls auch für weitere, bislang geöffnete Bereiche des Wirtschaftslebens einzuführen.

Ungeachtet dessen muss ersichtlich die Klärung der Frage der Legitimität der Ungleichbehandlung durch die grundsätzliche Schließung von Geschäften des Einzelhandels für den Publikumsverkehr einerseits und als Ausnahme davon die Öffnung von Geschäften im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 11 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO – also des KFZ-Handels und von KFZ-Teile- und Fahrradverkaufsläden – andererseits dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Bei Differenzierungen ist der Verordnungsgeber zwar an den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich jedoch je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Hoheitsträger, wobei das Niveau der Rechtfertigungsanforderungen sich nach den Besonderheiten des geregelten Lebens- und Sachbereichs bestimmt (sog. bereichsspezifische Anwendung, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Februar 1994 – 1 BvR 1237/85 – BVerfGE 89, 365 = juris Rn. 37 f. m. w. N., vom 18. April 2008 – 1 BvR 759/05 – juris Rn. 53 = DVBl. 2008, 780, und vom 19. November 2019 – 2 BvL 22/14 u. a. – juris Rn. 96 m. w. N. = NJW 2020, 451). Für Rechtsbereiche der Gefahrenabwehr, wie das Infektionsschutzrecht, ist zu berücksichtigen, dass die Verwaltung ihre Entscheidungen hier oftmals – wie in der vorliegenden Krisensituation – unter Zeitdruck und unter Bedingungen einer sich ständig verändernden Lage zu treffen hat. Dass sie trotz dieses Handlungsrahmens bei ihren Entscheidungen im Hinblick auf den Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG einem Gebot innerer Folgerichtigkeit unterläge – wie dies in anderen Rechtsbereichen, etwa dem Steuerrecht, für das Handeln des Gesetzgebers anerkannt ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juni 1991 – 2 BvR 1493/89 – BVerfGE 84, 239 = juris Rn. 108; Beschluss vom 19. November 2019, juris Rn. 100 m. w. N.) – wird, soweit ersichtlich, in Rechtsprechung und Literatur zu Recht nicht vertreten (Beschluss des Senats vom 9. April 2020 – 3 EN 238/20 – juris Rn. 67 f.; OVG Hamburg, Beschluss vom 26. März 2020 – 5 Bs 48/20 – juris).

Davon ausgehend bedarf die Beantwortung der grundsätzlichen Frage der Rechtfertigung der hier streitgegenständlichen Differenzierung in Zeiten drängenden infektionsschutzrechtlichen Handlungsbedarfs und der nachvollziehbaren Zielstellung, bestimmte Bereiche des Handels für die Befriedigung existenzieller Bedürfnisse weiterhin offen zu halten, diffiziler tatsächlicher und rechtlicher Bewertungen. Die vom Antragsgegner vorgebrachten und in der publizierten amtlichen Begründung zu Grunde gelegten Abwägungsvorgänge legen jedenfalls nahe, dass hier zumindest keine Willkürentscheidung im Raume steht. So kann die Differenzierung zwischen dem Möbel- und dem KFZ-Handel in der zulässigen pauschalierenden und generalisierenden Betrachtungsweise des Verordnungsgebers durchaus ihre sachliche Begründung in der unterschiedlichen Bedeutung beider Handelsbereiche für die Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens, aber vor allem in einem regelmäßig zu erwartenden unterschiedlichen Käuferverhalten und abweichender Kundenfrequenz begründet sein.

Soweit die Antragstellerin auf die Rechtslage in anderen Bundesländern verweist, legt sie damit keine Fehlerhaftigkeit der Verordnung am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG, dar. Der Umstand, dass andere Bundesländer anders verfahren, zeigt für sich betrachtet keine Gleichheitswidrigkeit der durch den Antragsgegner getroffenen Anordnung auf (zur Bindung eines Trägers öffentlicher Gewalt an Art. 3 Abs. 1 GG innerhalb seines Kompetenzbereichs vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2008 – 1 BvF 4/05 – juris, BVerfGE 122, 1, Rdn. 95 m. w. N.).

b. Verbleibt es mithin bei offenen Erfolgsaussichten, gebietet eine Folgenabwägung es nicht, die einstweilige Anordnung zu erlassen. Dies legt weder der Vortrag der Antragstellerin nahe, noch ist dies ansonsten erkennbar (vgl. hierzu im Übrigen: ThürVerfGH, Beschlüsse vom 28. Dezember 2020 – VerfGH 118/20 – und vom 24. Juni 2020 – VerfGH 17/20 -; BVerfG, Beschlüsse vom 13. Mai 2020 – 1 BvR 1021/20 – und vom 28. April 2020 – 1 BvR 899/20 – jeweils juris). Bei der Folgenabwägung sind angesichts der Allgemeinverbindlichkeit der Entscheidung die Auswirkungen auf alle von der angegriffenen Regelung Betroffenen zu berücksichtigen, nicht nur die Folgen für die Antragstellerin.

