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Ausschlussfrist und Abrechnung der Forderung durch Arbeitgeber

Bundesarbeitsgericht

Az: 5 AZR 399/92

Urteil vom21.04.1993 


Leitsätze:

1. Hat der Arbeitgeber durch Abrechnung eine Forderung des Arbeitnehmers vorbehaltlos ausgewiesen, so braucht der Arbeitnehmer diese Forderung nicht mehr geltend zu machen, um eine Ausschlußfrist zu wahren (wie BAG 40, 258 = AP Nr. 76 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).

2. Die Pflicht zur Geltendmachung wird nicht dadurch wieder begründet, daß der Arbeitgeber die Forderung später bestreitet.


Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger aus beendetem Arbeitsverhältnis noch Restgehaltsforderungen zustehen.

Der Kläger war bis zum 31. März 1989 bei der Beklagten als Küchenverkäufer beschäftigt. Seine monatliche Vergütung setzte sich aus Fixum und Provision zusammen. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer, Angestellten und Auszubildenden im Bayerischen Möbelhandel vom 15. Dezember 1986 (im folgenden: MTV) anzuwenden. Der Tarifvertrag enthält u. a. folgende Regelungen:

„B Angestellte
….
7. Die Auszahlung des Gehaltes erfolgt nachträglich spätestens am letzten Werktag des Monats. Dabei sind auch alle Mehrarbeits- und sonstige Vergütungen nach § 6 anzurechnen. Provisionen, Umsatzvergütungen und sonstige veränderliche Gehaltsbestandteile sind monatlich anzurechnen, und zwar spätestens bis zum letzten Werktag des nächstfolgenden Monats.


§ 19 Geltendmachung von Ansprüchen

4. Im übrigen sind alle aus dem Tarifvertrag und dem Arbeitsverhältnis entstandenen gegenseitigen Ansprüche spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Dies gilt auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
5. Vorstehende Fristen gelten als Ausschlußfristen. Nach Ablauf dieser Fristen sind alle Ansprüche verwirkt.“

Der Kläger erhielt am 6. Juni 1989 die Abrechnungen 3/89 bis 5/89. Die Abrechnung 3/89 endete mit einem Betrag von 3.404,42 DM zu seinen Gunsten. Die Abrechnung 4/89 wies die Provision für März 1989 mit 1.812,84 DM aus und endete nach Rückrechnung der Abrechnung 3/89 und Abzug von 5.928,– DM (Weihnachtsgeld 1988) zugunsten des Klägers mit einem Betrag von 432,66 DM. Die Abrechnung 5/89 enthielt eine weitere Rückrechnung der Abrechnung 3/89 und kam zugunsten des Klägers auf einen Betrag von 401,59 DM. Die später – der genaue Zeitpunkt ist nicht festgestellt, liegt aber zwischen dem 6. Juni und dem 26. Juli 1989 – zugegangene Abrechnung 6/89 besagt, daß dem Kläger unter Berücksichtigung der vorausgegangenen Abrechnungen nichts mehr zustehe. Zahlungen aufgrund der Abrechnungen leistete die Beklagte nicht.

Der Kläger hat mit dem am 4. September 1989 beim Arbeitsgericht München eingegangenen Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheides von der Beklagten die Zahlung von 3.404,42 DM Gehalt und von 1.812,84 DM Provision entsprechend den Abrechnungen 3/89 und 4/89 verlangt. Nach Hinweis wurde der Antrag an das Arbeitsgericht Nürnberg abgegeben. Dieses hat den Mahnbescheid am 5. Oktober 1989 antragsgemäß erlassen und ihn der Beklagten am 6. Oktober 1989 zugestellt. Die Beklagte hat unter dem 10. Oktober 1989 Widerspruch eingelegt.

Der Kläger hat vorgetragen, der Beklagten stünden Gegenansprüche nicht zu. Der Abrechnung 4/89 könne nicht deutlich entnommen werden, daß das Weihnachtsgeld zurückgefordert werde. Der Rückzahlungsanspruch sei im übrigen am 31. März 1989 fällig geworden und daher wegen der zweimonatigen Ausschlußfrist des § 19 Abs. 4, 5 MTV am 31. Mai 1989 erloschen. Dagegen habe er seine Ansprüche mit Schreiben vom 26. Juli 1989 rechtzeitig geltend gemacht.

