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Baustartverzögerung – Vertragsbeendigung durch Planer

OLG Stuttgart

Az: 10 U 219/05

Urteil vom 14.03.2006


In dem Rechtsstreit wegen Honorarentschädigung hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2006 für Recht erkannt:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30.09.2005 – 33 O 84/05 KfH – abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 28.760,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.06.2004 zu bezahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 28.760,17 €

GRÜNDE:

Mit der Klage verlangt die Klägerin Honorarentschädigung aus einem vorzeitig beendeten Ingenieurvertrag.

Am 30.05.2000 schlossen die Parteien einen von der Beklagten formularmäßig vorbereiteten Werkvertrag, mit dem die Beklagte die Klägerin mit Ingenieurleistungen für das Projekt H-Büropark a. S. in S.-M. beauftragte (Anlage K1). Die von den Parteien vereinbarten Leistungen sind in Anlage 1 dieses Ingenieurvertrages festgelegt und umfassen das komplette Grundleistungsbild des § 73 HOAI bei einem vertraglich vereinbarten Gesamthonorar von 700.000,– DM.

Unter Ziffer 16 heißt es bezüglich der Kündigung:

16.1 Kündigungsfrist
Beide Vertragspartner können den Vertrag nur aus wichtigem Grund kündigen. Einer Kündigungsfrist bedarf es nicht.

16.2
Wird der Vertrag während einer Beauftragungsphase aus einem Grund gekündigt, den der Auftraggeber zu vertreten hat, erhält der Auftragnehmer die volle Vergütung aus dieser Phase, jedoch unter Abzug der ersparten Aufwendungen; diese werden mit 70 von 100 der Vergütung für die vom Auftragnehmer noch nicht geleisteten Arbeiten vereinbart. Weitere Vergütungen werden nicht erstattet.

Am 30.05.2000 erteilte die Beklagte den Auftrag für die Leistungsphasen 1 bis 9 im Sinne von § 73 Abs. 1 HOAI. Die Klägerin trieb die Planungen bis zur Vergabereife voran. Anschließend geriet das Projekt dann ins Stocken. In der Folgezeit forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos auf, ihren Mitwirkungspflichten nachzukommen sowie Sicherheit gemäß § 648 a BGB zu leisten. Mit Schreiben vom 02.03.2004 (Anlage K2) bat die Klägerin die Beklagte um Mitteilung bis zum 12.3.2004, ob das Projekt fortgesetzt werde. Gleichzeitig wurde die Leistung einer Sicherheit gemäß § 648a BGB in Höhe von 130.000,– € gefordert mit Fristsetzung bis zum 19.03.2004.

Nach erfolglosem Ablauf der Fristen hat die Klägerin den Vertrag gekündigt und verlangt unter Zugrundelegung der Regelung in Ziffer 16.2 des Vertrages unter Berücksichtigung bereits gezahlter 475.000,– € eine restliche Vergütung in Höhe von 28.760,17 €.

Sie ist der Auffassung, dass die Beklagte wegen Nichtvornahme der angemahnten Mitwirkungshandlungen und der unterbliebenen Stellung einer Sicherheit die Kündigung im Sinne von Ziff.16. des Vertrags zu vertreten habe.

Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass ein Verstoß gegen Obliegenheiten kein „Vertretenmüssen“ darstelle, weshalb der Klägerin lediglich ein Anspruch in Höhe von 5 % gemäß § 648 a Abs. 5 Satz 2 BGB zustehe.

Das Landgericht ist der rechtlichen Argumentation der Beklagten gefolgt und hat die Klage durch Urteil vom 30.09.2005 abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der geltend gemacht wird, dass die einem Auftraggeber obliegenden Mitwirkungshandlungen nicht nur Obliegenheiten sondern auch Schuldnerpflichten darstellen können. Die unterbliebene Reaktion der Beklagten auf das Schreiben vom 02.03.2004 berechtigte die Klägerin zur Kündigung im Sinne von § 16 des Ingenieurvertrages mit der Folge, dass die Beklagte die dort vorgesehene Vergütung für die nicht zur Ausführung gelangten Leistungen zu ersetzen habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30.09.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 28.760,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.06.2005 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend und verweist darauf, dass die Verwirklichung des Bauvorhabens für die Klägerin in Anbetracht deren Geschäftsvolumens nicht von entscheidender Bedeutung gewesen sei. Wegen der Einzelheiten des Parteivotrages wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Der Klägerin steht gemäß § 16 Nr. 2 des Ingenieurvertrages vom 30.05.2005 ein Anspruch auf 70 % der im Fall der vollständigen Vertragsdurchführung vereinbarten Vergütung, mithin noch 28.760,17 € zu.