Würde der Aussetzungsantrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt, erwiese sich im Ergebnis des Hauptsacheverfahrens die Verordnung aber als rechtswidrig, wären zwar die betroffenen Bereiche des Einzelhandels in ihren (Grund-)Rechten erheblich beeinträchtigt. Dies wirkt umso schwerwiegender, als infolge der Dauer der Pandemie und deren wellenmäßigem Verlauf die betroffenen Unternehmen bereits mehrfach in ihrer wirtschaftlichen Betätigung beschränkt waren und daraus teilweise gravierende existenzielle Nachteile resultieren können. Jedoch werden diese Nachteile in erheblichen Maße durch die zahlreichen staatlichen Hilfsprogramme zur Überbrückung in der Krisenphase kompensiert. Insbesondere sind auf Bundesebene im Zusammenhang mit den aktuellen Maßnahmen Hilfsprogramme aufgelegt, für die von den temporären Schließungen erfassten Unternehmen, Betriebe, Selbständige, Vereine und Einrichtungen eine außerordentliche Wirtschaftshilfe zu gewähren, um sie für finanzielle Ausfälle zu entschädigen. Überdies treten daneben die Programme des Bundes und der Länder zur wirtschaftlichen Bewältigung der Pandemiefolgen, wie die erweiterten Möglichkeiten der Gewährung von Kurzarbeitergeld, der Aussetzung von Insolvenzverfahren und branchenspezifische Hilfsprogramme (vgl. hierzu nur die Übersichten: Bund: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/info-unternehmen-selbstaendige-1735010; Land: https://wirtschaft.thueringen.de/corona/). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass – worauf der Antragsgegner hinweist – dem Einzelhändler jedenfalls partiell ermöglicht wird, seinen Betrieb durch Online-Handel und Lieferservice in gewissem Umfang aufrechtzuerhalten.

Würde hingegen dem Aussetzungsantrag stattgegeben, erwiese sich die Verordnung im Hauptsacheverfahren aber als rechtmäßig, träte damit eine konkrete – wie auch durch die Fallzahlenentwicklung in Thüringen, Deutschland und der Welt belegte – nicht unwahrscheinliche Steigerung der Risiko- und Gefährdungslage ein. Auch nur eine vorläufige Außervollzugsetzung kann eine Gefahr für Gesundheit, Leib und Leben einer unüberschaubaren Vielzahl von Menschen begründen.

Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Außervollzugsetzung aufgrund der Allgemeinverbindlichkeit weit über den Fall der Antragstellerin hinaus wirken würde. Ein wesentliches Element der komplexen Pandemiebekämpfungsstrategie des Antragsgegners würde in seiner Wirkung deutlich reduziert (vgl. zur Berücksichtigung dieses Aspekts in der Folgenabwägung: BVerfG, Beschluss vom 1. Mai 2020 – 1 BvQ 42/20 -, juris Rn. 10), und dies zu einem Zeitpunkt mit einem dynamischen Infektionsgeschehen. Die Möglichkeit, eine geeignete und erforderliche Schutzmaßnahme zu ergreifen und so die Verbreitung der Infektionskrankheit zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung, einem auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07 – u. a., BVerfGE 121, 317, 350 = juris Rn. 119 m. w. N.), effektiver zu verhindern, bliebe hingegen zumindest zeitweise bis zu einer Reaktion des Verordnungsgebers (irreversibel) ungenutzt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Der Senat bemisst das Interesse der Antragstellerin in Anlehnung an gewerberechtliche Untersagungsverfahren in Höhe von 15.000,00 € (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i. d. F. der am 31.05.2005 /01.06.2012 und am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage, Anhang § 164 Rn. 14), der hier im Hinblick auf die vorübergehende Dauer der Maßnahme zu halbieren ist. Eine weitere Halbierung ist wegen der faktischen Vorwegnahme der Hauptsache hingegen nicht angezeigt.

Hinweis: Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 

 

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