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Betreiberhaftung des Niederspannungsnetzes für Fehler eines anderen Netzbetreibers

OLG Braunschweig – Az.: 8 U 41/12 – Beschluss vom 24.10.2012

Gründe

I. Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO (in der seit dem 27. Oktober 2011 geltenden Fassung, BGBl. I Nr. 53 vom 26. Oktober 2011, S. 2082, § 38 a Abs. 1 EGZPO) zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und auch die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1  Nr. 2 bis 4 ZPO vorliegen. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, weil sie erkennbar nicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes beitragen würde.

Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Ein Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz gegen die Beklagte in Höhe von 4.744,68 EUR gemäß § 280 Abs. 1 BGB bzw. gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, 18 Abs. 1 Nr. 2 NAV besteht nicht.

Eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten in Bezug auf Pflichten aus dem Anschlussnutzungsverhältnis (§ 3 NAV) oder ein rechtswidriger Eingriff in das Eigentum der Klägerin an den beschädigten Maschinen bzw. in deren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegen nicht vor.

1. Nach allgemeinen Beweisregeln ist derjenige, der sich auf das Bestehen eines Schadensersatzanspruches beruft, für alle Voraussetzungen dieses Anspruches darlegungs- und beweisbelastet. Der Geschädigte trägt deshalb die Beweislast dafür, dass der Schuldner objektiv eine ihm obliegende Pflicht verletzt hat (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 280 Rdn. 35; § 823 Rdn. 80 f.; BGH NJW 1985, 264 f.) und der eingetretene Schaden auf dieser Pflichtverletzung beruht (Kausalität). Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin enthält § 18 Abs. 1 Nr. 2 NAV keine widerlegliche Vermutung hinsichtlich der objektiven Pflichtverletzung / Rechtsgutsverletzung, sondern lediglich hinsichtlich des Verschuldens des Netzbetreibers für einen beim Anschlussnutzer entstandenen Schaden. § 18 Abs. 1 Nr. 2 NAV enthält folgende Regelung, die gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 NAV Bestandteil des Rechtsverhältnisses der Klägerin zur Beklagten über den Netzanschluss und die Anschlussnutzung ist:

„Soweit der Netzbetreiber für Schäden, die ein Anschlussnutzer durch Unterbrechung oder durch Unregelmäßigkeiten in der Anschlussnutzung erleidet, aus Vertrag, Anschlussnutzungsverhältnis oder unerlaubter Handlung haftet  und dabei Verschulden des Unternehmers oder eines Erfülllungs- oder Verrichtungsgehilfen vorausgesetzt wird, wird hinsichtlich der Beschädigung einer Sache widerleglich vermutet, dass Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt.“

Die Voraussetzungen der Haftung mit Ausnahme des Verschuldens des Netzbetreibers sind daher grundsätzlich vom Anschlussnutzer zu beweisen. Der Anschlussnutzer ist darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass der Schaden aus dem Verantwortungsbereich des (in Anspruch genommenen) Netzbetreibers herrührt. Hierzu fehlt es an ausreichenden Sachvortrag und Beweisantritt der Klägerin.

Die Streithelferin zu 2. hat vorgetragen, dass es im Umspannwerk in A. am 12.02.2009 im Rahmen einer Funktionsprüfung beim Einschalten eines Sammelschienentrenners zu einem sog. Überschlag gekommen sei, der zu einem Kurzschluss und in der Folge zu einer Stromunterbrechung geführt habe (Schriftsatz der Streithelferin zu 2. vom 20.10.2010, Seite 2, Bl. 67 d.A.). Das Umspannwerk in A. gehört nicht zu dem von der Beklagten betriebenen Niederspannungsnetz, sondern ist Teil des Höchstspannungsnetzes (380 kV), welches zum Vorfallszeitpunkt von der E. N. GmbH (alt) betrieben und am 21.04.2009 im Wege der Abspaltung auf die Streithelferin zu 2. übertragen wurde. Das Bestreiten dieses Sachverhaltes mit Nichtwissen durch die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 17.11.2010 ist unbeachtlich, weil die Klägerin hinsichtlich der Voraussetzungen ihres Schadensersatzanspruches darlegungs- und beweis-belastet ist. Die Beklagte und die Streithelferinnen sind der ihnen obliegenden sekundären Darlegungslast in Bezug auf die Ursachen der Stromunterbrechung hinreichend nachgekommen. Es war nunmehr Sache der Klägerin, im Einzelnen darzulegen, dass die Störung auf Ursachen aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten zurückzuführen ist.

