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Betriebsschließungsversicherung – behördliche Betriebsschließung – Corona-Pandemie

LG Heidelberg – Az.: 2 O 250/20 – Urteil vom 02.03.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 9.903,90 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung, welche der Kläger bei der Beklagten abgeschlossen hat.

Der Kläger betreibt eine Gaststätte in I.. Im Frühjahr 2015, vor der Eröffnung der Gaststätte im April 2015 (AS 141), schlossen die Parteien unter der Versicherungsscheinnummer FKA …-… einen Versicherungsvertrag, der unter anderem auch eine Betriebsschließungsversicherung (“Genuss-Police“) beinhaltete. Versicherungsbeginn war im Frühjahr 2015.

In den zugehörigen Versicherungsbedingungen (Anlage B 1, im Weiteren auch allgemein „AVB“ genannt – für die ab 6/2016 geltende Fassung vgl. Anlage K 2, AS 45 ff.), die den Stand „01.07.2009“ aufweisen, heißt es unter anderem:

 „§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz — lfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

[…]

2. Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger:

a) Krankheiten

[es folgt eine Aufzählung von 18 Krankheiten, welche COVID-19 (und andere Coronavirus-Erkrankungen) nicht enthält und weder der ursprünglichen Gesetzesfassung des IfSG vom 1. Juli 2000 noch der vom 29. März 2013 bis zum 24. Juli 2017 geltenden Fassung entspricht]

b) Krankheitserreger

[es folgt eine Aufzählung von 49 Krankheitserregern, welche SARS-CoV-2 (und andere Coronaviren) nicht enthält und weder der ursprünglichen Gesetzesfassung des IfSG vom 20. Juli 2000 noch der vom 29. März 2013 bis zum 24. Juli 2017 geltenden Fassung entspricht]“

Vereinbart war eine Versicherung für maximal 30 Tage einer Betriebsschließung, wobei je Tag auf Basis des Sachversicherungswertes eine Versicherungssumme von 330,13 EUR vereinbart war. Wegen der Einzelheiten dieser Berechnung wird auf Aktenseite 8 sowie die in Bezug genommenen Anlagen verwiesen.

In einer „Beratungsmappe“ zu der „Genuss-Police“, welche als Datum „6/2015“ ausweist (Anlage K 3), heißt es unter anderem:

„Die Seuchengefahr durch Infektionskrankheiten hat in den letzten Jahren – unter anderem durch die stark gestiegene Anzahl von Salmonellenerkrankungen – immer mehr zugenommen. Und durch den immer beliebter werdenden Ferntourismus steigt die Gefahr, dass gefährliche Krankheitserreger zu uns gelangen.

[…]

Über 40 meldepflichtige Krankheiten bzw. Krankheitserreger nennt das Gesetz, dessen erklärtes Ziel es ist, Infektionskrankheiten frühzeitig zu erkennen und damit schnell und zielgenau bekämpfen zu können. Gegenstand der Betriebsschließungsversicherung sind alle in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten bzw. Krankheitserreger:

[…]

Wir leisten bei behördlich angeordneten Maßnahmen bei Gefährdung durch Seuchenherde. […]“

Als Beispiele für drohende Gefahren werden in dieser Beratungsmappe etwa eine Hepatitsinfektion des Wirtes im Urlaub oder die Salmonellenerkrankung eines Angestellten genannt.

Infolge der Ausbreitung des SARS-CoV-2 Virus verfügte die Landesregierung Baden-Württemberg mit Wirkung zum 21. März 2020 durch Änderung der Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (CoronaVO) unter anderem die Schließung von Gaststätten und ähnlichen Einrichtungen. Die Schließung wurde nach der entsprechenden Verordnung (vorläufig) bis zum 19. April 2020 befristet und dann schrittweise bis zum 20. Mai 2020 verlängert. In der Folge musste auch die Gaststätte des Klägers geschlossen werden, wobei allerdings ein Außer-Haus-Verkauf sowie ein Abhol- und Lieferdienst weiterhin möglich blieben (AS 73)

Am 30. März 2020 meldete der Kläger der Beklagten den Eintritt eines Versicherungsfalls (Anlage K 6). Die Beklagte lehnte eine Zahlung ab und bot dem Kläger allenfalls unverbindlich 1.500,00 EUR im Vergleichswege an (Anlage K 7).

