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Geschwindigkeitsüberschreitung: Urteilsfeststellungen – Geständnis des Betroffenen

OLG Hamm

Az.: 3 Ss OWi 811/03

Beschluss vom 02.03.2004


Leitsatz:

Zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich einer Geschwindigkeitsüberschreitung; wenn der Betroffene ein Geständnis abgelegt hat.


Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 19.09.2003 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 02.03.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen.

Gründe:

I.
Der Betroffene ist durch Urteil des Amtsgerichts Essen vom 19.09.2003 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 200,- € verurteilt worden. Von der Verhängung eines Fahrverbotes hat das Amtsgericht abgesehen.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts überschritt der Betroffene am 13.02.2003 um 01.03 Uhr mit dem von ihm geführten PKW auf der Krayer Straße in Essen innerhalb geschlossener Ortschaft die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um zumindest 25 km/h. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mit dem Lasermessgerät Gerätetyp Riegl LR 90-235 P. Die abgelesene Geschwindigkeit betrug ausweislich des Messprotokolls 85 km/h. Abzüglich eines Toleranzwertes von 3 km/h wurde dem Betroffenen deshalb in dem diesem Verfahren zugrunde liegenden Bußgeldbescheid eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 32 km/h vorgeworfen.
Nach den weiteren Ausführungen in den Urteilsgründen hat der Polizeibeamte Vespermann keine konkrete Erinnerung mehr an die von ihm durchgeführte Geschwindigkeitsmessung. Bei seiner Vernehmung als Zeuge hat er angegeben, dass das Messgerät wohl 85 km/h angezeigt habe, wenn er dies so in dem Messprotokoll eingetragen habe. Der Betroffene hat nach den Urteilsgründen eingeräumt, dass er zu schnell gefahren sei und hat sich insoweit auch reuig gezeigt. Er hat sich aber dahin eingelassen, dass er absolut sicher sei, nicht schneller als 75 km/h gefahren zu sein.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung für schuldig befunden und gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 200,- € verhängt.
Den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht wie folgt begründet:
„Dabei kann unaufgeklärt bleiben, ob der Betroffene die eingeräumten 25 km/h oder die laut Messprotokoll festgestellten 32 km/h zu schnell gefahren ist. Denn selbst wenn man hier davon ausgeht, dass der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit tatsächlich um 32 km/h überschritten hat, so wäre von einem Fahrverbot abgesehen worden. Der Betroffene hat nachvollziehbar dargelegt, dass er beruflich auf seinen Führerschein angewiesen sei. Er sei im Sicherheitsdienst tätig und müsse bei dieser Tätigkeit täglich mit dem Pkw Kunden und verschiedene Objekte anfahren. Er hat dargelegt, dass diese Tätigkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln z.B. nicht zu erfüllen sei und dass er für den Fall, dass er den Führerschein verliert, evtl. sogar mit einer Entlassung rechnen müsse.
Gemäß dem Bußgeldkatalog beträgt die Regelbuße für eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 21 bis 25 km/h 50 Euro. Wegen der Voreintragungen, insbesondere der Tatsache, dass die letzte Geschwindigkeitsüberschreitung kein Jahr zurücklag, wurde dieser Betrag angemessen auf 200,- Euro erhöht. Für die Geschwindigkeitsüberschreitung von 32 km/h ist im Bußgeldkatalog eine Regelbuße von 100,- Euro sowie ein Fahrverbot von 1 Monat vorgesehen. Da hier jedenfalls von einem Fahrverbot abzusehen war, ist die Geldbuße entsprechend auf 200,- Euro erhöht worden.
Angesichts des Einkommens des Betroffenen und der Tatsache, dass er davon seine Frau und 2 Kinder unterhalten muss, ist der Betrag von 200,- Euro auch unter Berücksichtigung der Vorbelastung und § 17 Abs. 3 OwiG durchaus angemessen.“
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde der örtlichen Staatsanwaltschaft unter ergänzenden Ausführungen beigetreten.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Essen.
Das angefochtene Urteil hält einer materiell-rechtlichen Überprüfung nicht Stand. An die Urteilsgründe in Bußgeldsachen sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie müssen aber so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Hinsichtlich der Beweiswürdigung müssen die Urteilsgründe in der Regel auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, wie sich der Betroffene eingelassen hat und ob sowie ggf. aus welchen Gründen das Gericht dieser Einlassung folgt oder ob und inwieweit es seine Einlassung als widerlegt ansieht (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 71 Randziffer 42, 43 m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