2. Die Beklagte muss sich die aus dem Verantwortungsbereich der E. N. GmbH (alt) bwz. der Streithelferin zu 2. herrührende Ursache der Stromunterbrechung auch nicht gemäß § 278 BGB oder gemäß § 831 BGB zurechnen lassen.

Die E. N. GmbH (alt) bzw. die Streithelferin zu 2. sind nicht Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfinnen der Beklagten.

a) Erfüllungsgehilfe im Sinne des § 278 BGB ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (vgl. Palandt-Grüneberg, a.a.O., § 278 Rdn. 7). Die E. N. GmbH (alt) bzw. die Streithelferin zu 2. einerseits und die Beklagte andererseits sind selbständige Netzbetreiber. Während die Beklagte das Niederspannungsnetz betreibt, an welches der Hausanschluss der Klägerin angeschlossen ist, betreibt die Streithelferin zu 1. das Hochspannungsnetz (110 kV), welches sie am 21.04.2009 im Wege der Ausgliederung von der E. N. GmbH (alt) übernommen hat. Die Streithelferin zu 2. ist Netzbetreiberin des Höchstspannungsnetzes (380 kV und 220 kV). Es handelt sich daher bei den Beklagten und den Streithelferinnen zu 1. und 2. um selbständige Netzbetreiber. Der Umstand allein, dass deren Netze hintereinander-geschaltet sind und eine einheitliche Stromtrasse bilden, führt nicht dazu, dass die Streithelferinnen zu 1. und 2. als Erfüllungsgehilfinnen der Beklagten anzusehen wären. Jeder Netzbetreiber nimmt in seinem Netz die ihm nach dem NAV obliegenden Aufgaben selbständig war. Entgegen den Ausführungen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 05.04.2011 besteht die Aufgabe des jeweiligen Netzbetreibers nicht darin, dem jeweiligen Anschlussnutzer ununterbrochen und ordnungsgemäß Strom zur Verfügung zu stellen. Dies ist Aufgabe des Stromlieferanten / Energieversorgers, mit dem der Anschlussnutzer einen selbständigen Stromlieferungsvertrag abgeschlossen hat. Der Netzbetreiber ist bei Bestehen eines Anschlussnutzungsverhältnisses lediglich verpflichtet, dem Anschlussnutzer in dem im Netzanschlussverhältnis vorgesehenen Umfang die Nutzung des Netzanschlusses jederzeit zu ermöglichen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 NAV). Er hat den in seinem Eigentum stehenden oder ihm wirtschaftlich zur Nutzung überlassenen Netzanschluss zu unterhalten, zu erneuern oder (bei Bedarf) zu ändern (§ 8 Abs. 1 Satz 3 NAV). Dies gilt nicht, soweit und solange der Netzbetreiber an der Möglichkeit der Nutzungsgewährung durch höhere Gewalt oder sonstige Umstände gehindert ist, deren Beseitigung ihm im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 2 NAV aus wirtschaftlichen Gründen nicht zugemutet werden kann (§ 16 Abs. 1 Satz 2 NAV). Der Netzbetreiber haftet in diesem Zusammenhang nicht für Fehler im Netz eines anderen Netzbetreibers. Er ist gemäß § 18 Abs. 3 Satz 4 NAV lediglich verpflichtet, seinen Anschlussnutzern auf Verlangen über die mit der Schadensverursachung durch einen dritten Netzbetreiber zusammenhängenden Tatsachen insoweit Auskunft zu geben, als sie ihm bekannt sind oder von ihm in zumutbarer Weise aufgeklärt werden können und ihre Kenntnis zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches (gegen den dritten Netzbetreiber) erforderlich ist. Ein Informationsbedürfnis der Klägerin bestand insoweit nicht. Nach dem Vortrag der Streithelferinnen ist die Klägerin über die Ursachen des Stromausfalles durch die Haftpflichtversicherung der damaligen Betreiberin des Umspannwerkes A. und Rechtsvorgängerin der Streithelferin zu 2. mit Schreiben vom 23.04.2009 in Kenntnis gesetzt worden. Dieses Schreiben hat die Klägerin unstreitig erhalten.