Der Kläger macht nun die Versicherungssumme für 30 Kalendertage Betriebsschließung geltend.

Der Kläger ist der Auffassung, ein Versicherungsfall in Form einer behördlichen Betriebsschließung aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (IfSG) liege vor. Unter die meldepflichtigen Krankheiten nach § 1 Ziff. 2 a) der Versicherungsbedingungen der Betriebsschließungsversicherung falle auch COVID-19, selbst wenn diese Krankheit nicht ausdrücklich genannt sei. Es finde das Infektionsschutzgesetz in der Fassung Anwendung, die bei Eintritt des Schadensfalls gelte. Das SARS-CoV-2-Virus falle unter § 7 Abs. 2 IfSG. Da bereits nach der CoronaV/MeldeV vom 30.1.2020 eine Corona-Virus-Erkrankung meldepflichtig gewesen sei und die Maßnahmen der Landesregierung auf das IfSG gestützt gewesen seien, liege ein Versicherungsfall vor.

Wenn die Beklagte gewollt habe, dass nur bei einer Betriebsschließung wegen der unter § 1 Ziff. 2 a) der Vertragsbedingungen namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger der Versicherungsfall gegeben sein sollte, hätte sie in die Versicherungsbedingungen nicht die Verweisung auf § 6 und § 7 IfSG aufnehmen dürfen. Diesen Verweis könne ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs nur als dynamische Verweisung auf die jeweils geltende Fassung des Gesetzes verstehen. Im Übrigen ginge ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer aufgrund der Bezeichnung der Versicherung ohnehin davon aus, dass sämtliche Betriebsschließungen versichert seien.

Es handle sich bei dieser Regelung um unklare Allgemeine Versicherungsbedingungen, wobei Zweifel zu Lasten des Verwenders gingen. Auch sei ein Ausschluss bestimmter Krankheiten überraschend für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, da ein durchschnittlicher Gastronom die berechtigte Erwartung habe, bei jeder behördlichen Schließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes versichert zu sein (AS 125).

Schließlich hafte die Beklagte jedenfalls aufgrund irreführender Werbeaussagen in der als Anlage K 3 vorgelegten Broschüre.

Er beantragt,

1. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 9.903,90 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. April 2020 zu bezahlen.

2. Die Beklagte zu verurteilen, ihn von den Kosten des vorprozessualen Tätigwerdens seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von EUR 1.191,80 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28. Mai 2020 der Klage freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, angesichts der katalogmäßigen Auflistung einzelner Krankheiten und Krankheitserreger sei unzweideutig erkennbar, dass lediglich eine Betriebsschließung aufgrund eines Auftretens dieser Krankheiten oder Krankheitserreger zu einem Versicherungsfall führe. Die Beklagte habe bewusst keine Zusage für jedwede – bei Vertragsschluss noch nicht absehbare – Betriebsschließung aufgrund des IfSG geben wollen.

Im Übrigen unterfalle eine Betriebsschließung aufgrund einer Pandemie bereits nicht dem Zweck einer Betriebsausfallversicherung, da diese stets eine individuelle Betriebsschließung vor Augen habe.

Die Broschüre Anlage K 3 sei für das vorliegende Vertragsverhältnis nicht maßgeblich. Überraschende oder irreführende Klauseln lägen nicht vor.

Schließlich habe sich die Klägerin von Dritten erhaltene Mittel, namentlich aus öffentlich-rechtlichen Entschädigungsleistungen, anrechnen zu lassen.

Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Mangels Erwähnung von SARS-CoV-2 oder COVID-19 (bzw. allgemein von Coronaviren oder hierauf zurückzuführenden Erkrankungen) in der Auflistung der Versicherungsbedingungen liegt bereits kein Versicherungsfall vor.

I.

Die Klage ist unbegründet, da die Gründe für die (teilweise) Betriebsschließung nicht von dem Versicherungsvertrag umfasst sind.