Die Klägerin war nach Ablauf der mit Schreiben vom 02.03.2004 gesetzten Fristen betreffend die Mitteilung über die Realisierung des Projekts und der Leistung einer Sicherheit gemäß § 648 a BGB zur Kündigung des Vertrages nach § 16.1 des Ingenieurvertrages berechtigt.

In Anbetracht des Umstandes, dass nach dem zwischen den Parteien bestehenden Vertrag die Fertigstellung des ersten Bauabschnitts Ende März 2002 vorgesehen war (Terminplan. Anl. 2), bestand ein berechtigtes Interesse der Klägerin zu erfahren, ob und zu welchem Zeitpunkt die ins Stocken geratene Planung verwirklicht wird. Auch wenn es sich bei der Klägerin um ein großes Ingenieurbüro handelt, das sich mit Planung und Durchführung von Großprojekten befasst, bestand im Hinblick auf die Notwendigkeit der Bereitstellung von Personal für das streitgegenständliche Vorhaben ein legitimes Interesse der Klägerin daran, Klarheit darüber zu gewinnen, ob die ausstehenden Leistungen von ihr noch in absehbarer Zeit verlangt werden. Dies gilt unabhängig von der rechtlichen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit des Stuttgarter Büros der Klägerin.

Die unterbliebene Reaktion der Beklagten auf das Schreiben der Klägerin vom 2.3.2004 und der dadurch eingetretene Schwebezustand führte dazu, dass der Klägerin ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar war. Unter Würdigung der beiderseitigen Interessenlage bestand daher ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne von § 16.1 des Ingenieurvertrages.

Dabei ist ohne Bedeutung, ob die vorliegend gegebene Verletzung von Obliegenheiten einen wichtigen Kündigungsgrund nach den Vorschriften des BGB darstellt. Die Parteien haben die Voraussetzungen und Folgen einer Kündigung in dem Vertrag ausdrücklich und abweichend von den gesetzlichen Vorschriften geregelt, weshalb für die Beurteilung der Frage des Vorliegens eines Kündigungsgrundes der Inhalt des Vertrages und dessen Auslegung maßgeblich ist. Im Übrigen vermag der Senat die Auffassung der Beklagten, wonach Obliegenheitsverpflichtungen keinen wichtigen – von dem Auftraggeber zu vertretenden – Kündigungsgrund im Sinne des BGB darstellen, für den vorliegenden Fall nicht zu teilen. Die beim Auftraggeber bestehenden Obliegenheiten können bei Verträgen, deren Ausführung einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen und von der Mitwirkung des Bestellers abhängig ist, im Hinblick auf das Interesse des Unternehmers an der zügigen und termingerechten Fertigstellung zur Vermeidung einer Gefährdung des Vertragszwecks zugleich Mitwirkungspflichten des Auftraggebers begründen (§ 157 BGB), deren Verletzung zur Kündigung berechtigen (vgl. Soergel/Teichmann § 642 Rdn. 7; Erman/Seiler § 642 Rdn. 2; Larenz/Canaris Schuldrecht § 46 III c).

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass der die Klägerin zur Kündigung berechtigende Kündigungsgrund auch von der Beklagten im Sinne der vertraglichen Regelung (Ziffer 16.2) zu vertreten ist, mit der Folge, dass der Klägerin noch ein Anspruch in Höhe des rechnerisch unstreitigen Betrags von 28.760,17 € zusteht.

Dieses Ergebnis ist auch sachgerecht, da es ansonsten der Auftraggeber, der das Vorhaben nicht mehr verwirklichen will, in der Hand hätte, durch Verweigerung der Mitwirkung den Auftragnehmer zu einer Kündigung nach § 643 BGB zu veranlassen, die diesen schlechter stellt als bei einer von dem Auftraggeber ausgesprochenen Kündigung.

Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Klägerin wegen des Verhaltens der Beklagten ihre Stuttgarter Niederlassung schließen musste, kommt es nicht an.

Der geltend gemachte Zinsanspruch ist nach § 286 BGB a.F. begründet. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, da der Rechtsstreit weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

 

 

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