Aus den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass der Amtsrichter seine Überzeugung, dass der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 25 km/h überschritten hat, auf dessen wohl als „Geständnis“ angesehene Einlassung gestützt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH NJW 1993, 3081) kann eine Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit grundsätzlich auf ein Geständnis des Betroffenen gestützt werden. Erforderlich ist allerdings ein uneingeschränktes und glaubhaftes Geständnis (vgl. BGH NJW 1993, 3081, 3084), wobei in den Urteilsgründen nicht nur die Einlassung des Betroffenen mitzuteilen ist, sondern auch Ausführungen dazu erforderlich sind, aus welchen Gründen der Amtsrichter von der Richtigkeit der Einlassung des Betroffenen überzeugt ist.
Im vorliegenden Verfahren ist bereits zweifelhaft, ob der Betroffene uneingeschränkt eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Umfang von 25 km/h gestanden hat, da er nach den Urteilsausführungen lediglich eingeräumt hat, mit einer Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h, aber nicht mehr als 75 km/h gefahren zu sein. Darüber hinaus lässt das angefochtene Urteil aber auch Ausführungen dazu vermissen, aus welchen Gründen der Amtsrichter diese Einlassung des Betroffenen gefolgt ist. Einer eingehenden Begründung hätte es umso mehr bedurft, als nach den Urteilsgründen ausweislich des Messprotokolls eine Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Betroffenen von 85 km/h vor Abzug des Toleranzwertes gemessen worden ist.
Wie mit der Rechtsbeschwerde zu Recht geltend gemacht wird, durfte das Amtsgericht nicht offenlassen, ob der Betroffene mit einer Geschwindigkeit von zumindest
75 km/h oder von 82 km/h (gemessene Geschwindigkeit abzüglich 3 km/h Toleranz) gefahren ist, da die Bußgeldkatalogverordnung für Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts von 25 km/h und 32 km/h unterschiedliche Rechtsfolgen, nämlich im zuerst genannten Fall die Verhängung einer Regelgeldbuße von 50,- € und im zuletzt genannten Fall die Verhängung einer Geldbuße von 100,- € sowie die Anordnung eines einmonatigen Fahrverbotes als Regelsanktionen vorsieht.
Auch die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes für den Fall einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Betroffenen von 32 km/h begründet hat, halten einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.
Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Senatsentscheidung vom 04.07.2002 – 3 Ss OWi 339/02 – und vom 06.06.2000 – 3 Ss OWi 237/00 -).
Ein Geständnis des Betroffenen sowie von diesem gezeigte Schuldeinsicht stellen für sich allein noch keine besonderen Umstände dar, die ein Abweichen vom Regelfahrverbot begründen können (vgl. BayObLG, DAR 1999, 559).
Berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes hat der Betroffene regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26.02.2002 – 3 Ss OWi 1065/01 – und vom 06.06.2000 – 3 Ss OWi 237/00 – sowie vom 25.05.1999 – 3 Ss OWi 195/99 -; OLG Hamm VRS 90, 210).
Dass die Verhängung eines Fahrverbotes vorliegend mit derart schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen verbunden ist, hat das Amtsgericht nicht festgestellt. Vielmehr wird in den Urteilsgründen lediglich ausgeführt, dass der Betroffene eventuell mit einer Entlassung rechnen müsse, wenn er seinen Führerschein verliere. Darüber hinaus enthalten die Urteilsgründe auch keine Ausführungen dazu, ob der Betroffene durch Inanspruchnahme von Urlaub die beruflichen Auswirkungen eines Fahrverbotes nicht zumindest teilweise abmildern könnte.
Die Entscheidung über das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots ist außerdem eingehend zu begründen und mit ausreichenden Tatsachen zu belegen (vgl. Senatsbeschluss vom 06.12.2001 – 3 Ss OWi 975/01 -; OLG Hamm NZV 1996, 118). Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung durch den Tatrichter, der die entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen darlegen muss. Die ungeprüfte Wiedergabe einer für nicht widerlegt gehaltenen Einlassung des Betroffenen reicht insoweit nicht aus. Der Amtsrichter hat vielmehr die Angaben des Betroffenen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet.
Schließlich hätte es näherer Feststellungen zu den Vorbelastungen des Betroffenen bedurft, um eine Überprüfung ihrer Bewertung im Rahmen des Rechtsfolgenausspruches zu ermöglichen. Die bloßen Angaben, der Betroffene sei in den Jahren 1999, 2001, und 2002 in drei Fällen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten, genügen insoweit nicht. Vielmehr hätten der Umfang der jeweiligen Geschwindigkeitsüberschreitungen sowie die dafür verhängten Sanktionen angegeben werden müssen.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und an das Amtsgericht Essen zurückzuverweisen.

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