1. Es fehlt vorliegend bereits deshalb an einem Versicherungsfall, weil die durch das Corona-VirusSARS-CoV-2 ausgelöste Krankheit COVID-19 bzw. das Corona-Virus selbst nicht zu den meldepflichtigen Krankheiten und Erregern im Sinne der Bedingungen zählt.

a) Ob die COVID-19-Erkrankung oder das Corona-Virus (SARS-CoV-2) eine Krankheit oder einen Erreger im Sinne der Bedingungen darstellt, ist anhand von § 1 Ziff. 2 AVB zu beurteilen. Danach sind meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen „die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“. Diese Auflistung ist nach Auffassung der Kammer abschließend.

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aa) Der Sinngehalt allgemeiner Versicherungsbedingungen ist anhand der sogenannten objektiven Auslegung zu ermitteln (vgl. Bach-Geiger VersR 1993, 659, 660). Die Auslegung muss sich demnach daran ausrichten, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung und aufmerksamer Durchsicht der AVB den erkennbaren Sinnzusammenhang verstehen muss (st. Rspr., vgl. nur BGH, BGHZ 123, 83, 85). Da auf den durchschnittlichen Versicherungsnehmer abgestellt wird, dürfen keine versicherungsrechtlichen Spezialkenntnisse vorausgesetzt werden (BGH, NJW 1982, 2776, 2777), ebenso sind die historische Entwicklung oder der historische Hintergrund einer Klausel nicht zu berücksichtigen, denn diese sind dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer regelmäßig unbekannt (BGH, VersR 2000, 1090). Vielmehr ist zum Verständnis einer Klausel regelmäßig von deren Wortlaut ausgehen (BGH, NZV 1995, 107). Welche Bedeutung ein Begriff hat, richtet sich im Allgemeinen nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch (vgl. Bach/Geiger VersR 1993, 659, 660 m. w. N.).

bb) Gemessen an diesen Vorgaben sind die verwendeten AVB dahingehend auszulegen, dass zwar grundsätzlich jegliche Betriebsschließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes in der jeweils geltenden Fassung einen Versicherungsfall begründen mag, dies aber dahingehend eingeschränkt wird, dass zusätzlich eine der explizit genannten Krankheiten oder einer der genannten Krankheitserreger Auslöser der Betriebsschließung sein muss.

(1) Ein durchschnittlicher, aufmerksam lesender Versicherungsnehmer wird bei verständiger Würdigung schon angesichts des Wortlauts, insbesondere der Verwendung des Wortes „folgende“ in § 1 Ziff. 2 AVB sowie der sich dann anschließenden umfangreichen Aufzählung davon ausgehen, dass allein die in den Bedingungen im Einzelnen namentlich aufgezählten Krankheiten und Erreger vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen (so auch LG Ellwangen, Urt. v. 19.09.2020 – 3 O 187/20; LG Oldenburg, a.a.O.; OLG Hamm, Beschl. V. 15.07.2020 – 20 W 21/20; Lüttringhaus, r+s 2020, 250; LG Ravensburg Urt. v. 12.10.2020 – 6 O 190/20; LG Stuttgart Urt. v. 7.12.2020 – 18 O 270/20;LG Göttingen, Urteil v. 13.01.2021 – 5 O 111/20). Für eine abschließende Auflistung spricht zudem, dass in § 1 Ziff. 2 AVB keine Öffnungsklausel etwa in Form der Verwendung des Wortes „insbesondere“, „u.a.“ oder „beispielsweise“ enthalten ist (vgl. Günther, Anm. zum Beschl. des OLG Hamm v. 15.07.2020 – 20 W 21/20, FD-VersR2020, 431078). Aufgrund der konkreten Formulierung und der Stellung im Satzgefüge kann auch keinesfalls davon ausgegangen werden, dass das Wort „namentlich“ in § 1 Ziff. 2 AVB als Synonym für das Wort „insbesondere“ verwendet wurde. Vielmehr ergibt sich eindeutig, dass auf einzelne, im IFSG „mit ihrem Namen“ oder „konkret“ erwähnte Krankheiten oder Krankheitserreger abgestellt wird. Dem steht auch nicht entgegen, dass in § 1 Nr. 2 AVB vor den Worten „die folgenden“ nicht noch zusätzlich klarstellende Worte wie „nur“ oder „ausschließlich“ zu finden sind (so aber LG Darmstadt, Urteil vom 10.02.2021 – 26 O 296/20). Denn nach einem allgemeinen Sprachverständnis ist eine Regelung, in welcher es heißt „[…] im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden […] grundsätzlich bereits aus sich heraus abschließend zu verstehen, so dass es umgekehrt eines Hinweises auf eine bloße Beispielhaftigkeit der Auflistung bedurft hätte (a.A. LG Darmstadt, a.a.O.).