Die Beklagte als Betreiberin des Niederspannungsnetzes haftet nicht für eine Stromunterbrechung, die auf einen Fehler im Höchstspannungsnetz bzw. dessen Anlagenteilen zurückzuführen ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Netze der Beklagten und der Streithelferinnen hintereinander-geschaltet sind, so dass sich ein Fehler im Höchstspannungs- oder Hochspannungsnetz im Niederspannungsnetz und schließlich im Bereich des Hausanschlusses der Klägerin fortsetzt. Auf die Erörterungen im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Göttingen (vgl. Sitzungs-niederschrift vom 17.11.2010, Bl. 74 f. d.A.) wird insoweit Bezug genommen. Dass die Beklagte das von ihr betriebene Niederspannungsnetz nicht ordnungsgemäß gewartet hätte oder dass ihr die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht zur Last zu legen wäre, hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nicht vorgetragen.

b) Die Streithelferinnen sind auch nicht Verrichtungsgehilfinnen der Beklagten im Sinne des § 831 BGB.

Zu einer Verrichtung bestellt ist, wem eine Tätigkeit von einem anderen übertragen worden ist, unter dessen Einfluss er allgemein oder im konkreten Fall handelt und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht (vgl. Palandt-Sprau, a.a.O., § 831 BGB Rdn. 5) Der Bestellte muss bei Ausführung der Verrichtung vom Willen des Geschäftsherrn abhängig, d.h. dessen Weisungen unterworfen sein (vgl. BGH NJW 2009, 1740 f. Rdn. 11). Dies ist vorliegend im Verhältnis der Streithelferinnen zur Beklagten nicht der Fall. Die Streithelferinnen sind selbständige Netzbetreiberinnen und für ihre jeweiligen Netze und Netzanschlüsse allein verantwortlich. Sie sind Weisungen der Beklagten nicht unterworfen. Selbständige Unternehmer sind daher grundsätzlich keine Verrichtungsgehilfen gemäß § 831 BGB (vgl. Palandt-Sprau, a.a.O., Rdn. 5), so auch hier. Dass der Strom die Netze mehrerer Netzbetreiber durchfließt, bevor er beim Endverbraucher ankommt, führt nicht zu einer Zurechnung der Verantwortlichkeiten der verschiedenen Netzbetreiber untereinander.

3. Eine Haftung der Beklagten nach dem Produkthaftungsgesetz hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen verneint. Hiergegen wendet sich die Berufung nicht mehr. Auf die Ausführungen (LGU, Seite 7, Bl. 129 d.A.) wird verwiesen.

4. Auf die Frage, ob das Landgericht eine ihm obliegende Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO verletzt hat, kommt es nicht an. Auf die Verletzung einer Hinweispflicht durch das erstinstanzliche Gericht kann sich der Rechtsmittelführer nur dann mit Erfolg berufen, wenn er gleichzeitig darlegt, was er im Falle eines rechtzeitigen Hinweises des Gerichts weiter vorgetragen hätte. Daran fehlt es. Die Berufungsbegründung der Klägerin enthält keinen neuen Tatsachenvortrag zu haftungsbegründenden Umständen, sondern lediglich Rechtsausführungen.

5. Unerheblich ist auch, ob der Klägerin aufgrund der Unterbrechung der Stromzufuhr ein Schaden entstanden ist. Die Zeugen B. und M. sind deshalb nicht zu vernehmen. Auch ein Sachverständigengutachten ist nicht einzuholen. Es fehlt bereits an einem haftungsbegründenden Verhalten der Beklagten.

6. Da die Beklagte der Klägerin bereits dem Grunde nach nicht haftet, besteht auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Voraussetzungen eines Verzuges der Beklagten sind im Übrigen von der Klägerin nicht dargelegt worden. Auf die Ausführungen der Beklagten im Rahmen der Klageerwiderung vom 03.03.2010 (Seite 3, Bl. 20 d.A., unter f.) wird insoweit verwiesen. Damit hat sich die Klägerin nicht auseinandergesetzt.

II.

Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu den vorstehenden Hinweisen bis zum 15. November 2012 Stellung zu nehmen oder die Berufung zurückzunehmen.

Es wird darauf hingewiesen, dass sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens im Falle einer Berufungsrücknahme von 4,0 auf 2,0 Gebühren ermäßigen (Nr. 1222 KV GKG). Wird die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, ermäßigen sich die im Berufungs-verfahren entstandenen Gerichtsgebühren nicht (vgl. OLG Brandenburg MDR 2009, 1363).

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