LG Leipzig, Az.: 3 S 73/15, Urteil vom 28.02.2017
1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 09.01.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Leipzig, Aktenzeichen 113 C 8681/13, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens I. und II. Instanz zu tragen.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gegenstandswert: 3.977,60 €
Gründe
1.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach §§ 540, 313 a ZPO abgesehen.
2.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Amtsgerichts Leipzig hat dem Zahlungsbegehren des Klägers zu Unrecht stattgegeben.

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten kein Schadensersatzanspruch aus pVV bzw. wegen Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu. Zwar hat das Amtsgericht Leipzig im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die beklagte Rechtsanwaltskanzlei eine Pflicht aus dem Anwaltsdienstvertrag mit dem Kläger verletzt hat. Diese Pflichtverletzung war allerdings nicht ursächlich für den geltend gemachten Schaden.
a)
Die Beklagte war dem Kläger gegenüber aus dem bestehenden Anwaltsvertrag verpflichtet, vor Erhebung der Klage vor dem Arbeitsgericht Leipzig die Frage der Rechtsschutzgewährung zu klären und den Kläger nach Aufklärung über das Kostenrisiko entscheiden zu lassen, ob der Klageauftrag unbedingt – also unabhängig von einer Kostendeckungszusage – sein sollte. Dies hat die Beklagte im Ergebnis der hierzu in der ersten Instanz durchgeführten Beweisaufnahme nicht getan. Mit einer Klageerhebung vor der Kostenzusage des Rechtsschutzversicherers verletzt der Rechtsanwalt seine Pflichten gegenüber dem Mandanten, wenn dieser ihm nicht in Kenntnis dieses Umstandes und des Kostenrisikos ausführlich unbedingten Klageauftrag erteilt (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1976, 892; OLG Nürnberg, NJW – RR 1989, 1370).
b)
Diese Pflichtverletzung der Beklagten war allerdings nicht ursächlich für den geltend gemachten Schaden. Dieser ist vielmehr erst dadurch entstanden, dass die Ehefrau des Klägers die gegen die Rechtsschutzversicherung erhobene Klage vor dem Landgericht Mühlhausen zurückgenommen hat. Diese Klage wäre erfolgreich gewesen. Die Rechtsschutzversicherung hat den Deckungsschutz für das hier zu Grunde liegende Arbeitsgerichtsverfahren zu Unrecht abgelehnt. Sie hätte auch die weiteren, hier gegenständlichen Kosten übernehmen müssen. Mit dem Erfolg der vor dem Landgericht Mühlhausen erhobenen Klage wäre der hier geltend gemachte Schaden nicht eingetreten bzw. kompensiert worden.
Die Rechtsschutzversicherung der Kläger hat den Deckungsschutz für das Klageverfahren vor dem Arbeitsgericht zu Unrecht auf Grundlage der Versicherungsbedingungen nach § 14 Nr. 1 g GHH 2005 abgelehnt. Auf eine Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers nach dieser Vorschrift kann sich die Rechtsschutzversicherung nicht berufen.
Die Klausel könnte bereits gegen das Transparenzgebot und das gesetzliche Leitbild der §§ 1, 28, 125 VVG verstoßen und daher gemäß § 307 BGB nichtig sein, weil das vom Versicherungsnehmer geforderte Verhalten, „vor Klageerhebung die Rechtskraft eines anderen gerichtlichen Verfahrens abzuwarten, dass tatsächliche oder rechtliche Bedeutung für den beabsichtigten Rechtsstreit haben kann, soweit ihre Interessen (die des Versicherungsnehmers) dadurch nicht unbillig beeinträchtigt werden“, nicht – wie bei Obliegenheitsverletzungen erforderlich – hinreichend klar ist (vgl. z.B. OLG München, VersR 2012, 313; OLG Köln, VersR 2012, 1385, sowie VersR 2016, 113). Zudem begegnet die Wirksamkeit dieser Klausel auch inhaltlichen Bedenken, da sie Leistungsfreiheit für Fälle festlegt, in denen die Rechtskraft eines anderen gerichtlichen Verfahrens nicht abgewartet wird, dass tatsächliche oder rechtliche Bedeutung für den beabsichtigten Rechtsstreit haben kann. Anders als das Kriterium der Vorgreiflichkeit wird damit jegliche tatsächliche oder rechtliche Bedeutung relevant, ohne das hinreichend beschrieben oder erklärbar ist, inwieweit dies im Sinne effektiven Rechtsschutzes berechtigt sein könnte. Dem Versicherer wird mit dieser Klausel die Möglichkeit eröffnet, die berechtigten Interessen des Versicherungsnehmers auf Deckungsschutz bis zum Abschluss anderer gerichtlicher Verfahren, die zwar irgendeine Bedeutung für den beabsichtigten Rechtstreit haben, aber sonst ohne Entscheidungsrelevanz sind, zu vereiteln.