(2) Im Übrigen dürfte einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch einleuchten, dass sich der Versicherer mit der gewählten Formulierung nicht dahingehend binden wollte, dass er für jegliche künftig auftretenden Krankheiten und Krankheitserreger, die zu irgendeinem Zeitpunkt in das IfSG aufgenommen werden sollten, Zahlungsansprüche begründen wollte. Hierdurch würde der Versicherer – zwar auf die jeweilige Höchstdauer der Erstattungszahlungen begrenzte, aber dennoch kaum kalkulierbare – erhebliche Risiken eingehen, ohne auf eine Steigerung des Betriebsschließungsrisikos durch eine Erhöhung von Prämien reagieren zu können. Insbesondere der Wille, für im Zeitpunkt vdes Vertragsschluss noch nicht erkennbare Pandemierisiken einstehen zu wollen, lässt sich den AVB nicht im Ansatz entnehmen.

(3) Entgegen dem klägerischen Vorbringen kann auch nicht davon ausgegangen werden, ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer würde allein aus der Bezeichnung als „Betriebsschließungsversicherung“ davon ausgehen, bei jedweder Betriebsschließung versichert zu sein (AS 6 f.). Es handelt sich hierbei ersichtlich nur um eine den Inhalt der Versicherung stark verknappt umreißende Bezeichnung, was einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch aus anderen gängigen Versicherungen bekannt ist; so ist etwa auch bei einer „Hausratversicherung“ nicht automatisch die Gesamtheit aller vom Versicherungsnehmer als „Hausrat“ aufgefasster Gegenstände gegen jegliche Form von Verschlechterung, Zerstörung oder Abhandenkommen versichert.

(4) Auch vor dem Hintergrund der Broschüre Anlage K 3 ist keine andere, der Klage zum Erfolg verhelfende Auslegung angezeigt, da diese Broschüre inhaltlich nicht auf eine solche Auslegung hinweist.

Zwar trifft es zu, dass in Anlage K 3 behauptet wird, die Betriebsschließungsversicherung würde „alle in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten bzw. Krankheitserreger“ abdecken, was – bei Einbeziehung der Anlage in die Vertragsverhandlungen – tatsächlich zu der Auslegung führen könnte, dass auch in den AVB nicht genannte, aber in den §§ 6 f. IfSG aufgezählte Krankheiten – bzw. durch diese bedingte Betriebsschließungen – vom Versicherungsschutz mit umfasst sind; aber auch bei einer solchen Auslegung wäre die Krankheit COVID-19, die weder bei Vertragsschluss, noch bei Betriebsschließung Inhalt der genannten Normen war, als relevante Krankheit nicht miteinbezogen. Die Aufnahme von COVID-19 erfolgte erst mit der Fassung des IfSG vom 19. Mai 2020 mit Wirkung zum 23. Mai 2020. Eine Auslegung dahingehend, dass auch nicht in den §§ 6 und 7 IfSG Gegenstand der Versicherung sein sollten, ist der Anlage K 3 daher gerade nicht zu entnehmen.

Es kann damit offenbleiben, ob dem Kläger die Anlage K 3 überhaupt bei Vertragsschluss vorlag bzw. ob die das Datum 6/2015 tragende Anlage im April des Jahres 2015 überhaupt schon existiert hat. Unbeachtlich ist schließlich, inwieweit es sich bei der Anlage K 3 um eine Verkörperung fortdauernder Werbeaussagen der Beklagten handelt (vgl. hierzu OLG Stuttgart, Urteile vom 23. September 2015, Az.:9 U 481/15 und 9 U 31/15).

bb) Die Klausel § 1 Nr. 2 AVB ist nach Auffassung der Kammer auch weder überraschend, noch im Sinne der klägerischen Vorstellungen mehrdeutig gemäß § 305c BGB, unangemessen benachteiligend oder intransparent nach § 307 Abs. 1 BGB.