Der Kläger hat daher beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.812,84 DM brutto sowie 3.404,42 DM netto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Gesamtnettobetrag seit dem 16. August 1989 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und dazu vorgebracht:

Soweit in der Abrechnung 4/89 die Provision für März 1989 aufgeführt worden sei, sei dieser Anspruch mit ihrem Anspruch auf Rückzahlung des Weihnachtsgeldes verrechnet worden. Im übrigen habe sie mit der Übergabe der Abrechnungen ihre Rückzahlungsansprüche rechtzeitig geltend gemacht. Dagegen seien die Ansprüche des Klägers gemäß § 19 Abs. 4, 5 MTV verfallen. Ein Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten vom 26. Juli 1989 habe sie niemals erhalten. Vielmehr seien ihr die Forderungen des Klägers erstmals durch den Mahnbescheid vom 5. Oktober 1989 bekannt geworden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Revision wegen eines Betrages von 401,59 DM (Anspruch nach Abrechnung 5/89) zugelassen. In dieser Höhe verfolgt der Kläger sein Klageziel mit der Revision weiter.

Die Revision ist begründet.

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch über eine Forderung des Klägers von 401,59 DM. Diese Forderung besteht zu Recht. Der Kläger braucht sich nicht entgegenhalten zu lassen, er habe seine Forderung verspätet geltend gemacht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, sämtliche mit der Klage geltend gemachten Ansprüche des Klägers seien aufgrund der zweimonatigen Ausschlußfrist des § 19 Abs. 4, 5 MTV verfallen. Der Kläger habe nicht beweisen können, daß die Beklagte das Anspruchsschreiben seines Prozeßbevollmächtigten vom 26. Juli 1989 erhalten habe. Die Beklagte habe daher erstmals durch den Mahnbescheid vom 5. Oktober 1989, zugestellt am 6. Oktober 1989, von der Geltendmachung der Ansprüche Kenntnis erlangt. Der Kläger habe sich damit nicht einmal den zeitlich spätesten und für ihn günstigsten Anspruch, nämlich den aus der Provisionsabrechnung für März 1989, erhalten können. Der Abrechnungsanspruch sei spätestens am 30. April 1989 fällig gewesen. Die Ausschlußfrist zur Geltendmachung dieses Anspruchs sei daher am 30. Juni 1989 abgelaufen, weiter aber auch am 31. August 1989 die sich daran anschließende Ausschlußfrist zur Geltendmachung des Zahlungsanspruches.

Von einer vorbehaltslosen Abrechnung könne allenfalls wegen eines Betrages von 401,59 DM die Rede sein. Nur dieser Betrag lasse sich letztlich aus den Abrechnungen 3/89 bis 5/89 ableiten. Die Beklagte habe aber durch die weitere Abrechnung 6/89 bestritten, daß dem Kläger der zunächst anerkannte Betrag zustehe. Dieses Bestreiten der Beklagten habe entsprechend dem Zweck der Ausschlußfristen die Verpflichtung des Klägers ausgelöst, seinen Anspruch erneut geltend zu machen. Dies hätte innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten nach Erhalt der Einwendungen, die dem Kläger spätestens am 26. Juli 1989 bekannt gewesen seien, geschehen müssen. Der Kläger habe diese Frist aber versäumt.

Das Landesarbeitsgericht hat die prozeßentscheidende Frage, ob der Kläger den in der Abrechnung 5/89 vorbehaltslos ausgewiesenen Forderungsbetrag trotz späteren Bestreitens der Beklagten noch einmal hätte schriftlich geltend machen müssen, zutreffend erkannt, jedoch nicht richtig beantwortet. Seiner klagabweisenden Begründung kann nicht gefolgt werden. Der Kläger brauchte die Forderung nicht mehr schriftlich geltend zu machen.