Im Ergebnis kann die Frage der Nichtigkeit dieser Klausel aber dahinstehen, da jedenfalls die dort normierten Gründe für eine Befreiung von der Leistungspflicht nicht vorliegen. Aufgrund dessen, dass der ehemalige Arbeitgeber des Klägers, die Firma N., trotz Sozialplanes vom 20.02.2012 die zum 30.09.2012 fällige Abfindungszahlung an den Kläger nicht vorgenommen hatte, durch die weitergehenden Rechtsmittel und Schriftsätze im arbeitsrechtlichen Verfahren wie auch durch ihr späteres Verhalten in Bezug auf den Sozialplan gezeigt hatte, ohne Titulierung nicht zur Zahlung irgendwelcher Abfindungsleistungen bereit zu sein, erschien die Durchführung des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht Leipzig mit dem Ziel, die Abfindungsansprüche umgehend durchzusetzen, nicht zuletzt auch vor dem Risiko eines Zahlungsausfalles, durchaus geeignet und angemessen. Jedenfalls wären die Interessen des Klägers an der alsbaldigen Titulierung und Zahlung seiner ihm zustehenden Ansprüche durch ein Zuwarten auf das Ergebnis des Beschwerdeverfahrens gegen den Sozialplan, dass in der Länge der Zeit nicht absehbar gewesen ist, unbillig beeinträchtigt worden. Ihm stand es frei, die bereits fälligen Abfindungsansprüche nunmehr gerichtlich durchzusetzen und titulieren zu lassen. Insofern waren die Voraussetzungen einer Leistungsbefreiung nach § 14 Nr. 1 g nicht gegeben. Selbst wenn das Beschlussverfahren über die Wirksamkeit des Sozialplans vorgreiflich gewesen wäre, und der Kläger ohne Beeinträchtigung seiner Interessen das weitere Klageverfahren hätte abwarten müssen, wäre eine bedingungsgemäße Obliegenheitsverletzung weder geeignet gewesen, die Interessen der Rechtsschutzversicherung ernsthaft zu beeinträchtigen noch die Feststellung des Versicherungsfalles oder die Bemessung der Leistung zu beeinflussen, wie es § 14 Nr. 2 GHH 2005 voraussetzt. Mit Beschluss des Arbeitsgerichtes Leipzig vom 25.01.2013 ist die rechtliche Wirksamkeit des Sozialplanes bestätigt worden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das Beschlussverfahren nicht mehr vorgreiflich und Deckungsschutz zu gewähren. Auch dies hat die Rechtsschutzversicherung für den Kläger aber nicht getan. Im Übrigen ist nicht erkennbar oder sonst vorgetragen, dass eine ggf. vorhandene Verletzung der Obliegenheiten irgendeinen Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder auf die Bemessung der Leistung gehabt haben könnte.
Die Rechtschutzversicherung der Kläger hätte daher nach § 14 Nr. 2 GHH 2005 den Rechtschutz nicht versagen dürfen. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte oder nähergehender Vortrag dafür vorhanden, dass die Rechtsschutzversicherung aus anderen Gründen den Deckungsschutz hätte ablehnen dürfen.
Die Deckungsschutzklage vor dem Landgericht Mühlhausen wäre daher erfolgreich gewesen. Warum diese Klage dann zurückgenommen wurde, ist nicht erklärbar. Jedenfalls hat der Kläger daher selbst für die Nichtzahlung seiner nicht erstatteten Anwaltskosten einzustehen. Die grundsätzliche Pflichtverletzung der Beklagten war für diesen Schaden nicht mehr verantwortlich; eine Zurechnung ist insoweit nicht mehr möglich. Die Klage war daher abzuweisen.
3.
Die Kostenerstattung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Vollstreckbarkeitsausspruch beruht auf §§ 708 Nr. 10,711, 108 Abs. 1 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, §§ 543, 526 Abs. 2 Satz 1 ZPO.