(1) Eine – auch gegenüber Unternehmern unwirksame (vgl. BGH NJW 1990, 576) – Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB liegt vor, wenn der Vertragspartner aufgrund der allgemeinen oder individuellen Umstände des Vertragsschlusses nicht mit einer solchen Regelung zu rechnen hatte. Zu den allgemeinen Begleitumständen zählen dabei der Grad der Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht und die für den Geschäftskreis übliche Gestaltung (vgl. BGH, NJW-RR 2004, 780).

Da, wie bereits dargelegt, ein Versicherungsnehmer bei einem Abschluss einer „Betriebsschließungsversicherung“, nicht damit rechnen kann, gegen jedwede Form von Betriebsschließungen abgesichert zu sein, ist es keinesfalls ungewöhnlich, wenn in § 1 der AVB zunächst der Gegenstand der Versicherung und die versicherten Gefahren dargelegt werden. Auch innerhalb der Norm wird keinesfalls zunächst der Eindruck erweckt, es würde eine Entschädigung bei jeglicher Schließung nach dem IfSG geleistet. Vielmehr verweist bereits der erste Absatz auf die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in Nr. 2. Entgegen der Auffassung der Klägerseite ist eine solche Auflistung der versicherten Gefahren mit nachfolgenden speziellen Haftungsausschlüssen auch keineswegs eine untypische Gestaltung, sondern findet sich in zahlreichen AVB (etwa zu Wohngebäude-Versicherungen, Hausratversicherungen, etc.), so dass sogar von einer durchaus üblichen Gestaltung auszugehen ist.

(2) Eine Mehrdeutigkeit im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB, nach der unter Umständen auch Betriebsschließungen aufgrund von COVID-19 vom Versicherungsschutz umfasst sind, liegt ebenfalls nicht vor.

Zwar mag eine Mehrdeutigkeit dahingehend angenommen werden können, dass unklar bleibt, ob nur die enumerativ in den AVB aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger als versicherte Gefahren zählen oder daneben auch in den §§ 6 und 7 IfSG im Zeitpunkt des Vertragsschlusses genannte weitere Krankheiten und Krankheitserreger. Dies kann aber dahingestellt bleiben, da die hier relevante Krankheit COVID-19 unstreitig weder in den AVB noch im IfSG genannt war. Damit führt keine der möglichen Auslegungen der Klausel dazu, dass ein Versicherungsschutz besteht.

(3) Eine in der Sache unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB ist nicht zu erkennen.

Dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer davon ausgehen könnte, es bestünde für alle Zeiten ein umfassender Versicherungsschutz bei jeglichen Betriebsschließungen nach dem IfSG (so aber wohl LG München I, CoVuR 2020, 640, Rn. 86 ff. und LG Darmstadt, Urt. V. 10.02.2021 – 26 O 296/20), erscheint kaum naheliegend. Auch ohne gesonderte juristische, medizinische oder versicherungsrechtliche Vorbildung dürfte einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer bereits aufgrund der Berichterstattung in den Medien in den letzten Jahrzehnten (etwa zu MERS, SARS, „Schweinegrippe“) bekannt sein, dass neuartige Krankheitserreger auftreten können, ebenso, dass diese zu größeren Krankheitswellen führen können. Vor diesem Hintergrund drängt sich jedem Leser der AVB auf, dass sowohl ein Verweis auf das IfSG als auch die Angabe des Standes der AVB (hier 01.07.2009) allenfalls die vollständige Abdeckung der damals in dem IfSG namentlich gelisteten Krankheiten und Krankheitserregern bedeuten könnte und keinesfalls die Einbeziehung damals womöglich noch nicht bekannter Krankheiten oder Krankheitserreger.

Da weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass die namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger gegenüber dem Stand 2000, dem Stand 2015 oder auch dem Stand 2019 des IfSG für den Versicherungsschutz relevante Lücken enthielten, ist eine Benachteiligung durch die enumerative Aufzählung nicht ersichtlich. Dies gilt auch, wenn man nach § 305c Abs. 2 BGB die „kundenfeindlichste“ Auslegung wählt (was nach der neueren Rechtsprechung auch im Individualprozess möglich ist, vgl. BGH NJW 2017, 1596), nach der allein die sowohl in den AVB als auch in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger für den Eintritt eines Versicherungsfalls von Bedeutung sein sollen.

(4) Auch ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB vermag die Kammer nicht zu erkennen.

Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender allgemeiner Versicherungsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, NJW-RR 2008, 1123, 1125; BGH, NJW 2001, 2014). Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden (vgl. BGH, NJW 2018, 1544).

Wird der Versicherungsschutz durch eine Klausel eingeschränkt, so muss dem Versicherungsnehmer damit klar und deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel besteht (BGH, r + s 2013, 601 Rn. 9; r + s 2013, 382 Rn. 40). Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz annimmt oder nicht (BGH, NJW 2017, 3711). Dabei gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen braucht, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht (BGH, NJW 2019, 2172).

Mithin sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so zu gestalten, dass dem Versicherungsnehmer die leistungsbeschränkende Wirkung einer Klausel nicht erst nach intensiver Beschäftigung oder aufgrund ergänzender Auskünfte deutlich wird. Maßgebend sind auch hier die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden. Im Rahmen einer gewerblichen Versicherung ist daher auf den geschäftserfahrenen und gewerblich tätigen Unternehmer abzustellen (vgl. BGH, VersR 2011, 920).

Wie bereits dargelegt, konnte der durchschnittliche Versicherungsnehmer auch ohne die Klausel § 1 Ziff. 2 AVB nicht zwingend erwarten, einen umfassenden Schutz gegenüber jeglichen Betriebsschließungen aufgrund des IfSG in seiner jeweils geltenden Form zu erhalten, so dass die Einschränkung auf die namentlichen Krankheiten und Krankheitserreger nicht zu einer überraschenden Lücke im Versicherungsschutz führte. Insbesondere wurde der Versicherungsvertrag auch vor Beginn der COVID-19-Pandemie geschlossen (worin der maßgebliche Unterschied zu dem der Entscheidung LG München I, COVuR 2020, 640 zugrundeliegenden Sachverhalt bestehen dürfte), so dass die Klägerin nicht erwarten durfte, gerade die hierdurch drohenden Betriebsschließungen seien durch den Vertrag abgesichert.

Angesichts des Vertragsschlusses (und sogar der Betriebsschließung) zu einem Zeitpunkt, in welchem COVID-19 noch nicht in den §§ 6, 7 IfSG genannt war, ist – wie bereits in anderem Zusammenhang dargelegt – die in § 1 Ziff. 2 AVB konkret vorgenommene Beschränkung auch nicht unklar, in Bezug auf die Frage, ob auch ein Versicherungsschutz bei einer Schließung wegen COVID-19 gegeben ist.

Der gewollte Regelungsgehalt, dass allein die namentlich aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, ist für den verständigen Versicherungsnehmer zu erkennen (so auch LG Oldenburg, a.a.O.; LG Ellwangen a.a.O.). Selbst bei einer (bereits für sich genommen aber eher fernliegenden) Auslegung dahingehend, dass die konkret benannten Krankheiten und Krankheitserreger nur dann versichert sein sollen, wenn sie auch (noch) im IfSG aufgeführt sind, wäre jedenfalls eindeutig, dass jedenfalls COVID-19 nicht Gegenstand der Versicherung ist.

Letztlich ist aber bei lebensnaher Betrachtung nach Auffassung der Kammer für den Versicherungsnehmer bei einfacher Lektüre der AVB ohne die Zuhilfenahme sonstiger weiterer Texte klar, dass sämtliche der dort aufgelisteten Krankheiten und Erreger – aber auch nur diese – geeignet sind einen Versicherungsfall zu begründen.

4. Mangels irreführender Werbeaussagen scheidet auch der von Klägerseite hierauf gestützt Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. §1a Abs. 3 VVG aus. Jedenfalls wäre auch hier ein Schadensersatzanspruch, gerichtet auf Erbringung von Leistungen, welche nach keiner denkbaren Auslegung Inhalt der Werbeaussagen waren, nicht gegeben.

5. Auf die Frage, ob ein Leistungsanspruch auch im Falle einer Teilschließung bei fortbestehendem Außer-Haus-Verkauf besteht, kommt es vor diesem Hintergrund nicht mehr an. Ebensowenig ist die Frage zu entscheiden, ob – wofür freilich wenig spricht – der Versicherungsschutz sich nur auf nicht pandemisch auftretende Erkrankungen beziehen soll.

6. Da der Kläger keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung hat, steht ihm auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten oder auf Zinsen zu.

II.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

 

 

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