II.1. Die dem Kläger am 6. Juni 1989 – zusammen mit anderen Abrechnungen – übergebene Abrechnung 5/89 der Beklagten weist ein Guthabensaldo des Klägers von 401,59 DM aus. Diese Abrechnung ist vorbehaltlos erteilt worden. Nach seit langem gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird die in einer schriftlichen Lohnabrechnung des Arbeitgebers ausgewiesene Lohnforderung streitlos gestellt und muß nicht noch einmal schriftlich geltend gemacht werden. Begründet wird diese Ansicht mit dem Zweck der tariflichen Ausschlußfristen. Der Gläubiger soll angehalten werden, die Begründetheit und die Erfolgsaussichten seiner Ansprüche zu prüfen. Er soll den Schuldner innerhalb der vereinbarten Fristen darauf hinweisen, ob und welche Ansprüche im einzelnen noch erhoben werden. Der Schuldner soll sich darauf verlassen können, nach Ablauf der tariflichen Verfallfristen nicht mehr weiter in Anspruch genommen zu werden (vgl. dazu BAG Urteil vom 8. August 1979 – 5 AZR 660/77 – AP Nr. 67 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 3 a der Gründe mit Hinweis auf Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 367; BAGE 40, 258, 260 f. = AP Nr. 76 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu 1 a der Gründe; BAG Urteil vom 29. Mai 1985 – 7 AZR 124/83 – AP Nr. 92 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu I 2 b der Gründe).

2. An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts dadurch, daß der Arbeitgeber die Lohnabrechnung später widerruft, Gegenansprüche erhebt oder aus anderen Gründen die Zahlung verweigert. Denn durch dieses Verhalten wird der einmal erreichte Zweck der Ausschlußfrist nicht wieder rückwirkend beseitigt. Die in einer Ausschlußfrist vorgeschriebene schriftliche Geltendmachung soll eine Hinweisfunktion erfüllen. Der Gläubiger weist den Schuldner darauf hin, daß er noch bestimmte, näher bezeichnete Ansprüche erhebe. Bei einer Lohnabrechnung mit einem bestimmten Guthabensaldo des Arbeitnehmers sind die Ansprüche des Gläubigers aber bereits genau bezeichnet und beziffert. Der Gläubiger ist jetzt schon so gestellt, wie er stehen würde, wenn er seine Forderungen schriftlich dargelegt und der Schuldner sich dazu erklärt hätte. Dieser, mit einem bestimmten Ergebnis endende Geschehensablauf kann nicht dadurch beseitigt werden, daß der Schuldner später zu erkennen gibt, er wolle doch nicht zahlen. Ob diese Weigerung sachlich berechtigt ist, bleibt eine Frage der materiellen Begründetheit eventuell erhobener Gegenansprüche. Wollte man vom Gläubiger dagegen verlangen, seine in der Lohnabrechnung bereits saldierte Forderung nun nochmals schriftlich geltend zu machen, so würde man ihm damit eine überflüssige Förmlichkeit abverlangen. Denn dem Schuldner ist aufgrund seiner eigenen früheren Lohnabrechnung genau bekannt, um welche Forderungen es geht. Eine dem Wesen der tariflichen Ausschlußklausel entsprechende Hinweisfunktion könnte eine erneute schriftliche Geltendmachung nicht mehr erfüllen. Wer aufgrund eigener Abrechnung eine Forderung kennt, braucht von seinem Vertragspartner nicht noch einmal darauf hingewiesen zu werden, wie diese Forderung sich errechnet und daß sie erhoben werden soll.

3. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß der Kläger die hier noch streitige Forderung von 401,59 DM nicht mehr geltend zu machen brauchte. Sie unterlag nur noch den Vorschriften über die Verjährung. Diese ist jedoch nicht eingetreten. Daß ihr nicht verfristete Gegenforderungen zustehen, hat die Beklagte nicht nachgewiesen. So hat sie insbesondere nicht dargelegt, wann dem Kläger die Abrechnung 6/89 zugegangen ist. Da dies jedenfalls nicht vor dem 6. Juni 1989 geschehen ist, wäre eine Gegenforderung der Beklagten verfallen. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien am 31. März 1989 geendet hat, hätte die Beklagte Gegenforderungen gemäß § 19 Abs. 4 MTV binnen zwei Monaten erheben müssen. Nach dem 6. Juni 1989 geltend gemachte Forderungen sind danach aber verfallen.

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